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"Ich habe meine Nische gefunden"

Foto: »Viele Menschen meiner Generation haben ja fast ein Trauma aus ihrer Schulzeit. Die Jungen assoziieren Handarbeit nicht mehr mit Strenge.« Foto: »Viele Menschen meiner Generation haben ja fast ein Trauma aus ihrer Schulzeit. Die Jungen assoziieren Handarbeit nicht mehr mit Strenge.«

Strickdesignerin Veronika Persché pflegt ein aussterbendes Handwerk. Ihre Stoffe sind in der Modeszene begehrt, Künstlerinnen und Künstler vertrauen auf ihr umfangreiches Wissen und Geschick. Über strenge Handarbeitslehrerinnen, ihr Faible für Maschinen und warum sie nie zur Entspannung strickt, erzählt sie im Report(+)PLUS-Interview.

(+) plus: Das Handarbeiten wurde Ihnen »in die Wiege gelegt«. Wann erkannten Sie, dass Stricken mehr als ein Hobby, ein Beruf werden könnte?

Veronika Persché: Das Stricken, Häkeln, Nähen, Sticken war bei uns zu Hause immer präsent. Ich habe meine Ausbildung in zwei Textilschulen absolviert: zuerst in der Herbststraße, wo sehr viel mit der Hand gearbeitet wurde, und anschließend in der Spengergasse, wo ich meine Faszination für Textilmaschinen entdeckt habe. Fürs Stricken brachte ich die meiste Energie und Leidenschaft auf.

Damals hatte ich schon den Eindruck, mit Strickmaschinen am meisten umsetzen zu können. Bis sich daraus eine Geschäftsidee entwickelt hat, dauerte es aber einige Zeit. Meine Selbstständigkeit resultiert eigentlich mehr daraus, weil es keinen richtigen Job in dieser Richtung gab. Deshalb habe mir selbst eine Maschine gekauft und ausprobiert.

(+) plus: Seit langem gilt die Textilindustrie als sterbende Branche. Ist es nicht sehr mutig – oder verrückt –, sich in diesem Bereich selbstständig zu machen?

Persché: Ich bin ausgebildete Gold-, Silber- und Perlenstickerin – das war schon während meiner Schulzeit ein aussterbender Beruf. Meiner Begeisterung hat das aber keinen Abbruch getan. Es ist einfach ein interessantes Handwerk. Auf eine gewisse Art war es mutig, allerdings habe ich die ersten Jahre noch einen Nebenjob behalten. Mich gleich voll hineinzustürzen, wäre mir zu wild gewesen. Ich habe dann meine Nische gefunden: Gerade weil große Textilfirmen nicht mehr existieren, sind die Kunden auf der Suche nach Produzenten, die spezielle Projekte umsetzen können.

(+) plus: Können Sie angesichts der Billigkonkurrenz aus Asien faire Preise verlangen?

Persché: Die Wertschätzung für Textiles hat generell gelitten. Die Menschen wissen nicht mehr, wie aufwendig es ist, einen Socken zu produzieren und welche Technologie dahinter steckt. Ich muss diesbezüglich immer Aufklärungsarbeit leisten. In jedem textilen Stück stecken so viele Arbeitsschritte, selbst in Unterwäsche oder einer Feinstrumpfhose. Die meisten Leute glauben, das macht eh alles die Maschine und man muss nur auf einen Knopf drücken.

(+) plus: Sie machen Spezialanfertigungen für Künstlerinnen und Künstler, stellen aber auch Stoffe für Großkunden her. Was macht mehr Spaß?

Persché: Meine ursprüngliche Idee war, Meterware zu produzieren. Das stellte ich mir ganz einfach vor, weil ich ja wusste, dass es kaum schöne Strickstoffe auf dem Markt gab. Vielen Modedesignern und Künstlern fehlt aber das Know-how, Gestricktes zu verarbeiten. Da kann ich mich gut einbringen. Wenn man mit Kreativen arbeitet, bekommt man selbst viele neue Ideen. Oft muss man von der Skizze weg etwas gemeinsam entwickeln, das mit Kleidung gar nichts mehr zu tun hat.

(+) plus: Wie kam es zu den Kontakten?

Persché: Zuerst hatte ich vorwiegend Kunden aus der Modeszene und wollte schon selbst ein Modelabel gründen. Über diesen Kreis junger Modedesignerinnen bekam ich meine ersten Aufträge. Leider läuft das Geschäft in der Branche sehr saisonal – im Winter war ich extrem ausgelastet, im Sommer ist Strick dafür kein Thema. Mit einer Interior Designerin entwerfe ich in dieser Zeit Pols­termöbel oder Decken. Der Kontakt zu Erwin Wurm kam über eine Kollegin zustande. Für seine Skulpturen habe ich riesige Pullover gestrickt.

(+) plus: Im Gegensatz zum Handstricken ist die Fertigung sehr technisch. Was fasziniert Sie daran besonders?

Persché: Das Maschinstricken unterscheidet sich stark vom Handstricken. In der Endfertigung sind trotzdem viele handwerkliche Griffe nötig, da kann ich meine Kenntnisse aus der Handstickerei umsetzen. Es ist eine gute Kombination. Wenn etwas an den Maschinen zu reparieren oder zu warten ist, erledige ich das selbst. Das hatte ich anfangs nicht in diesem Ausmaß erwartet. Es macht mir aber Spaß – vielleicht hätte ich noch ein Maschinenbau- oder Feinmechanikstudium anhängen sollen!

(+) plus: Stricken Sie auch noch mit der Hand?

Persché: Für mich privat stricke ich schon, weil man mit der Hand völlig andere Muster erzeugen kann als mit der Maschine. Manchmal habe ich Lust, etwas Neues auszuprobieren – aber nicht zur Entspannung. Als Jugendliche habe ich einmal Trachtenstutzen gestrickt, weil ich das Muster spannend fand. Als einer fertig war, wollte ich den zweiten gar nicht mehr machen. Mir ging es nur um die Struktur und die Technologie dahinter. Dieses alte Wissen ist ja ein riesiger Schatz.

(+) plus: Wie alt ist die Technik des Strickens?

Persché: Es gibt frühe Funde aus dem nordafrikanischen Raum. Für diese alten Techniken wurde ein endlicher Faden – also in Stücke abgeschnitten und in eine Art Nähnadel eingefädelt – verwendet.

Der große Innovationssprung ergab sich dann durch einen unendlichen Faden, der von einem Knäuel kommt, wodurch sich die Schlingen viel schneller bilden lassen. Vermutlich durch die Araber kam diese Technik über Spanien nach Europa. Die ersten Abbildungen bei uns stammen allerdings erst aus dem Frühmittelalter, was wiederum recht spät ist.

(+) plus: Ist alles in Strick umsetzbar?

Persché: Ich stoße bei meinen Maschinen an Grenzen. Die Feinheit des Gestrickten hängt von der Größe der Nadeln in der Maschine ab. Ganz feine Sachen kann ich nicht erzeugen. Dreidimensionale Stücke sind auf meinen Maschinen prinzipiell möglich, eine Mütze oder Socken müsste ich aber händisch an der Maschine stricken. Es gibt für die Industrie vollautomatische Maschinen, die so programmiert werden können. In Handarbeit ist es natürlich machbar, das ist dann eine Preisfrage.

(+) plus: Wie viele Maschinen besitzen Sie?

Persché: In Verwendung habe ich vier, zusätzlich zwei als Ersatz und eine, die ich nur für Kurse verwende. Bis in die 80er-Jahre haben große Firmen wie die Firma Brother, die auch für ihre Drucker bekannt ist, Strickmaschinen für den Hausgebrauch erzeugt. Dann flaute der große Boom ab und nach einem Wasserschaden wurde das Werk in Japan schließlich geschlossen.

Viele Leute haben solche Maschinen noch zu Hause. Bei diesen gebrauchten Geräten variieren die Preise sehr stark. Meine erste Maschine kos­tete damals mit Zubehör 10.000 Schilling. Für manche Modelle sind Ersatzteile inzwischen schwer erhältlich. Meine große Sorge ist, dass die digitalen Komponenten irgendwann kaputt gehen.

(+) plus: Vor einigen Jahren gab es erneut einen Strickboom, vor allem unter jungen Leuten. Hat das Handwerk dadurch wieder einen höheren Stellenwert bekommen?

Persché: Um die Jahrtausendwende war handwerkliches Arbeiten total out. Alles musste perfekt aussehen wie aus der Fabrik, ohne jeden individuellen Touch. Mit dieser Perfektion habe ich sehr gekämpft. Jetzt bekomme ich häufig Anfragen, ob es möglichst handgearbeitet aussehen kann. Das Interesse für das Handwerk und die Materialien ist wieder da. Ich gebe auch Kurse für Maschinenstricken, da ist die Nachfrage enorm.

Viele Menschen aus meiner Generation oder älter haben ja fast ein Trauma aus ihrer Schulzeit, weil im Handarbeitsunterricht oft noch sehr altmodische Methoden üblich waren. Die Jungen assoziieren das nicht mehr mit Strenge, die haben einen frischeren Zugang, manchmal fehlt es allerdings an der nötigen Geduld.

(+) plus: Wird mit dieser neuen Wertschätzung die Textilindustrie wieder nach Europa zurückkehren?

Persché: Diese langen Transportwege müssen sich endlich im Preis niederschlagen. Es muss ein Umdenken geben. Über die Qualität ist das grundsätzlich auch zu schaffen, aber echtes Handwerk wird wohl immer eine Nische bleiben. Ich hoffe, dass der Trend zur Nachhaltigkeit und Regionalität breitenwirksamer wird – ähnlich wie es sich bei Lebensmitteln ankündigt.

Das Wissen ist allerdings schon großteils abgewandert. In Österreich gibt es nur noch wenige kleine Betriebe. Die Ausbildung hat mangels Zukunftsperspektiven leider extrem gelitten. Das ist meiner Meinung nach eine große Fehlentscheidung. Es heißt immer, die Textilindustrie stirbt aus. Aber wenn keine Fachkräfte nachkommen, kann sie auch nicht mehr wachsen.


Zur Person

Veronika Persché, 1976 in Wien geboren und aufgewachsen, maturierte an der HBLA Herbststraße und absolvierte das Kolleg für Textildesign an der HTBLVA Spengergasse. In ihrer Werkstatt im 17. Bezirk entwirft und produziert sie Strickstoffe für Kreative aus den Bereichen Mode, Interior Design, Kostümbildnerei und Kunst. Eigene Unikate und Kleinserien zeigt die Strickdesignerin seit 2001 bei Ausstellungen im In- und Ausland. Seit 2004 hält Persché regelmäßig Vorträge und Seminare, u.a. an der Haute École d'art et de design in Genf, an der Akademie der bildenden Künste Wien und am Textilen Zentrum Haslach. Sie ist Mitglied des European Textile Network (ETN).

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