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Die digitale Revolution

Die digitale Revolution Foto: Thinkstock

Für die einen ist sie eine »Jahrhundertchance«; andere warnen, dass ganze Wirtschaftszweige zerstört werden könnten. Wie unser Leben in zehn Jahren aussehen wird, beschäftigt Zukunftsforscher und Wirtschaftsexperten gleichermaßen. Fest steht: Das Thema Digitalisierung lässt niemanden kalt.

Gespenst »Industrie 4.0« herumgeistert, wird in Singapur bereits die Zukunft geprobt. In dem kleinen Inselstaat gehören Roboter schon zum Alltag. Vor allem in der Dienstleistungsbranche, wo durch die restriktiven Barrieren für ausländische Arbeitskräfte viele Jobs unbesetzt bleiben, haben Maschinen längst ungeliebte Tätigkeiten übernommen, die unter der Bevölkerung kaum auf Interesse stoßen: Sie lenken Taxis, nehmen in Lokalen die Bestellungen auf und räumen die Tische ab und überwachen in Krankenhäusern die Vitalfunktionen der Patienten.

In Japan begeistert inzwischen der personalisierbare, humanoide Roboter Pepper die Menschen. Er interagiert und versucht, die Emotionen seines Gegenübers zu identifizieren. Nach ersten vielversprechenden Experimenten setzt die Bankengruppe Mizuho in der Konzernzentrale in Tokio die Maschine als mehrsprachige Empfangsperson ein, die Besucher im Foyer begrüßt und mit Informationen versorgt. Der Nahrungsmittelkonzern Nestlé will 1.000 Nescafé-Filialen in Japan mit dem 121 cm großen Roboter ausstatten. Pepper stellt auf vergnügliche Weise die verschiedenen Produkte vor. Damit schlägt man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Kunden werden in die Filialen gelockt, der Einkauf gerät zum Erlebnis.

Vernetzte Systeme

Maschinen, die Menschen ersetzen – das hatten wir im Zeitalter der Industrialisierung schon. Auch im 19. Jahrhundert, als die Dampfmaschinen die Welt eroberten, schwankte die Bevölkerung zwischen Fortschrittsglauben und Existenzängsten. Was diesmal anders ist: So umfassend und tiefgreifend wie die Digitalisierung gestaltete sich bisher keiner der technologischen und wirtschaftlichen Umbrüche der Menschheitsgeschichte. Intelligente, digital vernetzte Systeme sollen künftig eine selbstorganisierte Produktion ermöglichen. Maschinen, Geräte, Logistik und Produkte kommunizieren in Smart Factories direkt miteinander.

Die Vernetzung betrifft alle Geschäftsfelder und Prozessstufen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und erstreckt sich über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes von der Idee über die Fertigung und Nutzung bis zum Recycling.  Die Digitalisierung ist aus Produktionsbetrieben nicht mehr wegzudenken, im Grunde kann sich aber keine Branche, insbesondere der Dienstleistungssektor, dieser Entwicklung verschließen. Unter den Prämissen Automatisierung, Flexibilisierung und Optimierung werden Arbeitsvorgänge rationalisiert – und zwar zunehmend komplexere Prozesse, für die bisher die Denkleistung des Menschen erforderlich war.

Wo vereinfacht und beschleunigt werden soll, stellen sich aber laufend neue Herausforderungen. Während man das Problem der Speicherkapazitäten langsam in den Griff bekommt, sind die Fragen nach Sicherheit sowie Verarbeitung und Nutzung der gesammelten Daten und Informationen noch weitgehend ungelöst. Big Data ist daher für viele Unternehmen noch mehr Fluch als Segen. Schätzungen zufolge verdoppelt sich das weltweit erzeugte Datenvolumen alle zwei Jahre. »Es braucht intelligente Software, um die Datenflut zu filtern, denn immer mehr Fachabteilungen sammeln große Mengen an Informationen aus traditionellen Quellen wie dem Verkauf oder neuen Quellen wie sozialen Netzwerken«, bestätigt Klaus

Sickinger, Geschäftsführer von SAP Österreich: »Um aus dieser Datenflut einen Nutzen zu generieren, muss diese in intelligente – smarte – Daten umgewandelt werden. So erhält beispielsweise der Handel einen ganzheitlichen Blick auf den Kunden.«

Keine Alternative

Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen ist die digitale Transformation bisher kaum angekommen. Worum es im Prinzip geht, weiß man inzwischen, wie aber sogar ein Installateursbetrieb davon profitieren soll, scheint den meisten Unternehmern noch nicht klar zu sein. In der Studie »Arbeit 2040« gaben fast 79 % der Angestellten an, digitale Kompetenzen würden künftig noch stark an Bedeutung gewinnen, aber nur 67 % der befragten Geschäftsführer schlossen sich dieser Meinung an. »Es dürfte noch nicht überall angekommen sein, dass Digitalisierung Chefsache ist«, wundert sich Studienleiter Thomas Schwabl, Chef der Marketagent.com, über dieses Ergebnis. Abwarten und mal schauen, wie das die anderen so machen, lautet die Devise. Wirtschaftsexperten halten das für die falsche Taktik, denn Betriebe, die früher auf den digitalen Zug aufspringen, könnten entscheidende Wettbewerbsvorteile lukrieren.

Schon bei kleineren Baufirmen haben sich digitale Systeme, über die Lagerbestand und Aufträge gemanagt werden, bewährt. Informationen sind per Klick für die Mitarbeiter auch unterwegs zugänglich, widersprüchliche Daten werden automatisch angezeigt, Rechnungen können leichter erstellt und versandt werden. Mithilfe von Clouds und Wikis wird unnötiger E-Mail-Verkehr eingedämmt, was Zeit und Kosten spart. Die nötigen Investitionen sind jedoch erheblich, bis die Prozesse wunschgemäß laufen – eine nicht unwesentliche Hürde für KMU.

Dennoch sehen Unternehmensberater und Wirtschaftsforscher keine Alternative: Digitalisierung sprengt Grenzen in jeder Hinsicht. Etablierten Unternehmen brechen Geschäftsfelder weg, dafür drängen Konzerne in Bereiche, die mit ihrem ursprünglichen Kerngeschäft kaum noch etwas zu tun haben. Amazon verkauft längst nicht mehr bloß Bücher, Google ist weit mehr als eine Suchmaschine und wie das Beispiel Uber zeigt, funktioniert ein Taxidienst auch ohne eigene Fahrzeugflotte. »Wir haben diese Welt nicht erfunden. Das ist die Welt, in der wir leben«, sagte Dorothee Ritz, CEO von Microsoft Austria, beim Jungunternehmertag 2016.

Der Zugang zu Kapital, Technologie und Wissen unterliegt keinem Monopol mehr. Open Source und Sharing eröffnen neue Perspektiven. Um den »Digital Change« erfolgreich zu nutzen, müssen sich Unternehmen verstärkt auf die Leitelemente Wandlungsfähigkeit, Beteiligung, Kreativität und Mut konzentrieren. An dieser Reise muss die gesamte Organisation teilnehmen – lediglich IT-Experten anzustellen, reicht nicht aus.

Mensch im Mittelpunkt

Die größten Ängste und Vorbehalte betreffen letztlich den unmittelbaren Lebensbereich der Menschen. Nicht zu Unrecht fürchten viele Mitarbeiter um ihren Arbeitsplatz. Tatsächlich ist kaum abschätzbar, wie sich Digitalisierung und Automatisierung auf die Arbeitswelt auswirken. Bildung könnte der Schlüssel zu veränderten Berufsfeldern sein. Die Bereitschaft zu fortgesetztem Lernen ist ebenso erforderlich wie die Schaffung des notwendigen Umfelds dafür.

Während pessimistische Prognosen davon ausgehen, dass nahezu jeder zweite Arbeitsplatz innerhalb von zwei Jahrzehnten überflüssig werden könnte, gibt das deutsche Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Entwarnung: »In kaum einem Beruf ist der Mensch vollständig ersetzbar.« Zwar habe die Automatisierung mittlerweile Arbeitsbereiche erreicht, von denen man noch vor kurzem glaubte, sie könnten niemals von Computern übernommen werden, doch weisen nur zwölf Prozent der Arbeitsplätze Tätigkeitsprofile mit einer hohen Automatisierungswahrscheinlichkeit auf.
Im Regelfall bestehen Berufe aus einer Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben, von denen nur ein Teil von Computern übernommen werden kann.

»Computer sind in der Lage, in Sekundenbruchteilen Handelsgeschäfte an der Börse abzuwickeln, schneller und gezielter als Ärzte die statistisch wirkungsvollsten Therapievorschläge zu unterbreiten oder selbstständig juristische Gutachten oder Vertragstexte zu erstellen«, stellten die IAB-Forscherinnen Katharina Dengler und Britta Matthes fest. Durch die Automatisierung von Routineaufgaben bleibe aber mehr Zeit für kreative und planende Tätigkeiten. Bei sozialen und kulturellen Berufen sowie in vielen Dienstleistungsberufen käme man auch in Zukunft nicht ohne Menschen aus. In diesen Bereichen könnte maximal ein Drittel der auszuübenden Tätigkeiten durch Technologien ersetzt werden, so die Studienautorinnen.

»Produktions-, Wissens- und Entwicklungsarbeit wachsen stärker zusammen. Dabei machen wir uns sicherlich nicht überflüssig, vielmehr wandeln sich die Anforderungen der Berufswelt, was wiederum zu neuen Jobprofilen und neuen Arbeitsplätzen führen wird«, zeigt sich auch SAP-Chef Sickinger zuversichtlich. »Querschnittqualifikationen werden immer bedeutsamer, z.B. technisches Verständnis kombiniert mit Marketing-Know-how. Gerade solche ›Crossover-Kompetenzen‹ werden in der digitalen Zukunft äußerst wertvoll sein.«

Bei allen technologischen Überlegungen sollte der Mensch nicht vergessen werden, wie schon 1967 der gebürtige Österreicher Peter Drucker, Pionier der modernen Managementlehre, schrieb: »Wir werden uns immer mehr bewusst, dass die wichtigsten Fragen zur Technologie nicht technische, sondern menschliche Fragen sind.« An dieses berühmte Zitat knüpft auch Charles-Edouard Bouée, Vorstandschef von Roland Berger, an, wenn er sagt: »Wir dürfen Digitalisierung nicht nur unter dem Aspekt, Menschen durch Maschinen zu ersetzen, betrachten. Technologie ist die Spitze des Eisbergs, nur ein Teil eines Dreigespanns, zu dem auch Organisation und Kultur gehören. Eine Veränderung, die ausschließlich technologiegesteuert ist, hat nur wenig Erfolgschancen.«

Last modified onDienstag, 01 November 2016 20:40
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