Die große Umfrage: Fachkräftemangel
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Dreher und Dachdecker sind in Österreich sehr begehrt – sie zählen zu den Mangelberufen, für die es mehr offene Stellen als qualifizierte Arbeitssuchende gibt. Im Tourismus gäbe es zwar Arbeitslose mit entsprechender Ausbildung, die Arbeitsbedingungen und die geringe Entlohnung schrecken aber viele ab. Gleichzeitig sind auch Unternehmen immer seltener bereit, Mitarbeiter selbst auszubilden oder ihnen zusätzliche Benefits zu bieten. Ist das Problem also hausgemacht oder liegen die Versäumnisse im Bildungssystem? Report(+)PLUS hat drei ExpertInnen um ihre Einschätzung gebeten.
1. Hohe Arbeitslosigkeit vs. Personalmangel in manchen Branchen – woher kommt diese Diskrepanz?
"In der Arbeitsmarktforschung bezeichnet man das gleichzeitige Auftreten von offenen Stellen, die nicht besetzt werden können, und Arbeitssuchenden, die keine Beschäftigung finden, als Mismatch. Ursache dafür ist die fehlende Passung der von der Wirtschaft nachgefragten Qualifikationen (Ausbildung, Kompetenzen) mit den bestehenden Qualifikationen der Arbeitslosen. Gegenwärtig gibt es in
Österreich auch regionalen Mismatch (beispielsweise offene Stellen in Westösterreich, viele Arbeitslose in Ostösterreich)."
Helmut Hofer, Senior Researcher am Institut für Höhere Studien
"Als Unternehmen der Hightechindustrie benötigen wir hochqualifizierte technische Fachkräfte. Den Personalmangel spüren wir massiv. Wir wissen nicht erst seit heute, welche Berufsbilder jene mit guten Zukunftsaussichten sind: Ich spreche hier von Digitalisierung, Industrie 4.0 und den globalen Megatrends Energieeffizienz, Mobilität und Sicherheit. Man muss gerade den jungen Menschen noch stärker aufzeigen, welche Möglichkeiten für Jobs mit guten Aussichten da sind und welche Ausbildung es dafür braucht. Nur so kann man diese Kluft zwischen Angebot und Nachfrage nachhaltig drehen."
Christiana Zenkl, Leiterin Human Resources bei Infineon Technologies Austria AG
"Wir sehen, dass viele Menschen davor zurückschrecken, in der Hotel- und Gastronomiebranche zu arbeiten. Wenn jeder zweite Beschäftigte im Tourismus angibt, dass er seinen Job nicht noch einmal ergreifen würde, dann wundert mich das nicht. Die Beschäftigten kritisieren vor allem, dass ihre Jobs nach wie vor eher familienfeindlich sind. Wochenendarbeit, Dienstpläne, die oft nicht eingehalten werden, oder viel zu kurze Ruhezeiten wirken natürlich abschreckend. Die Branche muss wieder attraktiv gemacht werden, auch im Hinblick auf die Bezahlung."
Berend Tusch, Vorsitzender des Fachbereichs Tourismus in der Gewerkschaft vida
2. Wie können das Arbeitskräftepotenzial und die Anforderungen der Wirtschaft besser aufeinander abgestimmt werden?
"Hierzu sind wohl verstärkte Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie Umschulungen (AMS) notwendig. Einerseits erfordert dies Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, andererseits wohl auch verstärkte Initiativen der Betriebe, da nur diese den konkreten Bedarf kennen. Anreize zur Erhöhung der Mobilität wären wohl auch hilfreich. Generell ist die Umsetzung der Strategie des »lebenslangen Lernens« notwendig. In einer dynamischen Wirtschaft braucht es die Fähigkeit, schnell neues Wissen aufnehmen und verarbeiten zu können."
Helmut Hofer
"Der Bedarf an MINT-Kompetenzen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) wird weiter steigen, alleine die Anzahl an AbsolventInnen ist zu gering. Wir arbeiten intensiv mit Universitäten und Fachhochschulen zusammen, um die besten Köpfe zu gewinnen. Durch solche Kooperationen werden die Bedürfnisse auf beiden Seiten immer besser aufeinander abgestimmt. Wir haben z.B. heuer gemeinsam mit der TU Wien eine Summer School in Villach organisiert. 40 Studierende nutzten die Gelegenheit zur Weiterbildung in den aktuellen Trends der Mikroelektronik. Aber auch Frauen müssen verstärkt in den Fokus der Technik und Naturwissenschaften rücken – hier liegt wesentliches Potenzial brach."
Christiana Zenkl
"Auch hier sind verbesserte Arbeitsbedingungen, aber auch deutlich bessere Entlohnung der Schlüssel. Schaffe ich es als Unternehmer, für längere betriebliche Verweildauern zu sorgen, dann wird es sich auch eher aufhören, dass der Tourismus eine Fluchtbranche ist. Wer sich als stabiler Arbeitgeber etabliert, darf mit einer deutlich geringeren Fluktuation seiner MitarbeiterInnen rechnen – eine Situation, von der alle profitieren. Motiviertes Personal sorgt für zufriedene Gäste."
Berend Tusch
3. Woran fehlt es in der Ausbildung?
"Die PISA-Resultate zeigen eindeutig, dass in Österreich ein großer Teil der Jugendlichen gravierende Defizite bei den Grundkompetenzen (Schreiben, Lesen, Rechnen) aufweist. Fördermaßnahmen müssten bereits im Frühkindalter ansetzen (z. B. verpflichtendes zweites Kindergartenjahr). Verstärkte Integrationsmaßnahmen können auch dazu beitragen, dass das Potenzial der Personen mit Migrationshintergrund gehoben wird. Notwendig wäre es auch, bereits in der Pflichtschule verstärktes Interesse an technischen und naturwissenschaftlichen Fragestellungen zu wecken, da zukünftig vermehrt diese Kenntnisse am Arbeitsmarkt nachgefragt werden."
Helmut Hofer
"Im Vergleich mit anderen Regionen wie beispielsweise China sehen wir, dass es uns an Dynamik mangelt, wesentliche Entwicklungen in Gesellschaft, Wissenschaft und Technologie im Bildungssystem zu thematisieren und die Kinder darauf vorzubereiten. Nicht nur ein Wirtschafts- und Industriestandort muss sich für die Zukunft rüsten, auch das Bildungssystem muss mitziehen. Als ganz wesentlich erachte ich es, früh Begeisterung für Technik und Naturwissenschaften zu wecken, die natürliche Neugierde bei Kindern aktiver zu fördern."
Christiana Zenkl
"Lehrlinge werden oft als billige Arbeitskräfte missbraucht. Geringe Anerkennung und Wertschätzung sind schuld daran, dass die Leidenschaft und Begeisterung der Jugendlichen oft in Frust umschlagen. Wir müssen den jungen Menschen wieder beste Bedingungen und eine hochwertige Ausbildung bieten. Deswegen ist es auch wichtig, dass Tourismus-Lehrlinge mehr Zeit in der Berufsschule bekommen. Wir verlangen eine Ausweitung auf zumindest zehn Wochen. Für die Zukunft gilt: Wer qualitativ gut ausbildet, hilft der Branche nachhaltig."
Berend Tusch