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Faktor Mitarbeiter

 

\"BeimNur elf Prozent der Arbeitnehmer fühlen sich emotional an das Unternehmen gebunden. Jeder vierte Mitarbeiter würde bei einem attraktiveren Angebot sofort den Job wechseln. Geringe Zufriedenheit und Loyalität senken nicht nur die Produktivität, sondern sind auch ein Sicherheitsrisiko.

Drei Tage vor seiner Versetzung nach Wien ließ Thierry Antinori den Plan platzen. Der designierte Vorstandsvorsitzende der Austrian Airlines gab Ende März bekannt, für diese und auch keine andere Funktion mehr zur Verfügung zu stehen. Nach 18 Jahren verließ der Manager den Lufthansa-Konzern. Ein Affront. Und ein großer Verlust für das Unternehmen – denn mit Antinori geht auch eine Menge Know-how verloren. Er ist seit 25 Jahren in der Luftfahrtbranche tätig, seit 1997 für die Lufthansa, davor war er Deutschland-Chef der Air France.
Während über die Beweggründe des 49-jährigen Franzosen noch immer gerätselt wird, stellt sich vor allem eine Frage: Wie konnte der Konzernleitung Antinoris Unzufriedenheit mit dem geplanten Wechsel nach Wien verborgen bleiben? Antinori wäre den beiden bisherigen Vorständen Peter Malanik und Andreas Bierwirth vor die Nase gesetzt worden – eine Situation, die schon allein einiges an Spannungspotenzial bietet. Vor allem aber hätte er den harten Sanierungskurs der rot-weiß-roten Airline weiter vorantreiben sollen. Ein Fass ohne Boden, mit wenig Chance zur Profilierung: Im ersten Quartal flog die AUA erneut einen Betriebsverlust von 63,5 Millionen Euro ein. Dennoch soll die Lufthansa-Tochter noch heuer operativ die Gewinnzone erreichen, so die strengen Vorgaben. Inzwischen mehren sich jedoch im Mutterkonzern Zweifel, ob der Turnaround überhaupt zu schaffen sei. Wien hätte sich aus dieser Sicht für Antinori nicht als Sprungbrett, sondern als Abstellgleis präsentiert.

>> Dienst nach Vorschrift <<
In der Branche wird Antinori derweil für Chefposten bei Air France oder Air Berlin gehandelt, auch Carrier im Nahen Osten wie Qatar Airways und Etihad Airways zeigen sich interessiert. Ein Jobwechsel, selbst nach langjähriger Tätigkeit für ein Unternehmen, ist durchaus nicht mehr ungewöhnlich. Laut einer Umfrage des Gallup Instituts fühlen sich nur elf Prozent der Beschäftigten in Deutschland emotional stark an ihren Arbeitgeber gebunden, zwei Drittel fühlen sich dagegen nur gering an die Firma gebunden. Headhunter haben insbesondere bei gut qualifizierten Leuten ein leichtes Spiel. Jeder vierte Mitarbeiter würde bei einem attraktiveren Angebot sofort den Arbeitgeber wechseln.
Attraktiver bedeutet dabei nicht unbedingt ein höheres Gehalt. Zwar spielen auch die finanziellen Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle, doch häufiger führen emotionale Gründe zu Unzufriedenheit. Mitarbeiter fühlen sich nicht in Prozesse eingebunden, sind über- oder unterfordert oder leiden unter dem schlechten Betriebsklima. Umstrukturierungen oder ein oftmaliger Wechsel der Vorgesetzten und der Zuständigkeiten erzeugen bei manchen Menschen Zorn, Frust oder Ungewissheit. Die einen resignieren, die anderen lehnen sich auf und suchen die Konfrontation. Mangelnde Loyalität ist in jedem Fall problematisch.
Meist geht einem Jobwechsel eine Phase der »inneren Kündigung« voraus. Mitarbeiter, die sich ihrem Arbeitgeber nicht mehr verbunden oder verpflichtet fühlen, versehen Dienst nach Vorschrift. Eigeninitiative wird auf ein Minimum zurückgefahren, die Arbeitszeiten werden exakt eingehalten. In Besprechungen verhalten sich diese Mitarbeiter auffallend passiv, Anordnungen werden kommentarlos hingenommen und nicht mehr hinterfragt. Gallup quantifiziert den Anteil der innerlich gekündigten Arbeitnehmer konstant auf rund 20 Prozent. Dennoch erkennen Führungskräfte selten rechtzeitig, dass es innerhalb der Belegschaft gärt. Dass sich ein zuvor kritischer Mitarbeiter plötzlich völlig widerspruchslos zeigt, wird fälschlich als spätes Einlenken interpretiert – und unauffällige Mitarbeiter sind  auf den ersten Blick auch recht angenehm.

\"ThomasErhebliche Kosten

Heikel wird es, wenn eine länger andauernde Stresssituation, fehlende Identifikation mit der Arbeit und der Firma sowie private Belastungen – etwa Krankheit, Todesfall oder Scheidung – zusammenfallen. Der Kriminalpsychologe Thomas Müller sieht darin den »idealen Nährboden für zerstörerische Kräfte am Arbeitsplatz«. Unzufriedene Mitarbeiter sind immer auch ein Sicherheitsrisiko. Die Hemmschwelle zu Betrug oder Diebstahl sensibler Daten sinkt, wenn sich ein Arbeitnehmer ungerecht behandelt oder dem Unternehmen nicht mehr verpflichtet fühlt. Datenklau ist zudem einfacher denn je: Mussten früher ganze Aktenordner kopiert und aus dem Büro geschafft werden, reicht heute ein winziger USB-Stick.

Bevor Konflikte eskalieren, sind Unternehmen deshalb gut beraten, eine unabhängige Beschwerdeinstanz einzurichten, beispielsweise eine Ombudsstelle, die sich um Anliegen und Probleme jeglicher Art vorurteilsfrei kümmert. Denn Konflikte binden wertvolle Arbeitszeit und verursachen erhebliche Kosten. 2009 wurden von der Rechtsanwaltsgesellschaft KPMG erstmals die Konfliktkosten in deutschen Industrieunternehmen erhoben. Die Experten unterschieden dabei insgesamt neun Konfliktkostenkategorien, die sich in drei Ebenen – Person, Team, Organisation – gliedern. Die  Kosten für aufgrund von Konflikten gescheiterte oder verschleppte Projekte belaufen sich in jedem zweiten Unternehmen auf mindestens 50.000 Euro jährlich. Zehn Prozent der Betriebe rechnen sogar mit 500.000 Euro oder mehr. Studienleiter Ale­xander Insam, KPMG-Partner, will »bewusst mit einem Tabu brechen« und »Controlling mit Mediation und Konfliktmanagement zusammenführen«. Am Problembewusstsein mangelt es jedoch: Viele Manager verdrängen oder leugnen die Existenz von Konflikten, werden diese doch noch immer als Zeichen von Schwäche und Überforderung gesehen.

Teamgeist ist messbar

Laut einer Studie, die die Konfliktmanagerin Elvira Hauska gemeinsam mit dem Soziologen Anselm Eder von der Universität Wien für das Wirtschaftsforum der Führungskräfte (WdF) erstellt hat, verbringen 20 Prozent der knapp 300 befragten Manager mit der Lösung von Konflikten. Multipliziert mit ihrem Durchschnittsgehalt ergeben sich daraus 1.444 Euro monatliche Kosten pro Führungskraft. Zwar sei Konfliktmanagement inzwischen weitgehend anerkannt, »trotzdem hat es bei den meisten Betroffenen einen negativen Beigeschmack«, so Roland Graf, Generalsekretär des WdF.

Die Studienautoren entwickelten ein Messinstrument, das Österreichische Teamgeistbarometer (ÖTB), mit dem anhand der Komponenten Stressbelastung, Konfliktanteil, Arbeitsbelastung und Lebensqualität »Reibungsverluste durch betriebsklimatisch bedingten Stress« beziffert werden können.
Demnach sind 19 Prozent der Befragten der Gruppe der »Teamplayer« zuzurechnen. Sie managen Konflikte erfolgreich und haben dadurch genügend Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben. Verbesserungspotenzial gibt es dagegen schon bei den »Teamneutralen« (76 Prozent). Beim dritten Typ, den »Teamfrustrierten« (fünf Prozent), überwiegen die negativen Indikatoren. Sie haben bereits »innerlich gekündigt«, ihre Arbeit ist durch länger andauernde Konflikte stark belastet und kann zum überwiegenden Teil gar nicht mehr bewältigt werden. »Dieses Tool zeigt, wann sich ein Team einem kritischen Bereich nähert. Damit ist konstruktive Konfliktbewältigung schon möglich, bevor es wirklich teuer wird, weil die Produktivität im Unternehmen zum Erliegen kommt«, sagt WdF-Chef Graf.

Positive Konfliktkultur

Ein schlechtes Betriebsklima, Intrigen oder Mobbing sind die sichtbaren Symptome ernster Verstimmungen im Unternehmen. Unzufriedenheit beginnt jedoch schon erheblich früher: Wenn Mitarbeiter sich nicht geschätzt fühlen, sie ihre Fähigkeiten nicht einbringen können oder wenn sie einfach keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen, bildet das den idealen Nährboden für Frustration. Erste Anzeichen können häufige Krankenstände, erhöhte Fehleranfälligkeit, vermehrte Kundenreklamationen, aber auch persönliche Verhaltensänderungen sein. Manche Mitarbeiter verlegen etwa ihre Arbeitszeiten auf den frühen Morgen oder den späten Abend, um möglichst wenig mit den Kollegen in Kontakt treten zu müssen. Es braucht viel Fingerspitzengefühl, um diese Auffälligkeiten anzusprechen, ohne sich in die Privatsphäre der Mitarbeiter einzumischen. Doch sollten Vorgesetzte, aber auch Kollegen Gesprächsbereitschaft und Unterstützung anbieten.

Für die Vöslauer Mineralwasser AG implementierte Konfliktmanagerin Elvira Hauska im Rahmen der Einführung eines umfassenden Sicherheits- und Gesundheitsmanagements, zertifiziert nach den AUVA-Richtlinien, auch eine integrierte Konfliktanlaufstelle. »Das Ziel dieser Stelle ist die Stärkung des Teamgeists und der Aufbau einer positiven Konfliktkultur«, sagt Vöslauer-Vorstand Herbert Schlossnikl. Das primäre Ziel – die Reduktion von Arbeitsunfällen – wurde eindrucksvoll erreicht. Als Grundlage dafür sieht Schlossnikl »die Definition von klaren Zuständigkeiten, eine verbesserte Unternehmenskommunikation und zielgerichtetete Maßnahmen«. Diese Strategie kommt auch in Konflikt­fällen zum Tragen.

 

 

>> Die häufigsten Gründe für Unzufriedenheit:

1. Zu wenig Geld: Geld ist nicht alles, aber doch viel. In Umfragen klagen Arbeitnehmer am häufigsten über schlechte Bezahlung. Vor allem Überstunden werden meist nicht ausreichend entlohnt. Verweigert der Chef eine Gehaltserhöhung, schrauben frustrierte Mitarbeiter überdurchschnittliche Leistungen auf ein Mittelmaß zurück.

2. Zu viel Druck: Unrealistische Zielvorgaben spornen die Belegschaft nicht an, sondern lähmen. Entweder wird gar nicht erst versucht, die Aufgaben zu erfüllen, oder die Mitarbeiter verausgaben sich völlig. Beide Varianten bergen hohes Frustpotenzial.

3. Ausbeutung: Wenn keine Zeit mehr für Freizeit und Familie bleibt und die Arbeit zum einzigen Lebensinhalt wird, sind Erkrankungen vorprogrammiert. Zieht nicht der Mitarbeiter selbst die Notbremse, dann meist der Körper.

4. Sinnlosigkeit: Selbst monotone Fließbandtätigkeit erfüllt einen Sinn, jeder einzelne Mitarbeiter trägt zum Gelingen des Unternehmens bei. Gelingt es Führungskräften nicht, diese Wertschätzung glaubhaft zu vermitteln, empfinden sich Arbeitnehmer bald als anonyme Masse, die lediglich zur Gewinnmaximierung dient.

5. Schlechtes Betriebsklima: Frostige Stimmungen im Büro schlagen sich auch auf die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter nieder. Die Zahl der Krankheitstage steigt, zudem verursachen Konflikte erhebliche Kosten.

6. Autoritärer Führungsstil: Ein Vorgesetzter, der außer seiner Meinung keine andere gelten lässt, schadet dem Unternehmen selbst. Niemand wird Vorschläge einbringen oder Verantwortung übernehmen — aus Angst vor Fehlern oder um dem Chef genüsslich beim Scheitern zuzusehen.

7. Erstarren in Routine: Nicht jeder Job bietet geistige Herausforderungen, doch auch stupide Tätigkeiten können durch Abwechseln oder Eigenverantwortung aufgewertet werden. Denn mit der Unlust steigt auch die Fehleranfälligkeit.

8. Mangelnde Anerkennung: Engagement und Erfolge müssen vom Chef wahrgenommen und honoriert werden, sonst ist es mit dem überdurchschnittlichen Einsatz schnell wieder vorbei.

9. Falscher Job: Umstrukturierung, Neuverteilung der Kompetenzen, Beförderung  — und plötzlich findet sich ein Mitarbeiter auf einer Position, die seinen Fähigkeiten nicht entspricht. Unter- und Überforderung können gleichermaßen zu schaffen machen.

10. Fehlende Aufstiegschancen: Ein Konkurrent wird befördert — und der zuvor noch ehrgeizige Kollege steigt in puncto Einsatz auf die Bremse. Mitarbeiter, die sich in der beruflichen Sackgasse sehen, sind schwer zu motivieren und zu halten. Helfen können neue Aufgabenbereiche und mehr Verantwortung.

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