Menu
A+ A A-

Aus Fehlern lernen

»Eines der traurigsten Dinge im Leben ist, dass ein Mensch viele gute Taten tun muss, um zu beweisen, dass er tüchtig ist, aber nur einen Fehler zu begehen braucht, um zu beweisen, dass er nichts taugt.« George Bernard Shaw. »Eines der traurigsten Dinge im Leben ist, dass ein Mensch viele gute Taten tun muss, um zu beweisen, dass er tüchtig ist, aber nur einen Fehler zu begehen braucht, um zu beweisen, dass er nichts taugt.« George Bernard Shaw.

Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Nicht jedes Missgeschick hat große Folgen. Trotzdem ist ein konstruktiver Umgang mit Fehlern für Unternehmen überlebenswichtig, denn Vertuschungen oder Schuldzuweisungen schaffen ein Klima der Angst.

»We are at take-off«, funkte der KLM-Pilot an den Tower und begann unverzüglich mit dem Start. Der spanische Fluglotse wähnte die Boeing 747 aber noch am Beginn der Startbahn, wo sie auf die Starterlaubnis warten sollte. Kaum zwei Minuten später kollidierte der Jumbojet auf dem Flughafen von Teneriffa mit einer weiteren 747 der Pan Am. Dieses Unglück am 27. März 1977 zählt bis heute zu den schlimmsten Katastrophen der zivilen Luftfahrt ohne terroristische Beteiligung. 583 Menschen kamen ums Leben, nur 61 überlebten das Unglück. Die missverständliche Kommunikation war nur der Schlusspunkt einer langen Kette von kleinen Zufällen und Fehlentscheidungen. Beide Maschinen sollten gar nicht nach Teneriffa fliegen, sondern wurden wie viele andere Jets wegen einer Bombenexplosion von Gran Canaria umgeleitet. Der kleine Flughafen Los Rodeos konnte den erhöhten Flugverkehr kaum bewältigen, dichter Nebel belastete den Zeitplan zusätzlich. Die KLM-Crew fürchtete, die Rückkehr nach Amsterdam nicht mehr vor Dienstschluss zu schaffen. Der Tower koordinierte die Warteschlange auf den Rollwegen und wies die Piloten an, auf die Freigabe zu warten. Die Funksprüche überlagerten sich jedoch und waren für alle unverständlich. Als der KLM-Pilot den Pan Am-Jet schließlich vor sich entdeckte, konnte er den Zusammenstoß nicht mehr verhindern. Nirgends wirken sich Fehler so dramatisch aus wie in der Luftfahrt. Die Konsequenzen aus diesem Unglück waren deshalb einschneidend: Die Funkphrasen für den internationalen Flugverkehr wurden klar definiert und standardisiert. Der Begriff »cleared for take-off« gilt nunmehr einzig und allein als Startfreigabe in allen anderen Fällen wird von »departure« gesprochen. Die gravierendste Änderung betraf aber die Pilotenausbildung. Neben der technischen Schulung werden seither regelmäßig auch die Fähigkeiten in den Bereichen Kooperation, Aufmerksamkeit, Führungsverhalten, Entscheidungsfindung und Kommunikation trainiert. Crew Resource Management (CRM) – 1979 im Rahmen eines NASA-Workshops entwickelt – ist inzwischen in allen großen Fluggesellschaften fixer Bestandteil der Flugausbildung. Auch die Hierarchien im Cockpit wurden deutlich gelockert. Die deutsche Lufthansa führte etwa in allen Crews verpflichtend die »Du«-Anrede ein, um auch über die Sprache Egalität zu signalisieren. Ranghöhere und erfahrene Kapitäne sollten ohnehin nur als Co-Piloten fliegen, weil rangniedrigere Besatzungsmitglieder eher vor Kritik zurückscheuen, meint Jan U. Hagen, Experte für Krisenmanagement und Führungsverhalten an der privaten Hochschule ESMT in Berlin. Manchmal steckt aber auch ein kulturelles Problem dahinter: Auf ein Versäumnis hingewiesen zu werden, bedeutet in asiatischen Ländern »das Gesicht zu verlieren«.

Keine Absicht

Wie in der Luftfahrt wirken sich Fehler auch im Krankenhaus meist sehr fatal aus. Erst Ende September wurden in Wien zwei Ärzte wegen fahrlässiger Tötung schuldig gesprochen. Eine dreifache Mutter war verblutet, weil die Mediziner beim Setzen eines Katheters eine Arterie perforiert hatten. Hier muss das Sicherheits- und Krisenmanagement besonders engmaschig greifen, um ähnliche Fehler künftig zu vermeiden oder zumindest frühzeitig zu erkennen. Statt den Verursacher bloßzustellen, sollte gemeinsam nach Lösungsstrategien gesucht werden. Oft gibt es mehrere Erklärungen für den Vorfall: Ein Mitarbeiter war überlastet oder nicht ausreichend informiert, das Material nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet, die Kontrolle hat versagt. Niemand verursacht einen Fehler vorsätzlich – sonst wäre es Absicht. Gar nicht so selten hat nicht der Mitarbeiter versagt, sondern schon zuvor das Management, das Abläufe zeitlich und personell unter Druck setzt und ein Klima der Angst erzeugt. Ein Null-Fehler-Prinzip halten deshalb viele Experten für illusorisch, ja geradezu gefährlich. »Egal ob man Fehler erlaubt oder nicht, sie passieren trotzdem. Wer jedoch Fehler verbietet, lanciert lediglich Fehlerverheimlichung und Fehlervertuschung, «, sagt Unternehmensberaterin Elke M. Schüttelkopf. »Daher ist es wichtig, Fehler als Fakt zu akzeptieren und in sicherheitskritischen Bereichen jeden Fehler offen zu handhaben, eine gute Fehlerkultur und ein gutes Fehlermanagement zu etablieren. Nur so kann man sicherstellen, dass Fehler kontinuierlich reduziert werden und – wenn sie passieren – keine gravierenden Folgen nach sich ziehen.«

Null-Wiederholfehler-Kultur

»Ich denke, eine 100%-Quote ist nicht realistisch. Das Management muss eine positive Fehler- und Diskussionskultur vorleben«, meint Eckehard Bauer, Experte für Qualitäts-, Risiko-und Sicherheitsmanagement bei Quality Austria. Moderne Qualitätsmanagementmodelle forcieren deshalb eine Null-Wiederholfehler-Strategie, die offen und systematisch mit entstandenen Fehlern umgeht. »Eine einmalige Fehlhandlung sollte als Chance und Ausgangspunkt für Verbesserung gesehen werden, auch wenn dies finanziell schmerzlich ist. Wiederholfehler oder Fehler, die aus klaren Verstößen gegen bestehende Vorgaben erfolgen, müssen aber entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen«, erklärt Bauer. Sanktionen sollte es dennoch nur als letzte Maßnahme für jene Personen geben, die bewusst Regeln brechen oder missachten – nicht um Angst zu verbreiten. »Eine Organisation, in der nur korrekt gearbeitet wird, weil es Sanktionen gibt, hat ein ganz anderes, sehr tiefgreifendes Problem«, sagt Qualitätsmanager Bauer und tritt für mehr Eigenveranwortung ein: »Als essentiell erscheint mir, dass die handelnden Personen wissen, was von ihnen erwartet wird und sie damit Verantwortung übernehmen.« Das gilt für die hergestellten Produkte oder angebotenen Dienstleistungen, trifft aber in besonderem Maß auch auf die innerbetriebliche Unfallstatistik zu. Jeder Arbeitsunfall ist einer zu viel. Unternehmen sollten deshalb das Thema »Beinahe-Unfälle« offensiv angehen. In der Regel ist man erleichtert, dass ein Stolpern, ein Sturz oder ein Fehlgriff noch einmal glimpflich ausging – an der Ursache ändert dieses Aufatmen allein aber nichts. Nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (AschG) sind Mitarbeiter verpflichtet, jeden Arbeitsunfall und jedes Ereignis, das beinahe dazu geführt hätte, den Vorgesetzten oder dafür zuständigen Personen zu melden. Wenn aus Unwissenheit, Schlampigkeit oder falsch ermittelter Ursache mangelhafte Maßnahmen gesetzt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich wieder Unfälle ereignen. Nicht immer stehen gleich Leib und Leben auf dem Spiel, wenn ein Fehler passiert. Für ein Unternehmen kann ein Missgeschick trotzdem unangenehme oder teure Folgen haben. Kunden sind verärgert oder ganze Produktionsserien fallen aus, Lieferschwierigkeiten und Rückrufaktionen ziehen mitunter nachhaltige Imageverluste nach sich. Das Wissen um die direkten und indirekten Kosten eines Fehlers kann die Verantwortung und Sorgfalt der Mitarbeiter schärfen. Schüttelkopf plädiert für mehr Fehlertoleranz: »Der Weg zu Innovationen ist immer mit Fehlern gepflastert. Die Kunst besteht jedoch darin, dumme und gefährliche Fehler zu vermeiden, aber intelligente und innovative Fehler zuzulassen bzw. sogar zu fördern.« Mitunter entstehen durch Irrtümer und gescheiterte Versuche neue Ideen oder kreative Lösungen. Dem Modell »Trial and Error«, kombiniert mit einer Prise Zufall, verdanken wir die Erfindung der bunten Post-its, der Mikrowelle, der Teflonpfanne und des Porzellans. Wie sich eine Schwachstelle zu einem Qualitätssprung wandeln kann, zeigte Mercedes vor. 1997 kippte ein Wagen der neuen A-Klasse beim »Elchtest« genannten Spurwechsel-Fahrmanöver seitlich um und landete auf dem Dach. Spott und Häme für den renommierten Hersteller waren die Folge. Anfänglich wurde der Vorfall heruntergespielt, tatsächlich löste die offensichtliche Instabilität aber eine Produktkrise im Konzern aus. Erst ein Verkaufsstopp brachte die Wende. Alle bereits ausgelieferten Fahrzeuge wurden mit geändertem Fahrwerk und dem elektronischen Stabilitätsprogramm ESP nachgerüstet. Das ESP-System, zuvor gerade erst in der S-Klasse eingeführt, stellte in der Kompaktklasse einen absolute Innovation dar. Den Verkaufserfolg unterstrich Mercedes mit dem Slogan »Stark ist, wer keine Fehler macht. Noch stärker, wer aus ihnen lernt!«


Facts

Vorbild mit Schwachstellen. Das Toyota Produktionssystem (TPS) galt lange Zeit weltweit als Benchmark für hocheffiziente Industrieunternehmen. Fast alle Automobilhersteller, darunter Opel, Mercedes-Benz, MAN und Volkswagen, aber auch Zulieferer wie die Robert Bosch GmbH führten seit den 1980er-Jahren nach diesem Vorbild erfolgreich ein ähnliches System zur Kosten- und Qualitätsoptimierung ein. Neben der Synchronisierung und Standardisierung der Prozesse ist die Vermeidung von Fehlern ein zentraler Faktor des TPS: Jeder Mitarbeiter in der Produktion übernimmt Verantwortung für seinen Arbeitsbereich und das Produkt. Sobald er Zweifel an der Qualität hat, kann er die gesamte Produktionsstraße anhalten und den Fehler korrigieren. Das erfordert ein hohes Maß an Disziplin und Aufmerksamkeit – im Gegenzug genießt jeder Mitarbeiter größten Respekt für seine Tätigkeit und ist aufgefordert, stetig Verbesserungsvorschläge einzubringen. In den letzten fünf Jahren ließen Pannenserien an mehreren Toyota-Modellen Zweifel an der vielgepriesenen Effizienz des TPS aufkommen. Allein im Jänner 2010 wurden wegen klemmender Gas- und Bremspedale 2,3 Millionen Autos in den USA und 1,8 Millionen in Europa in die Werkstätten zurückbeordert. Weitere Rückrufaktionen, u.a. wegen defekter Fensterheber und rutschender Fußmatten, folgten. Obwohl sich einige vermeintliche Mängel als unbegründet erwiesen, war der Imageschaden verheerend. Die Produktion brach 2011 – auch infolge des Tsunamis – um 48 % ein. Trotzdem hielt man an der offensiven Qualitätsstrategie fest, eigens eingesetzte »Chief Quality Officers« sorgen nun in den einzelnen Regionen für besseren Informationsfluss. Offenbar mit Erfolg: 2012 und 2013 schaffte es Toyota wieder an die Spitze der weltgrößten Autohersteller.


Glossar

Eine konstruktive Fehlerkultur schaffen.

1. Klima des Vertrauens: Ermutigen Sie die Mitarbeiter, zu ihren Fehlern zu stehen. Das gilt auch für Sie als Führungskraft – schieben Sie keinesfalls eigene Fehler auf Mitarbeiter oder äußere Umstände. Schadenfreude oder Schuldzuweisungen unbedingt unterbinden, stattdessen Respekt für jene, die Fehler zugeben oder entdecken.

2. Analyse der Ursache: In einer positiven Fehlerkultur geht es nicht um Bestrafung, sondern um Verbesserungen. Trotzdem sollten die Mitarbeiter das nicht als Freibrief für schlampiges Arbeiten interpretieren. Sicherheit und Qualität müssen oberste Priorität haben. Suchen Sie, in sachlichem Ton, gemeinsam nach den Ursachen und möglichen Maßnahmen, um diese Fehler künftig zu vermeiden.

3. Lösungsstrategie: Ein Fehler weist auf Lücken im System hin und bietet die Chance, diese zu schließen. Die schlimmsten Fehler sind jene, die sich wiederholen. Deshalb sollten Abläufe überprüft, Verantwortlichkeiten gegebenenfalls neu geordnet und Notfallpläne überarbeitet werden. Das Ziel muss sein, die Fehlerquote möglichst gering zu halten – und jeder Mitarbeiter kann dazu einen Beitrag leisten.

4. Schadensbegrenzung: Fehler haben unterschiedliche Auswirkungen. Ein Produktionsfehler oder ein zu hoch dosiertes Medikament kann schwere finanzielle oder gesundheitliche Folgen nach sich ziehen. Eine falscher Preis in der Rechnung oder die Verwechslung eines Artikels sind unangenehm, aber verzeihlich. Auch in der Kommunikation nach außen – gegenüber Kunden, Lieferanten und der Presse – erweist sich meist die offensive Strategie als die beste: Fehler rasch zugeben, Entschuldigung, Wiedergutmachung.

5. Keine Toleranz bei Vertuschung: Versucht ein Mitarbeiter, seinen Fehler zu verschleiern, ist das absolut inakzeptabel. Dadurch werden Fehlerketten erst möglich, das Gesamtergebnis des Teams ist gefährdet. Stellen Sie klar, dass Sie dieses Verhalten nicht dulden und im Wiederholungsfall ahnden werden.

Last modified onDienstag, 18 November 2014 15:39
back to top