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Das Gruppentier Mensch

\"DasDie virtuelle Welt, das moderne Kommunikationsverhalten und die Sehnsucht, dabei zu sein: Das Internet gewinnt als Informationsmedium, Werbeträger und Umsatzquelle immer mehr an Bedeutung. Aber wie können Unternehmen von Social Media profitieren?

Früher war Telefonieren ein schwieriges Unterfangen. Schon die Herstellung des Anschlusses durch die Post dauerte eine kleine Ewigkeit. Der Apparat, fix an der Wand montiert, erlaubte kein Herumlaufen, außer man gönnte sich den Luxus eines langen Kabels – das natürlich extra zu bezahlen war. Eine freie Leitung gab es trotzdem nicht immer. »Als ich nach Wien zog, musste ich ein Dreivierteljahr auf mein Vierteltelefon warten – das funktionierte aber auch nur, wenn gerade keiner meiner Nachbarn telefonierte. Das war nicht irgendwann nach dem Krieg, sondern 1978», erzählt Psychotherapeutin und Kommunikationsexpertin Billie Rauscher-Gföhler. Für Jugendliche klingt es wie ein Bericht aus der Steinzeit.

Heute wird immer und überall telefoniert, getwittert, gemailt und gebloggt. Intimste Details und Fotos kursieren im weltweiten Netz, zahllose Informationen werden in Sekundenbruchteilen rund um den Globus verbreitet. Es besteht kein Zweifel: Internet und Handy haben unser Kommunikationsverhalten in den vergangenen Jahrzehnten revolutioniert. Ende der 80er-Jahre richteten die ersten Länder noch eher zögerlich eigene IP-Hosts ein. Heute surft rund die Hälfte der Erdbevölkerung im Internet. Facebook, das größte soziale Netzwerk, zählt mehr als 500 Millionen Mitglieder.

Laut Statistik Austria nutzen in Österreich rund 74 Prozent der Bevölkerung zwischen 16 und 74 Jahren das Internet, fast 72 Prozent davon täglich. In der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen liegt der Useranteil, wie GfK Austria erhob, mit 97 Prozent noch deutlich höher: Sie werden als »Digital Natives« bezeichnet und sind mit Computer, Internet und Handy aufgewachsen. Ihre Online-Aktivitäten beschränken sich nicht nur aufs traute Heim oder den Arbeitsplatz, sondern finden praktisch in allen Lebenssituationen statt. »Für Digital Natives ist das Internet ein nicht mehr wegzudenkender Medienkanal und fixer Bestandteil des Lebens«, sagt Maria Kostner, Online-Expertin bei GfK Austria. »Neben der hohen Internetnutzung zeigt sich auch, dass kaum noch soziodemografische Unterschiede festzustellen sind.« Das Internet ist auf dem Weg, zum Leitmedium zu werden, und hat diesen Status bei den jungen Menschen bereits erreicht.

\"MeralGrößter Werbeträger

Auch in der Medienbranche hat ein neues Zeitalter begonnen. Schon 2011 wird das Internet Zeitungen und Fernsehen als größter Werbeträger ablösen, wie die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PWC) in ihrem »German Entertainment and Media Outlook 2010–2014« für Deutschland errechnete. Der Siegeszug der Online-Werbung war absehbar, wurde durch die Wirtschaftskrise aber noch beschleunigt, so die Experten. Die Konsumenten verbringen immer mehr Zeit online; ein zusätzlicher Schub kommt durch das mobile Internet und darauf zugeschnittene Endgeräte wie Smartphones oder das iPad sowie das derzeit explodierende Angebot von Mini-Anwendungen (Apps). Die Werbebudgets folgen diesem Trend. Für die deutsche Medienbranche erwartet PWC ein durchschnittliches Wachstum der Internet-Werbeerlöse von 4,8 Prozent pro Jahr. Gut die Hälfte der Online-Werbeausgaben fließt in die Taschen von Google, dem unumstrittenen Internet-Platzhirsch.

Allerdings differiert die Internetnutzung je nach Altersgruppe erheblich. Während User bis 19 Jahre mehr als die Hälfte ihrer Online-Zeit mit Kommunikation und sozialen Netzwerken verbringen, beschäftigen sich ältere Nutzer vorwiegend mit Einkäufen und Bankgeschäften. Das Interesse an Social Media wächst jedoch auch in den älteren Generationen rasant.

Unternehmen springen bisher nur vereinzelt auf diesen Zug auf. Zwei Drittel der Firmen nutzen zwar soziale Medien zur internen Kommunikation, wie eine Studie der Beratergruppe Neuwaldegg ergab. Entscheidungen werden jedoch meist mündlich getroffen. Am häufigsten wird von den 278 Befragten das berufliche Netzwerk Xing genutzt, dahinter rangieren Nachschlagewerke und Diskussionsforen wie Wikis und Weblogs. Facebook belegt im Ranking Platz vier. »Wir lernen gerade mit einem neuen Medium umzugehen. Das war bei Telefon, E-Mail oder Internet auch nicht anders«, meint Gerhard Hochreiter, Senior Consultant der Beratergruppe.

Unser Kommunikationsverhalten ist längst im Umbruch: Im Juli 2009 wurden erstmals mehr Nachrichten in Netzwerken verschickt als per E-Mail. Einige große Konzerne wie OMV, AUA oder Verbund sowie Ministerien und Behörden sperrten inzwischen den Zugriff auf Facebook, Twitter & Co. Das virtuelle Networking gehe zulasten der Arbeitszeit, lautet die Begründung. IBM hat den Mitarbeitern zusätzlich strenge Regeln auferlegt, sie dürfen Details über die Entwicklung und Namen von Produkten in Blogs und Foren nicht erwähnen. Die Erste Bank akquiriert dagegen via Xing neue Mitarbeiter. Die
Voestalpine AG strukturiert soeben ihr Intranet zu einem »Mitmachnet« um. Eine komplette Auslagerung in ein soziales Netzwerk ist aber nicht geplant.

Die Vorreiter

Noch überwiegt bei vielen Unternehmen die Angst, interne Informationen könnten ungefiltert nach außen gelangen. So ist es wenig verwunderlich, dass die »offizielle« Kommunikation nach außen noch kaum über Social-Media-Kanäle verläuft.

Das deutsche Tiefkühlunternehmen Frosta zeigt vor, wie es gehen könnte. Seit 2005 betreibt der Konzern höchst erfolgreich ein Corporate-Blog – eine Art Tagebuch, in dem 30 Frosta-Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen über die Marke Frosta, einzelne Produkte und Ernährung im weitesten Sinn philosophieren. Da berichtet beispielsweise eine Kollegin vom Verbraucherservice über die Erbsenernte im Elbtal. Der Produktmanager setzt unter dem Titel »Paella knirscht manchmal« eine Diskussion über Sandreste im Fertiggericht in Gang, die in eine Flut von leidenschaftlichen Kommentaren pro und kontra Muscheln mündet. Und Besucher des Blogs können über neue Produkte wie »Seelachs-Filet in Dijon-Senfsauce« abstimmen.

Das authentische und transparente Auftreten im Netz, aber auch der offene Umgang mit Kritik erhöhe die Glaubwürdigkeit der Marke, sagte Social-Media-Leiterin Marike Paulsen im Oktober bei den Medientagen in München. In vielen Fällen könnten Unklarheiten durch rasche Reaktion beseitigt werden. Das Web 2.0 sei eine gute Plattform für Multiplikatoren – aber welche Inhalte wie verbreitet werden, müsse gut überlegt sein, rät Paulsen: »Man sollte nicht überall mitmachen wollen. Relevante Inhalte für alle Kanäle zu erstellen ist schwierig.«

Das Daimler Blog, eines der besten Corporate Blogs in Deutschland, ist seit 2007 online und verzeichnet im Schnitt mehr als 70.000 Zugriffe monatlich. Rund 70 Mitarbeiter bloggen parallel zur »offiziellen Unternehmensmeinung« frisch von der Leber weg über das Leben im Daimler-Konzern und technisches Hintergrundwissen. Daimler liegt unter den beliebtesten Unternehmen Deutschlands unangefochten an der Spitze. »Große Unternehmen werden von Außenstehenden oft als unnahbar und intransparent empfunden. Auf dem Daimler-Blog bekommt unser Konzern durch die bloggenden Mitarbeiter viele ‹menschliche Gesichter›«, erklärt Uwe Knaus, Manager Corporate Blogging & Social Media Strategy. Ein Moderator wacht über die Einhaltung der Kommentarrichtlinien: Seit Bestehen des Blogs mussten erst acht Postings wegen beleidigender Äußerungen gelöscht werden.

Getrennte Identitäten

Nach Ansicht von Hendrik Spek, Professor für Digitale Medien an der Universität Kaiserslautern, dienen Medien der Unterhaltung, Information und Kommunikation. Social-Media-Plattformen decken »erstmals alle drei Bereiche« ab. Der Drang zur Außendarstellung spielt dabei eine wesentliche Rolle. »Menschen suchen Zugehörigkeit und wollen bemerkt werden«, sagt Psychotherapeutin Billie Rauscher-Gföhler. »Das ist auch ein Zeichen von Macht: Je mehr Kontakte ich habe, desto mehr konnte ich auf mich aufmerksam machen.«

Kommunikation gilt als menschliches Grundbedürfnis. Soziale Erfahrungen erfolgen im Internet aber oft bruchstückhaft oder kommen gar zu kurz. Die Empathiefähigkeit nehme ab, vor allem Jugendliche hätten nur noch eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, warnen Pädagogen und Entwicklungspsychologen unisono. »Nutzer haben oft getrennte Identitäten, in jedem sozialen Netzwerk andere Freunde, Favoriten und Präferenzen – die spannende Frage ist, wie geteilte soziale Erfahrung gelingen kann«, meint Elisabeth Sechser, Geschäftsführerin der Beratungspraxis sicht.art.

Der starke Ich-Bezug hat Schattenseiten. Denn noch ist nicht abzuschätzen, welche Folgen allzu offenherzige Selbstdarstellungen später nach sich ziehen werden. Laut GfK-Umfrage geben 46 Prozent der österreichischen User ihren echten Namen an. 44 Prozent stellen auch Fotos online, auf denen sie gut erkennbar sind. Meral Akin-Hecke, Gründerin von Digitalks, einem Netzwerk für digitale Medien, bezeichnet sich selbst als »Heavy-Userin«. Wie viel man von sich preisgibt, sei jedem selbst überlassen, meint die IT-Expertin – »auch ebay und amazon haben viele Daten von uns, was aber kaum hinterfragt wird«. Für sie ist Bloggen »eine neue Art des Publizierens«: »Facebook ist nur eine von vielen Straßen zu mir.«

\"DieterDie Marke als Medium

Der große Reiz sozialer Netzwerke besteht in der Interaktivität. Jeder User kann gleichberechtigt seine Meinung kundtun. Für Unternehmen bietet sich dadurch die Möglichkeit, in unmittelbaren Kontakt zu Kunden zu treten, rasch auf Anfragen oder Beschwerden zu reagieren und den Bekanntheitsgrad der Produkte zu erhöhen. »Mit Social Media kann ich die Marke selbst als Medium inszenieren«, sagt Dieter Rappold, der als Geschäftsführer der Agentur vi knallgrau Unternehmen wie BMW, Telekom Austria und Voestalpine sowie die SPÖ im EU-Wahlkampf 2009 webtechnisch betreute.

Der Webauftritt erfordert professionelle Planung und Wartung. Nichts verärgert User mehr als »eingeschlafene« Blogs, die nicht laufend aktualisiert werden oder nicht auf Postings reagieren. So manche Kommunikations- und Marketingabteilung ist angesichts des neuen Aufgabenfeldes höchst überfordert. Denn Social Media funktioniert nicht nebenbei und schon gar nicht nach den Mechanismen klassischer PR-Instrumente, die wie eine Kampagne nur über einen kurzen Zeitraum laufen. »Derzeit ist ein Wildwuchs an Aktionismus zu beobachten – und nach zwei Monaten ist alles verwaist«, kritisiert Rappold. Die Unternehmen scheinen sich, so der Kommunikationsprofi, in zwei Lager zu spalten: Jene, die sich hektisch und unüberlegt ins Web 2.0-Abenteuer stürzen – Motto »wir machen was, egal was« – und jene, die nach gut österreichischer Manier »erst einmal abwarten und schauen, was passiert«.

Zeitfresser

Daneben werden aber auch Gegenstimmen laut. Uwe Becker, Media Director von Unilever Deutschland, wetterte kürzlich bei einer Fachtagung gegen den »Social-Media-Hype«, der »blanker Unsinn, PR-Gier und Geschäftemacherei« sei. Becker zog einen Vergleich zur Dot-com-Blase 2001 – auch damals hätten zahlreiche Unternehmen hohe Summen in das Medium Internet investiert und verloren, letztlich würden nun wieder viele »ihrem verbrannten Geld nachweinen«. Auch Zukunftsforscher Matthias Horx bezeichnet das World Wide Web als »zeitfressende Maschine« für »soziale Verlierer, die nichts Wichtigeres zu tun haben«: »Von Facebook wird in fünf bis sechs Jahren kein Mensch mehr reden. Soziale Netzwerke sind heute schon weit über ihren Hype hinaus.«

vi-knallgrau-Chef Rappold ortet in der reflexhaften Abwehr einen Paradigmenwechsel in der Unternehmenskultur, dem sich manche eben nur ungern stellen. Schließlich gelte es zu klären, wer in einem Unternehmen etwas zu sagen hat und sagen darf. »Soziale Medien sind ein Katalysator. Sie erzwingen einen Selbstbild-Fremdbild-Abgleich – und das ist meist schmerzhaft.«

 

>> Zehn Social-Media-Tipps:

1. Betreiben Sie Social Media professionell - Social Media ist eine Kommunikationsmaßnahme in Ihrem Marketing-Mix und sollte ebenso professionell gestaltet werden. Das kostet Zeit und Geld — macht sich aber langfristig bezahlt.

2. Definieren Sie Ihre Zielgruppe - Wo tummelt sich Ihre Zielgruppe im Web 2.0? Wo wird über Sie gesprochen und wo soll über Sie gesprochen werden? Welcher Kanal zu Ihrer Zielgruppe führt, ist entscheidend für die Planung der Aktivitäten.

3. Formulieren Sie Ihre Ziele - Wollen Sie mehr Umsatz machen, Neukunden gewinnen oder Ihren Bekanntheitsgrad erhöhen? Je konkreter und quantifizierbarer Ihre Ziele sind, desto leichter lässt sich später der Erfolg messen.

4. Wählen Sie die richtige Plattform - Auch für Social Media gilt: Man muss nicht auf allen Hochzeiten tanzen. Nicht jeder Kanal eignet sich für jeden Zweck. Kurze Informationen lassen sich gut via Twitter verbreiten, als Jobbörse eignet sich Xing, potenzielle Kunden können über Facebook angesprochen werden, und ein frischer, interessanter Blog macht das Unternehmen sympathisch.

5. Budgetieren Sie Ihre Maßnahmen - Social Media ist eine kostengünstige Kommunikationsstrategie, aber nicht gratis und vor allem zeitaufwändig. Marketingprofis der alten Schule können den virtuellen Netzwerken oft wenig abgewinnen, in diesen Fällen empfiehlt sich eine Auslagerung oder zumindest eine Trennung von der klassischen Unternehmenskommunikation.

6. Erstellen Sie Richtlinien - Welche Themen und Inhalte möchten Sie verbreiten? Welche Informationen sollen nicht nach außen gelangen? Jedes Netzwerk hat eigene Regeln, an die man sich auch halten sollte. »Netikette« wird in der virtuellen Kommunikation großgeschrieben — bei untergriffigen Kommentaren weisen sich User mitunter gegenseitig zurecht. Im höflichen Umgang mit Kritik zeigen Sie, dass Sie Beschwerden ernst nehmen.

7. Schulen Sie Ihre Mitarbeiter - Geben Sie Ihre Aktivitäten in erfahrene Hände. Ihre Mitarbeiter müssen trotzdem eingeweiht und im Umgang mit Social Media geschult werden. Corporate Blogs leben vom lebendigen, unfrisierten Input einzelner Mitarbeiter — dafür die geeignetsten auszuwählen ist die eigentliche Kunst.

8. Kommunizieren Sie Inhalte - Statusmeldungen wie »Gehe auf Mittagspause« sind für das Gros der User uninteressant. Infos über neue Produkte, Expertentipps und Hintergrundwissen bringen dagegen Mehrwert. Kleine Umfragen oder Gewinnspiele animieren User dazu, öfter mal vorbeizuschauen.

9. Blicken Sie über den Tellerrand - Man muss nicht gleich einen eigenen Account anlegen. Schauen Sie sich um, was andere Unternehmen in sozialen Netzwerken treiben, und holen Sie sich Anregungen.

10. Besuchen Sie andere Plattformen - Behalten Sie im Auge, was über Ihr Unternehmen im Web gesagt und verbreitet wird. Tummeln Sie sich in Communitys zu passenden Themen. So können Sie Stimmungen und Trends rechtzeitig erkennen. Wichtig: Nie unter einem Decknamen agieren! Früher oder später kommt Ihre Firmen­identität im Chat raus — und dann können die anderen User ziemlich ungehalten reagieren.

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