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Das schwierigste Produkt, das man verkaufen kann

Kulinarisches Erbe. Für seine innovative Landwirtschaft wurde "Schneckenkönig" Gugumuck mehrfach ausgezeichnet. Kulinarisches Erbe. Für seine innovative Landwirtschaft wurde "Schneckenkönig" Gugumuck mehrfach ausgezeichnet. Foto: Karin Nussbaumer

2007 stieß Andreas Gugumuck auf einen Zeitungsartikel über Wien als einstige Schneckenmetropole und beschloss, diese längst vergessene Tradition wieder aufleben zu lassen. Wo seine Vorfahren über 400 Jahre Suppengemüse anbauten, tummeln sich heute rund 300.000 Schnecken, die in der kleinen Manufaktur zu allerlei Spezialitäten verarbeitet werden oder auf den Tellern heimischer Spitzenköche landen. Im Report (+) PLUS-Interview erzählt der ehemalige IT-Manager über Schnecken als Fast Food und Future Food und wie er Menschen glücklich machen will.

(+) plus: Ihr beruflicher Weg ging zunächst in eine ganz andere Richtung, nämlich in die IT-Branche. Wollten Sie insgeheim immer schon lieber in der Natur arbeiten?

Andreas Gugumuck: Als Kind auf einem Wiener Bauernhof aufgewachsen, wollte ich eigentlich Pfarrer oder Mafiaboss werden. Schon als Zehnjähriger durfte ich mit dem Traktor fahren, als die Familie das Feldgemüse auf den Anhänger auflud. Als Jugendlicher war ich ständig am Dachboden, alte Sachen und Ahnenforschung haben mich schon immer interessiert. Aber Landwirt zu werden, war zu dieser Zeit kein Thema. Nach der HTL habe ich Wirtschaftsinformatik studiert. Aber nach zehn Jahren als Consultant und Projektmanager war ich dennoch nicht sehr befriedigt. Man sieht am Abend nichts, was man geschaffen hat.

(+) plus: Wie viel Mut kostete es, den sicheren Job aufzugeben?

Gugumuck: Als ich mit den Schnecken begonnen habe, gab es dafür keinen Markt. Fremdkapital hätte ich nie bekommen. Wenn man nur für sich selbst verantwortlich ist, kann man leicht mutig sein. Ich habe es dann trotzdem gemacht, obwohl ich eine Familie versorgen muss. Viele hielten mich für verrückt. 2009 leitete ich ein Projekt, das mir überhaupt keinen Spaß mehr machte. Die Firma wollte mich zwar unbedingt halten, letztlich war es aber eine gute Entscheidung. Zu diesem Zeitpunkt habe ich im Nebenerwerb schon die besten Restaurants in Wien beliefert.

(+) plus: Wie kam es dazu?

Gugumuck: Vertrieb hat mir immer schon Spaß gemacht, so bin ich ohne Anmeldung einfach in die Küchen der besten Restaurants marschiert und habe mit dem Küchenchef gesprochen. Irgendwann hat der Sous-Chef vom Steirereck gesagt, es gibt nur zwei Leute, bei denen toleriert wird, dass sie direkt in die Küche liefern – der Trüffelmann und ich. Seither habe ich das nicht mehr gemacht.

(+) plus: Gab es auch Rückschläge?

Gugumuck: Es war immer an der Kippe. Entwickelte sich der Vertrieb gut, hatte ich Probleme mit den Lieferungen, habe ich mich auf die Schneckenzucht fokussiert, blieb das Geschäft aus. Ich habe mich aber trotz aller Zweifel immer wieder selbst motiviert und weitergemacht. Nur von den Spitzenadressen leben konnte ich nicht. Die zweite Liga unter den Restaurants blieb jedoch unerreichbar. Alle waren von der Qualität begeistert, meinten aber: Wir haben nicht die Gäste, die das bestellen. Ende 2009 habe ich trotzdem gekündigt und mich nur auf die Schnecken konzentriert. Im ehemaligen Kuhstall richtete ich den ersten Verarbeitungsraum ein. Die ersten Jahre habe ich als One-Man-Show ganz Österreich mit Schnecken versorgt und alles allein gemacht: Feldarbeit, Zuchtsystementwicklung, Verarbeitung, Marketing, Vertrieb und Lieferung.

(+) plus: Wie viel Zeit investieren Sie in Marketingaktivitäten?

Gugumuck: Die Schnecke ist definitiv das schwierigste Produkt, das man verkaufen kann. Das sind immer noch viele lange Nächte und unzählige Veranstaltungen. Bezahlte Werbung machen wir aber nicht. Da veranstalte ich lieber unser jährliches »Schneckenfestival« im September oder unsere »Schneckenwochen« zur Fastenzeit, um das kulinarische Erbe der Schnecke hochzuhalten. Ich stehe noch immer selbst am Acker und danach liefere ich in die besten Restaurants und mache mit meinen Produkten Menschen glücklich. Genau das taugt mir. Heuer waren wir mit unseren Wiener Schnecken zum ersten Mal am Opernball, das war ein toller Erfolg.

(+) plus: Braucht es regelmäßig Neues, um im Gespräch zu bleiben?

Gugumuck: Darum geht es mir gar nicht. Dieses Quartalsdenken war mir schon in der IT-Welt ein Graus. Viele Ideen bringen zunächst gar kein Geschäft. Ich bin überzeugt, dass ausdauernde Pflanzen, Pilze, Schnecken und Insekten zu den Nahrungsmitteln der Zukunft zählen müssen. Für ein Kilo Muskelfleisch vom Rind muss man 14 Kilo Futter einsetzen. Für ein Kilo Schneckenfleisch sind nur zwei Kilo Futter nötig, es enthält aber den doppelten Energiegehalt an Eiweiß. Draußen bauen wir gerade ein neues Hügelbeet mit Kräuterspirale und einem Waldgarten in Schneckenform. Das ist verdammt anstrengend und rechnet sich – wenn man rein wirtschaftlich denkt – gar nicht.

Ich möchte aber die Schnecke langfristig als Proteinquelle der Zukunft, als Future Food, positionieren. Dafür habe ich auch einen Thinktank mit Agrarexperten und Ernährungswissenschaftern installiert. Daneben laufen mit mehreren Universitäten Forschungsprojekte, zum Beispiel über die Anwendung von Schneckenschleim in der Kosmetik sowie als organischer Bio-Kleber.

(+) plus: Wie lange reicht die kulinarische Tradition zurück?

Gugumuck: Die Schnecke zählt zu den ältesten tierischen Proteinquellen unserer humanoiden Vorfahren. Die Römer hatten schon eigene Kochbücher mit Schneckenrezepten. Im Zuge der Christianisierung wurden Schnecken zur klassischen Fastenspeise. Wien galt als die Metropole schlechthin, mit einem eigenen Schneckenmarkt hinter der Peterskirche. Das war damals »Fast Food« – statt Maronistandln gab es an jeder Ecke Schneckenstandln. Im Alpenraum galten Schnecken als Arme-Leute-Essen. In den Ministerien gab es sogar eine Richtlinie, dass man Beamten ein oder zwei Tage pro Woche keine Schnecken und Krebse vorsetzen dürfe, weil die offenbar dauernd auf dem Speiseplan standen.

(+) plus: Woher kommt dann die heutige Skepsis?

Gugumuck: Die österreichische Tradition ging mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende. Mit der Nouvelle Cuisine wurden Weinbergschnecken ab den 50er-Jahren als französische Delikatesse wieder modern. Noch bis Mitte der 80er war es normal, Schnecken oder Frösche zu essen. Doch dann war es im deutschsprachigen Raum abrupt vorbei. Über nur eine Generation geriet die Schnecke innerhalb von 30 Jahren in Vergessenheit.

(+) plus: Viele Leute empfinden Ekel. Mussten Sie sich anfangs auch überwinden?

Gugumuck: Nein, es ist nämlich eine reine Kopfgeschichte. Wer sich einmal drüber traut, hat gewonnen. Durch die Schnecke habe ich auch vieles ausprobiert, das ich früher weniger mochte, vor allem Innereien. Seit einem Jahr bieten wir in unserem neuen Hofbistro an den Freitagen ein Sechs-Gänge-Menü mit unseren Wiener Schnecken an. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt.

(+) plus: Wie aufwendig ist die Schneckenzucht?

Gugumuck: Die Schneckenzucht kann man fast mit einer Gärtnerei vergleichen. Das Aufwendige ist aber nicht die Zucht, sondern erst die Verarbeitung. Das ist alles Handarbeit.

(+) plus: Können Sie sich auch vorstellen, Insekten zu züchten?

Gugumuck: Maikäfersuppen gab es noch bis ins 20. Jahrhundert. Ich wurde auch als externer Experte im Gesundheitsministerium zugezogen, als es um die Zulassung von Insekten als Nahrungsmittel ging. Das ist natürlich eine Gratwanderung, aber ich setze auf das Thema. Für die Industriedesignerin Katharina Unger, die bald mit ihrem Insektenzuchtsystem für den Haushalt weltweit startet, haben wir vor kurzem geröstete Mehlwürmer abgefüllt. Wir bieten jetzt auch einen Imkerkurs an, wobei mein spezielles Interesse der Drohnenlarve gilt. Auch das ist wieder heikel, aber bei sämtlichen Urkulturen gelten diese als Medizin.

(+) plus: Werden Schnecken irgendwann wieder zu einer etablierten Delikatesse?

Gugumuck: Ja, wir sind auf einem guten Weg dahin. Schnecken haben einen angenehmen Eigengeschmack und sind extrem vielfältig in der Küche anwendbar. Aber am besten besucht man uns mal am Hof bei einer Führung und überzeugt sich selbst davon.



Zur Person


Andreas Gugumuck, 43, wuchs am Hof seiner Großmutter in Wien-Rothneusiedl auf, wo die Familie seit Generationen Feldgemüse anbaute. Er studierte Wirtschaftsinformatik an der TU Wien und arbeitete zehn Jahre in der IT-Branche als Test-, Projekt- und Salesmanager, u.a. bei IBM und SQS. 2008 startete Gugumuck mit 20.000 Schnecken eines deutschen Züchters als Nebenerwerbsbauer eine Freilandkultur und gewann in der Spitzengastronomie erste Kunden. Ab 2010 widmete er sich hauptberuflich der Schneckenzucht, etablierte die Marke »Wiener Schnecke« und organisierte das erste »Schneckenfestival«, an dem Haubenköche aus ganz Österreich teilnahmen. 2014 folgte der Ausbau zur »Wiener Schneckenmanufaktur« mit Hofbistro und Hofladen. Auch Auszeichnungen ließen nicht auf sich warten: 2012 wurde Andreas Gugumuck vom EU-Parlament zum »Best young farmer of Europe« gekürt und erhielt die »Trophèe Gourmet A la Carte«.

Kontakt: www.wienerschnecke.at

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