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Nachwuchssorgen

Unter den angehenden Köchen, die im Vorjahr an der Abschlussprüfung scheiterten, waren Lehrlinge »vom Wirtshaus bis zum Fünf-Sterne-Hotel«, Thomas Reisenzahn, Generalsekretär der Österreichischen Hoteliervereinigung. Unter den angehenden Köchen, die im Vorjahr an der Abschlussprüfung scheiterten, waren Lehrlinge »vom Wirtshaus bis zum Fünf-Sterne-Hotel«, Thomas Reisenzahn, Generalsekretär der Österreichischen Hoteliervereinigung.

Der österreichischen Wirtschaft fehlen 30.000 Fachkräfte. Statt zu jammern, gehen einige Unternehmen in die Offensive und forcieren eine qualitativ hochwertige Ausbildung im eigenen Betrieb. Interessierte Jugendliche werden umworben wie noch nie.

Sie können nicht grüßen, beherrschen nicht einmal die Grundrechnungsarten, reagieren auf Kritik aber aufmüpfig und destruktiv. Die Klagen über Lehrlingsanwärter sind hinlänglich bekannt. Fast jeder Ausbildner – von der Friseurmeisterin bis zum Zahnarzt – kann von Jugendlichen berichten, die »Bitte« und »Danke« nicht zu ihrem Wortschatz zählen, sich einfachste Handgriffe auch nach einem Schnuppertag noch nicht merken können und auch sonst eher desinteressiert als motiviert wirken.

Wer mit Lehrlingen spricht, hört dagegen oft von ruppigem, wenig wertschätzendem Umgang. Berufsfremde Tätigkeiten wie Putzen nehmen manchmal einen Gutteil der Arbeitszeit ein, während die fachliche Ausbildung auf der Strecke bleibt. Besonders im Tourismus und Gastgewerbe werden die strengen Arbeitszeitregelungen gerne umgangen. Ein Kochlehrling, der etwa einen bekannten Wiener Gourmettempel in seinem Lebenslauf stehen haben möchte, muss sich seinen Lehrabschluss mit vielen Überstunden hart erarbeiten. Die Ausbildungsplätze sind dennoch heiß begehrt – wirft einer das Handtuch, folgt der nächste nach.

Betriebe mit weniger renommiertem Namen müssen dagegen bereits sehr kreativ sein, um genügend qualifizierte Bewerber anlocken zu können. Der Wirtschaft fehlen bereits jetzt 30.000 Fachkräfte. Aufgrund der demografischen Entwicklung ist in den nächsten Jahren mit einer deutlichen Verschärfung des Problems zu rechnen. Gleichzeitig zeigt der Arbeitsmarkt ein paradoxes Bild: Auf der einen Seite Unternehmen, die händeringend um Lehrlinge werben, auf der anderen Seite Jugendliche in der Warteschleife, die keinen Ausbildungsplatz finden. Ende September 2013 waren beim AMS rund 6.800 Lehrstellensuchende vorgemerkt, 4.900 offene Lehrstellen wären sofort zu besetzen gewesen.

Vor allem Jugendliche mit Lernschwächen, schlechten Deutschkenntnissen, Vorstrafen oder fehlendem Schulabschluss sind fast chancenlos, eine reguläre Lehrstelle zu bekommen. Immer weniger Unternehmer sind bereit, sich neben der beruflichen Ausbildung auf die integrative Betreuung von Jugendlichen aus schwierigen familiären Verhältnissen einzulassen.

»Der Gap wird größer – zwischen jenen Jugendlichen, die in der Familie gefördert werden und Rückhalt finden, und jenen, die sich selbst überlassen sind«, bestätigt Thomas Hrastnik, Geschäftsführer der Volkswirtschaftlichen Gesellschaft (VWG) Wien/NÖ. Im Rahmen des von der WKO geförderten YPE-Programms (»Young Professional Experience«) begleitet das Trainerteam der VWG Lehrlinge »mit viel Respekt und Verständnis durch die stürmische Zeit der Pubertät«, so Hrastnik und stärkt so die persönliche, soziale und wirtschaftliche Kompetenz der Jugendlichen.

>> Sinkendes Angebot <<
Laut Bevölkerungsprognose der Statis­tik Austria wird die Zahl der 15-Jährigen, die 2007 noch bei rund 100.400 lag, bis 2016 auf etwa 84.000 sinken. Für die nächsten Jahre ist also mit einem deutlich nachlassenden Bedarf an Lehrstellen zu rechnen. Zwar ist die Lehrausbildung an keinen bestimmten Schulabschluss gebunden, nach einer Umfrage der Wirtschaftskammer Niederösterreich können sich aber nur acht Prozent der Maturanten vorstellen, eine Lehre zu beginnen.

2012 gab es in Österreich rund 125.000 Lehrlinge, davon 43.000 Mädchen und 82.000 Burschen. Obwohl 205 Lehrberufe zur Wahl stehen, entschied sich fast die Hälfte der Mädchen für drei Lehrberufe, nämlich Einzelhandelskauffrau, Bürokauffrau und Friseurin. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen und diverser Fördermaßnahmen ist diese Konzentration fast unverändert stark. Bei den Burschen verteilt sich das größte Interesse auf fünf Berufe: 46 Prozent entscheiden sich für eine Lehre in Metalltechnik, Elektrotechnik, Kfz-Technik, Installations- und Gebäudetechnik sowie Einzelhandel.
Noch deutlich stärker als die Nachfrage nimmt aber die Zahl der angebotenen Lehrstellen ab. Zum Jahresende 2011 waren fast 4.000 weniger Lehrlinge in Ausbildung als Ende 2009. Dieser Rückgang ist nicht nur auf den Geburtenknick zurückzuführen, wie die im Vorjahr veröffentlichte AMS-Studie »Lehrlingsausbildung: Angebot und Nachfrage. Entwicklung und Prognosen 2011-2016« belegt. Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise strichen viele Betriebe ihre Lehrstellen. Insbesondere im Krisenjahr 2009 konnte die Zahl der Lehrlinge nur durch die Schaffung einer überbetrieblichen Lehrausbildung konstant gehalten werden. Ende 2011 wurden bereits 5.900 Jugendliche in einer solchen überbetrieblichen Lehrwerkstätte ausgebildet.

>> Qualitätsoffensive <<
Pflichtschulabgänger mit guten Zeugnissen werden so stark umworben wie noch nie. Viele Unternehmen finanzieren ihren erfolgreichsten Lehrlingen den Führerschein, Sprachkurse oder ermöglichen Auslandspraktika. »Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wird es für Unternehmen härter, gute Lehrlinge zu finden. Die Bemühungen der Betriebe, die Bes­ten zu finden, werden in Zukunft wohl weiter steigen«, meint AMS-Vorstand Johannes Kopf. Eine Studie, die das Österreichische Institut für Berufsbildungsforschung für die Arbeiterkammer erstellte, zeigt jedoch: Lob und Anerkennung werden von den meisten Jugendlichen als wichtiger eingestuft als finanzielle Anreize. »Wer Ausbildung mit Qualität bietet, findet auch Lehrlinge«, ist AK-Präsident Rudolf Kaske überzeugt.

Nur knapp zwei Drittel der Jugendlichen, die eine Lehre beginnen, schließen diese erfolgreich ab oder sind danach im erlernten Beruf tätig – ein Indiz, dass die Berufswahl mit 14 Jahren viel zu früh ansetzt. Gerade die Qualität lässt aber allzu oft auch zu wünschen übrig. Im Vorjahr fielen 18 % der Lehrlinge bei der Abschlussprüfung durch. Das ist die höchste Durchfallquote seit 1970. Vor allem technisch anspruchsvolle Sparten wie Elektroinstallationstechnik (32 %), Kraftfahrzeugtechnik und Metalltechnik (jeweils 25 %), aber auch Maler und Anstreicher (38 %) liegen deutlich über dem Schnitt. In insgesamt 22 Lehrberufen schaffen mehr als 30 % keinen Abschluss, weniger als die Hälfte versucht es ein zweites Mal. Ihr sozialer Abstieg ist vorprogrammiert: Pflichtschulabgänger ohne fertige Berufsausbildung zählen zu den Problemgruppen des AMS. Hilfsarbeiterjobs werden immer rarer, mit einem Lehrabschluss ist das Risiko, arbeitslos zu werden, deutlich geringer.

Peter Schlögl, Geschäftsführer des Instituts für Berufsbildungsforschung, fordert deshalb eine »Qualitätsoffensive, die Lehrlingen eine ordentliche Ausbildung garantiert«. Schwarzen Schafen unter den Betrieben solle die Lizenz zum Ausbilden von Lehrlingen entzogen werden. Das Renommee eines Unternehmens in der Öffentlichkeit bürgt jedenfalls keineswegs für Qualität. Unter den angehenden Köchen, die im Vorjahr an der Abschlussprüfung scheiterten, waren Lehrlinge »vom Wirtshaus bis zum Fünf-Sterne-Hotel«, weiß Thomas Reisenzahn, Generalsekretär der Österreichischen Hoteliervereinigung.

Am dualen Ausbildungssystem will trotzdem kaum jemand rütteln. Auch Österreichs Ausbildungsgarantie gilt in der EU, wo einige Länder mit Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 20 % kämpfen, als Vorzeigemodell: Jeder Jugendliche, der auf dem regulären Arbeitsmarkt keinen Job findet, kommt nach drei Monaten in einem staatlich finanzierten Lehrbetrieb unter.

Der Aufwand ist jedoch enorm. Jeder dieser Plätze kostet rund 17.000 Euro pro Jahr, eine reguläre betriebliche Lehre kommt dagegen lediglich auf rund 6.000 Euro. Insgesamt nimmt der Staat Österreich 220 Millionen Euro für die Sekundärausbildung in die Hand – im Vergleich zu den Folgekosten, die dem Gemeinwesen durch Langzeitarbeitslosigkeit entstehen würden, sind diese Ausgaben dennoch gut investiert.


Beste Practice: Modelle mit Vorbildwirkung

Julius Blum GmbH. Nachwuchssorgen plagen den Vorarlberger Beschlägespezialist kaum. Derzeit stehen 256 Lehrlinge in sieben Lehrberufen in Ausbildung, zehn davon bei der amerikanischen Tochtergesellschaft Blum USA. Mehr als 40 Ausbilder sind für die künftigen Fachkräfte verantwortlich. Unter den 64 Jugendlichen, die im September starteten, sind sieben Mädchen. Personalchef Johannes Berger würde gerne noch mehr aufnehmen, »wenn sich nur mehr junge Damen bewerben«. Besonders bewährt hat sich der dreitägige Kennenlern-Workshop, bei dem die Lehrlinge zu einem Team zusammenwachsen. Dieser Zusammenhalt besteht oft über Jahrzehnte: Zwei Drittel der Lehrlinge, die im Laufe der 40-jährigen Firmengeschichte ausgebildet wurden, arbeiten noch immer im Unternehmen.

Tchibo/Eduscho Austria. Bereits 2009 landete das Unternehmen im »Great Place to Work«-Ranking ganz vorne, 2013 räumte der Marktführer am heimischen Röstkaffeemarkt als Draufgabe den Sonderpreis als bester Arbeitgeber für Lehrlinge ab. Auf Teamorientierung, Respekt und Fairness wird besonders großer Wert gelegt. »Die wiederholte Auszeichnung bestätigt die hohe Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen«, freut sich Thomas Lendl, Leiter Human Resources. Auch Blitzkarrieren sind möglich: Eine Mitarbeiterin, die vor acht Jahren ihre Lehre begann, führt seit 2011 eine eigene Filiale.

Salzburg AG. Das Energie- und Infrastrukturunternehmen bildet derzeit rund 65 Jugendliche in zehn Lehrberufen aus. Beim jährlichen »Tag der Lehre« können Interessierte in den Berufsalltag hineinschnuppern. Großes Augenmerk wird auf den Wissenstransfer zwischen den Generationen gelegt: Das Projekt »Junior trainiert Senior«, bei dem Lehrlinge ihren älteren Kollegen u.a. den Umgang mit sozialen Medien näher brachten, wurde vom Sozialministerium ausgezeichnet.

Hotel Schwarzbrunn. In der hauseigenen Lehrlingsakademie bietet das Hotel Schwarzbrunn in Stans in Tirol seit dem Jahr 2000 Seminare zu Rhetorik und Sozialkompetenz sowie zusätzliche Ausbildungsmodule zur fachlichen Vertiefung der Themen Kaffee, Käse, Wein oder Schokolade. Der Erfolg gibt Hotelchefin Christine Gschwentner recht: Ihre Lehrlinge – derzeit zehn – erreichten bei Wettbewerben schon viele ausgezeichnete Platzierungen.

Voestalpine-Gruppe. Der Stahlkonzern bildet allein in Österreich 803 Lehrlinge in über 30 Berufen aus, darunter auch immer mehr Mädchen. Weltweit absolvieren derzeit rund 1.600 Jugendliche ihre Ausbildung in einem voestalpine-Betrieb. Das Unternehmen investiert mehr als 70.000 Euro pro Lehrling – nicht nur für die fachliche Ausbildung, auch die Weiterentwicklung persönlicher und sozialer Fähigkeiten steht im Mittelpunkt. »Dieser Betrag ist gut anlegt«, erklärt Georg Reiser, Head of Corporate Human Resources. »Unsere Lehrlinge stellen ihr Können regelmäßig bei internationalen Wettbewerben unter Beweis und zeigen, dass sie zu den Besten der Welt zählen.«

Last modified onDonnerstag, 21 November 2013 13:22
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