In Wien herrscht Wahlkampf. Neben der klassischen Wahlwerbung merkt man das vor allem auch an der Anzahl der Presseaussendungen der politischen Parteien. Beliebtes Thema der letzten Wochen und Monate: Der Biotech-Standort Wien. Nachdem Baxter der Stadt Wien und dem Biotech-Center in der Muthgasse eine Absage erteilt hat (offiziell wegen des zu starken Euros, inoffiziell wegen des Rückzugs von Friedrich Dorner) und dann auch noch Sandoz seine Unternehmenszentrale von Wien nach Holzkirchen verlagerte, sah die Opposition ihre große Stunde gekommen, der Stadt Wien den \"Schwarzen Peter\" umzuhängen. \"Die Wiener SPö hat verschleppt, verzögert, verschlafen und schließlich alles verspielt\", meinte öVP Wien Gemeinderat Gerhard Pfeiffer und FPö-Wirtschaftssprecher Eduard Schock legte nach: \"Der Wirtschaftsstandort Wien taumelt von einer Geraden in den nächsten Schwinger und ist schwer angeschlagen.\"
Weniger plakativ und polemisch äußern sich die betroffenen Firmen. Für Markus Reinhard, Unternehmenssprecher Baxter Austria, war der starke Euro schuld am Rückzug. Die Gespräche mit der Stadt seien positiv und sehr konstruktiv verlaufen.Sandoz-Pressesprecher Gerold Krischker spricht von einer Entscheidung \"nicht gegen Wien, sondern für Holzkirchen\". Neben der räumlichen Nähe zu operativen Sandoz und Hexal Einheiten in österreich und Deutschland habe vor allem auch die Tatsache gesprochen, dass Deutschland der europaweit größte Generika-Markt ist. Die steuerlichen Vorzüge Holzkirchens (\"Jetzt sind wir das Monaco von Oberbayern.\" Josef Höß, Bürgermeister von Holzkirchen) seien zwar ein Anreiz gewesen, aber nicht unbedingt ausschlaggebend. \"Wäre es nur um die Steuerlast gegangen, hätten wir nach Basel gehen müssen. Dort waren die Bedingungen noch besser\", so Krischker.
\"Deutliche Signale der Politik\"
Auch nach wie vor in Wien ansässige Konzerne, Start-ups und Institutionen können der oppositionellen Kritik nicht viel abgewinnen. \"Die Reaktion der Opposition ist reines politisches Kalkül\", sagt Thomas Fischer, Geschäftsführer von Austrianova. \"Der Standort Wien ist sehr gut\", meint Fischer. \"Auf der BIO 2005 in Philadelphia hatte Wien einen eigenen Messestand. Da hat man gesehen, dass Wien als Biotech-Standort ein sehr positives Image hat.\" Neben dem unternehmerfreundlichen und von kurzen Entscheidungszeiten geprägten Call-System seien vor allem die Förderungen der Stadt Wien und des Bundes bemerkenswert. Dazu zählen vor allem die Initiativen von ZIT und WWTF. Hier bestehe eher die Gefahr eines \"Zuviels\" an Förderungen, denn schließlich könne es nicht Aufgabe der Stadt sein, Biotech-Unternehmen zu gründen, die Gründungen müssen nur erleichtert werden, bricht Fischer eine Lanze für die Stadt. Auch Böhringer Ingelheim, das von 2002 bis 2006 140 Millionen Euro in Wien investiert haben wird, bestätigt das gute Gesprächsklima und die Unterstützung der Stadt Wien - ohne jedoch konkreter zu werden. Allerdings verlangt Böhringer Ingelheim ein noch stärkeres Bekenntnis der Stadt und des Bundes zur Biotechnologie. \"österreich muss deutliche Signale setzen, die das Engagement von Investoren langfristig sicherstellen.\" Dazu gehören langfristig verlässliche Rahmenbedingungen und der von der Politik versprochene rasche Zugang innovativer Arzneimittel in den österreichischen Markt. Auch Sonja Hammerschmid, Geschäftsführerin der Life Science Austria Vienna Region, sieht Wien im internationalen vergleich als absoluten Benchmark. \"Es gibt immer Einladungen auf internationaler Ebene, das ´Projekt Wien´ vorzustellen\", erzählt Hammerschmid. \"Mit den Förderungsprogrammen, der Preseed- und Seed-Finzierung ist Wien absolut führend in Europa.\" Wenig überraschend findet Hammerschmid auch die Bündelung von Interessen in Form von Clustern wie LISA als vorbildhaft: \"Bei uns bekommen Unternehmen sämtliche Informationen über Förderungen und Laborplätze. Zusätzlich helfen wir bei der Vernetzung mit Universitäten und entsprechenden Forschungseinrichtungen.\"
\"Business Angels dringend gesucht\"
Bei allem Lob und Anerkennung hängt aber auch in Wien der Himmel nicht voller Geigen, auch in Wien ist die Welt nicht rosarot. Verbesserungspotenzial orten die in Wien ansässigen Unternehmen vor allem im Bereich der Finanzierung und der medialen Wahrnehmung.
\"Es gibt in Wien ein großes Manko an Risikokapital. Wir brauchen mehr Venture Capital und Business Angels\", sagt Hammerschmid. Auch für Fischer ist das fehlende Risikokapital ein großes Problem. \"Die Stadt hilft zwar bei der Gründung, danach braucht man aber Eigenkapital. Das ist in österreich nur schwer aufzutreiben, deshalb führt der Weg oft zwangsläufig ins Ausland.\" Wichtig wäre es, die zentralen Figuren der österreichischen Wirtschaft für die Biotechnologie zu begeistern. Gespräche werden bereits geführt, Namen dürfen noch nicht genannt werden - aber so groß ist die Auswahl ja schließlich nicht.
Besonderen Aufholbedarf sehen die Unternehmen in der medialen Berichterstattung und der Außendarstellung. Eine Headline wie \"Intercell schreibt rote Zahlen\" zeugt in erster Linie von Unverständnis gegenüber der Materie. Es sollte aber leichter werden, wenn die ersten Start-ups anfangen, Gewinne zu schreiben. Ein Problem ist laut Sonja Hammerschmid auch das negative Image in der Bevölkerung: \"Sobald es um Gentechnik geht, sind die negativen Assoziationen da. Wir müssen verstärkt transportieren, dass es in unserer Branche um Medikamente und Menschenleben geht.\" Das mangelnde PR-Arbeit der Unternehmen wurde auch im Rahmen eines Branchentreffer angesprochen. Dabei waren sich die Teilnehmer darüber einig, dass in dieser Hinsicht etwas geschehen müsse. Es sei aber bereits eine verstärkte Hinwendung zum Thema erkennbar, heißt es aus Teilnehmerkreisen, gefragt sei jetzt aber vor allem der Rat für Forschung und Entwicklung, der im Rahmen von \"Innovatives österreich\" Imagekampagnen starten soll. Eine interessante Metapher, die schon beinahe wie ein gut gelungener Werbeslogan klingt, bringt Thomas Fischer: \"In der Biotechnologie ist es wie in der Kindererziehung. Man muss jetzt investieren, um in Jahren die Früchte ernten zu können. Das ist für Außenstehende natürlich schwer nachvollziehbar, aber unsere Branche lebt davon, dass wir neues Wissen schaffen, das wir dann irgendwann verwerten können.\"
\"Gefahr aus Fernost\"
Neben der fehlenden Finanzkraft und der schlechten Außendarstellung ird der Biotech-Standort Wien in naher Zukunft mit einem neuen Problem konfrontiert sein: Der Konkurrenz aus Asien \"Die Gefahr, dass uns Asien überholt ist natürlich riesengroß\", sagt Hammerschmid. Der finanzielle Background, die hohen Subventionen und nicht zuletzt das klare Bekenntnis der Politik zu Life Science machen den südostasiatischen Raum inklusive China und Indien zu einer Boomregion in Sachen Biotechnologie. In der derzeitigen Situation kann man mit demselben finanziellen Aufwand in China rund sechsmal so viele Entwicklungsprojekte finanzieren wie in Europa und den USA. \"Die Entwicklung eines Medikaments kostet in den USA und in Europa durchschnittlich 800 Millionen Euro, in China jedoch nur 120 Millionen Euro\", schätzt General Biologic in einer Studie zum Biotechnologiemarkt China. Grund dafür sind neben den günstigeren Lohn- und Infrastrukturkosten, den steuerlichen Anreizen und Subventionen, vor allem die deutlich kürzeren Zulassungszeiten. Während die Entwicklung eines Medikaments in den USA bis zu zehn Jahre in Anspruch nimmt, erhält ein neuer Wirkstoff in China in der Regel nach vier, spätestens aber nach sieben Jahre die Zulassung. Ein Quantensprung und ein enormer finanzieller Anreiz. Um neben dieser Konkurrenz auf Dauer bestehen zu können, bedarf es in Wien einer starken Profilbildung, vor allem für kleine Unternehmen und Start-ups. \"österreich ist ein kleines Land und war immer dann erfolgreich, wenn es Nischen besetzt hat\", erklärt Thomas Fischer von Austrianova. \"Nehmen wir nur die Beispiele Red Bull und Swarovski. Hier wurden kleine Nischen global besetzt.\" Diesen Weg versuche auch Austrianova zu gehen. Eben wurde das Medikament Novacaps gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs in Brüssel registriert. Eine Nische, in der die Konkurrenz nicht wirklich ausgeprägt ist, was sich unter anderem daran zeigt, dass es in Brüssel dafür noch nicht einmal eine Registerkategorie gab. Aber auch für große Unternehmen ist die Abwanderung nach Asien nicht zwangsläufig der Weisheit letzter Schluss. Böhringer Ingelheim bekennt sich zwar weiterhin zum Standort Wien, sieht aber auch immensen Standortvorteile im asiatischen Raum. \"Investitionen wie die unsrige werden in Fernost massiv mit Subventionen unterstützt. In Ländern wie Singapur oder Taiwan werden derartige Anlagen zum Teil von den Regierungen errichtet und Firmen zur Verfügung gestellt. Weiters ist die Forschungsquote im außereuropäischen Raum weit höher, als Beispiel sei hier Taiwan mit 3,2 % des BIP genannt\", sagt Unternehmenssprecherin Inge Homolka.
Die Gefahr aus Asien ist also durchaus real, denn \"wenn sie es nur halbwegs vernünftig angehen, dann wird es eng für Europa\", meint Sonja Hammerschmid abschließend.