»Entwicklungshilfe ist in Österreich ein Minderheitenprogramm«
- Written by
- font size decrease font size increase font size
Ralph Martens, Aufsichtsratsvorsitzender des Mischkonzerns RIH, will als Präsident von Care International die internen Strukturen straffen. Über das beschämende Verhalten österreichischer Politiker, zerstörte Mangrovenwälder und strahlende Frauen spricht er im Report(+)PLUS-Interview.
(+) plus: Sie sind seit 1995 ehrenamtlich für Care tätig. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ralph Martens: Ich war damals Mitarbeiter bei Merrill Lynch und eine Studienkollegin, die für Care tätig war, hat mich angesprochen, ob ich ihr bei einem Projekt in Simbabwe behilflich sein kann. Ich habe dort ein »Saving and Loans«-Projekt für 70.000 Frauen in eine betriebswirtschaftliche Form gebracht. Das war mein Einstieg. Ich bin seither auf vielen Wüstenböden gesessen und habe in begeisterte Augen von Frauen geschaut, die in einer kleinen Spargruppe aktiv sind und aus dem monatlichen Überschuss Kleinkredite an die Mitglieder der Gruppe vergeben. Das Heft mit den aufgelisteten Einnahmen und Ausgaben und die Truhe mit dem Geld werden von zwei oder drei Frauen verwaltet. Das Tolle ist: Es verändert das Leben. Die Frauen können sich ein Huhn anschaffen, in weiterer Folge vielleicht eine Ziege, eine Kuh ist schon Luxus. Mit den Produkten daraus können sie ihre Familie erhalten und die Kinder zur Schule gehen lassen. Die Menschen nehmen ihr Leben in eigener Verantwortung in die Hand. Egal ob in Südamerika, Afrika oder Asien – es funktioniert immer.
(+) plus: Der Beitrag Österreichs zur Entwicklungshilfe beträgt nur 0,27 % des BIP. Schämen Sie sich dafür?
Martens: Ich schäme mich für unsere Politiker, die seit Jahrzehnten völkerrechtliche Versprechungen machen und sie nicht einhalten, weil es dafür keine Wählerstimmen gibt. Entwicklungshilfe ist in Österreich ein Minderheitenprogramm. Es ist sehr peinlich, dass ein so reiches Land im Ranking hinterher hinkt. Dabei haben wir eigentlich auch eine moralische Verpflichtung. Gerade Österreich hat nach dem Krieg so viel bekommen und sollte den Sinn von Hilfe besser kennen als andere Länder. Das berühmte Care-Paket hat die ältere Generation noch sehr gut in Erinnerung. Viele verknüpfen damit die erste Schokolade oder die erste Orange, die sie gegessen haben.
(+) plus: Welche Schwerpunkte wollen Sie als Care-Präsident setzen?
Martens: Care ist eine der größten Entwicklungshilfeorganisationen der Welt und historisch als Konföderation nationaler Spenderorganisationen gewachsen. Jedes Land hat durch seine Donoren eigene Programme und Richtlinien geschaffen. In mehr als 80 Staaten entstanden Care-Organisationen, die Projekte umsetzen. Diese Länderorganisationen stehen unter der Personalhoheit der Geberländer und werden dort mit den nötigen Eigenmitteln ausgestattet. Wir haben vor einiger Zeit begonnen, die Strukturen zu bereinigen, Finanzsysteme zu vereinfachen, Kontrollmechanismen durchlässig zu machen. Care wird effizienter, eine moderne Organisation.
(+) plus: Bei vielen Hilfsorganisationen wird kritisiert, dass ein großer Teil der Gelder in der Administration versickert. Sehen Sie bei Care diesbezüglich noch Handlungsbedarf?
Martens: Die staatlichen Donoren verfolgen bestimmte Entwicklungshilfeziele. Heute werden 100.000 Euro in ein klar definiertes Projekt investiert, die Hilfsorganisationen müssen aber 20.000 Euro davon selbst beisteuern. Die Eigenmittel liegen nicht auf der Straße. Das sind neue Herausforderungen, die den Projektrahmen limitieren. Bei den Administrationskosten liegt Care unter 10 % – trotzdem muss dieser Bereich ständig verbessert werden. Wir kaufen alle nötigen Hilfsmittel in der Region ein und stützen dort die Wirtschaft. Durch die höhere Kaufkraft entsteht ein zusätzlicher Hebel. Ein Euro, der hier gespendet wird, hat dort einen Wert von sieben Euro. Wir haben ein Handbuch für professionelle Katastrophenhilfe entwickelt, das inzwischen auch in vielen anderen Organisationen als Standard verwendet wird. Care ist eine Wissensgesellschaft: Wir wissen, mit welchen Instrumenten man Menschen in den verschiedensten Situationen effizient helfen kann. Du kannst immer nur Initialzünder sein, »role models« liefern, die in anderen Ländern bereits erfolgreich waren.
(+) plus: Care besetzt auch komplexe Themen wie HIV-Prävention. Lässt sich das im Gegensatz zu Kinderpatenschaften schwerer kommunizieren?
Martens: In Kambodscha ist es gelungen, die Aidsrate durch ein Fünfjahresprojekt von 3,4 auf 1,8 % zu senken. Das sind schon greifbare Größen, tausenden Menschen wurde die Not gelindert. Natürlich ist die Hose meistens näher als das Hemd. Wie erklärt man den Mangrovenanbau? Wenn in der Zeitung steht, dass 80 % der Meeresfauna vor der chinesischen Küste mittlerweile zerstört sind, welche Auswirkungen hat das für einen österreichischen Bürger? Gar keine. Aber was dort geschieht, ist unfassbar. Es sind oft einfache Dinge: Weil die Dörfer im Küstengebiet von Vietnam oft überschwemmt werden, bringen wir den Menschen bei, statt Hühnern Enten zu züchten. Die Ente schwimmt, das Huhn ertrinkt.
(+) plus: Was passiert mit den Projekten später?
Martens: Wir entwickeln Projekte immer gemeinsam mit der Community. Losgelöst funktioniert das nicht. Ein Beispiel aus Mali: Ich saß dort in der Subsahelzone im Sand mit dem Bürgermeister und einigen Vertreterinnen aus der Dorfgemeinschaft. Wir stellten ein paar Projekte vor, wie man den Ernteertrag erhöhen kann, Verbesserung der Hygiene, eine Schule – aber der Bürgermeister sagte, das brauche er nicht. Im Nachbarort hatte die Schweizer Regierung ein Musterdorf mit Satellitenfernsehen, Badezimmer usw. hingestellt. Das wollte er auch haben, obwohl es dort nicht einmal Strom gibt. Das Problem ist: Bei der nächsten physischen Auseinandersetzung wird das Musterdorf niedergebrannt. Wenn man den Menschen aber beibringt, wie man Häuser baut, können sie es wieder aufbauen. Deshalb ist Bildung so wichtig.
(+) plus: Als besonders erfolgreich hat sich das Modell der Mikrokredite erwiesen. Leider haben auch Spekulanten dieses System vereinnahmt. Ein weiterer Kritikpunkt lautet, dass durch die finanzielle Selbstständigkeit der Frauen soziale Spannungen erzeugt werden. Greift hier Entwicklungshilfe zu stark in die Gesellschaft ein?
Martens: Das lokale Kreditgeschäft in Afrika wird von Kredithaien gesteuert, die 30 % Zinsen pro Tag verlangen. Für professionelle Kreditgeber, die das zu einer Wertpapierstruktur bündeln, sind die riesigen Margen bei relativ geringem Ausfallrisiko natürlich interessant. Unser »Saving and Loans«-Projekt ist viel kleiner dimensioniert, es geht nur um Beträge zwischen zwei und 100 Dollar. Die Kontrolle erfolgt durch die beteiligten Frauen selbst. Das ist auch eine Genderfrage. Wir werden oft zu einer Versammlung eingeladen – da sitzen vor uns hundert Männer, irgendwo spielen Kinder und die Frauen sieht man nicht. Ich bevorzuge die Frauen, denn die kaufen von dem Geld eine Ziege. Und durch den Verkauf der Milch können sie ihre Kinder in die Schule schicken. Das machen die Männer nicht. Die Frauen gewinnen aber an Selbstbewusstsein. Sie sitzen stolz in ihren Festtagsroben mit strahlenden Gesichtern da, weil sie es selbst geschafft haben. Natürlich greifen wir in das gesellschaftliche Gefüge ein, auch bei den Themen HIV/Aids oder genitale Verstümmelung. Das hat viel mit Respekt vor dem Individuum und vor der Natur zu tun. Wir geben den Menschen Instrumente in die Hand, die ihr Leben verändern. Ohne die Zustimmung der Männer geht das nicht – wir brauchen die örtlichen Entscheidungsträger an Bord.
Über Care:
Care International ist in 84 Ländern aktiv und erreichte 2011 mit 1.051 Projekten weltweit mehr als 122 Millionen Menschen. Mit dem Finanzexperten Ralph Martens steht seit Juni 2011 erstmals ein Österreicher an der Spitze des Führungsgremiums der zwölf nationalen Care-
Organisationen. Nach langjähriger Tätigkeit im internationalen Bankwesen gründete er 2001 gemeinsam mit Investoren den Lack- und Büroartikelkonzern Ring International Holding. Sein Bruder Gerald Martens fungiert als Vorstand.