Gesundes Arbeiten
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Der internationale Trend geht in Richtung kürzerer Arbeitszeiten – außer in Österreich. Der geplante Zwölf-Stunden-Arbeitstag ist nicht nur unter MedizinerInnen umstritten. Die ohnehin hohe psychische Belastung könnte weiter steigen.
2015 startete Göteborg, zweitgrößte Stadt Schwedens, einen vielbeachteten Modellversuch. Im Svatedalens-Altenheim und im Sahlgrenska Universitätsklinikum wurden die Arbeitszeiten der MitarbeiterInnen auf sechs Stunden täglich reduziert, bei vollen Bezügen. Die Evaluierung der Ergebnisse fiel durchwegs positiv aus, wie Daniel Bernmar, stellvertretender Bürgermeister der Stadt, seinerzeit bei einer Tagung der Arbeiterkammer anlässlich »40 Jahre 40-Stunden-Woche in Österreich« berichtete. Die MitarbeiterInnen seien »gesünder, weniger gestresst, glücklicher, die Patienten besser betreut«. Die hohen Krankenstandsraten gingen merklich zurück, die Wartezeiten auf Operationen schrumpften.
Das Projekt wurde 2017 nach zweijährigem Testlauf dennoch nicht verlängert. Um die Stationen rund um die Uhr besetzen zu können, musste mehr Personal eingestellt werden. Die Mehrkosten wollte die Kommune nicht weiter tragen – mit umgerechnet etwa 1,26 Millionen Euro hatte sich das Experiment zu Buche geschlagen. Kritiker merken jedoch an, die Einsparungen der Krankenkassen durch seltenere und kürzere Krankenstände wären in dieser Rechnung nicht berücksichtigt worden.
Bild oben: Daniela Haluza, Zentrum für Public Health: »Das soziale Wohlbefinden steigt mit dem Grad der Selbstbestimmung.«
Experimente mit Sechs-Stunden-Arbeitstagen sind in Schweden keine Seltenheit. Nicht nur im öffentlichen Sektor: Das Toyota-Werk in Göteborg führte ein ähnliches Arbeitszeitmodell bereits vor 15 Jahren ein. Statt von sieben Uhr morgens bis 16 Uhr arbeiten die MechanikerInnen seither in zwei Sechs-Stunden-Schichten mit weniger und kürzeren Pausen. Es sei nun leichter, Personal zu finden, auch die Produktivität sei merklich gestiegen, heißt es seitens der Unternehmensleitung. Einige Unternehmen, vor allem Start-ups, zogen unter großem medialen Echo nach, um schließlich weitaus stiller wieder zu den üblichen acht – oftmals sogar weit mehr – Stunden Dienst zurückzukehren. Mit dem bestehenden Personal war die Arbeit in kürzerer Zeit nicht zu schaffen, für die Anstellung weiterer MitarbeiterInnen fehlten jedoch den kleinen Betrieben die Ressourcen. An Zulauf mangelte es nicht: Sie konnten sich vor Bewerbungen hochqualifizierter InteressentInnen kaum retten.
Mehr Flexibilität
Dass ab 40 Arbeitsstunden pro Woche vor allem die Qualität der Arbeit erheblich leidet, wusste 1914 schon Henry Ford – und der Pionier der Massenfertigung von Automobilen war nicht gerade als arbeitnehmerfreundlicher Unternehmer bekannt.
Die im Dezember von der ÖVP/FPÖ-Regierung angekündigte Anhebung der maximalen Arbeitszeit auf zwölf Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich sorgte für große Aufregung, wenngleich sich an der gesetzlichen Normalarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche nichts ändern soll. Fällt in Stoßzeiten mehr Arbeit an, soll es aber in Absprache mit den ArbeitnehmerInnen möglich sein, die Arbeitszeit zu verlängern.
Für die Unternehmen würde das mehr Flexibilität bedeuten. Rechtsanwalt Christoph Wolf, Partner der Kanzlei CMS Reich-Rohrwig Hainz, weist jedoch auf die beschränkten Überstundenkontingente hin: »Es wird daher künftig generell nur an wenigen einzelnen Tagen zulässig sein, bis zu zwölf Stunden zu arbeiten.« Die Auswirkungen wären also vermutlich geringer, als viele erwarten.
Laut Agenda Austria läge Österreich mit einer maximal zulässigen Tagesarbeitszeit von zwölf Stunden im EU-Schnitt und würde zu Ländern wie Griechenland oder den Niederlanden aufschließen. Am meisten gearbeitet (inkl. Überstunden) wird in Großbritannien, Irland, Schweden und Dänemark. In den beiden skandinavischen Ländern gibt es jedoch keine explizite Obergrenze, weshalb dort die EU-Vorschrift greift, die eine Arbeitsruhe von mindestens elf Stunden vorsieht.
Stresskurve steigt
Arbeitsmediziner Gerhard Klicka, Geschäftsführer des IBG (Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement), sieht längere Arbeitszeiten kritisch: »In Österreich gibt es keine gute Pausenkultur. Im Stress zu sein heißt, wertgeschätzt zu werden, ich habe eine Aufgabe, ich bin wichtig im Betrieb.« Die Stresskurve sind schon in der siebenten und achten Arbeitsstunde sehr hoch und steigt exponentiell an. Unfallgefahr und Herz-Kreislauf-Erkrankungen nehmen ebenfalls bei längerer Arbeitszeit zu.
Bild oben: Selbstgewählte Pausen erfolgen erfahrungsgemäß zu spät. Deshalb sollten Unternehmen und Belegschaft fixe Reminder setzen und diese auch einhalten.
Arbeitgeber unterliegen der sogenannten Fürsorgepflicht, die auch die psychische Gesundheit der MitarbeiterInnen einschließt. »International ist ein Trend zu Arbeitszeitverkürzung zu beobachten, mit positiven Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit der Bediensteten«, bestätigt auch Daniela Haluza, Assistenzprofessorin am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien. »Aus Studien wissen wir, dass der Gesundheitszustand und das soziale Wohlbefinden der Bediensteten mit dem Grad der Selbstbestimmung steigen. Fremdbestimmte Arbeitszeitmodelle sind hingegen meist mit unregelmäßigen Arbeitszeiten zu biologisch und sozial ungünstigen Zeiten abends oder am Wochenende verbunden.« Werden die Arbeitszeiten hingegen den Lebensrealitäten der MitarbeiterInnen angepasst, steigt auch automatisch die Lebensqualität. Inwieweit die ArbeitnehmerInnen »freiwillig« länger arbeiten, ist fraglich, wenn keine echte Wahlmöglichkeit geboten wird.
Bei körperlich anstrengender Arbeit und mental oder emotional sehr fordernden Tätigkeiten muss mit einem progressiven Anstieg der Ermüdung gerechnet werden. Ab der achten Stunde wurde bei schwerer körperlicher Arbeit (z.B. am Bau) eine weitaus geringere Leistung pro Zeiteinheit beobachtet. Versuche in der deutschen Automobilindustrie mit Neun-Stunden-Schichten am Fließband führten zu einem deutlichen Anstieg der Krankenstände, die Betriebe mit Acht-Stunden-Schichten nicht aufwiesen.
Der renommierte Neurologe Rudolf Karazman, Begründer des Führungsansatzes Human Quality Management, mit dem optimale Leistung durch beste Entwicklung der MitarbeiterInnen erzielt werden soll, begleitete mehrere Arbeitszeit-Flexibilisierungsprojekte in österreichischen und deutschen Unternehmen, u.a. die Voestalpine in Linz, die Nettingsdorfer Papierfabrik, den Krankenanstaltenverbund Wien und die Münchner Verkehrsbetriebe. Diese und viele andere Unternehmen arbeiten nach optionalen Schichtplänen, die Karazmans Expertise zufolge »wirkliche Flexibilisierung bringen«, da sie eine Wahlmöglichkeit der Wochenarbeitszeit oder Dienstlänge vorsieht.
»Ich prognostiziere, dass der wirtschaftliche Vorteil der ausgedehnten Arbeitszeiten durch die verringerte Produktivität der zehnten oder zwölften Arbeitsstunde zunichte gemacht werden wird – von den volkswirtschaftlichen Kosten einmal ganz abgesehen«, schreibt Karazman in einem offenen Brief an Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Der beschlossene Zwölf-Stunden-Dienst sei keine Flexibilisierung, da echte Wahlmöglichkeiten und entsprechende Erholungszeiten fehlen, sondern bloß eine Arbeitszeitverlängerung.
Pausenkultur achten
Die Folgen von dauerhaftem Stress und Überforderung zeigen sich zunächst in der Häufung von Fehlern und Unfällen, geringerer Produktivität, hohen Krankheitsraten und Fluktuation und münden letztlich in vorzeitiger Beendigung der Erwerbstätigkeit.
Laut den Zahlen des Sozialministerium für das Beschäftigungs-, Rehabilitations- und Pensionsmonitorings 2016 sind psychische Erkrankungen bereits die häufigste Ursache für Invaliditätspensionen und medizinische Rehabilitation. Insgesamt hat sich die Anzahl der zuerkannten Frühpensionen aufgrund psychischer Erkrankungen seit den 1990er-Jahren fast verdreifacht.
Bild oben: Gerhard Klicka, IBG: »In Österreich gibt es keine gute Pausenkultur. Im Stress zu sein heißt, wichtig zu sein.«
Um Arbeitsbelastungen auszugleichen, sollten Pausen in den Arbeitsverlauf eingeplant werden. Nur so kann einem Leistungsabfall durch Ermüdung vorgebeugt werden. Regelmäßige Kurzpausen führen zu einer Leistungssteigerung bei gleichzeitiger Belas-tungsverringerung, so die ExpertInnen des IBG: »Demnach stellen Pausen keinen Zeitverlust dar, sondern bringen einen Gewinn: Arbeit wird aufgrund geringerer Ermüdung schneller erledigt.« Da von den Betroffenen selbstgewählte Pausen erfahrungsgemäß zu spät erfolgen, sollten Unternehmen und Belegschaft fixe Reminder setzen und sich auch daran halten. Hierbei gilt die Faustregel: Mehrere kurze Pausen sind effektiver als wenige lange Pausen, da diese das Zurückfinden in den Arbeitsprozess erschweren. Eine zehnminütige Pause ist demnach sinnvoller als eine 15-minütige alle 90 Minuten.
Ob man durch die Pause »Energie tanken« oder »zur Ruhe kommen« will, bleibt jedem selbst überlassen. Abwechslung bei der Pausengestaltung tut gut. Viele Unternehmen bieten bereits verschiedene Möglichkeiten zur Bewegung. Auch Powernapping auf der Parkbank hat seine Berechtigung: In der Mittagspause sollte man den Arbeitsplatz jedenfalls verlassen.