Nachlese: "Wie kann Österreich mehr Informatikabsolventen ausbilden?"
- Written by Martin Szelgrad
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Der IT-Wirtschaft fehlen tausende Fachkräfte. Wie kann Österreich mehr InformatikabsolventInnen ausbilden und auch verstärkt auf die Begabten unseres Landes eingehen? Wie kann die Informatik-Ausbildung verbessert – und wie können mehr Mädchen angesprochen werden? Eine Diskussion des Fabasoft TechSalon.
Die Informationstechnologie krempelt derzeit Unternehmen, Geschäftsmodelle und die ganze Branche um. Trotzdem fehlen offiziellen Stellen zufolge mehr als 5.000 Fachkräfte für die wichtigen IT-Jobs. Österreich steht damit nicht alleine da. Bis 2020 wird laut EU-Kommission europaweit mit einer Lücke von bis zu einer Million IT-Arbeitskräften gerechnet. Hierzulande sind dem AMS zufolge die offenen Stellen in der IT in den vergangenen drei Jahren um das Doppelte gestiegen. Die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen. Einer Schätzung der Wirtschaftskammer zufolge fehlen der Gesamtwirtschaft derzeit sogar über 10.000 qualifizierte IT-Fachkräfte, Tendenz steigend. Vom IT-Fachkräftemangel sind längst nicht nur die IT-Dienstleister und Softwarehäuser betroffen, sondern Unternehmen jeder Art.
Untersuchungen zum Bildungssektor in der Informatik bei Fachhochschulen und Universitäten kommen zu dem Schluss, dass es im Alpenland gegenwärtig genügend Studienplätze für Informatik gäbe. Allerdings schrecken Zugangsbeschränkungen ab, zudem sind die Studien auf die großen Standorte Wien, Graz und Linz konzentriert. Ein weiteres, drängendes Problem: Viele StudentInnen brechen ihr Studium vorzeitig ab. Andere wieder gelangen durch frühe Zusagen und Verbindungen zu Unternehmen de facto nie in den freien Arbeitsmarkt.
Während HTL-Absolventen statistisch gesehen etwas bessere Voraussetzungen für den Abschluss eines technischen Studiums mitbringen, sehen viele Handlungsbedarf bei den AHS. Unterm Strich herrscht in Österreich aber generell zu wenig Interesse am Informatik-Studium, um genügend vollausgebildete Informatiker für die Wirtschaft zu bekommen.
Mit welchen Maßnahmen kann nun das Interesse für Informatik bereits in den Schulen geweckt werden? Diese und weitere Fragen waren die Diskussionsthemen eines Fabasoft TechSalons am 20. Juni in Wien. Leo Bauerfeind, Gründer und Vorstand Fabasoft, begrüßte das Fachpublikum, das angeregt mit Claudia Resch, Geschäftsführerin des Österreichischen Zentrums für Begabtenförderung und Begabungsforschung (ÖZBF), Prof. Wolfgang Pree, Universität Salzburg, und Martin Szelgrad, Report Verlag, diskutierte.
Report: Wie kann Österreich mehr Informatikstudenten ausbilden?
Wolfgang Pree, Universität Salzburg: Wir beobachten eine Schieflage zwischen Wien und den Bundesländern. Viele gehen in die Hauptstadt, um dort zu studieren – umgekehrt passiert das kaum. In Salzburg können wir uns nicht beschweren, wir hatten in den vergangenen Jahren zwar Steigerungen bei den Anfängerzahlen, der Fachbereich Informatik ist bei uns mit sieben Lehrstühlen und rund 100 StudienanfängerInnen pro Jahr im Vergleich relativ klein. Die hohen Dropout-Raten von bis zu 60 % kann ich bestätigen – die Leute sind allerdings bereits nach zwei Semestern weg. Wir haben hier natürlich auch nachgefragt: Viele hören mit dem Studium auf, weil sie sich eigentlich etwas ganz anderes erwartet hatten. Die guten Jobaussichten und auch ein gutes Betreuungsverhältnis alleine motivieren auf Dauer nicht. Auch das war für uns ein Faktor, bereits früher in der Schule anzusetzen.
Bild: Wolfgang Pree ist Informatiker und Professor an der Universität Salzburg, Lehrstuhl für Software Engineering und Initiator des Projekts Go4IT.
Die Universität Salzburg hat im Studienjahr 2017/2018 ein Pilotprojekt mit den fünften Klassen des Akademischen Gymnasiums Salzburg begonnen. Bei »Go4IT« werden Uni-Lehrveranstaltungen wie etwa Einführung in die Programmierung und Orientierung Informatik angeboten, die später für ein Studium angerechnet werden können.
Report: Was ist das Besondere an diesem Programm? Und wie wird es von den SchülerInnen angenommen?
Wolfgang Pree: Prinzipiell konnten Schüler auch bisher schon Lehrveranstaltungen an den Hochschulen und Universitäten besuchen. Wir bieten die Lehrveranstaltungen aber so an, dass sie sich zeitlich nicht mit dem Schulunterricht überschneiden. Dabei strecken wir eine Uni-Lehrveranstaltung von einem Semester auf ein Jahr und halten diese dann geblockt an zwölf bis dreizehn Samstagen ab. Natürlich bedeutet das für Schüler einen Extraaufwand, das große Interesse hat uns aber überrascht. Rund ein Viertel der Schüler der fünften Klassen hat teilgenommen – insgesamt 18, davon acht Mädchen. Jetzt, am Ende des Jahres, sind nicht 60 % wieder weg, sondern nur drei Personen. Sie haben erkannt, dass sie den Karriereweg Informatik doch nicht einschlagen wollen. So etwas bereits in der Schule zu erkennen, ist, denke ich, sehr wertvoll. Man erspart sich wenigstens ein Jahr, das umsonst im Studium verbracht werden würde. Nächstes Studienjahr rollen wir das Go4IT-Projekt auf weitere Schulen in Salzburg aus und hoffen auch auf eine bundesweite Resonanz in Zukunft. Das Interesse ist auch in anderen Schule groß.
Report: Wo und wie sollte man prinzipiell bei einer zusätzlichen Unterstützung von Schülerinnen und Schülern ansetzen? Wie ist hier der Ansatz in der Begabtenförderung, Frau Resch?
Claudia Resch, ÖZBF: Wir beginnen mit unserer Arbeit noch früher. Wichtig bei der Förderung von Begabungen sind alle Bildungsinstitutionen: Elternhaus, Kindergarten, bis hin zu den Universitäten. Dort sollte es – wie wir finden – ebenfalls eine Exzellenz-Förderung von Studierenden geben. Jungen Menschen ein förderndes Umfeld zu bieten, sollte sich durch die ganze Gesellschaft ziehen. Auch die Arbeitswelt sollte ihre besten Arbeitskräfte ein Leben lang unterstützen.
Um eine Begabung zu entwickeln, braucht es nicht nur Intelligenz, sondern Motivation, Anstrengungsbereitschaft und Selbstvertrauen. Man muss mit Prüfungssituationen umgehen können und man braucht vor allem ein förderliches Lernumfeld. Angesichts der vielen Faktoren, bei denen man ansetzen kann, spricht man deshalb nicht wie früher von nur zwei bis drei Prozent, sondern von 15 bis 20 %, die das Potenzial zu sehr hohen Leistungen haben. Es geht also nicht um ein paar Sheldon Coopers aus »The Big Bang Theory«, sondern um 200.000 SchülerInnen in Österreich.
Bild: Claudia Resch ist Geschäftsführerin des Österreichischen Zentrums für Begabtenförderung und Begabungsforschung (ÖZBF).
Während es im Sport und in der Musik schon viele Programme sowohl für Breiten- als auch Spitzenförderung in Österreich gibt, sehen wir noch zu wenig Aktivitäten in anderen Bereichen. Bei den MINT-Fächern (Anm. Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) tut sich schon etwas, aber es ist immer noch zu wenig, wie man sieht. Uns ist wichtig, dass Begabungen und Begabtenförderung generell mehr Wertschätzung erfahren. Wir betonen dabei, dass man fördern, aber nicht überfordern darf. Es gilt, Interesse zu wecken und zu unterstützen.
Report: Wäre das Modell der Gesamtschule hilfreich, um auch eine zu frühe Auslese und Laufbahnentscheidung zu verhindern? 12- bis 13-Jährige haben oft keine Vorstellung ihrer beruflichen Möglichkeiten.
Claudia Resch: Einige Aspekte: Das Thema Gesamtschule ist eine hochideologische Debatte, in der scheinbar jeder genau die Studien zitiert, die ihm für seine Argumentation am besten passen. Es stimmt, die soziale Herkunft bestimmt die Bildungslaufbahn stark. Das beginnt aber viel früher als in der Schule, nämlich schon im Elternhaus. Das heißt: man muss im Kindergarten und bei den Bildungsaspirationen der Eltern ansetzen. Der Kindergarten muss ein Teil des Bildungssystems werden. Solange dieser Bereich davon abhängig ist, dass Gemeinden nicht mehr Geld für besser ausgebildete Kindergarten-Pädagoginnen ausgeben wollen, wird sich leider nicht viel ändern. Es geht nicht mehr um Basteltanten, die nur lieb zu den Kindern sein müssen. Pädagoginnen sollten heute sehr viel mehr können. Es ist bereits erwiesen, dass jeder Euro, der hier investiert ist, später ein Vielfaches wert ist.
Aufgrund der Tatsache, dass die soziale Determiniertheit eben viel früher beginnt, ändert auch eine Schulstrukturänderung nur marginal etwas. Eine Studie in Berlin zum Thema Gemeinschaftsschule kam zu dem Schluss, dass auch etliche Jahre nach Umbenennung der Schulen die Eltern noch sehr gut den Ruf und die Schulform einer Einrichtung kannten. Das heißt, gewisse Schulen haben immer einen besseren Ruf und deshalb auch bessere Schüler. Wenn man wirklich etwas ändern will, dann bräuchte es eine grundlegende Strukturreform, etwa in Form einer achtjährigen Volksschule. Das würde aber auch die PädagogInnen-Bildung und vieles andere völlig ändern – das sehe ich aus heutiger Sicht als nur schwer durchsetzbar.
Was die Berufs- und Bildungsorientierung betrifft, so kann ich die sogenannten Talente-Checks empfehlen, die die Wirtschaftskammer für 13-, 14-jährige SchülerInnen anbietet. Die Jugendlichen bekommen hier Informationen zu weiterführenden Schulen, zur Lehre und ihren Begabungen. Das ÖZBF hat ein ähnliches Projekt, genannt »Stärkenkompass«, das allerdings bereits in der 4. Klasse Volksschule ansetzt. Im Rahmen des Stärkenkompasses wird ein umfassender Check der Interessen und Stärken der Kinder gemacht – sprachlich, naturwissenschaftlich, musikalisch, sportlich – und danach gibt es eine Beratung der Eltern und der SchülerInnen, welcher Schulschwerpunkt für das Kind in der weiterführenden Schule am besten passen würde. Denn die vielen unterschiedlichen Schwerpunkte, die Schulen heute bieten, sind für Eltern kaum überschaubar.
Report: Ist die Unterstützung, der Betreuungsschlüssel in den Universitäten ein Grund, warum es so viele Studienabbrecher gibt? Ist die Situation in Salzburg in Folge besser als in Wien oder Graz?
Wolfgang Pree: Das Verhältnis der Anzahl Studierender zu wissenschaftlichem Personal könnte an manchen Standorten vermutlich verbessert werden, man muss das aber etwas zurechtrücken: In Salzburg brechen trotz eines guten Betreuungsverhältnisses nicht weniger ihr Informatik-Studium ab. Das Betreuungsverhältnis hat also kaum einen Einfluss darauf. Die meisten hören auch bei uns mit dem Bachelor auf: Der Jobmarkt gleicht einem ausgetrockneten Schwamm und saugt die Studierenden frühzeitig auf. Die hohen Dropouts im ersten Studienjahr sind wiederum wohl dem Umstand geschuldet, dass Schüler gerade in der AHS zu wenig über Informatik erfahren. Jede Schule ist natürlich anders und es kommt immer auf die Lehrer an – doch viele gestalten ihre zwei Wochenstunden Informatikunterricht mit Anwendungssoftware wie Word und Excel. Wenn man davon ableitet, was einem in einem Informatik-Studium erwartet, ist man natürlich enttäuscht oder überrascht.
Sicherlich gibt es auch Sonderfälle, 15-Jährige, die super programmieren können. Die Norm ist es nicht und ich bin selbst oft überrascht, welche geringe IT-Fähigkeiten Schüler zum Beispiel als Praktikanten mitbringen. Es ist höchste Zeit in Österreich, dass wir hier aufholen – sonst fallen wir auch als Wirtschaftsstandort zurück.
Report: Sollte Informatik folglich Bestandteil aller Studienrichtungen und Schulstufen werden?
Wolfgang Pree: Ja, das sollte von der Volksschule weg auch in allen Fächern passieren. In den USA – meine Kinder sind dort in die Schule gegangen – wird von der Elementary School an mit Computern gearbeitet. Angeboten wird auf freiwilliger Basis aber der dritten Volksschul-Stufe auch Scratch-Programmieren, eine kindergerechte, erziehungsorientierte Programmiersprache.
Report: Eine wesentliche Ursache für den Fachkräftemangel in der IT ist auch die Männerdominanz in dieser Branche. Wie lässt sich das durchbrechen?
Claudia Resch: Die Stereotypen von »männlichen« und »weiblichen« Berufen, oder wie beispielsweise Naturwissenschafterinnen vermeintlich »aussehen«, sehe ich als Riesenproblem. Schauen Sie sich nur an, wie Berufsbilder in Medien dargestellt werden.
Ein zweites Problem sind Erklärungsmuster, mit denen man sich gute oder schlechte schulische Leistungen erklärt. Man weiß, dass sich Mädchen gute Leistungen in naturwissenschaftlichen Fächern eher mit Glück oder mit Fleiß erklären, Buben hingegen führen diese eher auf Begabung und Fähigkeiten zurück. Das wird dann auch in die Wahl eines Studiums und des Berufes weitergetragen.
Was mit Sicherheit nicht stimmt, ist, dass Mädchen von Natur aus weniger begabt für Technik wären. Zwar spielt meine Tochter auch einfach gerne mit Puppen. Sie wäre aber auch daran interessiert, wie ein Radiogerät von innen aussieht. Warum also nicht so etwas im Kindergarten anbieten?
Report: Wenn Sie exemplarisch eine Maßnahme nennen würden, wie Mädchen für die Technik begeistert werden können?
Claudia Resch: In Deutschland gibt es seit Jahren das Online-Programm »CyberMentor«, in dem Mädchen im Jugendlichenalter von Mentorinnen aus der Wissenschaft in MINT-Fächern begleitet werden. Die Zahlen sprechen für sich: Drei Viertel der Teilnehmenden wählen infolge auch ein MINT-Studium – und zwar nicht nur Biologie, sondern auch Physik und Ingenieurswissenschaften. Wenn persönlich gezeigt wird, wie normal Frauen im Berufsleben in der Technik stehen, bekommt man schon den dringend gesuchten Nachwuchs, auch für die IT.
Bild: Auch Leopold Bauernfeind, Vorstand Fabasoft, spricht von einem Fachkräftemangel in der IT-Branche.
Ergebnisbericht zur Studierendenpopulation an vier österreichischen Universitäten im Bereich Informatik – 2006 bis 2016
Mag. Dr. Harald Lothaller, Feb. 2018
Studierende (TU Wien, TU Graz, Uni Wien und Uni Linz) sind vorwiegend
– männlich (zu 80 % im 1. Semester, zu 85 % bei einem Abschluss)
– österreichische Staatsbürger
– haben davor mehrheitlich eine technisch ausgerichtete BHS oder eine AHS besucht
– studieren in ihrem Heimatbundesland
Die Homogenität nimmt fortlaufend über alle Semester zu. Wer nicht in dieses Schema passt, bricht das Studium statistisch gesehen eher ab.
IKT-Statusreport Informatikstudien in Österreich
Kärntner Institut für Höhere Studien (KIHS), Jän. 2018, ao. Univ.-Prof. Dr. Norbert Wohlgemuth, Tina Ebner, MSc
– Seit nur noch gesicherte und finanzierte Studienplätze zur Verfügung gestellt werden können, ist die Zahl der StudienanfängerInnen um 19,6 % auf 1.791 gefallen.
– Dropout-Quoten in der Informatik in Universitäten: 53,6 % bei Bachelor- und 53,3 % bei Masterstudien 2015/16. Seit dem Studienjahr 2013/14 sind die Abbrecherquoten beim Bachelor- um 10,1 %, beim Masterstudium um 7,7 % gestiegen
– Ausbildungskosten von Masterstudierenden vs. Kosten des Wertschöpfungsverlustes, die aus einem leerstehenden Arbeitsplatz entstehen: 13.812 vs. 160.000 Euro jährlich
Go4IT - Mehr als nur Schnuppern
In dem Pilotprojekt »Go4IT« werden Informatik-Lehrveranstaltungen eines Universitäts-Bachelor-Studiums so angeboten, dass AHS-Schülerinnen und Schüler diese parallel zur Oberstufe besuchen können. Die Stunden können auch für ein späteres Studium angerechnet werden. Das Projekt wurde im Wintersemester 2017/18 in der Universität Salzburg mit den drei fünften Klassen am Akademischen Gymnasium Salzburg gestartet. Um Schülerinnen und Schülern den Besuch der Lehrveranstaltungen – Programmierung und Orientierung Informatik – zu ermöglichen, werden diese geblockt alle drei Wochen an einem Samstag in der Universität angeboten. Go4IT kommt gut an: 18 Schülerinnen und Schüler, davon 8 Schülerinnen, haben aktiv teilgenommen.
Go4IT wird in den nächsten Jahren schrittweise in ausgewählte AHS im Stadtgebiet Salzburg erweitert und könnte in weiterer Folge im ganzen Bundesgebiet angeboten werden. Dadurch wäre ein Standard in der Informatik-Ausbildung auf hohem Niveau geschaffen. Diese hilft, bei der Studienwahl Fehlentscheidungen zu vermeiden. Denn oft wird Informatik als Studium mit falschen Erwartungen gewählt, oder Informatik wird überhaupt nicht als Option wahrgenommen.