Wie und Wo wir morgen arbeiten werden
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Das Büro um 1880: ein Stehpult mit einem dicken, schwarzen Buch, in das der Kontorist penibel sämtliche Zahlungsvorgänge und Korrespondenzen einträgt. Ordnen, duplizieren, dokumentieren, ablegen – die Abläufe sind bis heute im Prinzip die gleichen. Die Schreibkräfte sind zwar nicht mehr ausschließlich männlich, heißen auch nicht mehr Commis und tragen keine Ärmelschoner, der Büroalltag ist aber auch im digitalen Zeitalter noch vom Umgang mit Papier bestimmt.
Mit der Gründung der ersten Handelshäuser in der Renaissancezeit entstand zugleich das Buchhaltungs- und Rechnungswesen. Auf dem Schreibtisch des Kontors liefen alle Kassier-, Buchungs- und Kommunikationsvorgänge zusammen. Zu einem breiteren Berufsfeld entwickelte sich die Tätigkeit als »kaufmännischer Angestellter« aber erst Ende des 19. Jahrhunderts. Noch vor 100 Jahren war die Fabrik der Inbegriff von Arbeit, das Büro bestenfalls das Anhängsel eines Produktionsbetriebes. Auf 100 Industriearbeiter kamen nur zwei oder drei Bürokräfte. Mit den hierarchischen Verwaltungsstrukturen stieg aber auch das Ansehen dieser Berufsgruppe. Wer ein sauberes Hemd trug, hob sich schon rein äußerlich vom Proletariat ab. Der Einzug der Schreibmaschine veränderte die Büroarbeit ab 1900 grundlegend. Ab den 1920er-Jahren ersetzten schließlich zunehmend Frauen, die in nüchternen Schreibsälen mit monotonem Geklapper Seite für Seite abtippten, die altehrwürdigen Kontoristen.
>> Mehr Lebensqualität <<
Heute arbeiten zwei Drittel der Angestellten in Büros. Moderne Geräte dominieren den Arbeitsalltag und beschleunigten einige Abläufe erheblich, machten andere gar überflüssig. Das »papierlose Büro« – erdacht in der Frühphase des PC-Zeitalters – ist hingegen weiterhin eine ferne Vision. Trotz E-Mails und steigender Speicherkapazitäten steigt der Papierverbrauch stetig. Fast scheint es, als würde das Gedruckte im Ausgleich zur virtuellen Schnelllebigkeit etwas Beständigkeit suggerieren.
Die Arbeitswelt war immer wieder grundlegenden Änderungen unterworfen. Nach Ansicht einiger Wissenschafter erleben wir gegenwärtig einen der tiefgreifendsten gesellschaftlichen Umbrüche der letzten Jahrzehnte. Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Freizeit- und Tourismusforschung, spricht in diesem Kontext von einer »Dienstleistungsgesellschaft«. Nach tausenden Jahren, die von der Agrarwirtschaft bestimmt waren, und 200 Jahren Industriezeitalter stehen nun der Mensch und personenbezogene Leistungen im Mittelpunkt. Arbeiteten vor 60 Jahren noch ein Viertel aller Beschäftigten in der Landwirtschaft, sind es heute nur rund ein Prozent. Mehr als zwei Drittel der Erwerbstätigen sind in Dienstleistungsberufen beschäftigt. Zudem nimmt Arbeit nicht mehr denselben Stellenwert ein wie früher. »Arbeit ist zwar existenzsichernd, sie bestimmt aber nicht mehr allein den Alltag. Die Menschen haben erkannt, dass Lebensqualität wichtiger ist als Lebensstandard«, sagt Zellmann. Zeit ist, wie er in seinem Buch »Die Zukunft der Arbeit« erläutert, die wichtigste Ressource des 21. Jahrhunderts.
Menschliche Fähigkeiten und Potenziale gewinnen immer mehr an Bedeutung. Wissen – das Beschaffen und Verarbeiten von Informationen – wird künftig zum entscheidenden Faktor. Getrieben durch die weltweite Vernetzung werden Menschen, aber auch Unternehmen transparenter. Die neuen Kommunikationstechnologien verändern die Art und Weise, wie wir mit Informationen umgehen, wie wir miteinander kommunizieren und arbeiten. Die Geschwindigkeit, mit der sich diese sozialen Prozesse vollziehen, hat sich radikal verschärft. Viel rascher müssen Unternehmen auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen reagieren, viel flexibler müssen Mitarbeiter an neue Aufgabengebiete herangehen. Die Politik sollte dafür vor allem im Bildungsbereich die nötigen Weichen stellen, hinke der Entwicklung aber weit hinterher, meint Zellmann: »Wir erleben eine Demokratisierung auf Basis empathischer Mobilisierung. Daraus könnte ein politisches Programm entstehen, aber die Entscheidungsträger setzen keine mutigen Schritte. Sie leben, denken und handeln noch im Industriezeitalter.«
>> Wissen, Mobilität, Flexibilität <<
Lebenslanges Lernen ist eine Maxime der Zukunft. Alte Berufe verschwinden, verwandte Tätigkeitsfelder verschmelzen in neuen Bezeichnungen. Spezialisten sind zwar weiterhin gefragt, der Blick über den Tellerrand bleibt aber auch ihnen nicht erspart. Ein Arbeitsleben lang einem Unternehmen die Treue zu halten, gilt nicht unbedingt als erstrebenswert. Begehrter sind jene Arbeitnehmer, die sich in mehreren unterschiedlichen Jobs qualifizieren konnten. Denn immer komplexere Aufgabengebiete erfordern eine übergreifende Herangehensweise, Teamarbeit wird groß geschrieben. Hierarchien weichen sich auf, die Verantwortlichkeit wechselt: »Chef« ist, wer gerade ein Projekt betreut. Wer sich nicht vernetzen kann oder will, bleibt letztlich auf der Strecke.
Die Fähigkeit zu Kommunikation und Kollaboration ist deshalb so wichtig, da sich Arbeitsort und Arbeitszeit zunehmend entkoppeln. Mitarbeiter sind ständig und überall erreichbar und haben, egal wo sie sich befinden, Zugriff auf alle nötigen Informationen und Daten, die sie für ihre Arbeit benötigen. Traditionelle Bewertungssysteme, die vor allem auf der Anwesenheitsdauer der Mitarbeiter basieren, greifen daher zu kurz. Was zählt, ist die tatsächliche Produktivität – diese messbar zu machen, dürfte bei schöpferischen Tätigkeiten eine interessante Herausforderung werden. Dem Müßiggang ist jedenfalls keineswegs Tür und Tor geöffnet: Individuelle Arbeitsbedingungen ermöglichen mehr Gestaltungsfreiheit, unterm Strich bleibt aber weniger Freizeit. Der klassische Nine-to-Five-Job ist ein Auslaufmodell. Es wird länger gearbeitet, dafür flexibel. Das heißt, auch manchmal spätnachts oder am Wochenende, manchmal eine Woche mit 50 bis 60 Arbeitsstunden, dann wieder nur 20 Wochenstunden. Klare Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zu ziehen obliegt den Beschäftigten. Arbeitspsychologen sehen diese Entwicklung durchaus kritisch, denn Zeitdruck und permanente Belastung führen schon jetzt zu hohen Burnout-Raten.
>> Wohnzimmeratmosphäre <<
Die neuen Arbeitsstrukturen spiegeln sich auch in der modernen Büroarchitektur wider. Nach einer langen steril-sachlichen Chrom-Glas-Epoche wirken Arbeitsstätten heute fast wie ein zweites Wohnzimmer. Nicht ohne Grund: Mehrere Studien belegen, dass sich eine wohnliche, gemütliche Atmosphäre signifikant auf das Arbeitsklima und die Leistung auswirkt. »Wohlfühlen ist für Wissensarbeiter ein Produktivitätsfaktor«, sagt Harry Gatterer, Leiter des Zukunftsinstituts Österreich.
»Zellenbüros«, in denen Mitarbeiter einsam vor sich hin werken, sind so gesehen geradezu Kreativitätskiller. Großraumbüros entpuppten sich jedoch auch nicht als wirklich praxistauglich: In einer Untersuchung der Hochschule Luzern klagten die Hälfte von rund 1.200 Befragten über den hohen Geräuschpegel, mehr als ein Drittel litt unter der schlechten Luftqualität. Der Trend geht deshalb zu »Bürowelten«, die den Wechsel zwischen Konzentration und Kommunikation, Rückzug und Präsenz ermöglichen.
Informelle Kommunikation – früher auf kurzen Smalltalk in der Teeküche oder beim Kopierer beschränkt – spielt in Unternehmen eine zentrale Rolle. E-Mail, Twitter und Facebook stehen der zwischenmenschlichen Kommunikation von Angesicht zu Angesicht interessanterweise nicht entgegen. »Wir glauben immer, dass sich bald alles nur noch in der virtuellen Welt abspielt. Aber Kommunikation muss man auch Raum geben«, sagt Gatterer. Und wie: Kuschelige Polstersessel und Sofas in warmen Farbtönen laden zum Verweilen ein, Besprechungen geraten in dieser Atmosphäre zum erfreulichen Lichtblick im Tagesprogramm. Bei den Büromöbelherstellern bilden Loungemöbel bereits ein eigenes Verkaufssegment.
>> Nicht nur eine räumliche Frage <<
Einige Konzerne, allen voran Google, gehen noch weiter und bieten ihren Mitarbeitern Entspannung an Billardtischen und Kletterwänden oder in Liegestühlen auf der Dachterrasse – ein klares, modernes Statement auch nach außen. Microsoft unterzog die Österreich-Zentrale im Vorjahr einem Totalumbau. Eine Rutsche führt seither vom zweiten in den ersten Stock, bis auf wenige Abteilungen wie Buchhaltung oder Personal wurden fixe Arbeitsplätze abgeschafft. Denn 80 % der Schreibtische standen ohnehin meist leer, da die meisten Mitarbeiter außer Haus unterwegs waren. Nun trifft man sich in einem der zahlreichen Besprechungsräume zu Meetings und Webkonferenzen oder bearbeitet bequem auf der Couch die eingegangenen Mails.
Offene Arbeitsstrukturen sind »eine räumliche Frage, aber vor allem Frage der Unternehmenskultur«, meint Trendforscher Gatterer. Ausgehend von den ersten Telework-Konzepten vor rund zehn Jahren hat vor allem das Thema Mobilität inzwischen an Fahrt aufgenommen. »Mobile Working« setzt die Bereitschaft voraus, auf ein Stück Individualität – etwa das Familienfoto oder die Urlaubspostkarte auf der Pinnwand – zu verzichten. »Identifikation ist schon wichtig, aber bringt es nicht mehr Vorteile, täglich mit anderen Leuten zu arbeiten oder unterschiedliche Raumqualitäten zu nützen?«, fragt Gatterer. Das Arbeiten unterwegs oder zu Hause macht Büros seiner Meinung keineswegs obsolet: »Wir brauchen sie sogar, um Teams zusammenzuführen und Gemeinschaft zu erzeugen.« Innovative Ideen entstehen fast ausschließlich im Austausch mit anderen und vorzugsweise in Situationen, die dem konzentrierten Denken möglichst fern liegen, beispielsweise beim Sport, in der Natur, auf Reisen. »Der alleinige Heimarbeitsplatz macht deshalb keinen Sinn, weil nur ein Bruchteil kreativer Arbeit in einsamer Konzentration stattfindet«, schreibt Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem Buch »Wie wir leben werden«.
>> Voneinander lernen <<
Heterogener wird auch die Beschäftigtenstruktur. Die Globalisierung hat auch auf dem Arbeitsmarkt Einzug gehalten. Stärker denn je finden zwischen Europa, Amerika und den Schwellenländern Wanderungsbewegungen der Arbeitskräfte statt. Seit dem Zerfall des Ostblocks strömten allein aus den osteuropäischen Staaten knapp eine Milliarde Arbeitnehmer auf den Weltmarkt. Die größte Gruppe, deren Potenzial ungenützt bleibt, sind jedoch Frauen, die oft trotz guter Ausbildung in minderqualifizierten Jobs tätig sind – ein Zustand, der bald nicht mehr tragbar sein wird. Denn Arbeitsmarktexperten prophezeien einen »demografischen Knick«, der spätestens in 20 Jahren auch eine Verschiebung der Geschlechter, aber auch der Generationen in der Arbeitswelt zur Folge haben muss. Die Menschen werden immer älter und bleiben länger gesund. Ein 90-Jähriger wird künftig nur noch auf zwei Jahrzehnte als Pensionist zurückblicken statt auf drei. 50-Jährige, die in einen neuen Karrierefrühling starten, gibt es schon jetzt vereinzelt. »Es ist ja paradox: Wir haben ein Drittel an Lebenszeit dazugewonnen. Warum sollten wir dann nicht ein paar Jahre länger arbeiten?«, plädiert Peter Zellmann für die längst überfällige Anhebung des Pensionsantrittsalters. Diese unpopuläre Maßnahme sei den Menschen durchaus zumutbar. »Auch 2050 werden nicht alle 70-Jährigen am Stock gehen und Alzheimer haben.«
Eine Voraussetzung ist freilich, dass die Arbeitsplätze und die Arbeitszeiten an die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer angepasst werden. Für die meisten Unternehmen ist dieser Gedanke noch weit weg. Die skandinavischen Länder sind diesbezüglich einmal mehr Vorreiter, meint Harry Gatterer, der ein grundlegendes Umdenken fordert: »Wir reden noch immer davon, länger arbeiten zu müssen, sehen aber nicht die Chance, voneinander lernen zu können.«