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»Aufs Jammern verlegt«

\"karlKarl Brenke im Interview.

Der Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung über falsche Prognosen, Modeberufe und die Kraft der ­Marktwirtschaft.

(+) plus: Woraus schließen Sie, dass es gar keinen Fachkräftemangel gibt?

Karl Brenke: Der entscheidende Knappheitsindikator sind die Preise, auf dem Arbeitsmarkt sind es die Löhne. Gäbe es einen Fachkräftemangel, müsste er sich anhand steigender Löhne zeigen. Die Löhne haben aber der Tendenz nach im letzten Jahrzehnt real überhaupt nicht zugelegt – das gilt auch für Tätigkeiten, für deren Ausübung eine betriebliche Berufsausbildung oder ein Studium erforderlich ist. Selbst unter den Ingenieuren, an denen es angeblich besonders mangeln soll, haben sich die Löhne nur schwach entwickelt. Dennoch lässt sich vermuten, dass in einigen wenigen Berufen Arbeitskräfte knapp sein könnten – insbesondere sind das Ärzte und Pflegekräfte. Deren Beschäftigung findet allerdings in der Regel in solchen Bereichen der Wirtschaft statt, die einer starken Regulierung unterliegen. Wahrscheinlich sind im Gesundheitswesen und in der Pflege Arbeitskräfte deshalb knapp, weil die Entlohnung nicht zu den Arbeitsanforderungen passt bzw. die Arbeitsbedingungen als schlecht empfunden werden. Am Rande vermerkt: Bei solchen Berufen ist eine aktive Abwerbepolitik anderer Staaten zu beobachten. Eine generell schwache Lohnentwicklung gibt es ja auch in Österreich.

(+) plus: Große Unternehmensberatungen warnen vor einem eklatanten Einbruch spätestens ab 2020, wenn die »Baby-Boomer«-Generation in Pension geht. Ein Mythos?

Brenke: Die Debatte leidet unter einer mechanistischen Sicht der Dinge. Man sieht auf die derzeitigen Bevölkerungsprognosen und leitet allein davon künftige Knappheiten ab. Natürlich könnte die Zahl der Erwerbspersonen sinken, wenn die Baby-Boomer in den Ruhestand gehen. Die Frage ist aber, ob das eintritt und wie stark der Effekt ist. Wenn ich mir beispielsweise das Erwerbsverhalten in der Schweiz ansehe und Deutschland sich dem weiter annähert, dürfte die Wirkung bis 2030 nicht allzu groß sein. Österreich könnte den Effekt vollständig kompensieren – dann müsste allerdings die Erwerbsquote gerade der Älteren rasch wachsen. Bei den Personen im Alter von 55 bis 64 Jahren lag sie 2010 bei 42 %, in Deutschland dagegen bei 58 %. Wie gesagt: Marktwirtschaftliche Systeme werden flexibel auch auf Knappheiten auf dem Arbeitsmarkt reagieren – das erfordert natürlich entsprechende Ansprechungsstrategien der Unternehmen, der Arbeitnehmer und auch der Politik. Derzeit scheint man sich aber mehr aufs Jammern verlegt zu haben.

(+) plus: In Österreich geben drei Viertel der Unternehmen an, nicht genügend qualifiziertes Personal zu finden. Woran liegt das?

Brenke: Das liegt weniger an der Realität, sondern daran, dass Umfragen solche Ergebnisse produzieren. Wenn man Unternehmen nach irgendwelchen Problemen fragt, werden sie auch welche nennen. Und wenn man einen Personaler danach fragt, ob es schwer ist, Fachkräfte zu finden, wird er bestimmt nicht antworten, dass seine Arbeit leicht sei. Ich habe früher selbst solche Umfragen gemacht – und es sein gelassen. Wenn man in die Tiefe geht und genau fragt, welche Kräfte fehlen, werden üblicherweise die Antworten dünner. Eine andere Erkenntnis war, dass ich bei einer Umfrage vor etwa zehn Jahren in Ostdeutschland festgestellt habe, dass trotz der dort hohen Arbeitslosigkeit etwa die Hälfte der Unternehmen über einen Fachkräftemangel klagte. Eine nähere Analyse zeigte dann, dass das gerade jene Unternehmen waren, die geringe Löhne (unter Tarif) zahlten.

(+) plus: Ein Dauerthema ist die Lehrlingsausbildung. Viele Betriebe beklagen die schlechten Grundkenntnisse der Jugendlichen. Ist das Problem hausgemacht?

Brenke: Schon Aristoteles klagte über die Jugend; es scheint eine Konstante der Menschheitsgeschichte zu sein, dass die Älteren über die Jungen klagen. Ein größeres Problem sehe ich in der mangelnden Ausbildungsbereitschaft vieler Unternehmen. Hinzu kommt, dass die Unternehmen prozyklisch ausbilden: Läuft die Konjunktur gut, wird vermehrt ausgebildet, läuft sie schlecht, werden weniger neue Lehrstellen angeboten. Da aber eine Ausbildung drei Jahre dauert, passt die Zeit des Ausbildungsabschlusses oft nicht zu der dann jeweiligen Konjunkturlage. Außerdem wird in vielen Berufen weit über den betrieblichen und gesamtwirtschaftlichen Bedarf hinaus ausgebildet, z.B. Köche und andere Berufe des Gastgewerbes, Maler und Lackierer, Friseusen oder Kfz-Mechatroniker. Das sind bei Jugendlichen Modeberufe, in denen die Unternehmen an den Auszubildenden unter dem Strich Geld verdienen.

(+) plus: Die Universitäten sind voll, viele Akademiker arbeiten in prekären Jobs, für die sie überqualifiziert sind. Orientiert sich das Bildungssystem generell zu wenig am Bedarf der Wirtschaft?

Brenke: In der Tat – die Universitäten sind derzeit so voll wie noch nie. Und wegen der Klagen der Unternehmer hat es insbesondere einen Run auf die technisch-naturwissenschaftlichen Fächer gegeben. Man muss daher skeptisch sein, ob all die künftigen Hochschulabsolventen auf dem Arbeitsmarkt unterkommen werden. Aber natürlich gilt auch hier, dass Angebot und Nachfrage flexibel reagieren werden. Gewiss keine Probleme sehe ich in nächster Zeit darin, dass Ingenieure und Naturwissenschafter, außer vielleicht bei den Ärzten, knapp werden könnten – das zeigen die Studenten-Beschäftigten-Relationen.

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