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Kosmische Distanzen

Der Bodyscanner hat nicht einmal das Schweizermesser erkannt. Ich habe den Deutschen ein paar Milliarden Euro erspart – zumindest ein Danke wäre nett gewesen! Der Bodyscanner hat nicht einmal das Schweizermesser erkannt. Ich habe den Deutschen ein paar Milliarden Euro erspart – zumindest ein Danke wäre nett gewesen!

Als »Science Buster« zeigt Physiker Werner Gruber der Nation, wie spannend und unterhaltsam Naturwissenschaft sein kann. Sein Talent zum »Edutainment« soll dem in die Jahre gekommenen Wiener Planetarium zu mehr Popularität verhelfen. Über gestrandete Spitzenforscher, seinen legendären Auftritt bei Markus Lanz und die ungelösten Rätsel der Wissenschaft erzählt er im Report(+)PLUS-Interview.

(+) Plus: Ich hatte in der Schule einen Physiklehrer, dem alle Experimente misslangen. Möglicherweise hat sich mir deshalb dieses Fach nicht erschlossen. Liegt es an schlechten Lehrern, dass Naturwissenschaften in Österreich einen schweren Stand haben?

Werner Gruber: Oft erzählen mir Leute, dass sie in der Schule einen wirklich tollen Physiklehrer hatten. Wenn ich dann nachfrage, sind das immer dieselben Namen. Wir bilden die Leute schon an der Universität falsch aus. Bei all den Konzepten zur Unterrichtsplanung und Pädagogik wird nämlich eines vergessen: der physikalische Inhalt. Man kann tatsächlich das Lehramt für Physik absolvieren, ohne mit Elementarteilchenphysik und Kernphysik in Berührung zu kommen. Das sind in unserem Fach Basiskomponenten – ähnlich wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Ich merke das in meinen Vorlesungen: Die Lehramtsstudenten können oft ganz einfache Fragen, nicht einmal Maturastoff, kaum richtig beantworten. Wenn diese Absolventen dann an die Schulen kommen, müssen sie erst einmal zwei Jahre Physik nachlernen. Was die Physik auch nicht unbedingt leichter macht: Naturgesetze kann man nicht erklären, die sind so, man muss sie akzeptieren. Das ist die einzige Chance, um die Welt zu verstehen. Das Gravitationsgesetz ist so, wie es ist, das lässt sich nicht mit Formeln erklären. Alle drei Wochen werden die Schüler mit neuen Problemen konfrontiert, die aber nicht verstanden werden können. Trotzdem versuchen es die Schülerinnen und Schüler und scheitern dran. Dann geben sie auf und Physik wird nur mehr auswendig gelernt.

(+) Plus: Bis 1938 brachte Österreich viele Nobelpreisträger hervor. Hat man sich damit abgefunden, dass dieses Niveau nicht mehr erreicht wird?

Gruber: Die ehemaligen Arbeitsgruppen rund um Anton Zeilinger leisten im Bereich der Quantenoptik Hervorragendes. Wir sind halt leider nur auf diesem Gebiet Weltklasse. Das ist eine Spur zu wenig. Wenn wir zwei oder drei Standbeine hätten, sähe die Sache schon anders aus. Die Arbeitssituation ist natürlich katastrophal: In der Quantenoptik teilen sich sechs Personen ein winziges Büro im Schichtdienst. Außerdem ist die Bezahlung mies und eine Familiengründung bei den üblichen Zweijahresverträgen hochriskant. Forschung ist ja kein Job von 9 bis 17 Uhr. Wenn man in einem Projekt tätig ist, hat man für die Familie vielleicht zehn Stunden pro Woche und das über Monate hinweg. In Österreich wird immer bei der Forschung gespart, denn da fällt es am wenigsten auf, dafür aber langfristig. In fünf Jahren werden wir einen Innovationsmangel haben, der sich in spätestens zehn Jahren auf das Wirtschaftswachstum auswirkt. Ohne Grundlagenforschung gibt es keine Innovation. Die Industrie sagt aber, wenn ich 100 Euro für Forschung ausgebe, rentieren sich vielleicht nur 5 Euro wirklich. Das ist das große Problem: Ich weiß vorher nicht, in was ich investiere. Wir geben Milliarden für die Hypo-Rettung aus. Aber hätten wir einen Bruchteil des Geldes in die Krebsforschung gesteckt, könnten in Zukunft manche Menschen noch länger leben.

(+) Plus: War die Eingliederung der Wissenschaft ins Wirtschaftsministerium ein Fehler?

Gruber: Bundeskanzler Faymann war schlecht beraten, das zu tun. Aber im Grunde ist es ein Sturm im Wasserglas. Eigentlich wäre eine Personalreform notwendig. Die Uni-Gesetzgebung geht auf Ministerin Gehrer zurück, und was sie sich damals dabei gedacht hat, weiß ich nicht. Nach zwei Jahren als Assistent bekommt man für sechs Jahre einen Spezialvertrag und kann sich in dieser Zeit habilitieren, danach wird man fix beschäftigt oder muss die Universität für immer verlassen. Bisher wurde kein Einziger angestellt. Ich kenne einige Spitzenforscher, die auf sehr hohem Niveau qualifiziert und international bestens vernetzt sind, aber im Schnitt mit 40 aus der Uni rausgeschmissen wurden. Einer der besten Relativitätstheoretiker Österreichs ist jetzt bei einer Bank beschäftigt.

(+) Plus: Raten Sie also allen, die sich für das Physikstudium interessieren, davon ab?

Gruber: Nein. Als Planetariumsdirektor rechnet man ja in kosmischen Distanzen. Deshalb sage ich: Studiert’s Physik, aber stellt euch darauf ein, dass ihr ins Ausland gehen müsst. Auf europäischer Ebene gibt es wirklich tolle Projekte, das weiß nur keiner. Das European Southern Observatory (ESO) baut gerade in Chile einen Spiegel mit 35 Metern Durchmesser auf, mit dem kann man ins Universum blicken. Wozu? Damit es der Menschheit in 50 bis 100 Jahren besser geht. Das klingt blöd, davon bin ich aber überzeugt. Es hat 40 Jahre gedauert, bis Albert Einsteins Theorie des Lasers aus dem Jahr 1905 einen Nutzen brachte. 1962 wurde der erste Laser gebaut, dafür gab es den Nobelpreis – aber man wusste eigentlich nicht, was man damit machen sollte. Heute ist Lasertechnologie Teil vieler Alltagsprodukte. Wir arbeiten an der Zukunft. Aber ich kann nicht sagen, an welcher Zukunft.

(+) Plus: Ihr Auftritt bei Markus Lanz, als sie einen Bodyscanner austricksten, ist ein YouTube-Hit. Machen Ihnen solche Shows Spaß?

Gruber: Mir war die Tragweite dieses Beitrags nicht bewusst. Die Aufzeichnung fand am Nachmittag in Hamburg statt, ich bin dann ins Hotel gefahren und hab mir nicht einmal die Sendung angesehen. Als ich am nächsten Morgen in Wien aus dem Flieger stieg, hatte ich 20 SMS und Anrufe auf dem Handy. Ich habe dann den ganzen Tag mit Interviews für die Süddeutsche, die Neue Zürcher Zeitung und sogar amerikanische Medien zugebracht. Ich stand plötzlich im Zentrum der deutschen Innenpolitik, und das ist man als Physiker nicht unbedingt gewohnt. Es war ausgemacht, dass ich ein Handy und ein Schweizermesser durchschmuggle. Das Messer wurde schon nicht gefunden, von den anderen Substanzen für den Sprengstoff ganz abgesehen. Das BKA Wiesbaden bat mich danach um Zusammenarbeit, ein Jahr später war das Ergebnis dasselbe und die Bodyscanner wurden storniert. Ich habe den Deutschen ein paar Milliarden Euro erspart – zumindest ein Danke wäre nett gewesen!

(+) Plus: Als eine der ersten Maßnahmen als neuer Direktor des Planetariums schafften Sie den Glücksstein-Automaten im Foyer ab. War das nicht eine der einträglichsten Geldquellen der Einrichtung?

Gruber: Das waren pro Jahr ungefähr 200 Euro, also nicht der Rede wert. Die Erfolgsbilanz des Hauses im ersten Dreivierteljahr ist übrigens beachtlich: 18 % mehr Zuschauer, 34 % mehr Gewinn. Wir hatten früher 40 verschiedene Shows laufen, das war viel zu verwirrend. Jetzt haben wir das Schema vereinfacht. Wir zeigen nur noch vier Shows und wechseln dafür jeden Monat das Programm. Unsere größte Sorge ist momentan, dass in ca. zwei Jahren der Laserprojektor seinen Geist aufgeben wird. Die Anlage kostet rund zwei Millionen Euro. Ich habe die Stadtväter extra schon jetzt darauf aufmerksam gemacht. Die Wiener lieben ihr Planetarium. Sie kommen zwar nicht oft her, im Durchschnitt nur zwei Mal in ihrem Leben – mit der Schule und mit dem Enkerl. Es wäre aber kein gutes Zeichen, wenn es zugesperrt wird.

(+) Plus: Vor knapp zwei Jahren wurde das Higgs-Teilchen entdeckt. Kann man sich nun getrost zurücklehnen und sagen: Okay, alles erforscht?

Gruber: Die Wärmelehre war mit Boltzmann im 19. Jahrhundert praktisch abgeschlossen. In der Elementarteilchenphysik hat uns noch ein Teilchen gefehlt – das haben wir jetzt. Es sind aber noch viele Fragen offen: Wie wird das Universum enden? Wie entstehen Luftwirbel? Es wurde auch noch kein einziges »Schwarzes Loch« entdeckt. Man nimmt an, dass es sie gibt, aber der Nachweis ist noch nicht gelungen. Flieger müssen immer noch im Windkanal ausgetestet werden, weil wir die Luftströme nicht berechnen können. Es gibt also noch genug zu tun.


Zur Person:

Werner Gruber, geb. 1970, lehrt Experimentalphysik an der Universität Wien und ist Autor mehrerer Bestseller zu Fragen der Alltagsphysik. Zuletzt erschien im Ecowin Verlag das Buch »Unglaublich einfach. Einfach unglaublich«. Der breiten Öffentlichkeit wurde er durch die TVShow »Science Busters« bekannt, gemeinsam mit Kabarettist Martin Puntigam und Kernphysiker Heinz Oberhummer bildet Gruber die »schärfste Science Boygroup der Milchstraße«. Seit März 2013 leitet der gebürtige Oberösterreicher das Wiener Planetarium sowie die Kuffner- und Urania-Sternwarte.

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