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Plattformen im Osten

\"GrundsatzfrageZunächst wurden vor allem interne Bereiche in Shared Service Center (SSC) nach Osteuropa verlagert.

In der zweiten Welle sollen diese als Produktionsplattformen weitere Kostenvorteile generieren, aber auch das regionale Know-how bündeln. Standortwahl, Organisationsform und Prozessoptimierung sind für das Gelingen des Unterfangens essenziell.

 

Österreich und Deutschland trennt nichts mehr als die gemeinsame Sprache. Den Balkan trennt darüber hinaus die gemeinsame Vergangenheit. „Man denkt, hier sind alle nah an einer Sprache, aber in Wirklichkeit sind es völlig unterschiedliche Länder“, erinnert sich Andreas Henzl, Head of IT & Organization bei Coface Austria, an die mühselige Standortwahl in Osteuropa. „Die historischen und kulturellen Auseinandersetzungen wirken bis heute nach“, so Henzl – etwa weigerten sich die Slowenen beharrlich, von Kroatien aus bedient zu werden.  Es half alles nichts, der Kreditversicherer Coface war fest entschlossen, seine osteuropäischen Niederlassungen im Rahmen der Coface Central Europe Holding AG neu zu strukturieren.

Die bisher selbstständigen Länderorganisationen sollten zu drei sogenannten „Hubs“ zusammengefasst, die Prozesse standardisiert werden. Mit dieser Clusterlösung verfolgte die Konzernleitung drei ambitionierte Ziele: Kostensenkung, Qualitätssicherung und Senkung des operativen Risikos. „Als größte Herausforderung erwies sich die Sprache“, berichtet Andreas Henzl. Welche Länder sollte man zusammenfassen? Wäre es besser, einen bestehenden Standort aufzuwerten oder eine neue Zentrale zu gründen? Und welche Bereiche sollten überhaupt zentralisiert werden?

Prozesse im Wandel

Standen in den 80er-Jahren die Weichen noch Richtung Dezentralisierung, stellte sich  die Zersplitterung in Teilgesellschaften spätestens Anfang der 90er-Jahre als Pferdefuß heraus. Die Einführung integrierter Prozesse, wie zum Beispiel Qualitätsmanagementsysteme, erforderte einheitliche IT-Systeme. Als nächster Trend in der Unternehmensorganisation folgte Outsourcing. Um die Konzen­tration auf das Kerngeschäft zu ermöglichen, wurden Dienstleistungen zunehmend an externe Anbieter ausgelagert – Kontrollverlust und Probleme mit dem Datenschutz waren unangenehme Begleiterscheinungen.

Shared Service Center sollen nunmehr die Vorteile externer Dienstleister und interner Mitarbeiter verbinden. Kostenvorteile können sich dabei durch die Zusammenlegung gleichartiger Prozesse, niedrigere Löhne und Gehälter sowie Einsparungen bei Miet-, Telekommunikations- oder Reisekosten ergeben. In der ersten SSC-Welle zentralisierten Unternehmen vorwiegend interne Services wie IT oder Buchhaltung. Problematisch erwiesen sich von Beginn an die geringere Kunden- und Marktnähe, die Qualitätssicherung und die Motivation der Mitarbeiter. Viele Unternehmen klagen über die hohe Fluktuation in der Belegschaft und die Schwierigkeit, in den osteuropäischen Wachstumsmärkten überhaupt qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Experten raten inzwischen, beim Recruiting weniger Wert auf Kompetenzen als auf die Bereitschaft zu Veränderungen zu legen. Mitarbeiter, die sich stark mit dem Unternehmen identifizieren, würden sich auch bei Umstrukturierungen loyal zeigen.

Sprachenmix

Da nun die anfänglichen Kinderkrankheiten überwunden scheinen, ortet Markus Imgrund, Senior Project Manager der Unternehmensberatung Horváth & Partners, „zunehmende Wettbewerbsorientierung der Unternehmen“. Als beliebteste Standorte für das Ostgeschäft kristallisierten sich Prag, Bratislava und Budapest heraus. Diese Plattformen dienen inzwischen nicht mehr als bloße Nebenstelle, sondern bündeln – im Zuge einer „Georegionalisierung“ – das regionale Know-how. „Hier zeichnet sich eine neue Entwicklung ab: die Betreuung dieser Länder und Tochterunternehmen in CEE für CEE“, meint Imgrund.

So überlegt etwa die Allianz, seit 2006 mit einem SSC in Bratislava ansässig, ihre Kompetenzen auch für Endkunden auszuweiten. Mit dem länderübergreifenden IT-Zentrum war der Versicherungskonzern ein Vorreiter in der Branche. Für neun Allianz-Tochterunternehmen werden von der slowakischen Hauptstadt aus Wartung und Fehlerbehebung koordiniert. Auch Finanzbuchhaltung und Rechnungswesen laufen in diesem Knotenpunkt zusammen – jede offene Rechnung, ob aus Moskau oder Zagreb, wird von Bratislava aus bezahlt. Damit erspart sich das Versicherungsunternehmen Kosten in Millionenhöhe. Kenntnisse über steuerliche und rechtliche Besonderheiten der einzelnen Länder sind für die durchwegs mehrsprachige Belegschaft Pflicht. Die Betreuung von Endkunden stößt dennoch an sprachliche Grenzen: Englisch als Universalsprache würde dann nicht mehr ausreichen. Trotz Sprachenmix – die rund 100 Mitarbeiter stammen aus zwölf verschiedenen Nationen – ist der organisatorische Aufwand enorm.

Der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé investiert 25 Millionen Schweizer Franken in ein Servicecenter in Lviv, dem früheren Lemberg, in der Westukraine und wird künftig mehr als 20 Länder in Mittel- und Osteuropa von dort aus betreuen. Nestlé war schon bisher in der Region ein Big Player und dominiert den Markt vor allem in den Segmenten Schokolade, Kaffee und Babynahrung. Erstmals werden in dem Center auch Finanz- und Personalmanagement gebündelt. Außerdem sind umfangreiche Kooperationen mit den örtlichen Bildungseinrichtungen geplant.

Personalproblem

Für Coface – in den Geschäftsbereichen Kreditversicherung, Bonitätsprüfung, Inkasso und Factoring tätig – erwies sich die Entscheidung, die Prozesse in der IT bereits vor dem Transfer zu optimieren, als richtig. So wurden zunächst die Workflows in Ungarn analysiert und eine Kopie der ungarischen Produktionseinheit in Rumänien implementiert.  Um drohendem Kundenverlust entgegen zu wirken, setzte der Konzern auf aktive Kommunikationspolitik. „Wenn es Kunden später selbst  bemerken, kommt das gar nicht gut an“, meint Andreas Henzl. „Dann hab ich zwar ein SSC in Bratislava, aber keine Kunden mehr, weil die von dort aus nicht betreut werden wollen.“ Durch die gezielte Information verzeichnet das Unternehmen heute ein überwiegend positives Kundenfeedback und höhere Erfolgsraten, obwohl beispielsweise das Inkasso in Rumänien nun von Ungarn aus abgewickelt wird.  Die Standortwahl für die drei Hubs fiel auf Kroatien (für die Balkanregion), Rumänien (für Ungarn, Bulgarien, Tschechien und Slowakei) und Polen (Baltikum, Ukraine). Trotz einiger Synergien, z.B. viele ungarischsprachige Arbeitskräfte in Rumänien, blieb eines der größten Probleme, „entsprechende Leute zu finden“, sagt Henzl. Trainingsphasen wurden über mehrere Monate einkalkuliert und das kontinuierliche Monitoring durch Videokonferenzen und Vor-Ort-Trainings ergänzt. Das Ziel einer Kostensenkung konnte bei diesem Aufwand nicht immer erreicht werden, zumal die Lohnkosten in Ungarn oder Bulgarien inzwischen kaum günstiger als in Rumänien sind. Gespart wurde dafür in der Führungsebene: „Pro Cluster gibt es einen Plattformleiter und in manchen Ländern gar keinen lokalen Manager mehr“, so Henzl. „Das funktioniert so auch.“

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