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Glückliches, zweischneidiges Glas

Bereits im Frühjahr 2006 soll das lange auf Eis gelegte Breitbandprojekt blizznet einen ersten Wachstumsschub auf eine Reichweite von 50.000 Haushalten erfahren. In dieser Phase will man die Finanzierungsmöglichkeiten für eine weitere Aufstockung auf 250.000 Haushalte evaluieren, heißt es bei der zuständigen Koordinationsstelle, dem Presse- und Informationsdienst im Rathaus. Trotzdem liegen in dem mächtigen Gebäude ob des nahen Starts in die Breitbandszene die Nerven blank. Angriffslustige Termini wie \"Marktstart“ oder \"Konkurrenzsituation“ möchte man überhaupt nicht in den Mund nehmen. Das junge Breitbandprojekt, das sich auf den omnipotenten Glasfaserzugang bis in die Haushalte stützt, sollte beschützt zu werden. Diesmal ist es ein Elefant im Glashaus, der, wenn er einmal mit Kampfpreisen los gelassen wird, so mancher Kupferschmiede das Fürchten lehren wird. Ergo wird keinesfalls mit Steinen geworfen: das Wiener Zukunftsnetz, wie es politisch korrekt von seinen Granden getauft wurde, bleibt offene Plattform - auch für die lokal etablierten Breitbandprovider. Dennoch: dass man dem Projekt jeglichen Konkurrenzfaktor absprechen will, ist - gelinde gesagt - blauäugig. Für die eingesessenen Provider wird es bald heißen, hierbei mitmachen zu müssen - um nicht den Anschluss in der Hauptstadt zu verlieren.

Das kommende Jahr beschert diesem Land und seiner Hauptstadt ohne Zweifel wieder ereignisreiche Konstellationen. Zwei davon sind in diesem Zusammenhang erwähnenswert: Zum einen verleiht uns die EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr erhöhte Aufmerksamkeit, auch was zukunftsweisende Infrastrukturpolitik betrifft. Zum anderen tagt Ende Jänner der FTTH Council Europe in Wien, der sich das Ziel gesetzt hat, die Trommeln für Glasfaserprojekte (Fiber-to-the-home, kurz FTTH) in Europa zu rühren. Deren Vorsitzender, Paul Naastepad, hat gegenüber dem Report einmal von einer einmaligen Chance auf die Pole-Position für den Wirtschaftsstandort Wien gesprochen. Im Wettbewerb mit den nahen Förderregionen im Ausland sei Breitband ein zunehmend unverzichtbarer Faktor. Bis dato sind die für den Bau solcher Breitbandnetze bereit gestellten EU-Fördergelder in den Brüsseler Töpfen verkommen - zumindest was Anfragen aus österreich betrifft. Doch ist ein politisch getriebener Breitbandausbau natürlich ein zweischneidiges Schwert. Wem wird hier mehr Schaden zugefügt: dem auf Marktwirtschaft reduzierten Mitbewerb? Dem Steuerzahler, der zunächst unrentable Unterfangen teuer vorfinanziert? Doch böse ist, wer dabei nur Böses denkt. International gebetsmühlenartig rezitierte Beispiele aus heutigen Breitbandvorzeigeländern haben bewiesen: ein konzertierter Roll-out, bestenfalls mit staatlichen Mitteln, ist der effizienteste Hebel in die Multimediagesellschaft. Dass dabei die Fördertöpfe meist nur Initialzünder sind, ist mehr als klug. Zumindest das hat sich teilweise auch schon in österreich erwiesen. Vielleicht aber ist hier endlich ein Paradigmenwechsel gefragt: Breitband ist bald ebenso wichtige Infrastrukturlandschaft wie die Autobahnen. Und dort ist die Logik einer strategischen Vorfinanzierung längst allen klar.

Zum Wiener Rathaus gibt es eine nette Anekdote. Das Thema Infrastrukturausbau betreffend ist sie gnadenlos pathetisch, dennoch im Zusammenhang reizvoll, sich an sie zu erinnern: Anlässlich des bevorstehenden Bauendes des Wiener Rathauses wurde 1882 zur Turmgleiche ein großes Fest gefeiert. Rathaus-Architekt und -Baumeister Friedrich von Schmidt brachte aus diesem Anlass drei Trinksprüche aus. Hoch oben auf dem Gerüst hatte er drei Gläser vor sich stehen, die er auf den Kaiser, das Vaterland und das Volk von Wien erhob. Nach jedem Trinkspruch warf er das Glas in die Tiefe. Die ersten beiden zerschellten klirrend im Hof. Das dritte, zu Ehren des Volkes von Wien geleerte Glas aber blieb zu den Klängen des Donauwalzers unversehrt im Hof liegen.

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