Brauchen Reformen für gemeinsamen Markt
- Written by Martin Szelgrad
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Zum Auftakt einer Report-Dialogserie zwischen Wirtschaft und Politik sprechen NEOS-Vorsitzender Matthias Strolz und Helmut Fallmann, Gründer und Mitglied des Vorstandes der Fabasoft AG, über den Wirtschaftsstandort Österreich, den Ausverkauf von Infrastruktur und gemeinsame europäische Werte.
(+) Plus: Herr Strolz, was wünschen Sie sich vom neuen Finanzminister? Sie wollen die Abgaben senken. Wie ist dies auch finanzierbar?
Matthias Strolz: Wir brauchen eine Steuerreform, würden diese aber hauptsächlich ausgabenseitig steuern. Unser Ziel ist, die Abgabenquote in Österreich auf das deutsche Niveau herunterzubringen – also um rund ein Zehntel von 45 % auf 40 % zu senken. Dazu ist sicherlich ein ambitioniertes Zehnjahresprogramm nötig, mit einer ersten Etappe über ein Volumen von 4 bis 7 Mrd. Euro – hier stimmte ich mit dem Vizekanzler und Finanzminister überein. Eine Reform sollte aber unbedingt sofort passieren. Es sind dringend Signale an die Wirtschaft nötig. Wir wissen, dass derzeit kaum erweitert wird, dass Ausbaupläne in den Schubladen liegen bleiben. Eine neue Zuversicht ist aber auch für die Binnennachfrage wichtig. Wie sich das nun finanzieren lässt? Sofortigen Spielraum bekommen wir, wenn wir alle neun Bundesländer und die Republik an einen Tisch bekommen und aus unserem großen Fördervolumen in Österreich, das doppelt so groß wie der EU-Durchschnitt ist, 2 bis 3 Mrd. Euro entnehmen. Fest steht nur der absolute Betrag. Jedes Bundesland soll dabei diese Aufgabe im eigenen Haus erledigen. Dies betrifft Unternehmens- ebenso wie Familienförderungen. Wir sind zwar selbst große Fans der Familienförderung, sie könnte aber effizienter abgewickelt werden. Der Rechnungshof hat dazu in einer Untersuchung in vier Bundesländern plus der Republik über 120 auszahlende Stellen ausgemacht. Sie können sich vorstellen, dass bei 120 Händen nicht die linken wissen, was die rechten tun. Oder E-Mobilität: In Deutschland gibt es drei Förderstellen, in Österreich dagegen über 25. Dazu wäre es auch wichtig, dass die Transparenzvorgaben an die Verwaltung entschlossener als bisher umgesetzt werden. Auch Schweden hat es in der Krise in den 90er-Jahren geschafft, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und Eigenverantwortung und Subsidiariät zu leben. Nach dem Motto: Wir sagen euch nicht, was ihr im Detail einsparen müssen – aber in fünf Jahren werdet ihr in der Verwaltung zehn Prozent weniger Budget haben. Solche Vorgaben funktionieren sicherlich bei Fabasoft, in jedem anderen Unternehmen und in jeder NGO. Jährlich zwei bis drei Prozent Einsparungen sind alleine durch Synergien in den Verwaltungskörpern und gemeinsam mit anderen Bundesländern leicht ereichbar. Wir müssen die Revolution von unten denken, denn »top down« wird dies nicht passieren. Dann braucht es natürlich eine Pensionsreform, eine Koppelung des Pensionseintrittsalters an die Lebenserwartung. Wir brauchen eine Angleichung des Frauenpensionsalters und auch der Pensionshöhen für die Frauen. Es ist eine schnellere Harmonisierung in Richtung ASVG nötig – 40 Jahre Übergangszeitraum sind zu viel. Hier gibt es also viele Punkte, die in den kommenden Jahren für einen neuen Finanzierungsspielraum wichtig sind. Ein weiterer Teil ergibt sich dann durch eine gesteigerte Binnennachfrage und unternehmerische Dynamik von selbst.
Helmut Fallmann: Die Unternehmen kämpfen hierzulande mit enormen Lohnnebenkosten. Auch bei guten Gehältern kommt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kaum etwas an. Dies ist in den USA völlig anders. Dort sind die Personalkosten ingesamt niedriger und trotzdem haben die Mitarbeiter mehr davon. Wäre es beispielsweise nicht denkbar, zumindest Gehaltserhöhungen in voller Höhe netto an die Mitarbeiter auszuzahlen? Ich bin überzeugt, dass viele Unternehmen dazu eher bereit wären. Das würde die Lohnnebenkosten und in Relation auch die Steuern senken, ohne dass dem Staat Einnahmen entgehen, die er bislang ohnehin nicht hat. Vor allem kleinere Gehaltssteigerungen haben in den vergangenen Jahren ja kaum mit der Inflationsrate mithalten können. Ich würde das Gegenteil dieser kalten Progression unterstützen – und sie tatsächlich kalt stellen. Damit hätten die Menschen wieder spürbar mehr Geld in der Tasche. Ich glaube nach wie vor, dass Europa die beste Region der Welt ist. Wir müssen nun einen Mittelweg zwischen der Leistbarbeit des Sozialstaates und unserer Wettbewerbsfähigkeit finden. Strolz: Einverstanden. Es geht aktuell auch um die Frage des europäischen Lebensmodells und wie wir es aufrechterhalten können. Dazu müssten wir unsere Sozialsysteme enkelfit und generationengerecht aufstellen und finanzieren. Leider haben wir das in Österreich schon in den fetten Jahren nicht geschafft – Die Gefahr ist nun, dass wir dies auch in schwierigen Jahren nicht schaffen werden.
Fallmann: Geschichtlich gesehen hat Europa die Antworten auf neue Herausforderungen stets in Phasen der Revolution gefunden. Hatten wir einst die industrielle Revolution, befinden wir uns nun inmitten der IKT-Revolution (Anm. Informationstechnologie und Telekommunikation). Die Digitalisierung der Welt löst Veränderungen aus. Vielerorts sind noch keine Antworten gefunden, wie wir damit umgehen. Prinzipiell glaube ich, dass Österreich bisher nicht viel falsch gemacht hat. Wir haben aber zu wenige Entscheidungen getroffen. Ein signifikanter Fehler war aber sicherlich das Verscherbeln der Telekom Austria an die mexikanische America Movil.
Strolz: Ich bin nicht so sicher, ob dies so falsch war. Nehmen wir nun als warnendes Beispiel die AUA her, die noch mit einer Mitgift an die Lufthansa abgetreten werden musste. In eine ähnliche Schieflage hätte in bestimmten Szenarien auch die Telekom geraten können.
Fallmann: Aber wir geben so die strategische Enstscheidungsgewalt über unsere Infrastruktur ab. Auch bei der AUA werden strategische Fragen heute von einem Konzern determiniert, der verständlicherweise eigene Interessen hat – nämlich die Fluggesellschaft als Drehscheibe zum Osten einzusetzen. Dieser Markt bricht nun weg, und damit steht die AUA vor neuen wirtschaftlichen Herausforderungen. Hätte damals die Politik nicht ständig hineingeredet, stünden wir heute ganz anders da. Auch der Ausbau des Flughafens Schwechat wäre ohne Zutun der Politik niemals in dieser peinlichen Form passiert. Und um eine weitere Branche anzusprechen: Auch die Liberalisierung des Energiemarktes hat in Österreich nicht besonders gut gegriffen. Ich hätte mir da mehr erwartet.
Strolz: Nun, dazu müssen wir uns noch von dem österreichischen Verständnis lösen, dass diese Betriebe nicht dem rot-schwarzen Machtkartell gehören. Diese Überzeugung ist ja nach wie vor tief verankert. Auf diese Weise werden die Unternehmen teilweise immer noch gemanagt, wenn man sich auch die Energieversorgungsunternehmen ansieht.
Fallmann: Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Staat die Verantwortung für Infrastruktur nicht aus der Hand geben darf. Dazu gehören die Straßen, das Wasser und die Energie. In Staaten wie der Schweiz bildet die Bahn einen Teil der nationalen Identität. Sie funktioniert sehr gut und ist hervorragend ausgebaut. Die Schweizer wissen aber auch, dass so etwas seinen Preis hat und nur defizitär geführt werden kann.
Strolz: Doch auch die Schweizer Bahn ist trotz der zu Österreich sehr ähnlichen Topografie viel schlanker in ihrer Verwaltung aufgestellt.
Fallmann: Diesen Reformbedarf sehen wir auch für die Bahn in Österreich. Doch muss dies nicht heißen, Infrastruktur für immer aus der Hand zu geben.
Strolz: Ich würde hier etwas differenzieren. Außer Streit ist, dass natürliche Monopole in öffentlicher Hand sind und bleiben sollen. Hier geht es vor allem um Netzbereiche wie Straße, Schiene und Strom, da Zweit- und Drittanbieter dort Fixkosten nicht abbilden können. Natürlich gibt es bei der ÖBB oder bei der Post Nebenstrecken und Gebiete, die nie marktwirtschaftlich funktionieren werden. Hier wird es weiterhin eine Finanzierung der Güterabwicklung aus Gründen des Gemeinwohls geben müssen. Ich bin aber der Meinung, dass man den Betrieb in einer Wettbewerbsumgebung stärken sollte. Mitbewerb bel ebt das Ges chäft . Ich fahre seit 30 Jahren mit der Bahn in Österreich. In keinem anderen Zeitfenster hat sich die Bahn in ihren Kundenservices so verbessert wie zum Markteintritt der Westbahn. Auch im Strombereich wären wir bei den Energiepreisen heute ganz woanders, wenn der Markt nicht liberalisiert worden wäre.
Fallmann: Ich gebe Ihnen teilweise Recht. Sowohl bei den Playern am liberalisierten Energiemarkt als auch bei der Westbahn reden wir aber von europäischen Unternehmen. Europäer denken europäisch und schaffen letztlich auch europäischen Wohlstand. Die Diskussion mutet etwas eigenwillig an, wenn ich auf der einen Seite mein Familiensilber nach Mexiko verkaufe und dann eine Fördermilliarde zum Ausbau der Mobilfunk- und Breitbandinfrastruktur beschließe. Die Telekom Austria agiert wie jedes andere Unternehmen gewinnorientiert. Nun werden wir dafür sorgen, dass ein Teil dieser Förderung als Gewinn in Mexiko landet und dort für Wohlstand sorgt.
Strolz: Im Falle der Breitbandmilliarde hätte die Politik freilich schon viel früher ein klares Commitment abgeben müssen. Wenn wir schon der Branche 2 Mrd. Euro herausreißen, dann sollte schnellstens die Hälfte – das ist ohnehin wenig – ebendort reinvestiert werden. Dass dies nun erst nach langem Hängen und Würgen und über buchhalterische Tricks kommt, ist unerhört. Und ja – Im Vergleich zur USA spielt Europa in der digitalen Revolution, die heute in ihrer Größe noch gar nicht abschätzbar ist, nicht vorne mit. Da gibt es einiges aufzuholen.
Fallmann: Die Europäer haben teilweise noch nicht verstanden, dass Daten das Gold unserer Zeit sind. Ohne IT kann kein Unternehmen erfolgreich geführt werden, und Kommunikationsinfrastruktur ist dafür entscheidend. Hier gilt es klar europäische Interessen zu verfolgen. Entscheidungen dazu sind da wahrscheinlich in Brüssel eher gut aufgehoben als in Übersee. Gerade bei Breitband gibt es immer noch enorme Versorgungslücken. Den Zugang zu Glasfaser und Breitband generell haben Sie heute in Österreich nur in der Großstand. Am Land sind Sie aufgeschmissen. Dabei bietet Breitband die Chance, ländliche Regionen wirtschaftlich zu stärken.
Strolz: Es sind mutige politische Weichenstellungen gefordert. Dies führt mich wieder zur Finanzierung einer Steuerreform zurück. Den öffentlichen Verkehr könnte man durch eine CO2-Steuer stärken, wie wir sie vorschlagen. Dies würde raumplanerisch der Absiedlung entgegenwirken, wie es vielerorts geschieht. Damit könnte man auch politisch mehrere Themen mit einem Hebel lösen. Diese Abgabe soll alle nichtverbrauchsabhängigen Steuern ersetzen – vom Autobahnpickerl bis zur NoVa. Wir wollen dies nach Vorbild skandinavischer Staaten umsetzen und dabei auch die Industrie an Bord haben. Ich habe bereits mit einigen Unternehmen wie der Voest über entsprechende Marktlogiken dazu diskutiert. Denkbar wäre, über Benchmarks Erleichterungen zu erhalten. Liegt etwa ein Unternehmen mit seinen Emissionen zehn Prozent unter dem EU-Durchschnitt, ist es von dieser Abgabe befreit. Hier gibt es sicherlich clevere Lösungen, die auch wertschöpfend für den Standort wirken. Wir werden ja auch in Europa weiterhin produzieren müssen, um unseren Wohlstand erhalten zu können. Wir brauchen also Industrie und wir brauchen auch IT-Unternehmen in der Softwareproduktion. Auch sollten dazu die Energiekosten wieder auf ein Niveau kommen, das auch für europäische Firmen globalen Wettbewerb ermöglicht. Wir hoffen mit der personellen Neubesetzung des Finanzressorts, dass sich wieder etwas bewegt. Viele Chancen wird Österreich nicht mehr bekommen. Wir verlieren im Vergleich der Wirtschaftsstandorte, verlieren Plätze in den Innovationsrankings, befinden uns an der Spitze der Steuerbelastungen, haben eine Rekordstaatsverschuldung und die höchste Arbeitslosigkeit seit sieben Jahrzehnten. Wir haben ein schlechtes Krisenmanagement bei den verstaatlichten Banken. Das alles sind Indikatoren, die in die falsche Richtung zeigen. Auch nach Berechnungen unseres eigenen Indikators Neuwind ist Österreich zwar in der Vergangenheit gut aufgestellt gewesen, belegt aber bei den zukunftsorientierten Indikatoren im EU-Vergleich nur Platz elf. Kurz gesagt: Österreich ist aktuell zukunftsarm aufgestellt. Das wird sich auch auf das gesellschaftliche Wohlbefinden auswirken. Wenn sich da bald auch in Sachen Pensionsreform nichts tut, müssen wir aufpassen, dass sich künftige Verteilungskämpfe dann nicht auf der Straße abspielen werden.
Fallmann: Noch ist es dafür nicht zu spät. Der Fehler Österreichs ist, sich bislang noch nicht für einen Richtungswechsel entschieden zu haben. Gerhard Schröder hat dies damals in Deutschland geschafft und das Land mit Reformen auch für Krisen besser aufgestellt. Ungefähr seit damals verliert Österreich auch in den Standortvergleichen. Nun dürfen wir die Fehler im Bildungsbereich nicht fortsetzen und sollten mit dem hierzulande oft praktizierten Schlechtreden des Unternehmertums aufhören. Ich warne aber trotzdem vor uneingeschränkte Marktwirtschaft und Turbokapitalismus. Europäische Infrastruktur sollte von Europäern betrieben werden und damit meine ich auch den Datenverkehr. Auch die USA betreiben in ITFragen Protektionismus. Nebenbei haben wir in Europa einen enormen internen Krisenherd der Jugendarbeitslosigkeit in einigen Ländern. Es gibt keine größere Aufgabe der EU, als nach außen und nach innen für Frieden zu sorgen. Für den Markt heißt das, diesen noch stärker zu homogenisieren und zu stärken sowie für bedarfsgerechte Ausbildungsmöglichkeiten für die Jungen zu sorgen. Gerade im digitalen Bereich haben wir derzeit noch eine Schrebergartenstruktur in Europa. Wir brauchen nun endlich eine einheitliche Gesetzgebung und homogene Datenschutzrichtlinen. Der Motor für die Wirtschaftskraft ist die IKT-Industrie. In der Vergangenheit waren die Europäer auch in diesem Bereich Weltmarktführer, doch diese Unternehmen sind fast gänzlich verschwunden. Diese Stärke gilt es wiederzubeleben.
Strolz: Dies ist sicherlich ein Punkt, der über die nationalen Grenzen hinaus gesamteuropäisch angegangen werden muss. Die NSA wird nicht besonders beeindruckt sein, wenn die Innenministerin eines einzelnen Staatens einen Beschwerdebrief zur Datenüberwachung verfasst. Bietet hier Europa geschlossen die Stirn, sieht dies ganz anders aus. Wir befinden uns an einem Punkt, an dem wir über unsere Werte entscheiden müssen. Derzeit tobt ein Krieg vor unserer Haustüre, in der Flugweite Wien-Bregenz in Richtung Osten. Mangels einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist hier Europa noch auf die USA angewiesen, derartige Flächenbrände unter Kontrolle zu halten. Also brauchen wir eine gemeinsame Stimme nach außen, eine gemeinsame Sicherheitspolitik und strategisch starke Infrastrukturen.