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Der Preis der Freiheit

\"SchonRund 56 Prozent der österreichischen Betriebe sind Ein-Personen-Unternehmen. Sie arbeiten auf eigenes Risiko und kämpfen mit bürokratischen Stolpersteinen. Der Traum von der Unabhängigkeit ist hart verdient – aufgeben möchte ihn jedoch kaum jemand.

Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Die auf Produktion ausgerichtete Ökonomie geht in eine Wissensökonomie über. Nicht mehr greifbar Materielles steht im Mittelpunkt der Wertschöpfung, sondern Wissen als strategische Ressource für Dienstleistungen. Das schlägt sich auch in der Wirtschaftsstruktur nieder: Dominierten vor wenigen Jahrzehnten industrielle Großbetriebe die Unternehmenslandschaft, ist seit etwa 15 Jahren ein stetiger Anstieg von Klein- und Kleinstunternehmen zu bemerken.

In Österreich gibt es 240.000 Ein-Personen-Unternehmen (EPU), dazu kommen noch einmal 40.000 sogenannte »Neue Selbstständige«. Schon die Bezeichnung ist ein grammatikalischer Fehlgriff – streng genommen müsste es »Eine-Person-Unternehmen« heißen. Und unterschwellig schwingt mit diesem Unwort auch ein Hauch von naiver Träumerei und betriebswirtschaftlichem Unvermögen mit. Denn wäre ihre Geschäftsidee so erfolgreich, hätten sie nicht längst wenigstens einen Mitarbeiter?
Tatsächlich sind nicht alle von ihnen Unternehmer aus Leidenschaft und Überzeugung, wenn auch der überwiegende Teil. Nach einer Studie der KMU Forschung Austria wollten sich 72 % »selbstverwirklichen«. 73 % nannten als Motive flexible Zeiteinteilung und Unabhängigkeit, 44 % möchten Familie und Beruf besser vereinbaren können. Eher unfreiwillig in die Selbstständigkeit gedrängt wurden jene 29 %, die in ihrem früheren Beruf keine Aufstiegsmöglichkeiten sahen oder einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit suchten (17 %). Wenn man so will, Unzufriedenheit im weitesten Sinn – was wiederum ein interessantes Licht auf traditionelle Unternehmensstrukturen wirft, die offensichtlich einer steigenden Zahl von Menschen zu wenig Perspektiven oder Gestaltungsspielräume bieten.

>> Von der Hand in den Mund <<

Die Freiheit ist hart verdient. Phasen mit großem Zeitdruck und Wochenendarbeit wechseln mit Durststrecken, in denen um jeden kleinen Auftrag gerungen wird. Im Krankheitsfall wird bis zum Umfallen gearbeitet, um nur ja keinen Kunden zu verlieren. Absicherung gibt es ebenso wenig wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld. Selbstständige leben von der Hand in den Mund, sie sind nach den Hilfsarbeitern die am häufigsten armutsgefährdete Gruppe. Das Medianeinkommen betrug laut Statistik Austria 2007 – neuere Daten wurden seither nicht veröffentlicht – rund 11.100 Euro. In der Umfrage der KMU Forschung Austria setzte ein Fünftel der Einzelunternehmer ihr Jahreseinkommen unter 10.000 Euro an, ein Viertel der EPU erzielte 2010 einen Umsatz zwischen 10.000 und 30.000 Euro.
Die starken Einkommensschwankungen bereiten auch IT-Spezialist Bernhard Knibbe oft Kopfzerbrechen. In guten Jahren verdiente er mit der Entwicklung von Softwarelösungen für Biotech-Unternehmen 60.000 Euro, in schlechten waren es auch mal nur 15.000. »Nur davon allein zu leben, hätte ich nicht geschafft«, erklärt der dreifache Vater. »Man muss permanent Angst haben, dass kein Folgeauftrag kommt oder ein Produkt sich nicht so entwickelt wie erhofft.« Eine befristete Teilzeitanstellung am Institut VIAS, einer interdisziplinären Forschungsplattform für Archäologie an der Uni Wien, bietet dem studierten Biotechnologen momentan etwas Rückhalt, »nebenbei« baute er sich ein drittes Standbein als IT-Lehrbeauftragter bei AMS-Kursen auf.

>> Voller Einsatz <<

Große Flexibilität verlangt sich auch Wolfgang Müller ab. Der Grafiker wagte den Sprung in die Selbstständigkeit, als er nach 27 Jahren gekündigt wurde. Seit 2003 hält er sich mit der Gestaltung von Foldern und Plakaten, Webdesign sowie Fotoaufträgen recht erfolgreich über Wasser. Der Einsatz für seine Kunden, verbunden mit vielen Nacht- und Wochenendschichten, geht oft gesundheitlich an die Substanz. Trotzdem möchte Müller keinesfalls mehr in eine feste Anstellung wechseln: »Da müsste schon alles zusammenbrechen.« Letztlich würden die Vorteile – Unabhängigkeit, Kreativität, freie Zeiteinteilung – überwiegen. Nimmt die Arbeit überhand, lehnt Müller inzwischen auch einmal einen Auftrag ab: »Ich habe gelernt, Nein zu sagen.«

Trotz guter Auftragslage bleibt Müller Einzelkämpfer, für einen Mitarbeiter ist die Suppe dann doch zu dünn. Das AMS bietet zwar diesbezüglich eine eigene Förderung (»Mein/e erste/r Mitarbeiter/in«), angesichts der unsicheren Wirtschaftslage erscheint dieser Schritt jedoch vielen Einzelunternehmern zu riskant. Für die »fahrende« Fußpflegerin Sandra Wukowits, die ihre KundInnen zu Hause oder im Pflegeheim aufsucht, kommt ein weiterer Aspekt dazu: »Eine Mitarbeiterin müsste den gleichen Einsatz zeigen wie ich. Bleibt sie zu Hause, nur weil sie sich nicht wohlfühlt, ist das ein Problem – ich kann ja nicht zwei Kunden gleichzeitig bedienen.« Den Gedanken an ein Geschäft mit einem fixen Standort hat sie deshalb immer wieder verworfen. »Wenn du für dich selbst verantwortlich bist, gehst du auch mit Fieber arbeiten. Der einzige Tag, an dem ich Termine abgesagt habe, war, als mein Opa gestorben ist.« Berufstätige Kund­Innen schätzen vor allem die Abendtermine, dafür leistet sich Wukowits den Luxus freier Wochenenden. Diese Unabhängigkeit – als ihre drei Töchter noch jünger waren, eine Notwendigkeit – möchte sie heute nicht mehr missen.

>> Schwankendes Einkommen <<


Einmal den Traum verwirklicht, wollen die meisten »Ich-AGs« ihre Unabhängigkeit nie mehr aufgeben. Der Grat zwischen Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung ist jedoch schmal. Schon die Sozialversicherung bringt jedes Jahr zahlreiche Kleinstunternehmen in die Bredouille. Die Mindestbeitragsgrundlage – die rund die Hälfte der EPU betrifft – beträgt 671,02 Euro und wird auch fällig, wenn die Einkünfte gering ausfallen oder sogar Verluste geschrieben werden. Zum Vergleich: Unselbstständig Beschäftigte sind erst ab der Geringfügigkeitsgrenze von 376,26 Euro pro Monat sozialversicherungspflichtig. Die geplante Senkung der Mindestbeitragsgrundlage wurde auf 2018 verschoben.

2011 konnten rund 250.000 Selbstständige, das sind 52 % aller Unternehmen, ihre Sozialversicherungsbeiträge nicht pünktlich bezahlen und mussten deshalb Verzugszinsen in Höhe von insgesamt 31,8 Millionen Euro an die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) entrichten. »Das ist eine besorgniserregende Entwicklung und trifft insbesondere die große Gruppe der Ein-Personen-Unternehmen. Das Sozialversicherungssystem nimmt keine Rücksicht auf die stark schwankende Auftrags- und Einkommenssituation«, kritisiert Ruperta Lichtenecker, Wirtschaftssprecherin der Grünen, die Zinssatzerhöhung der Sozialversicherung im Zuge des Sparpakets. Während die Stundungszinsen des Finanzamts lediglich 4,66 % betragen, stieg der Verzugszinssatz der SVA von 6 auf 8,88 %. Das kann sich fatal auswirken, denn obwohl viele Kleinstunternehmen im Jahresschnitt zumeist einen wirtschaftlichen Erfolg verbuchen, können sie in den einzelnen Quartalen ihre Beitragszahlungen nicht rechtzeitig erfüllen. Rücklagen zu bilden, ist nicht immer leicht. »Wenn dann auf diese Nachzahlungen auch noch satte Verzugszinsen aufgeschlagen werden, dann werden die Selbstständigen in eine existenzbedrohende Abwärtsspirale von Schulden, Ratenzahlungen und schlimmstenfalls in die Exekution gedrängt«, ergänzt Lichtenecker. Auf Kulanz seitens der SVA brauchen die Betroffenen nicht zu hoffen: 2011 wurden lediglich in 338 Härtefällen die Verzugszinsen zumindest teilweise erlassen.

>> Qualität zählt <<

»Die Sozialversicherung macht ein Drittel meines Einkommens aus«, bestätigt die Geigenbauerin Henriette Lersch. »Es gab schon Zeiten, in denen ich schlecht geschlafen habe. Aber es ging sich immer irgendwie aus, und jetzt kommen die Kundenaufträge schon regelmäßiger.« Nach ihrer Lehr- und Gesellenzeit in Deutschland zog es die Handwerkerin für mehrere Jahre zu berühmten Geigenbauern nach Utrecht und New York, bis sie 2008 wieder in Wien sesshaft wurde. In der kleinen, hellen Werkstatt in der Wiener Marxergasse kann sie nun endlich ihre eigene Philosophie von Restaurierung und Neubau der edlen Instrumente verwirklichen. Anfangs übernahm sie noch für Kollegen Arbeiten, dank Mundpropaganda verfügt Lersch jedoch inzwischen selbst über einen soliden Kundenstock. Ihr Feingefühl und der Ansatz, einem alten Instrument seine Eigenheiten zu lassen, hat sich auch unter Profimusikern großer Orchester herumgesprochen. Rund 400 Arbeitsstunden stecken in einem neuen Cello, da wären zwei helfende Hände manchmal nicht schlecht. »Ein Mitarbeiter kostet mich mindestens 40.000 Euro pro Jahr, das geht momentan noch gar nicht«, meint Lersch, die mit einem Förderkredit der Wirtschaftskammer in Höhe von 7.000 Euro tatsächlich »klein« anfing. »Anstrengend ist, dass ich mich jetzt um alles selbst kümmern muss: vom Einkauf des Materials, Kundenakquise, Buchhaltung, Ordnung in der Werkstatt bis zur Organisation von Veranstaltungen«, erklärt die Geigenbauerin. »In den ersten Jahren habe ich auch abends sehr viel gearbeitet, weil ich alles zeigen wollte. Es genügt aber, wenige gute Sachen anzubieten.«

Auf hohe Qualität setzt auch Johannes Gruber. Der gelernte Weinbauer betreibt seit mehr als zehn Jahren im oststeirischen St. Magdalena am Lemberg eine Wander­imkerei. Bis zu dreimal pro Saison packt er seine Bienenvölker in den VW-Bus und siedelt die summende Fracht an einen der 20 Standorte um, wo entsprechend der Blühzeiten wieder neue Futterquellen warten. In den Sorten- und Lagenhonigen, die Gruber unter der Marke »Rennhofer« in exquisiten Wiener Feinkost- und Bioläden und via Internet sogar bis Japan vertreibt, finden sich Düfte und Geschmacksnuancen dieser Pflanzenvielfalt wieder. Mit der Sturheit eines Bergbauernsohns trotzte er so manchen bürokratischen Hürden: »Wenn man heute mit einer Landwirtschaft starten will, wird man schon blöd angeschaut. Von der örtlichen Bauaufsicht angefangen, werden einem von allen Prügel in den Weg gelegt.« Inzwischen beleben auch 80 Weidegänse die beschauliche Idylle am Hof. Um den Tieren immer frisches Gras zu bieten, wird die Umzäunung täglich umgesteckt. Die Nachfrage, auch aus der Spitzengastronomie, ist riesig; sämtliche »Martinigansln« sind jedoch seit drei Monaten vorreserviert. Trotzdem will der »Lebensmittelunternehmer«, wie seine Berufsbezeichnung streng nach EU-Richtlinien lautet, diesen Geschäftszweig nicht weiter ausbauen: »Pro Hektar kann ich nur 100 Gänse halten. Wenn ich Grünflächen dazupachten muss, sind die Deckungsbeiträge zu hoch.« Auch für seine Honigproduktion setzte sich Gruber ein Limit von zehn Tonnen pro Jahr. Seinen Nebenerwerbsjob im Vertrieb für ein biodynamisches Weingut hängt er zu Jahresende an den Nagel, um sich unterstützt von seiner Lebensgefährtin ausschließlich seiner Landwirtschaft zu widmen: »Ich möchte nie mehr fremdarbeiten und auch keine Fremdarbeitskräfte beschäftigen.«

 

>> Fakten:

> Unternehmensgründer werden in den ersten drei Jahren auf die Mindestbeitragsgrundlage von 537,78 Euro pro Jahr eingestuft. Der monatliche Mindestsatz von 151,73 Euro setzt sich aus den Beiträgen für Pensionsversicherung (94,11 Euro), Krankenversicherung (41,14 Euro), Unfallversicherung (8,25 Euro) und Selbstständigenvorsorge (8,23 Euro) zusammen. Übersteigen die Einkünfte des ersten Jahres die Mindestbeitragsgrundlage, kommt es im vierten Jahr zu einer Nachforderung in vier Teilbeträgen. Gleichzeitig erfolgt die Einstufung für das vierte Jahr, ab diesem Zeitpunkt sind die Beiträge im Voraus zu entrichten. Die Mindestbeitragsgrundlage beträgt für Gewerbetreibende ab dem vierten Jahr 671,02 Euro.

> Gewerbetreibende, die unter die Kleinstunternehmerregelung fallen (Jahresumsätze unter 30.000 Euro, Einkünfte unter 4515,12 Euro sowie weitere Voraussetzungen) können von der Pensions- und Krankenversicherung befreit werden und zahlen nur den geringsten Beitrag zur Unfallversicherung. Sie erwerben jedoch auch keine Pensionsversicherungszeiten.

> Die Höhe des Selbstbehaltes bei Arztbesuchen kann durch gesundheitsbewussten Lebensstil von 20 auf 10 % halbiert werden. Gemeinsam mit dem Hausarzt werden Ziele definiert – z.B. Gewicht reduzieren, regelmäßige Bewegung, Tabak und Alkohol vermeiden, Blutdruck senken – und nach einem halben Jahr, später erneut nach zwei bis drei Jahren, überprüft. Im ersten Halbjahr 2012 unterzogen sich bereits mehr als 35.500 Selbstständige einer Vorsorgeuntersuchung.

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