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"Es ist schwierig, in die Zukunft zu schauen"

Marc Hall, Wiener Stadtwerke, will stärker auf Wettbewerb am Gasmarkt setzen. (Foto: Wiener Stadtwerke) Marc Hall, Wiener Stadtwerke, will stärker auf Wettbewerb am Gasmarkt setzen. (Foto: Wiener Stadtwerke)

Marc Hall, Vorstandsdirektor für den Bereich Energie in der Wiener Stadtwerke Holding, im Report-Gespräch über Herausforderungen in der Energiepolitik der Stadt Wien, organisatorische Verbesserungen und ein europäisches Ziel am Gasmarkt.


Report: Herr Hall, was war zuerst da: die Idee, die Netze Strom, Gas und Fernwärme auf Managementebene bei Wien Energie zusammenzuführen, oder Ihr Engagement als neuer Energievorstand?


Marc Hall:
Die Idee ist nichts Neues und auch nicht meine Erfindung. Solche Zusammenführungen sind in anderen Unternehmen und anderen Ländern längst etabliert. Vor Beginn der Netzregulierung waren die verschiedenen Sektoren bei den Energieversorgungsunternehmen vertikal organisiert. Ein E-Werk verwaltete Kraftwerke, Leitungen, den Vertrieb und Kundenservice. Das Gaswerk hatte früher ebenso eine Produktionsstätte für Stadtgas, hatte das Verteilnetz über und schickte den Gaskassier zu den Kunden. Ebenso der Bereich Fernwärme, der von den anderen Infrastrukturen völlig separiert organisiert wurde. Durch das regulatorische Unbundling wurden die Strom- und Gasnetze aus diesen Gesellschaften herausgenommen und werden – auch wenn die Eigentümer gleich geblieben sind – faktisch streng getrennt verwaltet. Wie lassen sich diese isolierten Bereiche nun trotzdem kombinieren, wo können Synergien zum Nutzen für das Unternehmen und in weiterer Folge für die Kunden erzielt werden? Das ist wieder mit einer horizontalen Organisation möglich, in dem Stromnetz, Gasnetz, Fernwärme, und Telekommunikationsnetz – in anderen großen Stadtwerken gibt es unter einem Dach auch noch Wasser- und Abwassernetz – gemeinsam geplant und verwaltet werden. Manche Teile davon sind natürlich weiterhin reguliert, was in der Rechnungslegung auch so dargestellt und separiert behandelt werden muss. Gemeinsame Vorteile lassen sich aber im Ausbau und der Instandhaltung der Netze erzielen. Bei den Kunden kommt dann nicht nur die höhere Effizienz im Sinne von Kostensenkungen an, sondern letztlich auch ein besseres Service – wenn beispielsweise beim Hausanschluss alles aus einer Hand erbracht wird. Das wiederholte Aufgraben derselben Künette für unterschiedliche Leitungen, wie es früher üblich war, wird ebenfalls Vergangenheit sein. Ein effizientes, gemeinsames Management ist auch für die neuen Herausforderungen in der IT nötig. So werden von den intelligenten Stromzählern aus künftig auch Daten über die Leitungen transportiert. Diese müssen gebündelt erfasst und verarbeitet werden.  
 
Report: 1,4 Mio. Stromzähler müssen dazu in Wien getauscht werden. Wenn man EU-Vorgaben und Ziele der heimischen Politik betrachtet, läuft vor allem den großen EVU in Österreich langsam die Zeit davon. Wird es heuer eine Ausschreibung für einen großen Rollout in Wien geben?

Hall:
Wir haben in Wien ein Pilotprojekt gestartet, in dem das Ausrollen und die Installierung der Smart Meters getestet wird. Noch sind für einen großen Rollout aber zu viele Fragen offen. Klar ist es smart, wenn man mit Smart Metern mehr auslesen und übertragen kann – doch wo ist der Nutzen? Wie müssen neue Tarifsysteme dazu aussehen? Es besteht die Gefahr, dass wir am Ende des Tages zwar den Stromverbrauch stündlich oder viertelstündlich auslesen, die Energieversorger dann aber erst wieder nur Flatrate-Tarife anbieten. In einer Metropole wie Wien mit zwei Millionen Kunden muss da schon mit guter Planung gearbeitet werden. Ein Smart-Meter-Rollout ist eine heftige Investition, die mit entsprechendem Nutzen für alle auch wieder hereingebracht werden sollte – andernfalls haben wir nur die Kosten eines exponentiellen Datenwachstums. Wir wollen auch auf keinen Fall jetzt teuer Smart Meter installieren, die dann aufgrund technischer oder regulatorischer Vorgaben gleich wieder durch die nächste Gerätegeneration ausgetauscht werden müssen. Nichts drängt uns – weder die EU noch der Regulierer – dies jetzt auf Teufel komm raus durchzuboxen. Nicht einmal die Zählerhersteller wären für einen Massen-Rollout derzeit vorbereitet. Auch sie müssen ihre Produktionszyklen planen und können den Markt nur über einen längeren Zeitraum harmonisiert beliefern. Es wird heuer jedenfalls keine große Ausschreibung dazu geben.

Report: 300 Millionen Euro werden als Kosten für einen Smart-Meter-Rollout in Wien genannt.

Hall:
Das ist wahrscheinlich eher die Untergrenze. Das Vorhaben ist eine Rieseninvestition und bedeutet auch für die Organisation unserer Servicemannschaften und Techniker eine enorme Herausforderung. Auch dafür müssen wir nun schnell effizienter werden, um Ressourcen für diese zusätzliche Arbeit freizubekommen. Der Rollout wird ja nicht über die nächsten zwanzig Jahre, sondern über einen sehr kurzen Zeitraum bis 2019 passieren. Einfach nebenbei wird man das nicht schaffen.

Report: In einem relativ kurzen Zeitraum hat sich ja auch der Gasmarkt stark gedreht: die Verstromung von Gas ist plötzlich ein unrentables Geschäft. Welche Preisentwicklungen erwarten Sie dazu in Zukunft?

Hall: Mit der Zukunft ist es so eine Sache: Man kennt sie nicht. Auch jene kennen sie nicht, die sagen, dass sie es ganz genau wüssten. So ändern sich die Faktoren ständig, die Einfluss auf den Gaspreis haben. Gasverträge orientieren sich direkt am Ölpreis. Öl ist unsere Leitenergie, ein Großteil der Welt wird energetisch durch Öl betrieben. Es ist ein Markt, der im weltweiten Zusammenspiel eigentlich am besten funktioniert. Dennoch sind auch hier Preisentwicklungen schwer vorherzusagen. Ich erinnere mich an Zeiten, in denen der Ölpreis zehn Dollar pro Fass unterschritten hatte. Manche erwarteten damals, dass sich dieser Preis sogar nochmals halbieren werde. Es kam anders: Ein paar Monate später war der Ölpreis schon wieder auf 40 Dollar und höher geklettert. Und wieder prognostizierten Experten einen weiteren Anstieg auf 200 Dollar. Innerhalb von sechs Wochen war er dann wieder auf 38 Dollar gesunken. An diesem Ölpreis hängen auch andere Prozesse in der Energiewirtschaft, etwa der Pelletspreis. Die Pelletshersteller werden nicht auf ihre Gewinne verzichten, wenn der Ölpreis in die Höhe schießt, und ihr Produkt zum Selbstkostenpreis vertreiben. Jeder andere Energieträger bewegt sich mit der Leitenergie mit, auch wenn es phasenweise zu Verschiebungen kommen kann.

Auch am Gasmarkt ist es schwierig, in die Zukunft zu schauen. Anfang des Jahrhunderts prognostizierte die Internationale Energieagentur noch optimistisch den steigenden Einsatz von Erdgas vor allem in der Verstromung in Europa. In Deutschland war man zeitgleich überzeugt, dass Gas aus Klimaschutzgründen Kohle ablösen werde. Tatsächlich schraubte die IEA dann aber ihre Erwartungen Jahr für Jahr zurück. 2008 und 2009 passierte schließlich genau das Gegenteil: Aufgrund der Wirtschaftskrise verringerten sich die umgesetzten Erdgasmengen sogar. Und heute boomen in Deutschland aufgrund des abrupten Ausstiegs aus der Atomkraft die klimatechnisch wesentlich bedenklicheren Braunkohlekraftwerke.

Bei Gas haben wir nun die paradoxe Situation, da langfristig an den Ölpreis gebundene Gasverträge – sie sind die bestimmende Größe in Europa – teurer als der kurzfristige Bezug von Gas über Spotmärkte sind. Die Anbieter und Produzenten sahen vor einigen Jahren noch den Markt mit langfristigen Verträgen gut abgedeckt und lieferten darüber hinaus kleinere Spotmengen, um die prognostizierten Zuwächse bedienen zu können. Diese Zuwächse blieben aus. Heute haben wir aufgrund der Überladung des Marktes ein Überangebot und einen wesentlich günstigeren Spotmarkt.

Report: Wie kann sich Wien gegen Gaspreisentwicklungen überhaupt strategisch absichern?
Hall:

Es gibt sehr wohl Lieferanten, die auf Versorgungssicherheit verzichten können und überhaupt keine langfristigen Verträge eingehen. Sie haben diese Last nichtund können sich derzeit am Spotmarkt günstig bedienen. Doch funktioniert dies nur in Nischen. Wien Energie benötigt bei der Versorgung der Kunden entsprechend langfristige Liefersicherheiten. In dieser Marktlogik werden schließlich auch Kraftwerke gebaut und über viele Jahre betrieben. Auch wenn die Spotmärkte künftig eine größere Bedeutung haben können, ist es mir lieber, fest auf zwei Beinen zu stehen. Trotzdem gilt nun, stärker auf Wettbewerb zu setzen. Je mehr Quellen in Europa verfügbar sind, je mehr Produzenten und Marktteilnehmer agieren, desto besser. Wien Energie ist vielleicht zu lange seinen zwei Versorgungsquellen, Norwegen und Russland, treu geblieben.

Report: Sie wollen die Zahl der Gas-Lieferanten erweitern?

Hall: Da ist das Ziel. Vor meiner Aufgabe hier in Wien war ich Geschäftsführer bei Bayerngas und stand vor der gleichen Aufgabe. Lange Zeit konnten sich Marktteilnehmer in Deutschland nur bei einem einzigen Anbieter mit Gas versorgen – der Ruhrgas. Schließlich kamen andere Anbieter hinzu, der Markt wurde geöffnet. Zuletzt war die Ruhrgas im Beschaffungsvolumen der Bayerngas überhaupt nicht mehr vertreten. Wir bezogen nun von 30 anderen Anbietern. Ganz so bunt sind die Möglichkeiten hier in Österreich natürlich nicht – wünschenswert wäre ein solcher Wettbewerb trotzdem. Gut wäre auch, wenn Österreich auf den deutschen Gasmarkt zugreifen könnte, um eine ebenso hohe Liquidität und effiziente Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Report: Was müsste regulatorisch passieren, um diesen gemeinsamen Markt zu schaffen?

Hall:
Das ist relativ simpel: Die Regelzone Ost müsste Teil der Netconnect Germany werden. Anfangs gab es in Deutschland 15 verschiedene Marktgebiete – sie entsprechen den österreichischen Regelzonen am Gasmarkt. Die einzelnen Gebiete begannen sich dann relativ schnell zusammenzuschließen. Heute gibt es nur noch zwei in ganz Deutschland: NetConnect Germany und Gaspool. Auch die beiden heimischen Regelzonen Mitte und West werden sich dem Marktgebiet NetConnect weiter annähern, da sie bereits im Tagesgeschäft stark damit verbunden sind. Die Regelzone Ost ist davon aber noch weitgehend ausgeschlossen. Mit der Einführung des Entry-Exit-Modells* auch am heimischen Gasmarkt ist eine erste Annäherung passiert. Ideal wäre nun, die unterschiedlichen Gebiete in einer NetConnect-Europe aufgehen zu lassen. Gleichzeitig wird aktuell auch versucht, eine Verbindung mit Belgien herzustellen. Würden wir es schaffen, ein Marktgebiet von Zeebrügge, mit Verbindungen auch zum britischen Markt, bis Baumgarten zu organisieren – das entspräche der Vision Europas. Weitere Marktzonen in anderen Ländern würden sich aufgrund der positiven Marktchancen ebenfalls anflanschen. Ich gebe einem schrittweisen Zusammenschluss, der im Dominoeffekt andere mitzieht, die größten Erfolgschancen.

* Mit dem Entry-Exit-Modell wird der Gashandel wesentlich belebt. Damit kann Gas auch ohne leitungsbezogene Kapazitätsbuchungen ungehindert am virtuellen Handelspunkt bei Central European Gas Hub gehandelt werden.

Last modified onMittwoch, 20 Februar 2013 18:08
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