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Zuzug mit Hindernis

Ab 1. Mai wird vieles anders.

Dann haben auch Einwohner der osteuropäischen EU-Staaten unbeschränkten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt. Zwei Monate später ändert Österreich die Bedingungen für die Zuwanderung aus Drittstaaten: Die Rot-Weiß-Rot-Karte regelt künftig den Zuzug nach Kriterien statt nach Quoten, um dringend benötigte Fachkräfte nach Österreich zu locken. 

Anfang Mai ist es so weit: Die Grenzen nach Osten sind erstmals wirklich offen. Dann können Bürger aus der Slowakei, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Polen und den baltischen Staaten ohne Beschäftigungsbewilligung in Österreich arbeiten. Nur für Rumänien und Bulgarien, die erst 2007 der EU beitraten, wurde die Übergangsfrist bis Ende 2013 verlängert.

Die Fristen hatten sich neben Österreich auch Deutschland, Belgien und Dänemark 2004 als Teil der Beitrittsverträge der zehn neuen EU-Länder ausverhandelt. Diese Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern aus Mittel- und Osteuropa sollte den Arbeitsmarkt der »alten« EU-Mitglieder schützen. In drei Etappen wurden im Verlauf der sieben Jahre die Schranken abgebaut, Belgien und Dänemark kippten die Restriktionen bereits 2009 zur Gänze. Nur Österreich und Deutschland hielten trotz mehrmaligen Ersuchens durch die EU-Kommission bis zuletzt an den Fristen fest und machten zudem als einzige Mitgliedsstaaten von der Verlängerungsmöglichkeit gegenüber Rumänien und Bulgarien Gebrauch. Dabei zeigten die EU-Kommissionsberichte schon 2006 und 2008 »keine ernsthaften Verzerrungen« auf den Arbeitsmärkten.

Auch das heimische Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) geht davon aus, dass »der große Migrationsdruck nach Österreich nicht bzw. nicht mehr zu erwarten ist«. »Viele Personen sind in andere Länder, nach Großbritannien oder Irland, gegangen«, sagt WIFO-Experte Klaus Novotny. Einige Grenzregionen, beispielsweise in Bratislava, verzeichneten im Gegenteil einen starken Wirtschaftsaufschwung, an dem auch Österreich partizipieren könne.

\"EU-KommissarLohndumping befürchtet

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist ein grundlegendes Recht aller EU-Bürger. Die ungehinderte Beschäftigung innerhalb der Union soll zum Wirtschaftswachstum beitragen und Jobs schaffen – in den »neuen«, aber auch in den »alten« Mitgliedsstaaten. Letztere befürchten jedoch Lohndumping und die Verdrängung der eigenen Bevölkerung aus dem Arbeitsmarkt. Für László Andor, EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration, sind diese Ängste übertrieben. Das Lohnniveau in Mittel- und Osteuropa würde sich bereits langsam angleichen. Großbritannien und Irland, die ihre Grenzen sehr früh für osteuropäische Arbeitnehmer geöffnet haben, hätten durch höheres Wirtschaftswachstum klar profitiert. »Die Osteuropäer haben die Nischen auf dem Arbeitsmarkt gefüllt«, so Andor, »die Sozialkassen wurden nicht be-, sondern entlastet.«

Durch den starken wirtschaftlichen Aufschwung in Osteuropa haben sich die Vorzeichen inzwischen umgekehrt. Ostdeutsche Arbeiter zieht es immer öfter in das aufstrebende Musterschülerland Polen, das die Wirtschaftskrise nahezu unbeschadet durchtauchte. Dennoch halten die Diskussionen in Deutschland weiter an. Die deutsche Bundesagentur für Arbeit rechnet mit zusätzlich 150.000 Osteuropäern auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Krise ist Vergangenheit – in fast allen Branchen werden händeringend Fachkräfte gesucht. Der Bundesverband Zeitarbeit erwartet für 2011 ein zweistelliges Wachstum, 2011 soll erstmals die Millionengrenze bei den in Zeitarbeit Beschäftigten überschritten werden. Angesichts dieser Prognosen fordert nun auch Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) einen Mindestlohn für Zeitarbeiter, möglichst noch vor Mai 2011.

In Österreich, wo praktisch für alle Branchen, auch für Zeitarbeitsverhältnisse, Kollektivverträge oder Mindestlöhne gelten, besteht diese­ Gefahr nicht. Trotzdem wird Anfang 2011 ein eigenes Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping beschlossen, das eine Bestrafung bei Unterbezahlung vorsieht. Sicher ist sicher – denn die Arbeitnehmerfreizügigkeit ermöglicht auch Firmen aus den östlichen Nachbarländern, mit ihren eigenen Mitarbeitern hier tätig zu werden. Zu im Herkunftsland üblichen Löhnen, was nicht nur für EU-weit vertretene Unternehmen, sondern auch für kleine Betriebe in Grenzregionen interessant sein könnte.

Derzeit liegen für Österreich allerdings noch kaum Schätzungen vor. Lediglich von 8.000 Arbeitspendlern aus der Westslowakei, die vorwiegend im Raum Wien und nahe der niederösterreichischen Grenze Arbeit suchen werden, war bisher die Rede. Von 2004 bis 2009 wanderten insgesamt 232.000 Menschen nach Österreich ein. Nur 35.400 Personen stammten aus den betreffenden Ländern, die 2004 der EU beigetreten waren. Von den rund 35.000 Menschen, die derzeit pro Jahr zuwandern, stammt etwa ein Drittel nicht aus der EU.

Punkte statt Quoten

Auch die dauerhafte Zuwanderung wird heuer neu geregelt. Ab 1. Juli 2011 tritt die Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR-Karte) in Kraft, die den Zuzug mittels Punktvergabe steuern soll. Bisher galten für Bürger aus Drittstaaten, also Nicht-EU-Ländern, starre Quoten, die unabhängig von Qualifikation oder Fachkräftebedarf den Aufenthalt in Österreich ermöglichten – oder nicht: War die Quote ausgeschöpft, gab es auch für Mangelberufe oder Schlüsselkräfte kein Pardon.

Mit der RWR-Karte will Österreich künftig genauer auswählen, wer kommen darf. Die »normale« Karte erlaubt die Niederlassung und Beschäftigung bei einem bestimmten Arbeitsgeber. Die »RWR-Karte plus« ermöglicht einen unbeschränkten Arbeitsmarktzugang und stellt ein Daueraufenthaltsrecht in Aussicht – auch für Familienangehörige und Menschen, denen humanitärer Aufenthalt gewährt wird. Für die Kriterien Jobqualifikation, Berufserfahrung, Alter und Sprachkenntnisse werden Punkte vergeben. Voraussetzung ist außerdem der Nachweis eines Mindesteinkommens, das sich an der ­ASVG-Höchstbeitragsgrundlage orientiert. Bei der Bewertung können insgesamt 100 Punkte erreicht werden. Durch die unterschiedliche Gewichtung ist der Antrag im Prinzip auch ohne Deutschkenntnisse möglich, da hochqualifizierte Bewerber in anderen Bereichen genügend Punkte sammeln. Dennoch sind Sprachkenntnisse für Innenministerin Maria Fekter eines der wichtigsten Kriterien: »Sie kennen mein Credo: Deutsch vor Zuzug.« Zum Spracherwerb sind Zuwanderer aus Drittstaaten aber ohnehin verpflichtet. Laut Integrationsvereinbarung muss jeder Nicht-EU-Bürger nach fünf Jahren Aufenthalt in Österreich Deutschkenntnisse nachweisen.

Drei Personengruppen stehen im Fokus der Neuregelung: Spitzenkräfte mit Hochschulabschluss (mindestens 70 Punkte), Zuwanderer mit hoher und mittlerer Qualifikation (50 Punkte) sowie Migranten aus Mangelberufen. Besonders gefragt sind seit Jahren Dachdecker und Schweißer, aber auch Fliesenleger, Elektroinstallateure und Krankenschwestern bekommen jederzeit einen Job. Das Sozialministerium erwartet über die RWR-Karte etwa 8.000 Zuwanderer pro Jahr – darunter 500 hochqualifizierte Personen, 2.000 aus Mangelberufen und 2.500 Schlüsselkräfte. Bis 2030 könnten auf diesem Weg 100.000 Fachkräfte nach Österreich geholt werden, schätzt Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner.

Für die Wiener Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger ist die Rot-Weiß-Rot-Karte nach wie vor »Flickwerk«. Die rot-grüne Stadtregierung bereitet deshalb einen »Wiener Vertrag« für Neuzuwanderer vor, der ein umfassendes Sprach- und Integrationsprogramm vorsieht. Die Charta soll bis Ende 2011 stehen und »Versäumnisse aus der Zeit der ersten Gastarbeiter«, die sich in den folgenden Generationen fortsetzten, so Frauenberger, endlich beseitigen.

\"bundesArbeitsministerinBegehrte Karten

Mit der RWR-Card wird gleichzeitig auch die EU-Richtlinie für die Blue Card umgesetzt, die ab 2011 den Aufenthalt von Migranten aus Drittstaaten in der EU regeln soll. Innenministerin Fekter hält die RWR-Karte für attraktiver als das EU-Pendant. Leicht ist auch die Blue Card, die maximal für fünf Jahre gilt, nicht zu bekommen. In erster Linie sollen Spitzenkräfte angelockt werden – entsprechend hoch sind die Bedingungen für den Antrag: Hochschulabschluss, fünfjährige Berufserfahrung, Arbeitsvertrag, überdurchschnittliches Gehalt.

Als Vorbild für die Blue Card diente die Green Card der USA, die unabdingbare Voraussetzung für eine Arbeitstätigkeit in den Staaten. Neben Angehörigen von US-Bürgern erhalten die Green Card vor allem Arbeitskräfte, die von US-Unternehmen angeworben werden. Geringere Chancen haben Flüchtlinge und Asylwerber. 50.000 Stück der begehrten Dokumente werden jährlich in der Diversity Lottery verlost, und zwar unter Bewerbern, aus deren Herkunftsland pro Jahr weniger als 50.000 Menschen in die USA auswandern.

Seit jeher als vorbildlich gilt das Einwanderungssystem Kanadas. Auch die Behörden in Ottawa verteilen Punkte, mindestens 67 von 100 Punkten sind für ein Visum erforderlich. Am höchsten bewertet werden Bildung und Berufserfahrung. Ein Doktortitel bringt 25 Punkte, ein einfacher Schulabschluss dagegen nur fünf Punkte. Für eine fixe Stellenzusage gibt es zehn Punkte. Gute Sprachkenntnisse in Englisch und Französisch werden mit bis zu 24 Punkten honoriert.
Ganz ähnlich hat Australien die Punktevergabe gewichtet. Bewerber können unter Kriterien wie Bildung, Qualifikation und Sprache 120 Punkte erreichen. Den größten Vorteil haben jedoch junge Einwanderer: Wer zwischen 18 und 29 Jahre alt ist, bekommt gleich 30 Punkte gutgeschrieben.

Unbeliebtes Österreich

Mit einer Green Card war auch Deutschland vor zehn Jahren als Vorreiter in Europa vorgeprescht. Medienwirksam präsentierte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Eröffnung der Computermesse CeBit ein »Sofortprogramm zur Deckung des IT-Fachkräftebedarfs«. Knapp 18.000 Hightech-Spezialisten, vorwiegend aus Indien, Russland und Rumänien, wanderten bis Ende 2004 zu, mehr als 8.000 davon bereits im ersten Jahr. Mit dem Platzen der New-Economy-Blase sank auch die Nachfrage nach IT-Kräften deutlich.

Den strukturellen Fachkräftemangel der Branche löste die deutsche Green Card nicht. Erstmals seit Jahrzehnten wurden Migranten aber wieder als Gewinn für die gesamte Volkswirtschaft empfunden. 2005 gliederte die rot-grüne Regierung die Green Card in ein neues Zuwanderungsgesetz ein, das gut ausgebildeten Arbeitnehmern aus Nicht-EU-Staaten die Niederlassung in Deutschland erleichtert. Das Interesse hält sich dennoch in Grenzen. Nach Angaben des deutschen Bundesamtes für Migration machten im Jahr 2009 nur 689 Personen von der Regelung für hochqualifizierte Fachkräfte Gebrauch, 248 befristete Arbeitsgenehmigungen wurden für Forscher erteilt.

Sorge bereitet den Behörden auch die Tatsache, dass 80 Prozent dieser Spitzenkräfte ohnehin nur vorübergehend in Deutschland bleiben wollen. Wie Österreich ist auch Deutschland für diesen Personenkreis kaum interessant. Kanada, Australien, aber auch die USA gelten als weitaus attraktiver. Nicht nur wegen der Sprache. Denn in Europa zählen neben Großbritannien auch die Niederlande und die skandinavischen Staaten zu den beliebtesten Destinationen für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Diese Länder haben in den vergangenen Jahren die Arbeitsmigration stark gefördert – statt wie Österreich und Deutschland die Grenzen dichtzumachen. Dass ausländische Schulabschlüsse und Ausbildungen meist nicht voll anerkannt werden, bleibt hierzulande auch in Zukunft ein ungelöstes Problem, das interessierte Migranten wohl weiterhin abschreckt. Wer es sich aussuchen kann, geht dort hin, wo der Weg weniger steinig ist.

 

 

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