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Das Spiel ohne Ball

Von Reinhold Fleischhacker

Wir lernen spielerisch.« Mit diesem Allgemeinplatz sind wir schon mittendrin. Nicht auf der Tribüne, sondern auf dem Spielfeld, beim Spiel ohne Ball. »Dem heutigen Management fehlt es an Stringenz«, kritisieren Berater immer wieder, wenn sie auf zu beratende Manager treffen. In letzter Zeit immer häufiger. Wenn man unter Stringenz »Schlüssigkeit« versteht (sehr oft ist aber auch »Zielorientiertheit« gemeint), dann muss man das Management durchaus verteidigen. Denn ab wann ist etwas schlüssig? Kann es nicht passieren, dass eine heutige Meinung morgen schon unaktuell ist? Muss man nicht schnell reagieren?

Experiment
Weil die Weihnachtszeit eine Zeit der Reflexion ist, wollen wir ein paar Gedankenexperimente starten. Der Fußball ist für das Management unter anderem deswegen so gut geeignet, weil er einerseits auf einfachen Regeln basiert und andererseits, was die Zahl der Teammitglieder betrifft, einen Grenzwert darstellt: Mehr als zwölf Mitglieder sollte ein Team nicht haben (das hat die Geschichte gezeigt). Zudem verfolgen zwei Fußballmannschaften einerseits die gleichen Ziele, aber auch gleichzeitig solche entgegengesetzter Natur. Wenn wir also beiden Mannschaften jeweils Zielorientierung unterstellen, haben wir schon mal das Problem, dass beide Teams meist dasselbe Ziel haben: Beide wollen gewinnen. Dazu kommt, dass immer nur einer der 22 am Feld tätigen Akteure den Ball führen kann. Der Rest kümmert sich um das berühmte »Spiel ohne Ball«.

Strenge Zuordnung?
Vergleichen wir also den Coach einer Fußballmannschaft mal mit dem Manager einer Abteilung oder einer Firma. Prinzipiell müssen seine elf Mitglieder des Teams das »Tagesgeschäft«, also das Match, möglichst autonom erledigen. Der Trainer kann weder eine Flanke schlagen noch ein Tor schießen, es macht wegen des Lärmes in den meisten Stadien auch wenig Sinn, wenn er von der Coachingzone aus dauernd Anweisungen gibt (Die Fuchteleien des Otto Rehagel beispielsweise verstehen die Spieler erwiesenermaßen nicht).
Wenn wir jetzt die Tätigkeit des Trainers auf den Manager ummünzen, kann gesagt werden, dass ein guter Manager sich im besten Falle um das Tagesgeschäft nicht kümmern müsste. Hier muss man die Metapher allerdings ein bisschen zerklauben. Denn der Fußballtrainer hat zwei Arten von Tagesgeschäft zu erledigen: das tägliche Training, in dem er seinen Spielern all das beibringen muss, was dann im Ernstfall auf dem Platz umgesetzt werden soll. Und dann das Match selber.
Auch die Zuordnungen der Aufgaben verschwimmen:Der Tormann ist dabei in seinen Interaktionsmöglichkeiten am meisten eingeschränkt. Er hütet vor allem das Tor (vereinzelt tritt er auch als Elfmeterschütze in Erscheinung, in der Nachspielzeit versucht er sich mitunter als Stürmer -  was aber die Gefahr eines Konters in sich birgt).
Der Rest der Belegschaft hat grundsätzlich mehr Freiheiten, vor allem in letzter Zeit ist es Mode geworden, dass die beiden Außenposten der Viererkette sich vermehrt in die Angriffsbemühungen einschalten. Zum Spiel ohne Ball gehört dann natürlich, dass ein anderer Mitspieler für die Zeit, in der der Verteidiger sich als Stürmer versucht, die Verteidigung übernimmt. Wie kann man diesen Rollentausch auf eine Firma oder eine Organisationen umlegen? Hans Staud zum Beispiel praktiziert in seiner Konservenmanufaktur ein konsequentes »Rotationsprinzip«: In regelmäßigen Abständen tauschen die Mitarbeiterinnen die Rollen (Produktionsschritte), sodass jeder Mitarbeiter mindestens ein Mal im Jahr alle Produktionsschritte durchmacht. »Es geht mir dabei gar nicht nur um die Abwechslung, sondern darum, dass jede Mitarbeiterin um den gesamten Ablauf Bescheid weiß« Erkrankt mal jemand, ist flugs auch schon Ersatz parat. In öffentlichen Organisationen scheint es eher schwer vorstellbar, dass irgendein Mitarbeiter hellsichtig die Aufgaben eines aus irgendeinem Grunde abwesenden Kollegen übernimmt.Und wie das bei Metaphern so ist, darf man sie nicht immer zu Ende denken - dann fangen sie an zu hinken oder fahren gar im Rollstuhl: Wird man etwa nach einem Unfall ins AKH eingeliefert, hat man bestimmt keine Freude, wenn der Portier den Part des Chirurgen übernimmt.

Sticklers Pannen-öFB
Blöderweise beherrscht ausgerechnet österreichs oberster Fußballmanager, Friedrich Stickler, das Spiel ohne Ball nur mangelhaft. Abgesehen vom Tohuwabohu um das Klagenfurter EM-Stadion gab es im Frühjahr eine unglaubliche Pannenserie: Ein Testspiel der Nationalmannschaft gegen Kroatien scheiterte im März am gefrorenen Rasen des Happelstadions. Das Bemerkenswerte: In den Wochen davor mussten bereits einige Meisterschafts- und Europacupbegegnungen wegen desselben Grundes verschoben werden. Und in den Wetterprognosen war das Wort »Tauwetter« nicht enthalten.
Ein privatwirtschaftlicher Manager hätte in den zwei Wochen der Kälte wohl nach Alternativen Ausschau gehalten. Die Alternative hätte auf den Namen »Rasenheizung« gehört, eine solche gibts zum Beispiel in Graz, in Salzburg und in Innsbruck. Prompt sagte Testgegner Kroatien nach Besichtigung des Eislaufplatzes ab, weil das Verletzungsrisiko der Stars, welche in der Championsleague, der WM-Qualifikation und in den Klubs wichtige Leistungsträger sind.
Ziemlich peinlich ist auch das Theater um die Einbürgerung von Steffen Hofmann. Der Rapid-Kapitän hätte nach langen überlegungen gern das Nationaltrikot angezogen, die Manager des öFB übersahen aber eine Frist in den Statuten der FIFA, die ab 31. Dezember 2004 geänderte Zulassungsbedingungen postuliert hatte. Ein Antrag mit 30. Dezember 2004 hätte also das Problem gar nicht zu einem Problem werden lassen. Dass der öFB dann auch noch auf eine Ausnahmegenehmigung hoffte, grenzt schon hart an Realitätsverweigerung.

Fehler feiern
Humberto Maturana meinte in einem Aufsatz einmal, dass man sich über Fehler nicht ärgern, sondern sie - eben ganz im Gegenteil - richtiggehend »abfeiern« sollte. Denn bloß aus Fehlern kann man lernen (was aber nicht zwangsläufig passiert, wie man am Beispiel öFB sehen kann). Denken wir uns wieder in den Helden aus dem Gedankenexperiment auf der ersten Seite hinein: Wenn er sieht, dass seine Mitspieler und Gegner nicht immer nur den Ball treten, sondern manchmal auch den Gegenspieler, kann er nur mit dem »Versuch-und-Irrtum-Modell« herausfinden, wie stark er den Gegner treten darf, ohne dass der Schiri das Spiel unterbricht. Oder wann ein taktisches Foul angebracht ist. Und irgendwann wird er herausfinden, dass ein Foul im Strafraum einen Strafstoß nach sich zieht.
Genauso ergeht es dem Manager, wenn er eine neue Firma betritt: »Was herrscht da für eine Kultur, wie kommunizieren die beteiligten Menschen«, und viele andere Fragen wird er sich vernünftigerweise stellen. Wenn wir wieder zum Fußball switchen, bemerken wir, dass selbst ein Zidane und ein Figo bei Real Madrid eine gewisse Anlaufzeit brauchten. Andererseits wirkt manchmal ein Trainerwechsel wahre Wunder: Nicht selten wird der Trainer A vom Verein X wegen Erfolgslosigkeit gefeuert (er tauscht die Erfolgslosigkeit gegen die Arbeitslosigkeit - allerdings bei fortlaufenden Bezügen), und ebenfalls nicht selten wird er dann vom Verein Y engagiert, weil dieser den Trainer B wegen Erfolgslosigkeit gefeuert hat.
Und so kann es passieren, dass A bei Y plötzlich als Retter aus der Not nicht gefeuert, sondern gefeiert wird. Dass das rein mit Stringenz erklärbar ist, kann wohl nicht so ohne weiteres behauptet werden. Da haben es die Manager wieder leichter: Sie können mit dem Arbeitgeber eine »einvernehmliche Trennung« vereinbaren und sich ein gutes Dienstzeugnis ausstellen lassen. Und dann sehen, ob sie beim neuen Arbeitgeber entweder gefeuert oder gefeiert werden.

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