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Agiles Arbeiten

 Nichts ist mehr planbar, aber alles ist möglich – für traditionell ausgerichtete Unternehmen schlicht ein Albtraum. Nichts ist mehr planbar, aber alles ist möglich – für traditionell ausgerichtete Unternehmen schlicht ein Albtraum. Foto: Thinkstock

In unbeständigen Zeiten müssen Unternehmen flexibel, aktiv und anpassungsfähig agieren. Agile Unternehmen gehen noch einen Schritt weiter und setzen mit partizipativem Leadership traditionelle Hierarchien außer Kraft.

Kein Trend ohne dazugehörige Schlagworte. Wer beim Thema Agilität zu den Auskennern gehören oder zumindest so tun will, sollte sich mit den wichtigsten Begriffen wappnen: Wir sind im Scrum, betreiben Design Thinking und leben in der VUKA-Welt. Hinter all diesen Methoden steckt der Versuch, eine neue Struktur für Organisationen zu entwickeln, die sie beweglicher auf Veränderungen reagieren lässt. Nichts ist mehr planbar, aber alles ist möglich – so banal lässt sich die Volatilität der meisten Branchen umreißen. Innovations- und Produktionszyk-len werden kürzer, traditionelle Geschäftsfelder brechen weg und neue entstehen praktisch über Nacht. Technologien werden laufend günstiger, die Eintrittsbarrieren für neue Anbieter dadurch niedriger. Diese »wildern« ungeniert auch auf anderen Märkten. Für klassisch ausgerichtete Unternehmen schlicht ein Albtraum.

Der Schweizer Alain Veuve, erfolgreicher Entwickler von Open-Source-Lösungen und vielgebuchter Redner zum Thema Digitale Transformation, spricht gar von einem »Zeitalter des permanenten Wandels«. So vielfältig wie die Methodenwelt, so unterschiedlich ist auch der Werkzeugkoffer, den Unternehmen auf der Reise ins Ungewisse im Gepäck haben: Scrum und Kanaban stammen ursprünglich aus der Softwareentwicklung und formulieren Techniken zur raschen und effizienten Umsetzung von Projekten. VUKA lautet das Akronym aus Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität und beschreibt das hohe Veränderungspotenzial, das die Wirtschaftswelt heute kennzeichnet. Ein Unternehmen sicher zu navigieren, wenn die Umgebung unberechenbar, unsicher, komplex und mehrdeutig ist, erfordert vorausschauendes und flexibles Denken und Handeln.

Leben in der VUKA-Welt
Bei Henkel ist seit November 2016 die Strategie »Henkel 2020+« auf Schiene. Wachstum, Digitalisierung und Agilität sind die Kernpunkte des neuen Vier-Jahre-Progamms, das eine Umsatzsteigerung von zwei bis vier Prozent jährlich vorsieht – gemessen an der Dynamik des Weltmarktes eine ambitionierte Vorgabe. Als Voraussetzungen, um in diesem Umfeld bestehen zu können, nennt Henkel-Vorstandsvorsitzender Hans Van Bylen motivierte und engagierte Teams, beschleunigte Markteinführungen sowie effiziente und vereinfachte Prozesse (»Smart Simplicity«).

So sollen u.a. die Einführungszeiten für Produktinnovationen merklich verkürzt und Arbeitsabläufe optimiert werden. In den Teams werden individuelle Entscheidungsspielräume ausgebaut und das unternehmerische Denken gefördert. »Wir alle müssen beweglicher werden«, erklärt Peter Truzla, Leiter Personalmanagement bei Henkel CEE. Im Sinne des lebenslangen Lernens richtet sich ein Fokus beispielsweise auf Mitarbeiter der Generation 55+, die im Rahmen eines »Reverse Mentoring« von web-affinen Nachwuchskräften in Social Media und die digitale Welt eingeführt wurden. Viele der – unabhängig von Hierarchieebenen und Tätigkeitsbereichen zusammengesetzten – Tandem-Paare beschlossen, den inspirierenden Austausch regelmäßig fortzusetzen. Das erfolgreiche Projekt ist ein erster Schritt in eine digitale Unternehmenskultur – wirkungsvoller als ein beliebiger Kurs zum Thema Digitalisierung  ist das allemal.

Agilität und Digitalisierung gehen Hand in Hand. Das haben inzwischen auch die meisten Manager erkannt. In einer von der TU Graz durchgeführten Studie gaben acht von zehn Vorständen und Geschäftsführern an, die Anpassungsfähigkeit ihrer Unternehmen an schnell wechselnde Kundenforderungen erhöhen zu wollen. Wie die Analysen der Forscher zeigen, besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Agilität von Unternehmen und deren Profitabilität. Betriebe, die ihre Ressourcen schneller als andere anpassen und verteilen können, erzielen im Schnitt einen um 2,4 % höheren Shareholder Return als nicht-agile Unternehmen. 

Auf Unvorhersehbares vorbereiten
Vor einem der größten Umbrüche seit Jahrzehnten steht die Autoindustrie. Themen wie Elektromobilität und Autonomes Fahren treiben die Branche voran, der steigende Kostendruck bringt aber etablierte Hersteller und Zulieferer ins Schleudern. Gleichzeitig drängen neue Player aus der Elektronikindustrie aufs Spielfeld. Dazu kommen »Black-Swan-Ereignisse«, wie der US-Ökonom Nicholas Taleb Vorkommnisse nennt, deren weitreichende Auswirkungen niemand für möglich hielt: Tsunamis oder Erdbeben legen Spezialisten, die alle globalen Hersteller beliefern, lahm, geopolitische Verwerfungen und Konflikte blockieren Handelswege, Krisen ziehen ganze Branchen in den Abgrund. »All diese Effekte sind seit Jahren zu beobachten. Nur schlagen sie heute gemeinsam durch und überlagern sich«, erklärte Christian Ramsauer, Leiter des Instituts für Innovation und Industriemanagement an der TU Graz, Anfang Februar anlässlich der Tagung »Erfolgsfaktor Agilität«. »Agilität ist ein ganzheitliches Konzept, um an dieser geballten Masse an Unsicherheit die für das Unternehmen relevanten Themen zu identifizieren und ihnen dann auch zu begegnen. Das ist bereits heute für immer mehr Unternehmen überlebenswichtig.«

Benefit für alle
Autozulieferer Magna Steyr kennt diese Herausforderungen. Als markenunabhängiger Engineering- und Fertigungspartner ist das Grazer Unternehmen von der Auftragslage der Hersteller abhängig. Projekte laufen aus oder verzögern sich, ebenso kann eine Vielzahl neuer Aufträge vorübergehend die Kapazitäten sprengen. Nachdem man kürzlich in mehreren Ausschreibungen den Zuschlag erhielt, mussten in kurzer Zeit über 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rekrutiert werden. »Die Märkte sind volatiler und unsicherer als bisher und darauf müssen wir reagieren. Agilität hilft uns, mit Unsicherheit proaktiv umzugehen. Ein Beispiel sind Agreements mit der Belegschaft, die wir für einzelne Szenarien bereits getroffen haben. Davon profitieren sowohl das Unternehmen als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Agilität bringt also einen Benefit für alle Beteiligten«, erklärt Karl-Friedrich Stracke, President Fahrzeugtechnik & Engineering bei Magna Steyr. 

Methodisches Neuland
Agilität ist nicht zuletzt eine Frage des Führungsstils und der Unternehmenskultur. »Servant Leadership« stellt das Organigramm, die Hierarchiepyramide auf den Kopf. Führungskräfte schlüpfen in die Rolle eines Motivators und Unterstützers, die Teams organisieren und überwachen ihren Arbeitsfortschritt selbst.  Dieser Verantwortungstransfer bedeutet für das Management zunächst auch Kontrollverlust und erfordert ein hohes Maß an Vertrauen. Gleichzeitig müssen interdisziplinäre Teams mit den »richtigen« Leuten – mit passenden Soft-Skills und Qualifikationen – besetzt werden. Die höhere Identifikation der Mitarbeiter mit ihren Aufgaben und Zielen soll zu effektiverer Zusammenarbeit und höherwertigen Ergebnissen beim Entwickeln neuer Lösungen führen.

Das setzt jedoch bereits eine große Veränderungsbereitschaft voraus, auch die Teamfähigkeit muss sehr ausgeprägt sein. Ständiges Reporting und Abstimmungsschleifen behindern einen zügigen Projektverlauf. Wie bei allen Change-Prozessen darf die psychologische Komponente nicht unterschätzt werden. Agilität erfordert mehr als die technische Implementierung einer Methode. Ein High-Performance-Team muss erst heranreifen.

Sich neu erfinden
Der Sportartikelhersteller adidas sah sich 2015 angesichts wachsender Konkurrenz gezwungen, sich als schnelle, kundenorientierte Marke neu zu erfinden. Schlanke Produktionsprozesse und kurze Lieferwege sollen die Supply Chain verkürzen. Bis zum Jahr 2020 will adidas 50 % seiner Produkte innerhalb von 45 Tagen von der Idee ins Regal bringen. Flexible Strukturen zur Umsetzung eines kundenorientierten Geschäftsmodells sind aber nur die eine Seite. Die adidas-Gruppe reformierte parallel dazu im Sinne einer Top-down-Strategie die Rolle der Personalabteilung. Sie gibt Impulse für Entwicklungsmöglichkeiten und Karrierewege, deren Auswahl und Gestaltung obliegt wiederum – Stichwort Eigenverantwortung – den Führungskräften und Mitarbeitern selbst. Ziel ist die Schaffung einer »innovationsförderlichen Arbeitsumgebung«.

Das Unternehmen bewegt sich dabei weitgehend auf Neuland. Es braucht neue Führungs- und Zusammenarbeitsmodelle. Auf praxiserprobte Konzepte oder Erfahrungswerte lässt sich noch nicht zurückgreifen. So viel ist dem adidas-Management aber schon jetzt klar: »Es reicht nicht aus, Hierarchien verschwinden zu lassen und selbstgesteuerte Teams einzuführen, wenn Mitarbeiter weiterhin in alten Routinen verhaftet sind und Führungskräfte nach wie vor auf Standardisierung statt Flexibilisierung setzen.«


Zitate zum Thema:

"Wir alle müssen beweglicher werden. Karriere zu machen, ist auch eine gewisse Holschuld." Peter Truzla, Henkel CEE

"Agilität hilft uns, mit Unsicherheit proaktiv umzugehen und im Fall des Falles rascher zu reagieren." Karl-Friedrich Stracke, Magna Steyr


Factsheet: Agile Führungskompetenzen

1. Empowerment:

> Handlungs- und Entscheidungsspielräume für MitarbeiterInnen
> Vermittlung der strategischen Vision
> proaktive Personalentwicklung

2. Schnelligkeit:
> unmittelbare Reaktion auf Marktveränderungen
> laufendes Optimieren der Prozesse und Schnittstellen
> zeitnahes Feedback auf Mitarbeiteranliegen

3. Flexibilität:
> Hinterfragen des Status quo
> Offenheit für Vorschläge
>unkonventionelle Lösungswege

4. Reaktionsfähigkeit:
> Veränderungen identifizieren und zeitnah reagieren
> Handlungsfähigkeit in unsicheren Situationen bewahren
> aus der Vergangenheit lernen

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