Personalpolitik im Wandel
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Arbeitskräfte sind begehrt wie nie zuvor. Trotzdem finden ganz Junge und Menschen ab 50 nur schwer einen Job. Zwischen den Erwartungen der Unternehmen und dem Angebot des Arbeitsmarktes klafft eine riesige Lücke. Personalstrategien müssen völlig neu ausgerichtet werden.
Als im November 2014 im Rahmen der »Personal Austria« die Österreich-Ergebnisse der aktuellen Career-Studie »Best Recruiter 2014/15« präsentiert wurden, waren sich die anwesenden Personalisten einig, welchen Weg Recruiting künftig einschlagen muss. »Das Thema Authentizität gewinnt angesichts des zunehmenden Wertwandels an Bedeutung. Wer zum Unternehmen passende ›Right Potenials‹ für sich gewinnen will, muss sich intensiv mit seinem Arbeitgeber-USP auseinandersetzen und mehr als nur die Standards bieten«, erläuterte Studieninitiator Markus Gruber. Anhand eines 93 Kriterien umfassenden Katalogs wurden 519 Unternehmen hinsichtlich ihrer Recruiting-Präsenz, Online-Stellenanzeigen und ihres Umgangs mit Bewerbern untersucht.
Als Gesamtsieger ging PwC Österreich hervor. Das Beratungsunternehmen erzielte in allen Kategorien hohe Bewertungen und konnte durch bewerbernahes Recruiting und wertschätzenden Umgang überzeugen. »Ein ausgezeichnetes Employer Branding braucht ein hochprofessionelles Team, das gemeinsam und aufeinander abgestimmt an der Qualität der Bewerberbetreuung arbeitet«, erklärt Elizabeth Hull, Human Capital Leader bei PwC, ihre erfolgreiche Personalstrategie.
Auch die übrigen unter den Top 10 gereihten Unternehmen punkteten mit hoher Recruiting-Qualität. Abseits dieser Top-Arbeitgeber sehen die Studienautoren jedoch durchaus noch Luft nach oben. Wohl in Reaktion auf die Erwartungen der viel umworbenen Generation Y thematisieren bereits 41 % der getesteten Unternehmen ihre Werte und Leitbilder aktiv auf der Karriere-Website – »Verantwortung« und »Team/Zusammenarbeit« werden hier am häufigsten genannt. Ob es bei Schlagwörtern bleibt oder diese tatsächlich in der Unternehmenskultur gelebt werden, ist eine andere Frage. In anderen relevanten Bereichen wie der professionellen Abwicklung der Personalsuche zeigt sich jedenfalls ein recht ambivalentes Bild. So reagierten 43 % der Arbeitgeber innerhalb von drei Tagen auf eine via E-Mail gesendete Interessensanfrage, 45 % der Mails blieben auch nach zehn Tagen noch unbeantwortet.
Klar und authentisch
So viel über Generationenwechsel, War for Talents, Employer Branding und Fachkräftemangel auch gesprochen wird, nicht in allen Unternehmen ist das Bewusstsein angekommen, dass auch die Personalstrategie einer grundlegenden Neuausrichtung bedarf. Der Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky sieht den gesamten Arbeitsmarkt in einem radikalen Wandel. Unternehmen, die ihre Organisationsform und Personalstruktur nicht entscheidend verändern, werden seiner Meinung nach schon in zehn Jahren kaum noch Mitarbeiter anziehen. »Wenn Sie weiterhin Ihr Stellenprofile auf ein Suchprofil schreiben und dieses dann an ein ›schwarzes Brett‹ hängen, egal ob in der Zeitung oder im Internet, dann bekommen Sie im Jahr 2025 exakt keine einzige Bewerbung mehr«, meint Jánszky.
Der Wandel betrifft aber nicht nur das Recruiting, sondern die gesamte Personalpolitik eines Betriebes. Jánszky unterscheidet zwischen »Fluiden Unternehmen« und »Caring Companies«. Die erste Organisationsform bezeichnet Unternehmen mit einer Rumpfbelegschaft und vielen freien Mitarbeitern, die projektbezogen in Teams zusammenarbeiten, aber keine langfristige Bindung aufbauen. In der zweiten Organisationsform, quasi dem Gegenentwurf, werden die Mitarbeiter und deren Familien durch umfangreiche Betreuungs- und Freizeitangebote eingebunden, die Grenzen zwischen Beruf und Privatem verschwimmen.
Beide Modelle haben ihre Berechtigung und können erfolgreich sein, wenn die Unternehmen darauf abgestimmt ihre Strategie ausrichten – umfassend auch die Vision, die Mission und die Werte des Unternehmens, die Gestaltung der Arbeitsplätze, Vergütungs- und Entwicklungsprogramme sowie Karrieremöglichkeiten. Im Sinne eines konsequenten »Employer Brandings« müssen sich sämtliche Maßnahmen und Inhalte in den Aktivitäten zur Mitarbeitergewinnung und Mitarbeiterbindung wiederfinden. »Bloß kein oberflächliches Employer Branding!«, warnt Elisabeth Leyser, Managing Partner bei Hill International: »Eine klare und unbedingt authentische Identität als Unternehmen und Arbeitgeber entwickeln und leben – das zieht ›die Richtigen‹ mit Sicherheit an.«
Verkehrte Welt
Trotz ambitionierter Strategien bricht am Arbeitsmarkt eine Kluft auf, die stetig größer wird. Während beispielsweise Hightech-Konzerne wie Infineon größte Schwierigkeiten haben, 200 bestqualifizierte Mitarbeiter für den Standort Villach zu gewinnen, wächst die Zahl der Arbeitsuchenden stetig an. Ende Dezember waren in Österreich 455.000 Menschen beim Arbeitsmarktservice (AMS) vorgemerkt. Besonders an den Rändern des Erwerbslebens blutet der Arbeitsmarkt aus: Viele Junge finden nach der Schule keinen Job oder eine Ausbildungsstelle, selbst Hochschulabsolventen hanteln sich oft von Praktikum zu Praktikum. Noch dramatischer ist die Situation bei den älteren Arbeitnehmern – bei den über 50-Jährigen lag die Zahl der Arbeitslosen zuletzt über 99.000, die Zuwachsraten sind jeden Monat zweistellig.
Schon Mittvierziger zittern um ihre Jobs oder verlieren sie bereits. Dabei sollte sich mit dieser Generation das faktische Pensionsalter (derzeit 58 Jahre) dem gesetzlichen (65 Jahre) endlich annähern. Doch wo sollen diese Menschen in den nächsten 20 Jahre arbeiten, wenn ihre Fähigkeiten und Erfahrung offenbar schon jetzt verzichtbar erscheinen? Die demografische Kurve, das Kippen des Arbeitsmarktes, der Fachkräftemangel – sie schmerzen offenbar noch nicht genug. Während gerade noch über den Pensionsantritt der »Babyboomer« diskutiert wird, steht bereits die Generation X im alten Abfertigungssystem auf der Abschussliste. »Der Markt klafft zunehmend auseinander in jene, die Probleme haben, eine neue Stelle zu finden und daher ihre Ansprüche herunterschrauben, und jene, die ihren Marktwert kennen und entsprechend anspruchsvoll auftreten«, bestätigt Hill-Geschäftsführerin Leyser. »Vor allem jüngere, gut ausgebildete Menschen erwarten sich von ihrer Arbeit Sinn und Identifikation.«
Als AMS-Chef Johannes Kopf im Vorjahr eine Abflachung der Einkommenskurve forderte, war die Resonanz schwach. Immerhin beträgt die Gehaltsdifferenz von 20- bis 29-Jährigen und 50- bis 59-Jährigen 80 %. Im Pensionistenland Österreich sind solche Vorschläge wenig populär. Klaus Lercher, Geschäftsführer der Trenkwalder Personaldienste, weiß ein anderes probates, ebenfalls noch recht unbeliebtes Mittel: »Dort wo es Engpässe gibt, wie etwa bei den Facharbeitern, müssen höhere Gehälter und/oder eine bessere Work-Life-Balance geboten werden.« Der Trend gehe seit langem in Richtung »White Collar«-Arbeitsplätze, das Handwerk müsse allgemein wieder mehr Wertschätzung erfahren. »Die Lehrlingsausbildung kommt den meisten Betrieben aufgrund der herrschenden Rahmenbedingungen sehr teuer«, so Lercher. Eine Alternative wäre, ungelernten Arbeitskräften durch Weiterbildungsmaßnahmen die Chance auf einen sicheren Job als Facharbeiter zu geben. Auch Trenkwalder unterstützt bei der Rekrutierung menschlich und fachlich passender Mitarbeiter: »Diese können gleich oder auch später in die Stammbelegschaft übernommen werden.«
Auf Schatzsuche
Statt an starren Stellenprofilen festzuhalten und auf passende Bewerber zu hoffen, müssen Unternehmen künftig weitaus aktiver auf Personalsuche gehen. Die Nutzung mehrerer Kanäle – Stichwort »Mobile Recruiting« – ist dabei nur ein Aspekt. Insbesondere 50+-Kandidaten entsprechen oftmals nicht allen Anforderungen, bringen aber wertvolle Erfahrung und Kontakte in anderen Bereichen mit. Fehlende Qualifikationen können durch Weiterbildungsmaßnahmen rasch aufgeholt werden.
Darüber hinaus sollten Personalisten auch im eigenen Haus auf Schatzsuche gehen. Der Anteil jener Mitarbeiter, die wegen fehlender Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten an einen Jobwechsel denken, ist stark gestiegen. Just auf die besten Mitarbeiter wird recht oft vergessen – und vielen Führungskräften ist das nicht einmal bewusst. In einer Umfrage im Auftrag des Hernstein Instituts sahen nicht einmal fünf von zehn Managern die Vermeidung der ständigen Mitarbeiterfluktuation als wichtige Aufgabe.
Personalberater Karl Piswanger spart nicht mit Kritik: »Insbesondere KMU tun zu wenig für ihr Image und agieren unflexibel. Die Aussage ›Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital‹ hält meist der Realität nicht stand.« Eine rechtzeitige, klar definierte Personalplanung und interne Fachausbildungen seien in Anbetracht des Wertewandels in der Arbeitswelt unverzichtbar, meint Piswanger: »Employer Branding darf man nicht nur als Marketinginstrument sehen, sondern muss man gezielt einsetzen.«
Tipps: Was Bewerber wollen
1. Klarheit:
- Genaue Jobbeschreibung (Aufgaben, Verantwortlichkeiten)
- Informationen zu den geforderten Fähigkeiten und Qualifikationen
- Angaben über mögliche Arten der Anstellung
- Hinweise zum Umfang und Inhalt der gewünschten Bewerbungsunterlagen
- Fragen müssen fair und nachvollziehbar sein
- Ansprechpartner müssen bekannt sein
2. Ergebnisorientierung:
- Schnelle Antwort auf die Bewerbung
- Zeitnahe Zu- bzw. Absage
- Die einzelnen Schritte des Bewerbungsprozesses werden, wie angekündigt, umgesetzt
3. Augenhöhe und Wohlwollen:
- Unternehmensvertreter sollten auf die Bewerber vorbereitet sein
- Bewerber fühlen sich wertgeschätzt und professionell behandelt
4. Entscheidungsprozess:
- Personalisierte Form der Kommunikation
- Rasche Übermittlung der Entscheidung nach dem letzten Auswahlverfahren
- Individuelles Feedback, wenn gewünscht
5. Onboarding:
- Zeitnahe Unterzeichnung des Dienstvertrags und Klärung allfälliger Details
- Bereitstellung und Ausstattung des Arbeitsplatzes inkl. PC, Smartphone und Firmenwagen
- Persönliche Begrüßung durch den Vorgesetzten
- Vorstellung der engsten Kollegen
- Information der übrigen Belegschaft via Rundmail
- Fachliche Einführung durch einen Mentor
Quelle: Candidate Experience
Buchtipp: Jobnomaden im Visier
Es besteht kein Zweifel: Die gesamte Arbeitswelt befindet sich im Umbruch, eine Machtverschiebung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern steht bevor. Zu dem Missverhältnis von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt kommt außerdem die wachsende Zahl an Projektarbeitern. Bis 2015 werden bis zu 40 % in befristeten Verträgen beschäftigt sein.
Auf einer Zeitreise ins Jahr 2025, formal angelegt wie ein spannender Roman, beschreibt der Autor zwei Personalstrategien, die seiner Meinung nach die Zukunft prägen werden: »Fluide Unternehmen« und »Caring Companies«. Melanie Polenz, Personalchefin eines mittelständischen Betriebes, und Thomas Krüger, Personalleiter eines großen Konzerns, sind die Protagonisten, die den Arbeitsalltag zwischen Fachkräftemangel und Employer Branding auf unterschiedliche Weise meistern. Beide Vorgehensweisen haben ihre Berechtigung und bieten den Lesern Lösungen und praktische Impulse für vorausschauende HR-Arbeit.
Jánszky stützt seine Expertise auf zwei Forschungsarbeiten, die unter seiner Ägide im Trendforschungsinstitut »2b AHEAD ThinkTank« entstanden. Fachlich versiert, in ungewöhnlicher Form präsentiert – ein etwas anderes Wirtschaftsbuch.
Sven Gábor Jánszky: Das Recruiting-Dilemma. Zukunft der Personalarbeit in Zeiten des Fachkräftemangels
Haufe Verlag, Freiburg 2014, ISBN: 978-3-648-05748-3
Best Recruiter 2014/15
Im diesjährigen Career-Ranking ging die Beratungsgesellschaft PwC als strahlende Siegerin hervor.
1. PwC Österreich GmbH
2. ISS Facility Services GmbH
3. Deloitte Österreich
4. Frequentis AG
5. Trenkwalder Personaldienste GmbH
6. Österreichisches Verkehrsbüro AG
7. voestalpine AG
8. LKW Walter Internationale Transportorganisation AG
9. ÖBB
10. Lidl Österreich GmbH