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The Mind in the Head

Von Reinhold Fleischhacker
Franzisco Varela hat die restliche Welt mit diesem Satz verblüfft: »The mind is not in the head.« Der geniale Neurobiologe hatte aber offensichtlich mit Wintersport nichts am Hut, sonst hätte er seinen Satz eingeschränkt: »The mind is in the head.« - Das Wissen nämlich, wie man Ski herstellt. Das wissen freilich auch Mitbewerber wie Atomic, Völkle oder Rossignol, keine Frage. Varela verstarb leider allzu früh, daher wissen wir immer noch nicht, wo das Wissen sitzt (die aktuellsten Vermutungen lauten, dass es im Bindegewebe beheimatet sein könnte). Aber es geht in dieser Geschichte ja um etwas ganz anderes: um die Karriere eines Mannes, der diese mit großer Akribie, innerer Begeisterung und großer Zielstrebigkeit vorangetrieben hat.

Zähstart
Der Start der selben erinnert an Bode Miller: Der steht auch eher lethargisch im Starthäuschen, um dann aber richtig loszulegen. Erwin Martiner startete nach der Pflichtschule auch eher behäbig. Dem Wunsch seines Vaters, doch eine HTL zu absolvieren, trotzte er. »Alle meine Freunde begannen damals eine Lehre, also wollte ich da auch dabei sein.« Also wurde in der Maschinenfabrik Andritz der Beruf des Drehers und Fräsers erlernt.
Doch nach drei Jahren als Geselle merkte er, dass das nicht eine lebenserfüllende Aufgabe sein kann - schon der Ausbildungsleiter während der Lehrzeit sagte ja: »Mach was aus dir« - und belegte eine Abendschule (HTL für Maschinenbau). Das war gar nicht so einfach, denn dazu musste er sich aus dem Schichtbetrieb »herausverhandeln«. Ein schwieriges Unterfangen, denn dem Abteilungsleiter schwante natürlich, dass er über kurz oder lang einen seiner besten Mitarbeiter verlieren würde. Doch irgendwie gelang das Experiment.

Zweischichtler
Fast zwei Jahre lang pendelte er zwischen Früh- und Nachtschicht hin und her, die Abende waren der einzige Fixpunkt: Die gehörten der Schule. Und am Ende des zweiten Abendschuljahres war es soweit, er konnte als CC-Programmierer von der Fertigungshalle in die Büroetage wechseln. Ohne Schichtbetrieb. Er war sozusagen ein Nutznießer des Vormarsches der Elektronik im Industriebereich, »wegengagiert« sozusagen, doch Martiner blieb seiner Marschrichtung treu, ging weiterhin konsequent in die Abendschule. Das zahlte sich aus: Nach weiteren zwei Jahren kam die Berufung in den Bereich Fertigungstechnik. Und so verquickte sich alles in »learning by doing«. Um dann gegen Ende der Ausbildung eine Vorarlbergerin kennen zu lernen, die gerade in Graz weilte. Anlässlich eines Besuchs der künftigen Schwiegereltern arrangierte er - geübt im Zeitmanagement - gleich ein Vorstellungsgespräch bei Head in Bregenz. Man ahnt schon, was kommt, daher kurz: Martiner geht ins Büro des technischen Leiters, stellt sich artig vor. Hinter dem Schreibtisch kommt Helmut Umlauft, der damalige technische Leiter, hervor, mustert den Vorsprechenden kurz und sagt: »Griaschti, du bischt unser Mann!« Um dann, nach einer überlegungspause zu fragen: »Was willst denn hier eigentlich werden?« Martiner switchte gleich auch zum »Du« und meinte: »Lass mich einfach einmal arbeiten.« Umlauft: »Okay!« Klingt natürlich wie eine Tellerwäscherstory. Jedenfalls musste noch die Abendschule abgeschlossen werden, dann wurden die Koffer gepackt und ab ging es ins Ländle.

Eigener Herr
Auch bei Head in Bregenz war damals die industrielle Elektronik noch nicht sehr weit fortgeschritten, gerade die Skifabriken waren zu dieser Zeit allesamt noch eher Manufakturen, das meiste wurde also per Hand gemacht, Zeiterfassung war sowieso ein Fremdwort. Genau diese Sparte hatte Martiner zu übernehmen. Vorerst war er sozusagen sein eigener Herr, bloß ein »Untergebener« stand zur Verfügung.
Es gab viel zu tun, wie etwa eine Tennisschlägerfabrik in Hörbranz aus dem Boden zu stampfen - das war 1989, vier Jahr nach dem Eintritt bei Head. Mit bloß drei Mitarbeitern gelang das Kunststück, Hängebahnen wurden eingeführt, bald wurde jährlich eine Million Tennisschläger produziert. »Schon in der Lehrzeit hat mich nicht nur die Bedienung von Maschinen interessiert, sondern vielmehr die Frage, warum sie funktionieren.« Das ist die beste Voraussetzung, um selber Maschinen zu konstruieren. Und so wurde zunehmend auch die Skiproduktion automatisiert.

Tritt in die Fußstapfen
2003 war es dann so weit: Helmut Umlauft machte sich als Sachverständiger selbstständig, schrieb an das Headquarter von Head ein »Zwischenzeugnis« seines Schützlings. Er wurde prompt als neuer Leiter für die Produktion Ski in Bregenz installiert. Und setzte sich gleich ehrgeizige (Automatisierungs-) Ziele: 500.000 Paar Skier sollten künftig mit bloß 200 anstatt bisher 300 Mitarbeitern produziert werden (allein für die Grundpräparierung waren 70 Leute notwendig).
Martiner erinnert sich noch gerne an die Umkompliziertheit seines Mentors. Wenn eine teure Produktionsmaschine zur Diskussion stand, hieß es bei Umlauft meist: »Diese Maschine nicht zu haben, kann viel teurer werden, als sie kostet.« Die Skiproduktion ist wegen »der Dichte an der Spitze«, wie Sportler kryptisch zu sagen pflegen, ein sehr enges Geschäft. »Eigentlich muss man froh sein, wenn man pari durchkommt«, verrät Martiner. Konkrete Zahlen darf er verständlicherweise nicht verraten. Doch allein die Produktentwicklung ist eine heikle Sache: »Zuerst ist einmal die Idee, dann geht man an die Entwicklung, dann gibt es einen Prototypen und dann muss man sich überlegen, ob die Idee verfahrenstechnisch überhaupt zu bewerkstelligen ist.«

Der Preis der Karriere
Alles hat seinen Preis, auch eine Karriere - nicht selten heißt dieser Preis Privatleben. So war es denn auch: »Meine Frau hatte als Kinderpädagogin den halben Tag frei, wenn ich abends nach Hause kam, wollte ich meine Ruhe, sie wollte allerhand Dinge besprechen.« Es kam, wie es kommen musste: Scheidung. Typisch die Reaktion der Kinder: »Papa, du verlässt uns ja gar nicht, du warst ja eh nie da.« (Erwin Martiner sei für diese Offenheit übrigens ausdrücklich gedankt.) Seine jetzige Lebensgefährtin kann auch mit sich selber was anfangen, daher funktioniert die Beziehung.

Philosophie
Jeder Manager hat so seine Philosophie. In gegebenem Fall ist es: »Mal das vorzuleben, was man sich von seinen Mitarbeitern erwartet.« Das ist nicht so neu. Interessant ist eher die Tatsache, dass im Ländle das Du eine Selbstverständlichkeit ist. Das schafft auf alle Fälle mal Vertrauen, setzt »Scheffe«, wie die arbeitenden Gäste aus dem Ausland vielfach sagen, aber auch ein bisschen unter Druck: Die »Amtsautorität« geht damit verloren, bleibt also nur noch, fachlich zu überzeugen.
Und da wäre noch der Diskussionspunkt Gobalisierung. Schließlich stampfte Martiner binnen drei Monaten im tschechischen Budweis ein neues Werk aus dem Boden (dieses Husarenstück wurde mit der Prokura und der gewerberechtlichen Geschäftsführung der Head Sport AG belohnt). »Die Kostenersparnis beträgt bis zu 20 Euro pro Paar Skier, das ergibt bei 250.000 Paaren die schwarze Null.« Allerdings: »Wir produzieren dort nur die Billigschiene, die Premiumschiene will ich auf alle Fälle in österreich halten, denn eine Produktentwicklung ohne Produktionsabteilung kann ich mir nicht vorstellen.« Womit wir schon wieder bei Varelas »the mind ist not in the head« wären - das Wissen steckt in den Mitarbeitern.

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