Von Alfred BankhamerAuf Messen und Veranstaltungen versprechen Softwarehersteller und IT-Häuser meist nicht weniger als den Himmel auf Erden. Mit der richtigen betriebswirtschaftlichen Software regelt sich der Unternehmensalltag wie von Zauberhand. Ungenützte Potenziale sorgen für Mehrgewinn und so nebenbei fliegen einem gar neue Geschäftschancen zu. In der Praxis sieht es aber trotz der Wundertools anders aus.
Auf eines wird bei IT-Projekten gerne vergessen: Unternehmen sind ebenso soziale Gebilde wie Familien oder Staaten und folglich von weltlichen, menschlichen Dingen nicht weniger verschont. Das zeigt sich leider nur zu oft bei der Einführung neuer Software. Projektmanager klagen nur zu gerne über Kommunikationsprobleme, unklare Kompetenzverteilung, interne Machtkämpfe und der breiten Ablehnung in der Belegschaft gegenüber neuer Systeme. Tatsache ist auch, dass erst selten die riesigen Datenvolumen - meist eine Melange aus Geschäftskennzahlen, Marktstudien und Kundendaten, die quer im Unternehmen verstreut sind - richtig genutzt werden. Doch lassen sich mit dem intelligenten Einsatz von Tools die verborgenen Schätze im Unternehmen heben. Schon einige Produkte oder Geschäftsideen sind durch die analytische Bearbeitung der Datenfriedhöfe entstanden. Funktioniert hat das aber sicher nicht dank der Technik allein. Entscheidend ist das Zusammenspiel aller Kräfte.
Vollelektronisches Zeitalter. Das informationstechnische Herz eines jeden Unternehmens ist heutzutage das ERP-System. Unter Enterprise-Ressource-Planning versteht man im klassischen Sinn die üblichen Bereiche wie Finanzbuchhaltung, Personalmanagement, Warenwirtschaft, Produktplanung, Lagerhaltung, Bestellwesen und Co. In Zeiten des Internethypes glaubten einige Unternehmen, dass das Ende der klassischen ERP-Systeme schon gekommen sei: Das Geschäft samt seinen Prozessen sollte sich vollends in das virtuelle World Wide Web verlagern. Ganz so kam es damals bekanntlich nicht. Anstatt des vielfach prognostizierten Todes der einst monolithischen, nur auf eigene Standards setzenden ERP-Systeme öffneten sich diese und holten das World Wide Web in die Unternehmen.
Die aktuelle Generation betriebswirtschaftlicher Lösungen ist mit vielen Schnittstellen versehen, bietet offene Entwicklungsumgebungen und so ziemlich alle Funktionen, die man sich vorstellen kann. Gartner nennt diese Systeme ERP II, IDC, nennt sie EAS (Enterprise Application Service). Mittlerweile wird aber schon an der nächsten Generation betriebswirtschaftlicher Software gearbeitet. Das Zauberwort dazu heißt serviceorientierte Architektur (SOA). Dabei vollbringen künftig viele kleine dienstbare Geister dank webbasierter Technologien, was heute große, mächtige Programme erledigen. Einzelprogramme wie ERP, CRM, BI, E-Procurement, E-Logistic und Co werden in kleine funktionale Einheiten in großen, offenen Plattformen eingebettet.
Große ERP-Programme sind heute voll integrierte Lösungen, die in Echtzeit etwa über Firmenportale den ganzen Einkauf und die Kommunikation mit Kunden, Partnern und Lieferanten regeln. Eine Kundenanfrage für ein Produkt da, und schon rattert der Rechner im Lager oder es wird gleich vollautomatisch eine Bestellung bei einem Zulieferer in Gang gesetzt. So ist es möglich, dass in Sekundenschnelle ein verbindliches Angebot erstellt werden kann. Das Zeitalter des Echtzeitgeschäfts und On--Demand-Business ist bei Großkonzernen und in vielen Branchen wie beispielsweise der Autoindustrie längst Alltag.Aufbruch ins E-Zeitalter. Nun ist es an der Zeit, dass auch mittelständische Unternehmen nachziehen, wenn sie weiterhin mit den großen Konzernen Geschäfte machen wollen. ERP ist dabei keine Geheimwissenschaft. Eine Art extrem abgespeckte Form vom ERP-System haben heute selbst Einzelunternehmen. Zumindest die Einnahmen-/Ausgabenrechnung und Lagerverwaltung erfolgen in Excel-Tabellen oder in einem Buchhaltungsprogramm. Die Kontakt- und Terminplanung lässt sich - teils sogar mit Basis-CRM-Funktionen - mit E-Mail-Programmen wie Outlook bewerkstelligen.
Für KMUs sieht die Situation anders aus. Wenn diese ihre Systeme schon vollautomatisiert haben, bedarf es auch bei den kleinen Geschäftspartnern voll integrierter, webfähiger Lösungen, die mit den Schnittstellen der Unternehmensportale und ERP-Systeme ohne Medienbruch kommunizieren können. »Prozessautomatisation und die Reduktion der Anzahl der verwendeten Systeme und Schnittstellen sind die Hauptziele vieler ERP-Projekte«, kann der Consulter Christoph Weiss aus einer aktuellen Zufriedenheitsstudie, zu der 500 österreichische ERP-Anwender befragt wurden, folgern.
Im Mittelstand - und österreich ist ganz klar ein Land mittelständischer Unternehmen - werden heutzutage verschiedenste, mehr oder weniger integrierte ERP-Lösungen eingesetzt. Hierzulande gibt es noch rund 250 verschiedene Systeme. Zu den üblichen Funktionen wie Warenwirtschaft, Finanzbuchhaltung, Einkauf, Verkauf gesellten sich Branchenlösungen. Einen wichtigen Trend sieht Manfred Prinz, Vorstandsvorsitzender vom Systemintegrator CSC Austria, darin, dass sich der Mittelstand zunehmend internationalisiert. Dadurch sind größere, mehrsprachige Lösungen gefragt. Wirklicher Aufholbedarf herrscht aber vor allem in der Kommunikation mit der Außenwelt. Bislang gab es kaum leistbare und einfach zu bedienende Lösungen. Webintegration, Supply-Chain-Management, E-Collaboration oder E-Procurement blieben den großen Konzernen vorbehalten. Doch der Druck auf den Mittelstand, ins vollelektronische Geschäftszeitalter einzusteigen, wird immer größer. Viele Ausschreibungen verlangen schon vollautomatische Geschäftsintegration.
Der Markt. Auf das Segment Mittelstand, das bislang eher von den kleinen Softwareschmieden bedient wurde, haben sich vor rund drei Jahren Größen wie SAP, Microsoft oder auch - in österreich im ERP-Bereich noch weniger bekannt - Oracle gestürzt. Die rund 210.000 KMUs bieten noch reichlich Potenzial. Die Liebe zum mühsamen Kleingeschäft hat einen einfachen Grund: Die Großkonzerne sind schon weitgehend mit umfassenden betriebswirtschaftlichen Lösungen ausgestattet und das Neugeschäft stagnierte. Nicht wenig verwunderlich prophezeiten die IT-Größen eine gewaltige Marktkonsolidierung bei den kleinen ERP-Herstellern. Mit der geballten Marketingkraft und riesigen Entwicklungsabteilungen sollten die kleinen ERP-Anbieter nicht mehr mithalten können. Unbestritten, in den letzten Jahren verschwanden einige Firmen wie Baan, Brain oder Infor, die in die Insolvenz schlitterten oder übernommen wurden. Weit größer war die Konsolidierungswelle aber bei den Großen. So schluckte beispielsweise Peoplesoft den Konkurrenten JD Edwards, um jüngst von Oracle übernommen zu werden. Invensys kaufte 2003 Baan und 2004 auch noch Marcam. Durch übernahmen legte ebenfalls SSA Global Technologies zu.
Mehr auf Expansion als auf Kundenbetreuung hat scheinbar Infor Global Solutions gesetzt - nach Brain, Infor Business Solutions und Varial wurde jüngst Mapics Inc. übernommen. Bei der Zufriedenheitsstudie schnitt nämlich die Lösung Infor COM deutlich am schlechtesten ab, während das zugekaufte Produkt Infor AS (einst Brain) noch gut bewertet wurde. Auch übernahmen müssen erst einmal verdaut werden. Das bekam auch der Softwareriese Microsoft zu spüren. Der Einstieg ins ERP-Geschäft erfolgte 2002 durch den Kauf von Navision, einem damals schon gut eingeführten ERP-Anbieter im KMU-Segment. Die neu gegründete Microsoft Business Solution umfasst nun die Produktfamilien Navision, Axapta und Great Plains. Dann geisterte auf einmal das »Green Project« durch die Medien, das künftig von einem neuen einzigen Produkt sprach. Viele Kunden hatten daraufhin Angst, dass ihre Lösung bald nicht mehr optimal unterstützt werde. Microsoft beteuert seitdem, die neue serviceorientierte Architektur nun doch schrittweise bei allen Lösungen einzuführen. Um in das Kleingeschäft einsteigen zu können, vertraute selbst der Marktführer in Sachen ERP, nämlich SAP, auf ein Fremdprodukt, das sich nun Business One nennt.
Unübersichtlicher Markt. Genaue Zahlen über den heimischen ERP-Markt gibt es nicht. Das Marktforschungsunternehmen IDC hat im Vorjahr ein Ranking für Enterprise Application Software (EAS) erstellt. Damit sind nur die größeren, umfassenden betriebswirtschaftlichen Gesamtlösungen gemeint: Im Jahr 2003 führte demnach SAP mit einem Marktanteil von 63,8 Prozent vor Microsoft Business Solutions mit 7,9 Prozent, Data Systems Austria mit sechs Prozent, SIS mit 5,63 Prozent, Oracle mit drei Prozent, Intentia mit 2,7 Prozent und ProAlpha mit einem Prozent. Danach kamen Firmen wie BMD, Mesonic, Brain oder Ramsauer & Stürmer. Im Kleinkundengeschäft sind aber etwa auch Firmen wie Sage stark.Die ERP-Größen SAP und Microsoft Business Solutions legen jedenfalls deutlich zu. »Im letzten Geschäftsjahr sind wir zweistellig und schneller als der Mitbewerb - auch wie SAP - gewachsen«, betont Markus Breyer, Leiter von Microsoft Business Solutions österreich. Er gesteht aber auch, dass Microsoft Business Solutions von einer weit niedrigeren Basis als SAP ausgeht. Als Softwarekomplettanbieter integriert Microsoft seine ERP-Lösungen nun immer stärker in die Windows- und Office-Welt. Anwender bekommen dadurch die gewohnte Windowsumgebung bei den Produkten Navision und Axapta. Bei beiden Lösungen werden auch die Portale auf das MS-Produkt Sharepoint ausgetauscht. Im Herbst gibt es für das im KMU-Segment am weitesten verbreitete Produkt Navision 4.0 das erste Servicepack. Und, um die Verwirrung perfekt zu machen, hat Microsoft knapp vor Redaktionsschluss weltweit das Rebranding seiner ERP-Produkte bekannt gegeben. Die User müssen sich nun anstatt an Microsoft Business Solutions Axapta an Dynamics AX und anstatt an Microsoft Business Solutions Navision an Dynamics NAV gewöhnen.über reichlich Zuwachs freut sich auch Christian Taucher, PR-Manager bei SAP österreich: »In österreich haben wir derzeit 200 Business-One-Kunden, bei mySAP All-in-One sind es rund 150 Kunden.« Auch SAP bringt im Herbst für die KMU-Lösungen neue Releases heraus. Im Vergleich zu Lösungen wie R/3 oder mySAP ist der Umsatzanteil der KMU-Produkte aber noch gering.
Auf den Trend, dass Anwender die ERP-Programme in der gewohnten Microsoft-Office-Welt bedienen können, setzen schon einige. Mit dem Gemeinschaftsprojekt Mendocino von SAP und Microsoft sollen die User bald direkt über Word, Excel oder Outlook auf SAP-Anwendungen zugreifen können. Für Aufgaben wie das Personalwesen, Budgetkontrolle, Kundenverwaltung oder Projektmanagement ist das sehr praktisch.Ebenfalls eine nahtlose Integration von CRM- und ERP-Funktionalitäten in Outlook bietet nun Data Systems Austra mit Jet Workplace CRM.
ERP-Newcomer. Während sich am österreichischen Markt - abgesehen vom Einstieg der IT-Größen ins KMU-Segment - wenig tat, sorgte die KTW-Group aus Tirol im Vorjahr für reichlich Aufsehen. Gerade in Zeiten, in denen ERP-Hersteller über die mangelnde Lust der Unternehmen, in ihre IT zu investieren, klagten, startete die Softwarefirma mit einem gänzlich neuen ERP-Produkt. Die nun fertig entwickelte Komplettlösung Semiramis 4.0 ist seit Herbst 2004 am Markt. »Wir haben rund 70 Millionen Euro investiert, um eine Lösung zu schaffen, die es damals noch nicht gab. Sie sollte einfach zu bedienen und mit umfangreichen Funktionalitäten versehen sein«, erklärt KTW-Gründer Reinhold Karner. Helmuth Gümbel, Analyst von Strategy Partners, meinte zu Semiramis schlicht: »Es ist schon verrückt, SAP hat die Architektur des künftigen Microsoft-ERP-Produkts, Microsoft hat die Kunden- und Partnerbasis, die SAP gerne hätte, und die KTW-Group hat das Produkt, das am besten zur SAP-Strategie passt.« Am Markt ist das neue Produkt freilich noch nicht stark verbreitet. Dafür gilt es derzeit als eines der modernsten ERP-Produkte. Das rund achtzigköpfige Softwareentwicklungsteam musste nämlich auf alte Entwicklungen keine Rücksicht nehmen und setzte voll auf Java. Mitgeliefert werden CRM, Data-Warehouse, Dokumenten- und Workflow-Management, Administrationstools, Output-Management und umfangreiche Sprachunterstützung fürs Business.
Zufriedenheit. Die Zukunft ist schön, wie soll man aber nun jetzt den passenden Hersteller und Implementierungspartner für eine ERP-Lösung finden? Einen neuen Ansatz bringt die Studie der Zürcher i2s GmbH und von ADV Wien, die sich die Anwender-zufriedenheit von ERP- bzw. Businesssoftware vorgenommen haben. Einige Produkte wie SAP Business One, Oracle, Data Systems Austria, Exact oder Semiramis waren bei dieser ersten großen Umfrage nicht dabei. Gleich vorweg: Als Sieger ging die Lösung abas Business Software hervor und die meisten Produkte konnten bei der Zufriedenheit mit dem System und den Implementierungspartnern mit den Noten gut bis sehr gut abschneiden. Unzufrieden waren die Kunden vor allem mit Infor COM und ebenfalls weniger glücklich mit b2 (kompakt/industry/trade). Nur mit 3,5 von fünf Punkten wurden die Implementierungspartner von Microsoft Business Solutions Axapta bewertet. Etwas, aber nicht viel besser, schnitt der SAP-Klassiker R/3 ab.Direkt lassen sich die unterschiedlichen Lösungen freilich nicht vergleichen, da die Komplexität der Produkte stark variiert - ebenso die Unternehmensgröße. »Es handelt sich dabei um eine Momentaufnahme«, so Studienautor Christoph Weiss, »es kann sein, dass heute und morgen die Systeme unterschiedlich bewertet werden. Aber klare Tendenzen zeigen sich trotzdem.« Befragt wurden auch die allgemeinen Zufriedenheitsaspekte. Ganz schlecht schnitt dabei das Thema Formulare und Auswertungen ab. Weitere Negativthemen waren Schnittstellen, Eigenentwicklungen, Projektmanagement, Zeitplan und Kosten. Das durchschnittliche Alter der Installationen war übrigens rund fünf Jahre, jeder zweite Anwender will in den nächsten Jahren auf ein neues System umsteigen.
Klein beginnen. KMUs sollten laut Weiss zuerst mit kleineren Projekten beginnen und nicht nur bei der Auswahl, sondern auch bei der Einführung und dem Controlling externe Berater heranziehen. »Eine Gefahr besteht darin, dass versucht wird, alles in ein System zu packen«, warnt Weiss, »es ist oft besser, manche Aufgaben mit Spezialprodukten abzudecken«.Ob man nun eher auf einen kleinen, lokalen oder internationalen Hersteller setzen soll, hängt stark von den Anforderungen ab. Auch wenn die großen Hersteller immer wieder betonen, dass die Kleinen nicht mit der Entwicklung mithalten können, sind ihre Produkte oft moderner und meist sehr genau auf die Anforderungen gewisser Kundenkreise abgestimmt. Wichtig für das ERP-Glück ist es, Besuche bei Referenzkunden zu machen und Gespräche mit Anwendern zu führen. Da erfährt man dann, was in Hochglanzprospekten und IT-Veranstaltungen verschwiegen wird.