Chance für die Industrie 3.0
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Lange Jahre wurde der Industrie in Europa nicht sehr viel Zukunft gegeben. Doch jetzt soll sie das Heilmittel für den Aufschwung sein. Report(+)PLUS analysiert die Chancen auf eine Kehrtwende.
Von Kurt Wurscher
Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach – so könnte man die Initiative der EU bewerten, Europa durch eine neue Industrierevolution aus der Krise zu bringen. Antonio Tajani, Vizepräsident der Europäischen Kommission für Industrie und Unternehmen hat es bereits am 19. Oktober 2012 auf den Punkt gebracht. „Ziel ist es, den Anteil des verarbeitenden Gewerbes am BIP von aktuell 15,6 % bis 2020 auf 20 % zu steigern.“
Ein Jahr später spricht auch Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), anlässlich des Besuchs von Industriekommissar Tajani am 19. September 2013 von einem bedeutenden Signal. „Das von der EU-Kommission ausgerufene Ziel einer ‚Reindustrialisierung‘ Europas ist die richtige Reaktion auf die große Krise. Dieses Ziel sollte daher verbindlich für alle Mitgliedstaaten auf EU-Ebene verankert werden."
Die Aussagen sind zwar gut gemeint, doch die Umsetzung ist schwierig Läßt sich eine Entwicklung, die nicht erst seit ein paar Jahren läuft, überhaupt in so wenigen Jahren wieder umkehren? Und wie sieht diese Entwicklung auf Österreich bezogen aus? Bevor dieses Projekt gelingen kann, ist ein Blick in die historische Entwicklung Europas zielführend. Denn schon Bruno Kreisky meinte dereinstens: „Lernen Sie Geschichte.“
Der Blick zurück
Einen guten Einstieg in die Thematik liefert wie so oft Wikipedia. „Der Begriff Industrialisierung bezeichnet technisch-wirtschaftliche Prozesse des Übergangs von agrarischen zu industriellen Produktionsweisen, in denen sich die maschinelle Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen durchsetzt. Industrialisierung wird als historischer Epochenbegriff im Sinne der Epoche der europäischen Industriellen Revolutionen verwendet, die von England ihren Ausgang nahm.“
Die Dynamik erfasste auch das übrige Europa, darunter auch die Österrichisch-Ungarische Monarchie. Doch dem Kaiserreich wurde nachgesagt, dass es mit dem industriellen Fortschritt nicht viel zu schaffen habe und das die Entwicklung weitgehend verschlafen wurde. Dem widerspricht allerdings Universitätsprofessor Peter Eigner in seiner Betrachtung über die Industrialisierung der Habsburgermonarchie im 19. Jahrhundert.
Das Bild ist differenzierter und beständiger als einem vielleicht lieb ist. So ist bereits im 19. Jahrhundert die europäische Industrialisierung durch ein (Nord-)West nach (Süd-)Ost verlaufendes Entwicklungsgefälle gekennzeichnet. Dementsprechend gab es auch in der Monarchie ein wirtschaftlich entwickeltes Gebiet im Wiener Raum, gefolgt von Böhmen, Mähren, Salzburg, Oberösterreich und Schlesien. Schlusslichter waren die Länder im südöstlichen Reichsgebiet. Zur Verdeutlichung: Mitte des 19. Jahrhunderts vereinigten Wien und Niederösterreich fast 57% der Industrieproduktion auf sich.
Erzherzog Johann kommt zugute, dass er beeindruckt von den Dampfmaschinen und Eisenbahnen, diese Idee mit in die Steiermark brachte und dort Industrien ansiedelte. Die Trassierung durch die Mur-Mürz-Furche hatte nicht nur den Zweck, Wien mit Triest zu verbinden. Auf seine Anregung wurden dadurch auch die Köflacher Kohlereviere und und die erzverarbeitenden Betriebe miteinander verbunden. Aber bereits Ende des 19. Jahrhundert zeichnete sich eine Standortverlagerung der Schwerindustrie ab, da die reichen Steinkohlevorkommen in Böhmen für die Industrie bessere Möglichkeiten boten als die Braunkohleproduktion in der Steiermark.
Auf der andern Seite war das Verhältnis in der Doppelmonarchie zwischen Österreich und Ungarn geprägt vom Ungleichgewicht. Der Osten war der Rohstofflieferant bzw. Nahrungsmittelproduzent, „Cisleithanien“ der Abnehmer und das Industriezentrum. Die wirtschaftliche Verflechtung innerhalb der Monarchie isolierte auch zusehends das Reich vom Welthandel.
Ziele auf absehbare Zeit nicht zu erreichen
Bevor es zu geschichtlich wird, ein Sprung in die Gegenwart: Die aktuellen Zahlen zur Reindustrialisierung bieten kaum Anlass zur Freude. Ein Bericht der Deutschen Bank zur europäischen Initiative fällt zum Teil ernüchternd aus. Er formuliert das Ziel als „zu ambitioniert und wird auf absehbare Zeit nicht erreicht werden können. Es ist aber ein richtiges Signal, dass die Industrie auch zukünftig von großer Bedeutung für Europa sein wird." Grund ist Deutschland, das aufgrund seiner Industrie die Krise besser überstanden hat. Auch ist der Exportanteil sehr hoch und kann von den aufstrebenden Märkten in Asien profitieren.
Doch ob es allen Ländern gelingen kann, ist zu bezweifeln. Extrem ist inzwischen der Unterschied im Industrieanteil der Länder Europas. Deutschland hat einen sehr hohen Industrieanteil von 22,4%, ebenso Irland mit 23,3%. Am unteren Ende befindet sich Griechenland (9,7%), Frankreich (10%) und – das Vereinigte Königreich mit nur noch zehn Prozent. Da ist schon einsehbar, dass die Vorgabe mit 20% nicht so leicht zu schaffen ist, aber bei den Briten ist fraglich, ob sie überhaupt einen europäischen Weg gehen wollen.
Industrieanteil weiter rückläufig
In den Nachbarländern Österreichs spielt die Industrie nach wie vor eine große Rolle. Tschechien liegt mit einem Industrieanteil von 24,7% sogar auf Platz 1 in der gesamten EU. Aber auch Ungarn (22,7%) und die Slowakei (22,1%) haben einen hohen Industrieanteil.
Zu Bedenken sollte aber geben, dass der Anteil der Industrie in Gesamteuropa (außer Deutschland) abgenommen hat. Für Österreich hat es zwar nur einen minimalen Verlust gegeben (1,9%-Punkte). Im Durchschnitt sank der anteil des Verarbeitenden Gewerbes in Europa am BIP von 2000 bis
2012 aber um 3,3%-Punkte. Ebenso ist die Zahl der Industriebeschäftigen in Europa rückläufig. Die Zahl der Industriebeschäftigten in der EU-15 sank im Zeitraum von 2000 bis 2012 um 17,6%, vorallem ab 2008. Die geringsten Rückgänge entfielen dabei auf Österreich (-0,4%) und Deutschland (-4,4%).
Aufschwung in Österreich
Um Österreichs Industrie ist es insgesamt nicht so schlecht bestellt, wie oft kolportiert wird. So ist die Bruttowertschöpfung ist von 2000 bis 2012 in der heimischen Wirtschaft um 33,6% gestiegen. Selbst im Vergleich zum Krisenjahr 2008 ergab sich in Österreich ein Plus von 3,6%, als einem von nur drei EU-15 Länder neben Deutschland und Schweden.
Die positive Entwicklung zeigt sich auch bei anderen Faktoren. „Der Bank Austria EinkaufsManagerIndex hat im November den Aufwärtstrend der vergangenen Monate bestätigt. Der Indikator stieg um 1,5 auf 54,3 Punkte. Das signalisiert den stärksten Geschäftszuwachs in der Industrie seit 2,5 Jahren“, meint BankAustria Chefvolkswirt Stefan Bruckbauer. Der EMI liefert einen Indexwert um den Wert 50, wobei ein Wert über 50 eine verbesserte, ein Wert unter 50 eine verschlechterte Einschätzung zur Geschäftslage anzeigt. „Die österreichische Industrie hat die Produktion im November spürbar ausgeweitet, denn die Nachfrage hat stark angezogen. Das spiegelt sich auch in wachsenden Auftragspolster, längeren Lieferzeiten und steigenden Preisen wider. Wermutstropfen bleibt leider vorerst der Verlust von Jobs“, meint Bruckbauer. Jedenfalls schottet sich Österreich nicht wie im historischen Beispiel ab, sondern profitiert vom Weltmarkt.
Es gibt aber auch Faktoren, die diesen Trend abwürgen können, bevor er richtig zur Entfaltung kommt. Das Beispiel Energie hat schon im historischen Beispiel gezeigt, dass es zu Verlagerungen kommt, wenn die Umfeldbedingungen nicht günstig sind. „Es kann nicht sein, dass ökonomische Ziele systematisch den ökologischen Zielen untergeordnet werden, indem es klare Zielsetzungen nur für letztere gibt", so Generalsekretär Neumayer. Gerade das Problem der Produktionskosten im Vergleich Europa und USA zeigt dieses heikle Thema, das zum Standortproblem werden kann. Vor allem wenn die Verlagerung nicht im eigenen Land, sondern in andere Kontinente erfolgt. Auch die gesellschaftlichen Bedingungen sind sicher ein nicht zu vernachlässigbarer Faktor. Wenn schon Erkundungsarbeiten für gewisse Technologien nicht mehr möglich sind, da zu viele Auflagen erfolgen oder (berechtige) Proteste diese behindern, dann kann es nicht verwundern, wenn Unternehmen ihr Heil in der Verlagerung der Produktionsstätten finden.
Fazit
Insgesamt sind die Aussichten für Österreich nicht so schlecht, für Europa aber durchwachsen. Dort wo bisher strukturelle Schwächen bestanden haben wie etwa in Südeuropa, wird die Situation nicht besser, sondern schlechter. Ob der Finanzsektor langfristig die Zukunft für England, das Mutterland der Industrialisierung ist, ist fraglich. Vor allem vor dem Hintergrund, dass manche von der Steueroase England sprechen.
Es könnte aber auch sein, dass sich die Weltwirtschaft jetzt generell im Abschwung befindet. Man muss kein Pessimist sein, sondern sich nur auf den Kondratjew-Zyklus berufen. Der sowjetische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratjew entwickelte bereits 1926 die Theorie zur zyklischen Wirtschaftsentwicklung, die Theorie der Langen Wellen. Diese sind Entwicklungswellen, die die Basis für technische Innovationen seien, die zu einer Umwälzung in der Produktion und Organisation führen. Die Wellen haben sich erstaunlich in die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung eingefügt und haben einen Zeitraum von 40 bis 60 Jahre. Leider ist es so, dass die 5. Periode der Informations- und Kommunikationstechnik-Kondratjew um das Jahr 1990 datiert wird und wir uns gerade im Abschwung befinden. Zum Glück geht es danach wieder aufwärts. Also Kopf hoch und die guten Nachrichten der österreichischen Wirtschaft weiter erzählen.