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Neue Lernkultur

Neue Lernkultur Foto: iStock

Die Pandemie revolutioniert den Bildungsbereich: Gelernt wird zunehmend digital, multimedial und global. E-Learning nimmt in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung einen festen Platz ein.

Mit digitalen Bildungsangeboten verhielt es sich lange Zeit wie mit Homeoffice: Die Tools waren längst vorhanden, aber die Vorbehalte groß. Die Nutzung hielt sich in Grenzen – bis der Lockdown kam. Nach einer kurzen Schockstarre erlebte E-Learning einen ungeahnten Schub: Neben Schulen und Universitäten setzen auch viele Unternehmen inzwischen auf digitale Plattformen und Tools. Statt aufgrund der unsicheren Krisensituation alle Bildungsaktivitäten einzuschränken, nutzen einige Betriebe gerade die Phase der Kurzarbeit oder des Produktionsausfalls, um ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterzubilden und sich einen Startvorteil für die Zeit danach zu verschaffen. Bleibt im Tagesgeschäft ohnehin oft nicht die nötige Zeit für Weiterbildung, können die nun entstandenen zeitlichen Freiräume sinnvoll genutzt werden.

Das deutsche Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) befürchtet dennoch, dass die Betriebe – ähnlich wie in der Finanzkrise 2008/09 – aus wirtschaftlichen Gründen ihre Bildungsinvestitionen zurückfahren. Damals führte die negative Stimmung in der Wirtschaft zu einer generellen Reduktion der Weiterbildungsaktivitäten – auch bei Unternehmen außerhalb des Finanzsektors, die also nicht unmittelbar von der Krise berührt wurden.

In mehreren Faktoren unterscheidet sich jedoch die jetzige Krise von 2009: So ist aktuell die Dienstleistungsbranche deutlich stärker betroffen und die Auswirkungen könnten länger und drastischer ausfallen. Für ein verstärktes Engagement in Bildung spricht hingegen, dass die Notwendigkeit angesichts des rapiden Wandels der Arbeitswelt unbestritten ist. Zudem stehen heute weit mehr digitale Lernformate zur Verfügung – eine breite Palette, in der sich für jede Branche und Betriebsgröße ein passendes Angebot finden lässt.

Bild oben: Tatjana Baborek, WIFI Österreich: »Online-Lernen ist gekommen, um zu bleiben – und zwar in Kombination mit Präsenz-Lernphasen.«

Der Markt hat sich zuletzt stark verändert. 2017 gaben in einer Studie des Wirtschaftsförderungsinstituts (WIFI) der Wirtschaftskammer Österreich 68 % der Befragten an, sie hätten noch nie digitale Lerninhalte genutzt. Aktuelle Zahlen gibt es diesbezüglich nicht, doch alle großen E-Learning-Anbieter und Bildungsinstitutionen berichten von enormer Nachfrage von Firmenkunden, auch aus dem KMU-Sektor. »Online-Lernen ist gekommen, um zu bleiben, und zwar nicht als reine E-Learning-Variante, sondern in Kombination mit Präsenz-Lernphasen. Die TeilnehmerInnen haben die flexiblere Variante angenommen«, sagt Tatjana Baborek, Institutsleiterin des WIFI Österreich. »Wer sich jetzt weiterbildet, hat in den aktuell wirtschaftlich herausfordernden Zeiten die besten Voraussetzungen.«

Derzeit verzeichnet das WIFI starken Zulauf zur Ausbildung zum/zur Covid-19-Beauftragten. Aufgrund des erhöhten Homeoffice-Anteils in vielen Unternehmen werden Leadership-Lehrgänge insbesondere mit dem Schwerpunkt »Mitarbeiterführung in einer digitalisierten Welt« verstärkt nachgefragt. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften mit digitalem Know-how ist ebenfalls ungebrochen, wie sich auch am wachsenden Kursangebot ablesen lässt. Für 2021 ist in allen Bundesländern eine ganze Reihe neuer Kurse in Planung, u.a. zu den Themen Cloud Computing, Additive Fertigung und Automatisierung sowie der Diplomlehrgang »Digitalisierungsmanager«. Zusätzlich wurde die WIFI-Rhetorik-Akademie mit mehreren Virtual-Classroom-Einheiten und innovativen Tools in allen Lehrgangsmodulen erweitert.

Bild oben: Niklas Tripolt, VBC: »Bei komplexen Produkten oder Dienstleistungen wird es auch zukünftig nicht ganz ohne Kundenbesuch gehen.«

Allein und doch gemeinsam

Interaktive und multimediale Lernmodelle ermöglichen lebenslanges Lernen, ohne dafür eine Bildungseinrichtung aufsuchen zu müssen. Im beruflichen Kontext ist somit ein Wissenszuwachs gewährleistet, der auf künftige Tätigkeiten vorbereitet oder bestimmte Arbeitsabläufe begleitet. E-Learning-Formate sind meist kostengünstiger – ein nicht unwesentliches Argument für Betriebe, die nun ohnehin unter Umsatzeinbußen leiden.

Durch die Corona-Pandemie kommt digitalen Lernformen besondere Bedeutung zu. Das Einhalten von Abständen und limitierte Personenzahlen in geschlossenen Räumen sind mit Präsenzveranstaltungen für mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht vereinbar.

Um dennoch den Austausch nicht gänzlich zu missen, gibt es auch digitale Varianten, die sich nicht bloß auf selbstständiges Lernen – jede/r für sich allein, ohne persönlichen Kontakt zu TrainerInnen oder anderen KursteilnehmerInnen – beschränken.

Online-Kurse bieten grundsätzlich den Vorteil, unabhängig von Zeit und Ort zu lernen. Über E-Learning-Plattformen, interaktive Lernmodule, Webinare oder Tutorials können gezielt entsprechende Bildungsangebote vermittelt werden. Blended Learning (auch als Hybrides oder Integriertes Lernen bezeichnet) ist dagegen für Gruppen oder Teams eine Option. Präsenz- und Online-Lernen werden dabei kombiniert, auch der persönliche Austausch ist daher möglich. Web Based Trainings (WBT) sind reine Internet-Lernprogramme, gelernt wird aber ebenfalls in einer Community unter Anleitung eines Coachs.

Nicht immer ist digitales Lernen in ein umfassendes Bildungsprogramm eingebettet. Sogenanntes Microlearning auf Smartphones und Tablets liegt stark im Trend: In kleinen Häppchen wird Wissen über eine App innerhalb weniger Minuten vermittelt. Diese kurzen Lerneinheiten können zwischendurch in den Berufsalltag eingebunden werden – auf dem Weg zur Arbeit, in einer Pause, während einer Dienstreise oder um Wartezeiten zu überbrücken. 

Einzelne Instrumente wie beispielsweise Erklärvideos, Podcasts oder Schritt-für-Schritt-Anleitungen können wie Bausteine individuell ausgewählt werden. Sie ergänzen die klassische Aus- und Weiterbildung und sprechen besonders digital affine und jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Interaktive Lernspiele und Videosequenzen machen abstrakte Inhalte anschaulicher. Der Gamification-Ansatz spornt zusätzlich an und steigert die Motivation, indem die Teilnehmenden in einen virtuellen Wettbewerb treten. Mit Quizfragen werden die erlernten Inhalte spielerisch geprüft und gefestigt. Das Lerntempo kann individuell angepasst werden, Lernerfolge sind leichter messbar und dokumentiert.

Eigener Lernrhythmus

Die Lernapp des österreichischen MicroLearning-Pioniers KnowledgeFox wurde kürzlich mit dem A1 Innovationsaward 2020 ausgezeichnet. Im Rahmen eines gemeinsamen Projekts mit dem Roten Kreuz konnten rund 350 neu einrückende Zivildiener ihre Einschulung und das Onboarding mittels Microlearning per Smartphone absolvieren. Aufgrund der Covid-Maßnahmen waren Präsenz-Kurse nicht möglich, der Wissensaufbau musste dennoch nachhaltig erfolgen. Durch das mobile Lernen mit der App wurde der Lernprozess sogar beschleunigt.

»Besonders wenn umfangreiches Wissen transportiert werden soll, wie bei Rettungskräften, ist Microlearning die effizienteste Lernform. Unsere LernApp unterstützt die NutzerInnen, den eigenen Lernrhythmus zu finden – Lernpausen und Wiederholungen zum richtigen Zeitpunkt sind ganz wesentlich für den Lernerfolg«, sagt Gregor Cholewa, CEO von KnowledgeFox. »Das Besondere an unserer Lern-App ist, dass auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese sehr aktiv und regelmäßig nutzen.« Das Rote Kreuz will Microlearning deshalb als fixen Bestandteil der internen Weiterbildung beibehalten und das mobile Kurs-Portfolio erweitern.

Bild oben: Gregor Cholewa, KnowledgeFox: »Wenn umfangreiches Wissen transportiert werden soll, ist Microlearning die effizienteste Lernform.«

E-Learning-Angebote müssen sich aber auch in anderer Hinsicht auf die »neue Normalität« ausrichten: Nicht nur die Kolleginnen und Kollegen befinden sich im Home­office, auch Kundinnen und Kunden können für persönliche Termine nicht mehr aufgesucht werden. Das betrifft insbesondere den Vertrieb – während interne Videokonferenzen inzwischen zum üblichen Arbeitsalltag zählen, sind diese im Kundendia-log oft noch ungewohnt. Das Verkaufstrainingsinstitut VBC bietet bereits seit zwölf Jahren Blended-Learning-Programme an, neu hinzugekommen ist nun der Einsatz von Videokonferenztools. »Durch Corona ist der Durchbruch gelungen und vieles davon wird auch bleiben«, meint VBC-Geschäftsführer Niklas Tripolt.

Ein spezielles Webinar zum Thema »Video Selling« bereitet Vertriebskräfte auf virtuelle Verkaufsgespräche vor. »Bei komplexen Produkten oder Dienstleistungen wird es allerdings auch zukünftig nicht ganz ohne Kundenbesuche gehen«, sagt Tripolt. »Was aber immer klappen wird, sind erste Termine mit Kunden, die für beide Seiten ›aufwandschonend‹ digital abgewickelt werden.«

Im neuen Zeitalter

Der Baustoffkonzern Saint-Gobain Rigips startete in die Herbstsaison mit einer digitalen Schulungsoffensive. Ab sofort wird in gewerksübergreifenden Webinaren kompaktes, praxisnahes Wissen zu klassischen Problembereichen wie Feuchträume, Bautenschutz, Luftdichtheit oder Außenfassade vermittelt. »Mit dem neuen digitalen Seminar­angebot können Fachkräfte Fachwissen und Anwendertipps ortsungebunden erwerben«, erklärt Schulungsleiter Franz Pramhaas. Die Webinare werden wie Seminare zu einem festgelegten Termin »live« durchgeführt; die Teilnahme ist mittels PC, Tablet oder Handy möglich. Ab Januar 2021 finden die neuen Covid-sicheren Seminare wieder

vor Ort in den Trainingszentren in Bad Aussee und Puchberg statt. Webinare sollen aber ein fixer Bestandteil des Schulungsangebots bleiben, bestätigt Pramhaas: »Ortsungebundene Trainings werden nicht zuletzt aus Zeitgründen im Trend bleiben. Mit den neuen Webinaren haben wir unser Schulungsangebot in das digitale Zeitalter geholt.«

Auch der deutsche Bauchemiehersteller Ardex hat über den Sommer seine Weiterbildungsangebote in einer digitalen Version auf die E-Learning-Plattform ArdexAcademy transferiert. Neben Schulungen zu den Themen Neubau und Sanierung oder neuen Materialien werden auch Fragen zu Betriebsführung und Vertrieb behandelt.

»Normalerweise schulen wir auf diese Weise rund 20.000 Kunden im Jahr. Aufgrund der Corona-Pandemie sind aktuell jedoch viele Händler und Verarbeiter zurückhaltender, wenn es um Präsenzveranstaltungen geht«, erklärt Markus Stolper, Geschäftsführer für Marketing und Vertrieb bei Ardex Deutschland. »Daher wollen wir die zunehmende digitale Offenheit, die sich während der Coronakrise entwickelt, noch stärker nutzen.«

Aufgrund des großen Zuspruchs sind weitere Kursangebote, auch als Blended Learning-Seminare, für 2021 bereits in Vorbereitung. Dennoch will man bei Ardex nicht völlig auf den persönlichen Kontakt und Schulungen vor Ort verzichten, erklärt Emanuel Schreiber, Leiter der Anwendungstechnik: »Gerade bei unseren Produkten ist es wichtig, die Verarbeitung live zu erleben, um sie wirklich beurteilen zu können. Zudem profitieren alle Parteien von dem Netzwerk – nicht nur der Handel und die Verarbeiter, sondern auch wir selbst. Denn so bekommen wir Feedback zu unseren Produkten und generieren daraus wiederum Ideen für die Innovationen von morgen.«

Selbstdisziplin gefragt

Bild oben: Der Baustoffhersteller Ardex transferierte alle Weiterbildungsangebote in einer digitalen Version auf die neue E-Learning-Plattform ArdexAcademy. 

Trotz vieler Vorteile stellt E-Learning die Nutzerinnen und Nutzer auch vor Herausforderungen. Die sozialen Kontakte sind reduziert, von den Lernenden wird viel Selbstdisziplin verlangt. Da digitales Lernen in der Schule bisher sehr selten eingesetzt wurde, ist die Selbstlernkompetenz oft recht schwach ausgeprägt.

Dem Bildungsbereich ist die Arbeitswelt hinsichtlich Digitalisierung weit voraus: Viele Prozesse, vor allem in der Industrie, laufen längst digital unterstützt oder vollautomatisch durch softwaregesteuerte Bots ab. So betrachtet wäre es naheliegend, wenn auch die Schulung und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht im Präsenzunterricht, sondern teilweise oder komplett über Teleteaching oder andere digitale Lernformen erfolgt.
Insbesondere für global tätige Unternehmen eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten des kooperativen Lernens. Hochwertige, interaktive Lernunterlagen stehen via Streaming zur gleichen Zeit rund um den Globus zur Verfügung.

ExpertInnen sehen für die Zukunft noch mehr Potenzial im E-Learning-Sektor: Elemente aus Augmented und Virtual Reality ermöglichen die Simulation neuer Techniken (z.B. in der Medizin oder Industrie) und damit hautnahes Erleben.


Digitale Lernformen

Das mmb Institut in Essen unterscheidet sechs Gruppen von Lernformen. Manche davon, wie Blended Learning, lassen sich mehreren Segmenten zuordnen. Die Übersicht wurde im August 2020 aufgrund der aktuellen Entwicklung aktualisiert: Neu hinzugekommen sind Online-Tutoring, Online-Prüfungen und Online-Barcamps.

1. Selbstlernen: Die Lerntools in dieser Gruppe dienen dem individuellen selbst-organisierten Lernen, beispielsweise beim Durcharbeiten eines Web Based Trainings (WBT) oder beim Lernen während der Arbeit mit »Learning Nuggets«.

2. Lehrerzentriertes Lernen: Hier haben Lehrende, TrainerInnen, DozentInnen und TutorInnen eine durchführende bzw. moderierende Rolle. Dies trifft auf Online-Seminare zu, aber auch auf das Online-Tutoring bzw. Online-Coaching sowie 1:1-Betreuung von Lernenden, z.B. per Telefon oder Videokonferenz.

3. Gruppenzentriertes Lernen: Zum Lernen in selbstorganisierten Gruppen, beispielsweise durch das gemeinsame Arbeiten an einem Projekt mit Internet-Kollaborationstools wie »Google Drive«.

4. Gruppenzentriertes Kommunizieren: Diese Lernwerkzeuge dienen dem Austausch und zur Selbstorganisation in Lerngruppen, z.B. durch die schnelle Abstimmung über das gemeinsame Vorgehen mit »WhatsApp« oder dem fachlichen Austausch in einem Forum (u.a. LinkedIn-Gruppe).

5. Universelle Lernwerkzeuge: Diese Gruppe enthält Lerntools, die sich lehrerzentriert, gruppenzentriert und zum Selbstlernen einsetzen lassen. Dies gilt beispielsweise für den Einsatz von Lernvideos, die man als Lernender zum Selbstlernen und als Lehrender im Präsenzunterricht nutzen, aber auch gemeinsam in der Gruppe produzieren kann (»Lernen durch Lehren«).

6. Universelle Wissensorganisation: Diese Lernwerkzeuge dienen – unabhängig vom Lernszenario – zur Organisation und Klassifizierung von Lerninhalten. So kann man beispielsweise alleine oder in der Gruppe Lerninhalte in einem Wiki-Lexikon systematisieren und abrufen.

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