Raus aus dem Kastldenken
- Written by Martin Szelgrad
- font size decrease font size increase font size
Dass sich die E-Wirtschaft völlig neu aufstellen muss, das ist für Barbara Schmidt, Generalsekretärin des Branchenverbandes Oesterreichs Energie, keine Frage mehr. »Die Liberalisierung und das daraus hervorgegangene Unbundling haben zu einem – nicht ganz freiwilligen – Kastldenken bei den Betreibern geführt«, warnt sie. Für eine stabile Energiezukunft müssten die beiden getrennten Bereiche Netzbetrieb und Energieerzeugung zumindest strategisch besser zusammenarbeiten. Andernfalls könnte trotz der vielgerühmten ausfallsicheren Infrastruktur die Versorgungssicherheit auch in Österreich in Diskussion geraten. Dennoch ist sie zuversichtlich, dass die heimische Energiewirtschaft die Wende schafft. »Wir befinden uns ja mittendrin und brauchen eigentlich die Welt nicht neu zu erfinden«, weist Schmidt auf zahlreiche laufende Innovationsprojekte der Branche in Österreich und Europa hin.
Die Technologien der Energiewende in der Elektrizitätswirtschaft gehen weit über Investitionen in Ökostromanlagen und neue Netze hinaus. »Energiewende bedeutet mehr als der Ersatz fossiler Brennstoffe durch erneuerbare Energien. Energiewende bedeutet einen Paradigmenwechsel«, stellt Salzburg AG-Vorstand Leonhard Schitter klar. Er steht dem Bereich Forschung und Innovation im Branchenverband vor und sieht Flexibilisierung und Digitalisierung als Gebote der Stunde. Erzeuger und Abnehmer sollen so gesteuert werden, dass Lastspitzen in den Netzen abgefangen werden – und die Netze nicht teuer ausgebaut werden müssen. »Investitionen werden auf Niederspannungsebene im Ortsnetz nicht ganz vermeidbar sein. Smart Grids können allerdings helfen, den Leitungsausbau in den übergeordneten Netzbereichen möglichst lange zu vermeiden.«
Beispiele in Frankfurt
Viele Zukunftstechnologien der E-Wirtschaft haben den Praxistest bereits bestanden. Das zeigen auch Anwendungsbeispiele des Energieunternehmens Mainova mit Sitz in Frankfurt am Main, das schon seit längerem auf innovative Technologien setzt. »Unsere Erfahrungen mit den eingesetzten Technologien sind sehr ermutigend«, erklärt Technikvorstand Peter Birkner anlässlich eines Informationstages im Mai. Für die Verwendung von überschüssigem Strom bieten sich Technologien wie Power-to-Heat und Power-to-Gas an. Laut Mainova könnte das deutsche Gasnetz bei einem Wasserstoffanteil von 5 % den überschüssigen Windstrom Deutschlands von bis zu 30 Tagen speichern. »Erst vor wenigen Wochen nahm Mainova im Frankfurter Heizkraftwerk Niederrad eine 1,2 Mio. Euro teure Power-to-Heat-Anlage in Betrieb, die aus temporär überschüssigem Ökostrom wirtschaftlich Fernwärme erzeugen kann«, so Birkner. In dem Gerät wird Wasser mit einem Druck von bis zu 14 bar auf bis zu 130 Grad Celsius erhitzt und anschließend direkt ins Frankfurter Fernwärmenetz eingespeist. Versorgt wird mit der neuen Anlage primär der Flughafen Frankfurt. Während des Sommers kann sie dessen Wärmebedarf zu etwa einem Drittel decken und damit die Verbrennung von rund 800 Litern Heizöl pro Stunde samt den damit verbundenen CO2-Emissionen vermeiden. Da die Power-to-Heat-Anlage hochdynamisch ist, kann sie zudem Regelenergie bereitstellen.
Auch bei der Ökostromerzeugung geht Mainova neue Wege. Bereits seit Oktober 2012 betreibt das Unternehmen eine Versuchsanlage, in der organische Solarzellen zum Einsatz kommen. Anders als kristalline Solarzellen auf Basis von Silizium können die organischen Materialien auf Basis von Kohlenstoff auch aus diffusem Licht elektrische Energie produzieren. Auch lassen sich die semi-transparenten Kunststofffolien baulich erheblich flexibler einsetzen als die herkömmlichen starren Photovoltaikmodule. In ihrer Pilotanlage hat die Mainova mit durchsichtiger Kunststofffolie bespannte Elemente eingesetzt. Bisher werden die vom Hersteller zugesagten Parameter eingehalten und es treten keine Degenerierungseffekte auf. Die Pilotanlage arbeitet mit einem Wirkungsgrad von etwa 3 %. Mittlerweile werden organische Solarzellen in Kleinserien mit einem Wirkungsgrad von 5 % und einer Lebensdauer von 20 Jahren produziert. Viel ist es noch nicht, aber das Potenzial dieser Technologie ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft.