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Mut zur Lücke

\"Alles ist möglich“ - gemäß diesem Motto schienen noch vor wenigen Jahren kaum Grenzen für die IT-Welt zu gelten. Das Budget richtete sich vielfach nach dem Möglichen, nicht nach dem Erforderlichen. Diese Situation hat sich bekanntlich grundlegend geändert: die großen Erwartungen wurden enttäuscht, die Budgets gekürzt. Seither treten auch in der IT-Welt wieder die Geschäftsprozesse in den Vordergrund. Der Chief-Information-Officer steht vor der Herausforderung, sich zum Chief-Process-Officer weiter zu entwickeln, will er nicht einen Teil seines Geschäftsfeldes verlieren. Gleichzeitig hat sich die Softwareentwicklung selbst maßgeblich verändert: an die Stelle klar strukturierter und geplanter Vorgehensweisen treten nun zunehmend flexible, innovative Methoden. Doch auch die Methoden zur Qualitätssicherung in der Softwareentwicklung müssen nun der neuen Geschäftsordnung folgen. Martin Fritz, Software-Test-Experte des Wiener Softwarelabors Objentis empfiehlt, nicht-erfolgsrelevante Funktionen von Anwendungen gleich gar nicht mehr zu testen. Heißt: Per \"Economic Testing“ werden bewusst Teile des Testens auf später verschoben. Bei vorgegebenen Rahmenbedingungen könnten dann durch einen solchen \"Kredit“ bessere Ergebnisse erzeugt werden. \"Der enge Budgetrahmen im IT-Bereich lässt Software-Testing in seiner klassischen Form noch schwieriger erscheinen. Die Qualität meiner Software muss aber nicht für alle Punkte in allen Entwicklungsstufen gleich gelten“, behauptet Fritz. Es gelte vielmehr, die Notwendigkeit der Softwarequalität spezifisch festzustellen.

Economic Testing fokussiert sich anhand dieser Schlussfolgerung auf die \"notwendigen Dinge“, stellt aber darüber hinaus den Business-Case ins Zentrum, so Fritz weiter. \"Im Rahmen einer ökonomischen Teststrategie werden alle Bereiche dahingehend überprüft, ob sie mit vertretbarem Risiko weggelassen werden können.“ Das beste Argument für diese riskante Methode: \"Time to Market“ ist vielfach für die erste Release einer Softwaregeschäftskritisch. Der Verzicht auf die Dokumentation von Testfällen etwa könnte in dieser Phase enorm Kosten sparen - wenn er eine sinnvolle Anleihe an die Zukunft darstellt. Weiters: Durch den Verzicht auf manuelle Regressionstests (Erklärung: Unter Regressionstest versteht man die Wiederholung von Testfällen nach einer änderung oder Korrektur von Software) dürfe man Risken in Kauf nehmen können - vorausgesetzt es werden Wahrscheinlichkeiten erarbeitet, welche Folgen dieser Verzicht haben kann. Und: Kunden als Beta-Tester zu verwenden, gilt in Test-Kreisen eigentlich als Verstoß gegen die guten Sitten. Doch wählen Kunden Fritz zufolge in den wenigsten Fällen die höchste Qualität. Der Preis, der Service sowie die zeitgerechte Verfügbarkeit sind mindestens ebenso entscheidend. Hier sei die Test-Community gefordert, umzudenken: wo Vollständigkeit zu nicht mehr marktgerechten Kosten führt, sollte auf sie verzichtet werden.

Für Economic Testing bereits in der frühesten Phase der Entwicklung von Software plädiert Johannes Kreiner, der bei Generali die IT-Abteilung Software Testing verantwortet. \"Nicht zu früh zu viele Testfälle dokumentieren“, ist sein Leitsatz zum traurigen Status quo der budgetgeprüften IT-Landschaft. Bislang werde \"so lange getestet, wie das Budget reicht“, so Kreiner. Insgeheim wisse man es aber eigentlich ohnehin besser, dass sich die Codes stets im Laufe der Entwicklung wieder ändern. Kreiner folgert daraus einen der Schlüsselfaktoren für die ökonomisch effizientere Testmethodik: Das Verschieben des Test \"nach hinten“. Darüber hinaus traf Kreiner bereits auf Projektleiter, die sich stolz um die 90.000 Testfälle in ihren Systemen hielten. Dafür gebe es aber keinen Grund - solche Datenvolumina werden zur Belastung. Für die Softwaretester gelte vielmehr, den Life-Cycle ihrer Testfälle im Auge zu behalten. Szenarios aus Bereichen, die sich bereits in der Vergangenheit als wenig fehleranfällig erwiesen haben, können also getrost ins Archiv wandern. Durch diese und ähnliche Maßnahmen sieht Kreiner Einsparungspotenziale von 40 bis 50 Prozent im Testing-Bereich. Die klassische Testfrage \"Wo habe ich noch Testlücken?“ solle nun einem neuen Ansatz weichen: \"Wo habe ich noch keine Testlücke, obwohl ich sie mir leisten könnte?“

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