Quo vadis Personalführung und -entwicklung?
- Written by Bernhard Kuntz
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Die moderne Arbeitswelt erfordert neue Kompetenzen bei den Mitarbeitern. Doch nicht nur das: Auch die Personalführung und -entwicklung müssen sich neu definieren und positionieren.
Gute, alte Zeit! Wie einfach war das Führen von Mitarbeitern in den tayloristisch organisierten Betrieben der Vergangenheit. Da hatte jeder Mitarbeiter seine klar umrissenen, in seiner Stellenbeschreibung beschriebenen Aufgaben. Und wenn ein Mitarbeiter mal nicht parierte? Dann bekam er einen Rüffel.
Und wie einfach war die Personalentwicklung in Zeiten, als noch große Gruppen von Mitarbeitern weitgehend dieselben Tätigkeiten ausübten – zum Beispiel in der Produktion oder in der Verwaltung. Da konnten die Experten in den Personalabteilungen von langer Hand die Entwicklungsmaßnahmen für die verschiedenen Mitarbeitergruppen planen; auch weil sich in den Betrieben zumindest kurz- und mittelfristig meist wenig änderte – sowohl hinsichtlich der Zielsetzungen als auch bei Arbeitsstrukturen und -inhalten.
Doch heute, in Zeiten, in denen die Mitarbeiter oft in netzwerkartigen Strukturen arbeiten und die Hierarchiestufen und Bereichsgrenzen in der Alltagsarbeit an Bedeutung verlieren? Da entwickelt sich laut Unternehmensberater Dr. Georg Kraus, Bruchsal, Führung zur Kunst – »auch weil viele klassische Führungsinstrumente, wie das Führen mit Zielen, an ihre Grenzen stoßen«. Zudem sind die Mitarbeiter heute anders als früher gestrickt. Statt gehorsam die Befehle ihrer Vorgesetzten zu erfüllen, fordern sie Mitsprache. Und statt ihren Job primär als Instrument zu sehen, um die Familie zu ernähren, erwarten sie, dass die Arbeit auch sinnstiftend ist. Und mit all diesen Erwartungen werden ihre Führungskräfte konfrontiert. Sie dürfen heute nicht mehr schlicht Vorgesetzte ihrer Mitarbeiter sein. Nein, sie sollen zugleich deren »Leader« und »Coach« sein.
>> Personalentwicklung stößt an ihre Grenzen <<
Auch die Personalentwicklung stößt an ihre Grenzen – »zumindest in ihrer alten zentral und häufig top-down organisierten Form«, betont die Wiener Managementberaterin Sabine Prohaska. Denn in unserer modernen, von permanenter Veränderung geprägten Welt wird der Change- und Lernbedarf in den Unternehmen und bei deren Mitarbeitern immer größer. Er wird so groß, dass er mit zentral konzipierten Maßnahmen allein immer schwieriger abgedeckt werden kann. Doch nicht nur dies: »Der Lernbedarf der Mitarbeiter wird auch stets individueller, so dass er immer schwieriger zentral erfasst und mit standardisierten Entwicklungsmaßnahmen befriedigt werden kann.«
Daraus folgt laut Prohaska: Die Personalentwicklung muss sich stärker auf die operative Ebene verlagern. Und die Mitarbeiter? Aus ihnen müssen »Selbstentwickler« werden. Sie müssen selbst erkennen, wo bei ihnen ein Lern- und Entwicklungsbedarf besteht. Und: »Sie müssen ihn auch selbst oder mit selbstorganisierter Unterstützung befriedigen können.« Und die Führungskräfte an der operativen Front? Sie müssen diese Lernprozesse bei ihren Mitarbeitern fördern und begleiten und so dazu beitragen, dass die Performance ihres Bereichs kontinuierlich steigt und das Unternehmen schneller auf Veränderungen reagieren kann.
>> Mitarbeiter müssen Eigenengagement zeigen <<
Erkannt haben diese Entwicklungslinien viele Personalmanager bereits vor Jahren. Doch in konkreten Konzepten schlugen sich diese Erkenntnisse im betrieblichen Alltag bisher kaum nieder. Auch weil noch weitgehend unklar ist: Kann man die Fähigkeit von Mitarbeitern, zu erkennen, was zum Erreichen gewisser Ziele nötig ist und eigeninitiativ aktiv zu werden, überhaupt entwickeln? Oder bringen Mitarbeiter diese Eigenschaften aufgrund ihrer Sozialisation oder Persönlichkeit entweder mit oder nicht?
Viele Praktiker in den Betrieben neigen zu letzter Auffassung. Auch weil sie im Betriebsalltag die Erfahrung sammeln: Manche Mitarbeiter sehen einfach, was zum Erreichen bestimmter Ziele nötig ist. Zum Beispiel zum Vermeiden von Mehrarbeit. Oder zum Erfüllen der Kundenwünsche.
Doch nicht nur das: Sie werden auch eigeninitiativ aktiv, selbst wenn die damit verbundenen Tätigkeiten nicht unmittelbar in ihren Aufgabenbereich fallen. Und andere Mitarbeiter? Sie sehen entweder nicht, was es zu tun gilt, oder sie fühlen sich nicht zuständig. Und immer wieder haben sie die Ausrede parat: »Aber mir hat keiner gesagt, dass ich ….«
>> Engagement ist keine Intelligenzfrage <<
Dabei fällt laut Georg Kraus auf: »Es hat weder etwas mit der Intelligenz noch mit der Ausbildung zu tun, ob ein Mitarbeiter sieht, was es zu tun gilt.« So gibt es zum Beispiel durchaus Putzfrauen, die nicht nur runde Ecken putzen. Sie sehen es auch, wenn die Türgriffe mal wieder abzuwischen sind. Oder die Reinigungsmittel zur Neige gehen. Doch das ist nicht alles: Sie werden auch aktiv.
Umgekehrt gibt es top-ausgebildete Mitarbeiter, mit dem Prädikatsexamen einer Elite-Uni in der Tasche, die zwar fachlich top-fit sind, aber trotzdem eine straffe Führung brauchen. Denn die Qualität ihrer Arbeit leidet immer wieder darunter, dass sie nicht ausgehend vom angestrebten Ziel überlegen: Was ist zum Beispiel nötig, damit der Kunde von der Problemlösung begeistert ist? Oder damit das Unternehmen die angestrebte Rendite erzielt? Oder damit ein anderes übergeordnetes Ziel erreicht wird? Stattdessen fühlen sie sich oft schlicht nicht zuständig.
»Solche Mitarbeiter sind aus Unternehmenssicht brauchbare Mitarbeiter. Sie sind aber keine Top-Mitarbeiter – ganz egal, welche berufliche Biografie sie haben«, betont die Führungskräftetrainerin und -beraterin Julia Voss, Hamburg. »Denn sie müssen straff geführt werden.« Und sie strapazieren neben dem Zeitbudget auch die Nerven ihrer Führungskräfte, weil sie zu einem eigenständigen und -verantwortlichen Arbeiten entweder nicht bereit oder fähig sind.
>> Neue Kompetenzen sind gefragt <<
Solche Mitarbeiter können Unternehmen, die High-Performance-Organisationen sind, immer weniger gebrauchen, konstatiert Georg Kraus. »Sie können in ihnen zwar irgendwelche unterstützenden Zulieferdienste verrichten, haben sie in ihrer Organisation jedoch eine Schlüsselfunktion inne, leidet hierunter die Performance der gesamten Organisation.« Das wird vielen Unternehmen, die entweder High-Performance-Organisationen sind oder solche werden möchten, zunehmend bewusst. Folglich hinterfragen sie die Kompetenzanforderungen an ihre Mitarbeiter (von morgen). Gefragt sind zunehmend Mitarbeiter, die nicht nur die Verantwortung für ihr Tun, sondern auch für die Weiterentwicklung ihrer Kompetenz übernehmen; des Weiteren Mitarbeiter, die sich für das große Ganze und das Erreichen der übergeordneten Ziele mitverantwortlich fühlen – und zwar nicht nur verbal. Solche Mitarbeiter findet man in vielen Unternehmen noch zu selten. Deshalb ist nicht nur eine Neuorientierung der Personalsuche, -auswahl und -entwicklung, sondern auch bei der Mitarbeiterführung nötig, betont Kraus.
>> Personalauswahlverfahren überdenken <<
Auch früher versuchten Unternehmen in Personalauswahlverfahren schon zu checken, inwieweit ein Bewerber sieht, was es zu tun gilt – zum Beispiel, indem vor Bewerbungsgesprächen ein Mitarbeiter der Personalabteilung einen Füllfederhalter auf den Fußboden legte. Und dann warteten alle Anwesenden gespannt: Sieht der Bewerber, nachdem er die Tür durchschritten hat, den Gegenstand? Und wenn ja, hebt er ihn, während er auf die Personaler zugeht, auf? Umfassender wurde in der Regel nicht getestet, wie »wach« und eigeninitiativ ein Bewerber ist.
Das sollten Unternehmen aber künftig tun, wenn Eigenengagement und ein Blick fürs Ganze zu Schlüsselkompetenzen sehr guter Mitarbeiter werden, empfiehlt Alexander Walz von der Personalberatung Conciliat, Stuttgart. Am ehesten dürfte dies in Assessment Centern möglich sein. Eine weitere Möglichkeit könnte sein: Das Unternehmen stellt dem Bewerber im Auswahlgespräch eine Aufgabe, die nur »top« gelöst werden kann, wenn gewisse Rahmenbedingungen mitbeeinflusst werden.
Daraus, ob und wie eigeninitiativ der Kandidat die Rahmenbedingungen thematisiert, die es beim Streben nach einer Top-Lösung zu beeinflussen gilt, könnten Rückschlüsse gezogen werden: Wie geht der Kandidat eine Aufgabe an? Inwieweit denkt er über den Tellerrand hinaus? Und was würde er tun, damit die Lösung im Einklang mit den Bereichs- oder Unternehmenszielen steht?
Angenommen, die Fähigkeit, das große Ganze zu sehen, und die Bereitschaft, sich für dieses zu engagieren, sind künftig Schlüsselkompetenzen. »Dann sollten Führungskräfte künftig ihren Mitarbeitern auch nicht nur ein Feedback bezüglich der Qualität ihrer Arbeitsergebnisse geben«, rät Führungskräftetrainer Hubert Hölzl, Lindau. Sie sollten ihnen auch eine Rückmeldung darüber geben: Wie wurden die Arbeitsergebnisse erreicht? Weitgehend eigenständig oder unter mehr oder minder straffer Führung? Bereits im ersten Anlauf oder erst nach mehreren Interventionen – seitens der Führungskraft oder von Kunden? Das heißt, an die Mitarbeiter sollte auch regelmäßig »ein klares Signal gesendet werden, dass ein selbstständiges und eigenverantwortliches Handeln von ihnen erwartet wird; des Weiteren, dass dies ein zentrales Kriterium beim Bewerten ihrer Leistung ist.« Doch nicht nur dies: Auch der Wert ihrer Arbeitskraft wird hieran gemessen, weshalb sich der Grad der Eigenverantwortlichkeit auch in der Entlohnung widerspiegelt.
>> Führung muss sich neu positionieren <<
Mitarbeiter bringen bezüglich ihrer Fähigkeit und Bereitschaft, bei ihrer Arbeit das große Ganze im Blick zu haben, unterschiedliche Startvoraussetzungen mit – aufgrund ihrer Sozialisation und Persönlichkeit. Auch ihre diesbezüglichen Entwicklungspotenziale variieren. Doch auch diese Kompetenz kann entwickelt werden. Der Schlüssel hierzu ist laut Georg Kraus, den Mitarbeiter immer wieder aufzuzeigen, »wie viele Kleinigkeiten beispielsweise zu beachten sind, damit Qualität entsteht und die Kunden begeistert sind. Und wie sich die unterschiedlichen Ziele, die ein Unternehmen anstrebt, wechselseitig beeinflussen. Und wie sich der Markt des Unternehmens entwickelt, weshalb bestimmte Verhaltensänderungen notwendig sind.«
Diese Zusammenhänge und Wechselwirkungen den Mitarbeitern immer wieder vor Augen zu führen, ist eine künftige Kernaufgabe von Führung. Diese Aufgaben können Führungskräfte laut Hölzl zum Beispiel wahrnehmen, indem sie mit ihren Mitarbeitern reflektieren: Warum haben wir bei der schwierigen Aufgabe x eine Top-Lösung entwickelt? Oder: Warum war bei der Aufgabe y aus Kundensicht die Lösung unbefriedigend, weshalb der Kunde sich beschwerte? Des Weiteren: Warum stellen gewisse Lösungen, die vor wenigen Jahren noch Top-Lösungen waren, heute – aus Kunden- oder Unternehmenssicht – keine Toplösungen mehr dar, weshalb sich unser Verhalten verändern muss?
Nur wenn eine Führungskraft in einem permanenten Dialog mit ihren Mitarbeitern hierüber steht, kann sich bei diesen die Kompetenz weiterentwickeln, zu erkennen, was zum Produzieren von Qualität notwendig ist und welcher Entwicklungsbedarf bei ihnen noch besteht, um ein sehr guter Mitarbeiter zu werden (oder zu bleiben).
Diese Entwicklung zu fördern, liegt im Eigeninteresse der Führungskräfte, betont Sabine Prohaska. »Denn je ausgeprägter die Kompetenz Ihrer Mitarbeiter zur Selbstführung und -entwicklung ist, umso stärker werden Sie entlastet – da Sie seltener unterstützend sowie kontrollierend und korrigierend eingreifen müssen.« Hinzu kommt: Die Leistung einer Führungskraft wird stets an der Leistung ihres Teams gemessen. Auch deshalb sollten Führungskräfte daran interessiert sein, dass die Kompetenz und somit Performance ihrer Mitarbeiter kontinuierlich steigt.