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Die papierlose Baustelle

Die papierlose Baustelle Foto: iStock

Die Coronakrise bremste viele logistische Abläufe auf den Baustellen. Sie könnte aber einen Digitalisierungsschub in der Branche nach sich ziehen.

Analoges Arbeiten bedeutet Stillstand. Diese schmerzliche Erfahrung mussten während des Lockdowns viele Bauunternehmen in Österreich machen. Während Pläne, Daten, Bescheide und andere wichtige Unterlagen nur in Papierform im Büro oder gar auf dem Bauamt lagen, war ein sinnvolles Weiterarbeiten an den laufenden Projekten kaum möglich. Dabei wäre der Zugriff auf ein digitales Bauwerksbuch oder sogar die gesamte Gebäudedokumentation selbst im Homeoffice ein Kinderspiel: Alle relevanten Daten können über PC, Tablet oder Handy abgerufen und bearbeitet werden.

Doch auf unzähligen Baustellen werden noch Papierrollen hin- und hergetragen und wichtige Termine für anstehende Wartungs- oder Sicherheitsaufgaben auf Aufstellkalendern händisch eingetragen. Das rächte sich während der Coronakrise. Traf schon die erzwungene Auszeit die Branche ins Mark, gestaltete sich auch der schrittweise Neustart umso schwieriger, wenn die Dokumentation nicht digital erfolgte.

Große Unternehmen wie etwa die HABAU Group konnten die schwierige Zeit trotz logistischer Herausforderungen gut meistern. Bis auf wenige Ausnahmen laufe alles planmäßig mit den aktuellen Sicherheitsvorkehrungen weiter, bestätigt CEO Hubert Wetschnig: »Spürbar waren für uns Verzögerungen bei den Lieferketten, vor allem deshalb, weil durch die Sperre der Grenzen die Verfügbarkeit von Nachunternehmen und Lieferanten nicht immer sichergestellt war. Teilweise im Tagestakt veränderte Einreise- und Quarantänebestimmungen haben zusätzliche Verunsicherung bei unseren Lieferanten und Dienstleistern erzeugt. Auch beim Personal, das aus Nachbarländern auf österreichische Baustellen kommt, war das ein Thema.«

Bild oben: Karl-Heinz Strauss, PORR: »Durch BIM und Lean wird sich die Bauwelt in den kommenden Jahren komplett verändern.«

Optimale Materialflüsse

Die logistischen Abläufe auf einer Baustelle bilden ein kompliziertes Geflecht. Alle Gewerke müssen so koordiniert werden, dass es weder zu Leerläufen noch zu Terminkollisionen kommt. Auch die Lieferung von Baumaterial, der Abtransport von Schutt und Recyclingstoffen sowie der Einsatz von Maschinen folgen einem ausgeklügelten Plan, der Kosten und Zeit im Rahmen hält. Verzögerungen durch widrige Witterungsbedingungen oder – wie im Fall der Pandemie – gar längere Stehzeiten bringen das Gefüge ins Wanken.

Mit digitaler Unterstützung ist die Überarbeitung der Planungsprozesse deutlich leichter. BIM (Building Information Modeling) und Lean Management stimmen die Schnittstellen ideal ab. »Gebäudeanforderungen werden immer komplexer, Realisierungszeiten immer kürzer und das ›Drehbuch‹ unserer Baustellen immer detaillierter«, erklärt Karl-Heinz Strauss, CEO der PORR AG: »Mittels Lean sind wir hier bereits gut aufgestellt. Unsere Lean-Prinzipien sowie mehrere gemeinsame Workshops vor Baubeginn stellen das gemeinsame Verständnis und den holistischen Blick aller Bau- und Projektbeteiligten sicher. Denn nur wenn alle an einem Strang ziehen und im Schulterschluss zusammen arbeiten, kann der Kundenwert bestmöglich und mit höchster Effizienz erreicht werden.«

Durch digital unterstütztes Baumanagement werden Zeit- und Effizienzverluste minimiert. Eine Simulation des Projekts bereits in der Planungsphase legt Fehler offen und optimiert die Materialflüsse zu und von der Baustelle – ein Aspekt, der mit der zunehmenden Vorfertigung immer stärker an Bedeutung gewinnt. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) sind nur rund 60 % der Tätigkeiten auf einer Baustelle wertschöpfend, der Rest entfällt auf Warten, Verteilen und Lagern. Durch jede Aufgabe, die nicht zeitgerecht ausgeführt wird, sinkt die Produktivität. Zugleich steigt die Fehleranfälligkeit.

Um den Baufortschritt stabil zu halten, setzt die PORR AG auf durchgängige Materialflüsse, so CEO Strauss: »Wie bei einer Amazon-Bestellung werden wir in Zukunft auch Baumaterialien vom Abruf über den Transport bis hin zum Einbau transparent steuern und verfolgen, um Engpässe in der Wertschöpfungskette frühzeitig zu erkennen und proaktiv Maßnahmen einleiten zu können.«

Solche Tools sind für Großbaustellen unverzichtbar, sollten aber auch bei kleineren Bauvorhaben zum Pflichtprogramm zählen: Gerade dort ist die Kosten-Gewinn-Spange deutlich kleiner, der Hebel durch die Digitalisierung wirkt umso stärker. Allein die prompte Verfügbarkeit von Material kann den wirtschaftlichen Erfolg eines Projekts erheblich beeinflussen. Viele kleinere Subunternehmen und Zulieferer arbeiten jedoch noch analog und können nicht in die Logistikkette von Großprojekten eingebunden werden oder bremsen diese. Lean Management umfasst daher immer alle Partner entlang der Versorgungskette – vom Baustoffhersteller über den Großhandel bis zu den Dienstleistern, die auf der Baustelle tätig sind.

Management im Mobile Office

Lange ließ die digitale Affinität in der Baubranche zu wünschen übrig. Die Covid19-Pandemie könnte nun auch die letzten Skeptiker überzeugt haben. Zu Lieferengpässen und fehlenden Arbeitskräften, die aufgrund der Grenzschließungen nicht oder verspätet einreisen konnten, kamen noch erhöhte Sicherheitsvorkehrungen auf den Baustellen.

Zusätzliche Container mussten geliefert, Fieberkontrollschleusen eingerichtet und die Versorgung mit Schutzmasken und Desinfektionsmittel sichergestellt werden – für Baulogistiker relativ rasch lösbare Herausforderungen, vor allem für kleinere und mittlere Bauunternehmen aber ein erheblicher organisatorischer Aufwand, der zusätzlich Personalkapazitäten bindet. Die Änderung der Sicherheits- und Gesundheitspläne (SiGe) brachte erneut die Koordination durcheinander, wie HABAU-Chef Wetschnig kritisiert: »Von der Politik müssen schneller klarere Regelungen getroffen werden, damit wir rasch darauf reagieren und Maßnahmen setzen können. Es ist für ein Unternehmen eine harte Probe, über vieles im Unklaren gelassen zu werden.« Er sieht seine Firmengruppe auf einem mit Industrieunternehmen vergleichbaren Digitalisierungsgrad: »Auf der technischen Seite wäre wünschenswert, dass der Ausbau schnellerer Internetverbindungen durch Glasfaser oder das 5G-Netz rascher vorangetrieben wird.«

In der Krise hat sich aber auch gezeigt, wie gut die Information und Kommunikation mit Kunden und Lieferanten auch über digitale Kanäle funktionieren kann. Baumanagement aus dem Mobile Office wird zum Muss, will man als Player in diesem Netzwerk bleiben. »Die Krise erlaubt uns einen Blick auf unser zukünftiges Leben«, resümiert PORR-Chef Strauss. »Sie zeigt uns anschaulich unsere digitale Welt – eine Welt des Streamings, des Online-Handels, der Online- und Cloud-Dienstleister, der virtuellen Meeting-Räume sowie neuer Formen der Zusammenarbeit in unserer Bauindustrie.«

Bild oben: Hubert Wetschnig, HABAU Group: »Homeoffice oder Videokonferenzen kamen schnell auf den Praxis-Prüfstand.«

Schlüssel zum Erfolg

Bau goes Hightech – diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Neben der Verzahnung von Planungs- und Bautätigkeiten spielen auch der Einsatz von Drohnen und 3D-Druck eine immer größere Rolle. Mit dem höheren Vorfertigungsgrad modularer Bauteile, die exakt terminisiert auf die Baustelle geliefert und dort montiert werden, sind reibungslose Abläufe die Basis für den Unternehmenserfolg. BIM sowie Lean Design & Construction sind der Schlüssel dazu. Der Einsatz dieser Technologien werde »die Bauwelt in den kommenden Jahren komplett verändern«, meint Strauss: »Wer diese Entwicklung mutig angeht und die technischen Innovationen aktiv mitgestaltet, wird immer einen Schritt voraus sein.«

Ein Nachrüsten im digitalen Bereich könnte zudem die Spätfolgen der Pandemie lindern: Straffere Prozesse sind krisenresistenter und kostengünstiger. Die Unternehmensberatung Roland Berger geht davon aus, dass die Krise die Bauwirtschaft erst mit einer Verzögerung von neun bis zwölf Monaten treffen wird. Der Konjunktureinbruch wird von einem gut gefüllten Auftragspolster abgefedert, die Bauunternehmen arbeiten ihre laufenden Projekte ab. Für das Neugeschäft sieht es deutlich düsterer aus, vor allem wenn die Volkswirtschaft in eine anhaltende Rezession rutscht und Investitionen ausbleiben. »Bei diesem Szenario kommt es zu einem starken Rückgang bei Angebot und Nachfrage für alle Bausegmente.

Eine langsame Erholung ist für 2021, eine vollständige nicht vor 2022 zu erwarten«, sieht Kai-Stefan Schober, Senior Partner des Münchner Büros von Roland Berger, dennoch einen positiven Effekt: »Die Corona-Krise hat die Digitalisierung der Bauwirtschaft deutlich vorangebracht. Dies wird sich zukünftig sowohl auf der Baustelle als auch in der Wertschöpfung im produzierenden und handelnden Gewerbe zeigen.«

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