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Land der Rentner

\"DasSeit Jahren befindet sich unser Pensionssystem in gefährlicher Schieflage. Nur in wenigen Ländern gehen die Menschen noch früher in Pension. Die von Experten ersonnene Drei-Säulen-Konstruktion aus staatlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge stützt das fragile System mehr schlecht als recht.

Das unrühmliche Schlusslicht bilden Luxemburg bzw. die Slowakei. Mit einem tatsächlichen Pensionsantrittsalter von 58,9 Jahren bei den Männern und 57,5 Jahren bei den Frauen rangiert Österreich aber nur knapp davor – jeweils auf dem vorletzten Platz. Laut der kürzlich präsentierten OECD-Studie »Renten auf einen Blick«, die sich auf Daten der Jahre 2004 bis 2009 stützt, gehen nur die slowakischen Frauen (56,2 Jahre) und die luxemburgischen Männer (57,2 Jahre) früher in Pension. Am längsten arbeiten in Europa Islands Frauen und Männer (65,3 bzw. 69,7 Jahre).

Der OECD-Schnitt liegt demnach bei 63,6 Jahren bei den Männern und 62,4 Jahren bei den Frauen, das gesetzliche Pensionsalter beträgt im Durchschnitt 62,9 Jahre bzw. 61,8 Jahre. In Österreich klafft diese Spanne zwischen offiziellem und faktischem Antrittsalter extrem, denn nach dem Gesetz sollten Frauen erst mit 60 und Männer mit 65 Jahren aus dem Erwerbsleben austreten.

Der internationale Vergleich hinkt dennoch, meint Wirtschaftsforscher Ulrich Schuh vom Institut für Höhere Studien (IHS). So würden invalide Personen in anderen Staaten nicht ins Pensionssystem eingerechnet, sondern wie etwa in den Niederlanden und Schweden in der Arbeitsmarktstatistik oder in der Krankenversicherung berücksichtigt. Filtert man die Invaliditätspensionen heraus, ergibt sich für Österreich mit durchschnittlich 62 Jahren (Männer und Frauen) ein deutlich besserer Wert.

Super-GAU 2020

Österreich, ein Land der Invaliden: Jährlich stellen rund 70.000 Menschen einen Antrag auf Invaliditätspension, 30.000 davon werden positiv beschieden. Dazu kommt die große Zahl an vorzeitigen Ruheständen, gefördert etwa durch die umstrittene Langzeitversichertenregelung (vulgo »Hacklerregelung«), die 2013 ausläuft. Mit der danach gültigen Regelung wird die Anrechnung der Ersatzzeiten strenger gehandhabt, was den potenziellen Bezieherkreis voraussichtlich um die Hälfte reduziert. Derzeit nutzen 73 Prozent aller Frühpensionisten diese Ausstiegsvariante, mit durchschnittlich fast 2.000 Euro brutto sind die Renten vergleichsweise hoch. Ursprünglich für Arbeiter gedacht, nahmen die Hacklerpension jedoch mehrheitlich Angestellte, Bauern und öffentlich Bedienstete in Anspruch, die allesamt leichter die erforderlichen 40 bzw. 45 Beitragsjahre erreichten als Arbeiter, die zwischen einzelnen Beschäftigungsverhältnissen häufig Stehzeiten verzeichneten. Der Staat wendet pro Jahr 4,6 Milliarden Euro für krankheitsbedingte Frühpensionen auf – rund ein Fünftel der gesamten ASVG-Pensionen.

Im Vergleich zu dem Szenario, das uns ab 2020 erwartet, wenn die Babyboomer-Generation in Pension geht, sei die Hacklerregelung jedoch »das geringere Problem«, so IHS-Experte Schuh. Ab 2020 bis 2025 ist ein starker Schub bei den Ausgaben für das Pensionssystem zu erwarten. Derzeit schießt der Bund neun Milliarden Euro pro Jahr (2,8 Prozent des BIP) zu. Die Pensionskommission prognostiziert einen massiven Anstieg auf 6,2 Prozent bis 2040, das Sozialministerium kalkuliert mit 3,9 Prozent bis 2030 deutlich entspannter. Die Zeit drängt jedoch, meint Schuh: »Je später gehandelt wird, desto schmerzhafter.« Trotz unzähliger Pensionsreformen seit Beginn der 1990er-Jahre bewegte sich das tatsächliche Pensionsantrittsalter kaum nach oben. Sozialminister Rudolf Hundstorfer will dennoch das Unmögliche wagen. Ihm schwebt eine Angleichung des effektiven Antrittsalters nach finnischem Vorbild vor – für eine Anhebung des Antrittsalters um ein Jahr benötigten die Finnen eine Übergangsphase von fünf Jahren, Hundstorfer will die Umstellung in vier Jahren schaffen. Linear fortgeführt würde dann 2030 das tatsächliche Pensionsantrittsalter mit dem gesetzlichen übereinstimmen. »Wenn es uns gelingt, den durchschnittlichen Antritt der Invaliditätspension um nur ein Jahr nach hinten zu verschieben, sparen wir uns jährlich 300 Millionen Euro. Wenn wir das durchschnittliche Pensionsantrittsalter um ein Jahr erhöhen, ergibt dies­ sogar eine Milliarde an Minderausgaben«, sagt Sozialminister Hundstorfer.

Golden Handshakes

An den altersbedingten Kündigungen ändert das jedoch wenig. 40 Prozent der Invaliditätspensionisten und 30 Prozent aller Pensionisten wechseln direkt aus der Arbeitslosigkeit in den Ruhestand. Der Großteil der österreichischen Betriebe schickt die Mitarbeiter zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Pension, häufig schon Jahre davor Richtung AMS. Der Staat nimmt sich dabei nicht aus: Vor wenigen Jahren wurden Landesbeamte, aber auch viele Lehrer aus dem Bundesdienst, teilweise weit jünger als 60 Jahre, mit großzügigen Geschenken in die Pension gelockt. Ehemalige Staatsbetriebe wie die Telekom Austria verabschieden pragmatisierte Mitarbeiter knapp nach deren 50. Geburtstag mit Golden Handshakes von 36 bis 45 Monatsgehältern. Auch Banken regeln ihren Personalabbau gerne über Pensionierungen ab 55, die Nationalbank schickt ihre Angestellten im Schnitt zehn Jahre früher als vorgesehen in den Ruhestand. Für Negativrekorde sorgen Jahr für Jahr die ÖBB-Mitarbeiter, die stets mit rund 52 Jahren in Pension gehen. 2010 stieg das Antrittsalter der Eisenbahner erstmals seit mehr als einem Jahrzehnt auf 53,5 Jahre. Finanzstaatssekretär Reinhold Lopatka ist das noch zu viel, ÖBB-Chef Christian Kern habe jene Mitarbeiter, die aus Krankheitsgründen in Pension gingen, nicht mitgerechnet.

Solange staatsnahe Unternehmen und der Staat selbst teure und überflüssige Mitarbeiter frühzeitig ins Pensionssystem auslagern, wird es schwierig sein, Klein- und Mittelbetriebe vom Gegenteil zu überzeugen. Während so mancher Beamter spätestens mit Mitte 50 seine Pension genießt, soll der Rest der Bevölkerung immer länger arbeiten – wenn es nach dem »Grünbuch« von EU-Sozialkommissar László Andor geht, sogar bis 70. Die Sozialpartner entwickeln derzeit das Modell einer »Teilpension«, das älteren Mitarbeitern ermöglichen soll, auch nach dem Erreichen des gesetzlichen Pensionsalters zumindest einige Stunden pro Woche erwerbstätig zu bleiben. Falls es überhaupt so weit kommt: Denn Menschen ab 50 sind in Österreich auf dem Arbeitsmarkt praktisch chancenlos.

Einige OECD-Länder zeigen vor, wie es anders geht. In Deutschland, Island, den Niederlanden und Neuseeland stieg die Erwerbsquote unter den 50- bis 64-Jährigen seit 1970 aufgrund deutlich an. »An einem längeren Arbeitsleben führt kein Weg vorbei«, gibt Monika Queisser, Pensionsexpertin der OECD, die Marschrichtung vor. Anreize für eine Frühpension ohne nennenswerte Abzüge oder die Berechnung der Pensionsansprüche auf Basis des höchsten Gehalts (anstelle eines Querschnitts aus allen Berufsjahren) würden dagegen den Ausstieg aus dem Berufsleben fördern. Die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer ist fast immer eine Kostenfrage. Steigt der Lohn stärker als die Produktivität, entscheiden sich viele Arbeitgeber für jüngere und damit billigere Arbeitskräfte. »Es ist also zu fragen, ob Lohnsteigerungen, die ausschließlich auf dem Alter der Angestellten basieren, sinnvoll sind«, heißt es in dem OECD-Report. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung stetig an. Die Österreicher verbringen heute durchschnittlich mehr als 23 Jahre in der Pension – etwa doppelt so viel wie 1970. Der Anteil der Bevölkerung über 60 Jahre wird von derzeit 23,1 Prozent bis zum Jahr 2050 auf 35,8 Prozent steigen, wie der aktuelle Allianz Demographic Pulse-Bericht prognostiziert.

Wackelnde Säulen

Die Langlebigkeit hat ihren Preis: Nicht nur die Ausgaben für Pensionen wachsen überdurchschnittlich, auch der Bereich Gesundheit und vor allem der Pflegebedarf belasten den Staatshaushalt zunehmend. Seit Jahren versucht die Regierung deshalb, das Pensionssystem durch zwei weitere Säulen zu stützen – mit bescheidenem Erfolg. Die erste – staatliche – Säule trägt nach wie vor die Hauptlast. Doch die heutige staatliche Pension macht im Schnitt nur noch 70 Prozent der noch 1989 vorgesehenen Pension aus.

Die zweite Säule, die betriebliche Vorsorge, ist nur wenigen Erwerbstätigen zugänglich, da vorwiegend große Unternehmen für ihre Mitarbeiter in Pensionskassen einzahlen. Bedingt durch die krisenbedingten Turbulenzen auf den Aktienmärkten fielen die Renditen der Kassen in den letzten Jahren wenig berauschend aus, einige Bezieher mussten bei einer durchschnittlichen Zusatzpension von 350 Euro Einbußen von bis zu 45 Prozent hinnehmen. Dass die langjährige Performance im Schnitt bei sechs Prozent liegt, ist für die rund 7.000 betroffenen Pensionisten kein Trost.

Zuletzt bescherten Investitionen in die insolvente Immobilienfondsgruppe R-Quadrat den Pensionskassen der Wirtschaftskammer Verluste in Millionenhöhe. Insgesamt erwies sich die zweite Säule jedoch als am wenigsten tragfähig. Nach einer kürzlich präsentierten Studie des Fachverbands der Pensionskassen können nur 20 Prozent der jungen Arbeitnehmer (14 bis 30 Jahre) eine Firmenpension erwarten. Drei Viertel der Befragten würden sich eine solche aber wünschen, da sie kaum Vertrauen in eine ausreichende staatliche Pension setzen. »Im Kampf um die besten Köpfe wird eine Firmenpension durchaus ein Kriterium.

Denn gute Fachkräfte können es sich aussuchen, wo sie arbeiten«, meint Andreas Zakostelsky, Obmann des Fachverbandes der Pensionskassen. In Betrieben mit mehr als 50 Mitarbeitern kann schon fast jeder zweite Arbeitnehmer mit einer Zusatzpension rechnen, unter den Kleinbetrieben (weniger als 20 Mitarbeitern) bieten dagegen nur 5 Prozent eine betriebliche Vorsorge an. »Wer heute bei einem Großunternehmen oder einer Institution zu arbeiten beginnt, hat eine achtmal höhere Chance, im Alter sein Leben ausreichend finanzieren zu können als ein Berufseinsteiger in einem Kleinbetrieb«, folgert Zakostelsky. Er plädiert für die stärkere Verankerung von Firmenpensionen in Kollektivverträgen und steuerliche Anreize.

Letzteres hat bei der dritten Säule, der privaten Vorsorge, recht gut funktioniert. Besonders die »Prämienbegünstigte Zukunftsvorsorge« verzeichnete einige Zeit einen regelrechten Boom, vermittelte sie doch wie beim beliebten Bausparen das Gefühl, etwas vom Staat geschenkt zu bekommen. Fast 1,5 Millionen Verträge wurden seit 2003 abgeschlossen. Dass die Kapitalgarantie die Rendite auffrisst, wurde weniger beachtet, ebenso die starre Aktienquote, die es nach überstandener Finanzkrise schwer macht, die erlittenen Verluste wieder auszugleichen.

Trotz wachsenden Bewusstseins, dass die schützende Hand des Staates im Alter nicht mehr genügen wird, ist die Bereitschaft zu eigenverantwortlicher Vorsorge noch wenig ausgeprägt. »In Österreich gibt es in Sachen Vorsorge enormen Aufholbedarf, denn das Verhältnis zwischen der öffentlichen und privaten Vorsorge liegt aktuell bei 95 zu 5. In Deutschland ist die Relation 85 zu 15 – und auch Österreich wird sich in diese Richtung bewegen«, meint Ernst Schneckenleitner, Lebensversicherungsexperte der Allianz Gruppe Österreich. Derzeit beträgt das veranlagte Volumen der zweiten Säule rund 16 Milliarden Euro, in der dritten Säule rund 66 Milliarden Euro. »In den kommenden zehn Jahren wird sich das Vorsorgekapital in Österreich auf rund 170 Milliarden mehr als verdoppeln«, so Schneckenleitner. »Da immer mehr Menschen in Pension gehen und länger im Ruhestand leben, werden sie entsprechende Mittel für diesen Lebensabschnitt brauchen und ansparen.« Rund die Hälfte der 40- bis 60-Jährigen entrichtet bereits Beiträge in eine private Pensionsversicherung. Aber vor allem Junge zeigen sich recht unentschlossen. Für viele Menschen ist eine zusätzliche Altersvorsorge allerdings schlicht unmöglich – aus finanziellen Gründen.

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