Der neue Anstand
- Written by Mag. Angela Heissenberger
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Sie verpflichten sich zu nachhaltigem Wirtschaften oder entwickeln familienfreundliche Modelle, entlohnen vom Lagerarbeiter bis zum Prokuristen alle gleich oder schaffen gleich den Chef ab. Eine neue Generation von Unternehmern setzt auf ungewöhnliche Firmenstrategien und zeigt, dass soziale Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg kein Widerspruch sind.
»Geld kann man nicht essen«, lautet das bestechend einfache Prinzip des Kräuterspezialisten Johannes Gutmann. Sein Waldviertler Unternehmen Sonnentor, Produzent von Tees und Gewürzen, ist in ökologischer und sozialer Hinsicht ein Vorzeigebetrieb. Geschäftsführer Gutmann, »die Sonne in Person«, war das dennoch zu wenig. Gemeinsam mit Chocolatier Josef Zotter und Robert Rogner, Chef der Therme Blumau, verfasste er 2009 das »Blumauer Manifest« – ein Plädoyer für Nachhaltigkeit und neue Werte. Gewinnmaximierung ist ein Irrweg, sind sich die Initiatoren einig.
Mit Verantwortung
Zum einjährigen Jubiläum schlossen sich Julia Fandler, Chefin der Ölmühle Fandler, Kommunikationsprofi Ernst Gugler und Wolf Lüdge, Geschäftsführer des Modehandels Hessnatur, den »Blumauern« an. Allesamt gestandene Unternehmer, von grünen Spinnern oder marxistischen Sentimentalisten keine Spur. Die Wirtschaftskrise habe gezeigt, dass gerade die Klein- und Mittelbetriebe viel Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen und Jobs auch in schwierigen Zeiten erhalten. Zur Sanierung der Wirtschaft sollten Unternehmen, die soziale und ökologische Kriterien berücksichtigen, bei der Kreditvergabe nach Basel III sowie bei Förderungen künftig bevorzugt werden, fordern die sechs »Blumauer«.
Sie wollen selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Josef Zotter verarbeitet für seine Edelschokolade ausschließlich fair gehandelte Rohstoffe: »Sie ist zwar dreimal so teuer wie herkömmliche Schokolade, hat aber eine höhere Wertschöpfung und verbraucht weniger Ressourcen.« Lohn- und Preisdumping haben vor allem die Textilindustrie in Misskredit gebracht. Dennoch meint Hessnatur-Chef Lüdge: »Es ist auch möglich, in Bangladesch ein faires Produkt zu erzeugen.«
Zotters Philosophie lockte kürzlich auch Wissenschafter der Harvard Business School für eine Studie in die Steiermark. Gut möglich, dass das Beispiel international Schule macht. »Gewinn und nachhaltiges Wirtschaften sind nämlich kein Widerspruch«, sagt Sonnentor-Chef Gutmann.
Eingeschworene Partie
Für Julia Fandler, Geschäftsführerin der Ölmühle Fandler in Pöllau, beschreibt das »Blumauer Manifest« jene Werte, »die man nicht im Lehrbuch findet«: »Die Ressource Mensch sehe ich als das wichtigste Kapital. Mir ist wichtig, dass es meinen Leuten gut geht.« Diese Wertschätzung sei in allen Unternehmen notwendig, »sonst haben wir nur noch ausgebeutete, kranke Menschen«. Jeder Hilfsarbeiter müsse erkennen, wie wichtig seine Aufgabe für das ganze Getriebe ist – »dann erbringt er seine Leistung gerne«. Fandler trat bereits mit 21 Jahren in den 1926 gegründeten Familienbetrieb ein und übernahm vor vier Jahren, nach dem frühen Tod ihres Vaters, die Geschäfte. Die 32 hochwertigen, sortenreinen Öle – vom steirischen Kürbiskernöl bis zum Macadamianussöl – sind inzwischen nicht nur Gourmets im In- und Ausland ein Begriff.
»Wir gelten hier in der Umgebung als eingeschworene Partie«, sagt die 37-Jährige nicht ohne Stolz. Viele der 25 MitarbeiterInnen sind bereits seit mehr als 20 Jahren im Betrieb. Eine faire Unternehmenskultur und flexible Arbeitszeiten waren schon unter der Leitung ihres Vaters selbstverständlich. »Wir haben auch einen Ab-Hof-Verkauf mit fixen Öffnungszeiten, aber die Dienste teilen sich meine Mitarbeiterinnen völlig frei ein. Da mische ich mich schon lange nicht mehr ein.«
Stetiges Wachstum ist für Julia Fandler nachrangig. Ihr Unternehmen steht derzeit wieder an einem Scheidepunkt. Künftig sollen die Öle auch Fair-Trade-Kriterien entsprechen: »Bio-Öle haben wir schon immer hergestellt. Jetzt überlege ich, wie wir noch verantwortungsvoller agieren können.«
Personal halten
»Wir können keine Sozialromantik pur leben«, erklärt auch Maximilian Wurm, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Countit. Trotzdem sind familienfreundliche Zeitmodelle seit 14 Jahren fixer Bestandteil der Firmenphilosophie. Aus eigenem Interesse, denn die Freitage widmet der »Teilzeitchef« seither seiner Familie. Die 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können ihre Arbeitszeit weitgehend individuell gestalten. Die Hälfte der Belegschaft kann 50 Prozent ihres Pensums von zu Hause aus erledigen. Das System hat sich bewährt – alle MitarbeiterInnen kehrten nach der Karenz in den Betrieb zurück. Das Wissen bleibt so im Unternehmen, teure Personalsuche und Einschulungen entfallen.
Diesen Aspekt belegt auch eine aktuelle Studie des Familienministeriums. Mit 91 Prozent liegt die Rückkehrquote in familienfreundlichen Unternehmen deutlich über dem österreichweiten Durchschnitt von 70 Prozent. Die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen spiegelt sich zugleich in kurzen Krankenständen wider – mit 4,9 Tagen pro Jahr haben die familienfreundlichen Betriebe gegenüber dem österreichischen Durchschnitt von 12,5 Tagen deutlich die Nase vorn. Laut Studienautorin Martina Pecher sind rund 87 Prozent der befragten Unternehmen überzeugt, dass flexible Arbeitszeiten, Telearbeit oder Karenzmodelle zu hoher Motivation, Identifikation und Zufriedenheit beitragen. Trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten hat keine der Firmen ihre Aktivitäten zurückgeschraubt, mehr als die Hälfte will ihre Maßnahmen sogar ausbauen.
Blick fürs Ganze
Gleich mit allen Konventionen gebrochen hat Gernot Pflüger, Geschäftsführer der Veranstaltungsagentur CPP-Studios in Offenbach. Alle Mitarbeiter – vom Bühnentechniker bis zum Prokuristen – erhalten den gleichen Lohn. Nur die Lehrlinge werden nach Tarif bezahlt, die beiden Geschäftsführer bekommen zur Abgeltung ihres Haftungsrisikos etwas mehr. Der überraschende Effekt: Alle arbeiten, als wäre es ihre eigene Firma.
Will ein Mitarbeiter in ein neues Arbeitsgebiet hineinschnuppern, ist das sogar erwünscht. Das fördert mitunter Talente zutage, erweist sich aber vor allem als praktisch: In Notfällen kann jederzeit jemand einspringen. Und ganz nebenbei bekommt jeder Mitarbeiter einen Blick für das gesamte Gefüge, statt sich nur um seinen eigenen Teilbereich zu kümmern.
Hierarchien gibt es keine, aber bei wichtigen Entscheidungen, etwa bei der Einstellung neuer Mitarbeiter, hat jeder der 20 Kollegen ein Vetorecht – und muss seine Meinung gut begründen können. Die Anschaffung neuer Geräte oder Software wird von den jeweiligen Spezialisten vorgeschlagen, abgesegnet wird der Kauf von der gesamten Belegschaft.
Was nach Selbsterfahrungsgruppe mit Wohngemeinschaftsflair klingt, ist ein höchst erfolgreiches Unternehmen. Das Krisenjahr 2009 war für die Kreativschmiede eines der besten in der 19-jährigen Firmengeschichte. »Wir haben als kleiner Dienstleister für Veranstaltungstechnik begonnen und sind jetzt Werbeagentur, Architekturbüro und Erfinderwerkstatt unter einem Dach«, sagt Pflüger. Seit drei Jahren läuft die inhaltliche Konzeption unter dem Namen Mad Hat, die Firmenstruktur ist aber mit CPP identisch.
Mit aufwendigen Videoinstallationen für die IBM-Messestände auf der CeBit oder einer Multimedia-Show zum Katholischen Kirchentag in der Kölnarena haben sich die CPP-Studios international einen Namen gemacht. Pflüger, vierfacher Studienabbrecher, der sich jahrelang als Musiker und Journalist verdingte, glaubt, dass sein Unternehmensmodell auch mit 20.000 Angestellten funktionieren kann: »Es geht anders. Man muss sich nur aufraffen, etwas zu ändern.« Der 45-Jährige empfiehlt beispielsweise, statt einer Abteilung mit 200 Mitarbeitern mehrere kleinere Teams mit eigenverantwortlichem Entscheidungsspielraum zu bilden. Zeitautonomie sei etwa sehr leicht umsetzbar: »Oftmals ist es ja so, dass derjenige, der als Letzter im Büro das Licht ausmacht, als der Fleißigste gilt. Diesen Zustand gilt es, dauerhaft als veraltetes Arbeitsverhalten zu brandmarken.«
Neue Wege gehen
Dem Chef der Cocomin AG (»Corporate Communication International«), Andreas Glemser, zollt auch Pflüger Respekt. Der deutsche Unternehmer überließ seine Firma im November 2004 gleich völlig ihrem Schicksal und ging mit seiner Familie für drei Monate auf Weltreise. Bevor die beiden Söhne in die Schule kamen, wollte er sich noch diesen »Herzenswunsch« erfüllen. Kein Handy, kein Fax, kein E-Mail. Stattdessen Schnorcheln am Great Barrier Reef, Disneyland und Safari in Südafrika.
Kurt Spanjersberg, stellvertretender Geschäftsführer von Cocomin , übernahm mit einer umfassenden Vollmacht die Verantwortung für knapp sechs Millionen Euro Umsatz. In einem kleinen Team mit fünf Personen traf Spanjersberg alle wichtigen Entscheidungen – und derer gab es genug. Die mittelständische Firma, spezialisiert auf Coaching der Vertriebsmitarbeiter großer Banken, war zuletzt stark gewachsen. Die Unternehmensstrukturen entsprachen aber noch denen eines Kleinbetriebs. Die Kundenakquisition oblag fast ausschließlich Glemser, die Rechnungen stellte dessen Frau Anja aus.
Während die beiden die Welt umreisten, änderte sich so manches. Buchhaltung, Abrechnung und die monatlichen Aussendungen wurden auf eine professionelle Basis gestellt. Die Mitarbeiter entwickelten neue Workshop-Konzepte, eine ganze Reihe großer Kunden biss an. »Selbstverantwortung der Mitarbeiter heißt oft, neue Wege gehen und andere Entscheidungen treffen«, sagt Spanjersberg rückblickend. Heute ist Cocomin, seit 2008 eine AG, das führende Trainingsinstitut in der Finanzdienstleistungsbranche Deutschlands, mit Kunden von Citibank bis Deutsche Bank. Vorstandsvorsitzender Andreas Glemser arbeitet statt 16 nur noch acht Stunden täglich, kümmert sich mehr um die strategische Ausrichtung, kaum um das operative Geschäft.
Kommentar von Angela Heissenberger:
Chef überflüssig
Basisdemokratie in einem Weltkonzern? Gernot Pflüger kann sich das vorstellen. Was in seiner kleinen Kreativagentur seit knapp zwei Jahrzehnten hervorragend klappt, funktioniert auch in großem Rahmen – wenn man die Leute nur lässt und die Macht aufteilt: mehr Eigenverantwortung statt Kontrolle, Teambildung statt Hierarchie, Mitbestimmung statt doktrinärer Regeln.
Leider steuern die meisten Unternehmen genau in die andere Richtung: Die krisenbedingten Umsatzeinbrüche werden reflexartig mit harten Sparmaßnahmen beantwortet, die Lohnkosten gesenkt, ein Teil der Belegschaft entlassen. „Sinnvoller wäre es, neue Geschäftsfelder zu suchen“, meint Pflüger, der im Laufe seiner Selbständigkeit auch mehrere Tiefschläge hinnehmen musste. Denn nicht zuletzt die Kreativität und die langjährigen Kundenkontakte seiner Mitarbeiter eröffneten ihm gerade in scheinbar aussichtslosen Momenten neue Perspektiven.
Dass Wertschätzung und Fairness die besten Mittel zur Motivation sind, beweisen auch die wirtschaftlichen Erfolge der „Blumauer“. Der Waldviertler Biopionier Sonnentor verzeichnete im Geschäftsjahr 2009/10 einen Umsatzzuwachs um 15 Prozent auf 20 Millionen Euro. Der Mitarbeiterstand stieg gegenüber dem Vorjahr um 16 Prozent auf 130 Beschäftigte. Während andere Thermen über Gästeschwund und Umsatzrückgänge klagten, gaben die Gäste in Bad Blumau um fast fünf Prozent mehr aus als im Jahr davor.
Zufriedene Mitarbeiter sind produktiver und identifizieren sich mit dem Unternehmen. Wer es nicht glaubt, sollte diese Unternehmensstrukturen ruhig mal ausprobieren. Man muss ja seinen Chefsessel nicht gleich räumen – schon den Mitarbeitern auf gleicher Augenhöhe zu begegnen, kann Wunder bewirken.