Keine Zeit für Führung
- Written by Redaktion
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Wenn Mitarbeiter und Chef einmal pro Jahr am Spielfeldrand sitzen und gemeinsam ihre Arbeit analysieren, dann ist das schon ein erster Schritt in eine gute Richtung, meint die Psychologin und Beraterin Miriam Gross.
(+) Plus: Warum sehen viele Führungskräfte, aber auch Beschäftigte das Mitarbeitergespräch als lästige Pflicht?
Miriam Gross: Das hat vielleicht mit unserer Sozialisation zu tun. Schon in der Schule wird nur auf Schwächen geschaut. Wenn ein Kind bei der Klassenarbeit von zehn Fragen neun richtig beantwortet hat, bekommt es die Rückmeldung »1 Fehler«. Dieses Denken setzt sich in den Unternehmen fort. Statt Stärken hervorzuheben, werden Defizite betont. Wenn wir zu einer höher gestellten Person zitiert werden, läuft sofort eine Assoziationskette: Ich habe etwas falsch gemacht, ich werde kritisiert. In vielen Unternehmen wurde außerdem nicht verstanden, dass das Mitarbeitergespräch ein wichtiges Führungsinstrument und ein Baustein in der Unternehmenskultur ist. Es wurde häufig für das Qualitätsmanagement eingeführt und ist mit vielen Formularen und Protokollen abzuhaken. Man sieht keinen Gewinn darin.
(+) Plus: Was ist der Gewinn?
Gross: Es bringt mehr Orientierung und Führungsqualität. Das Wichtigste ist: Wie geht’s meinem Mitarbeiter, meiner Mitarbeiterin? Was braucht er oder sie von mir, um gut arbeiten zu können? Das will ich als Führungskraft wissen. Jeder Mitarbeiter muss erkennen können, welchen wichtigen Beitrag er für das große Unternehmensziel bringt. Wer Anerkennung und Wertschät zung bekommt, gibt auch viel zurück. Viele Führungskräfte haben nie gelernt, richtig zu kommunizieren. Sie kamen in diese Position, weil sie fachlich gut sind. Sie stehen stark im operativen Geschäft und haben gar keine Zeit für Führung. Führungsqualität kann man er lernen: Es braucht kein Charisma, nur eine gewisse soziale Kompetenz.
(+) Plus: Wie oft sollte ein Mitarbeitergespräch stattfinden?
Gross: Mindestens zwei bis drei Mal pro Jahr. Je höher ein Mitarbeiter in der Hierarchieebene steht und je mehr Verantwortung und Entscheidungsspielraum er hat, umso häufiger müssen ausführliche Gespräche stattfinden. Ich bin froh, wenn Menschen sagen, sie reden ohnehin jeden Tag miteinander. Das ist eine wunderbare Ausgangsposition. Nur: Das Mitarbeitergespräch ist anders. Es ist wie ein Time-out. Ich setze mich an den Spielfeldrand und schaue mit dem Mitarbeiter das »Arbeitsspiel« an: Wie läuft er mit der Mannschaft? Wie kann ich ihn unterstützen? Wir analysieren gemeinsam und geben uns Rückmeldung. Das nur einmal im Jahr zu machen, hat nichts mit Führung zu tun.
(+) Plus: Sind Checklisten sinnvoll?
Gross: Führungskräften mit wenig Erfahrung hilft es meist, einen roten Faden in der Hand zu haben. Wenn beide ihre vorbereiteten Fragen nur ablesen und beantworten, kommt aber kein Dialog und keine Begegnung zustande. Deshalb sollte man das nach und nach flexibler handhaben. Die Fragen sind gut zur Vorbereitung. Sie setzen die Schwelle der Angst herunter.
(+) Plus: Wie können unangenehme Punkte angesprochen werden?
Gross: Ich würde das nicht in das jährliche Mitarbeitergespräch packen, sondern ein Anlassgespräch mit dem betreffenden Mitarbeiter führen. Es kommt sehr stark auf die Spra che und die Formulierung an. Ich gebe dem Mitarbeiter zum Beispiel die Rückmeldung: »Ich habe beobachtet, dass Sie oft sehr spät kommen. Das wirkt auf mich, als hätten Sie keine Lust mehr, hier zu arbeiten.« Das kann ich mit der Ansage verknüpfen: »Ich wünsche mir von Ihnen, dass Sie künftig pünktlich beginnen. « Führungskräfte sagen ja häufig, was ihre Mitarbeiter nicht tun sollen, aber nicht, was sie tun sollen.
(+) Plus: Was ist tabu?
Gross: Ich darf alles, was ich an Verhalten beobachte und der Mitarbeiter ändern kann, wertschätzend ansprechen. Auch unangenehme Dinge – Körpergeruch ist häufig ein Thema oder die Kleidung. Aber Bewerten im Sinne von »Sie sind unzuverlässig, schlampig usw.« ist tabu. So gibt man sich keine Rückmeldung. Ich kann aber sagen: »Wenn ich Sie im Kontakt mit Kunden beobachte, fällt mir auf, dass Ihr Blick von oben herabgeht. Auf mich wirkt das arrogant. Ich möchte Sie bitten, bei Kundengesprächen mehr auf Ihre Haltung zu achten«. Wenn ich dagegen nur sage »Sie sind arrogant«, weiß er damit nichts anzufangen, außer vielleicht: »Der Chef hat mich wieder einmal runtergemacht.«