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Merkel lebt – trotz Vergemeinschaftung von Schulden Featured

Bundeskanzlerin Merkel hatte am 26. Juni vor der FDP-Bundestagsfraktion gesagt, eine Vergemeinschaftung von Schulden werde es so lange nicht geben, “so lange ich lebe”. Sie hatte da auch gefordert, marode Banken müssten, falls erforderlich, über ihre Staaten unter Auflagen Kredite beantragen, weil es sonst keine Eingriffsmöglichkeiten gibt und „dann habe ich ein Riesenproblem“.

Jetzt, nach dem EU-Gipfel vom 28./29. Juni, gibt es für die Eurozonen-Banken die Möglichkeit, sich direkt aus dem Eurozonen-Krisenfonds ESM zu rekapitalisieren, der im Insolvenzfall haftet.

Heißt das im Umkehrschluss, dass Merkel tot ist – jetzt, da die Vergemeinschaftung von Schulden beschlossen wurde? Offenbar nicht. Und ihr sei auch nach dem üblichen Wortbruch im Umfeld von EU-Gipfeln (vorher „hüh“, hinterher „hott“) weiterhin ein langes Leben gegönnt. Außerdem hätte sie schon bei ihrer Bemerkung am 26. Juni sofort tot umfallen müssen.

Die Eurozonen-weite Vergemeinschaftung von Schulden, genauer die Haftung der Kernländer für die Schulden der PIIGS, ist sowieso nicht davon abhängig, wer an der politischen Spitze der Bundesrepublik Deutschland steht. Schließlich ist auch die „Opposition“ aus SPD und „Grünen“ dafür.

Und die großen deutschen Konzerne.

Volker Grossmann und Guy Kirsch legen in „Verlierer, Profiteure und Risiken der Euro-Rettungspolitik“ dar, „dass alle Bausteine der sog. Euro-Rettungspolitik eine bislang wenig ins öffentliche Bewusstsein gelangte Umverteilung innerhalb der Geberländer wie Deutschland von der Allgemeinheit hin zu Banken und exportierenden Unternehmen bedeutet und keine Umverteilung zugunsten der südlichen Länder.“

Und weiter: „Für die Regierung in Deutschland sind die Anreize für die Fortführung oder Ausweitung der bisherigen Politik nachvollziehbar, wenn auch verwerflich. Nach den bisherigen Versäumnissen einer effektiven Bankenregulierung kann man allerdings weitere direkte staatliche Bankenhilfen, die nach Realisierung von Staatsbankrotten oder etwa einem Austritt Griechenlands aus dem Euro notwendig würden, vor Wahlen nicht gebrauchen. Also setzt man lieber auf eine vorgeblich solidarische „Rettungspolitik“ (…) .“

Auch wenn jetzt zahlreiche Beobachter behaupten, mit den jüngsten Gipfel-Beschlüssen sei die Schuldenunion begründet worden – diese Aufregung ist überflüssig. Der Weg in die Schuldenunion wurde spätestens im Mai 2010 eingeschlagen, als Griechenland zum ersten Mal gerettet wurde.

Eigentlich muss man noch weiter zurückgehen – mindestens bis zur Etablierung des Interbanken-Zahlungssystems Target2. Das begründet die Möglichkeit, dass die Notenbanken der PIIGS ihren Geschäftsbanken unbegrenzt Geld aus der Notenpresse der EZB leihen können. So können sie sich Importe leisten, für die sie keine privaten Kredite bekommen hätten. Die Bundesbank hat auf diese Weise per Ende Mai 2012 nahezu 700 Mrd. Euro an Forderungen angehäuft. Sie werden mit gegenwärtig ein Prozent verzinst und sind nicht kündbar. Importe in die PIIGS – das sind Exporte der großen Konzerne z.B. in Deutschland, deren Geschäft so finanziert wird.

Glauben Sie, dass diese Forderungen jemals wieder auf Null zurückgeführt werden? Ich glaube das schon. Wann wird das sein, fragen Sie? Antwort: Am St. Nimmerleinstag.

Der jüngste EU-Gipfel ist dennoch kein Nicht-Ereignis. Er macht den Weg frei zur zweiten Bankenrettung nach 2008 – diesmal auf europäischer Ebene, diesmal durch die Abwicklung per ESM jeglicher Kontrolle durch den Steuerzahler entzogen, um dessen Geld es hier geht. Und so findet er diesmal (vor den Bundestagswahlen in 2013) im Stillen statt – und das ist es, was Merkel einen weiteren Wortbruch wert war.

Und natürlich ist es kein Nicht-Ereignis, dass der Bundestag am zurückliegenden Freitag verfassungswidrige Ermächtigungsgesetze abgesegnet hat, indem Fiskalpakt und ESM durchgewunken wurden. Womit der Weg erst frei gemacht wird für die Umsetzung der Brüsseler Gipfelbeschlüsse.

Wie widersprüchlich die ganze Euro-Retterei im Bewusstsein der europäischen „Elite“ ist, zeigt ein Interview mit Guiseppe Vita in der FAS vom 1. Juli 2012. Der 77-jährige Italiener, Aufsichtsratschef der Axel Springer AG und der Unicredit, stellt fest: „Wir haben viel zu viel Geld nach Süditalien geschickt, ohne dass es Wirkung gehabt hätte. Wir hätten besser darauf aufpassen und kontrollieren müssen, was mit dem Geld geschieht.“ Und glaubt gleichzeitig daran, dass sich das auf europäischer Ebene nicht wiederholt…

Bei der Aussicht, dass die Liquiditätsschleusen im Euro-Raum nun weit aufgerissen werden, sprangen die Aktienbörsen weltweit am Freitag in die Höhe. Die US-Börsen hatten schon im späten Handel am Donnerstag deutlich zugelegt – zu einem Zeitpunkt, als der EU-Gipfel noch tagte, bzw. Rajoy und Monti noch die Pistole auf Merkels Brust setzten, um ihre Ziele durchzusetzen.

Gold, eigentlich kurz davor, abzuschmieren auf zunächst 1500, nahm die Gegenrichtung und stieg an 1600 Dollar pro Feinunze. Der Euro erholte sich deutlich gegen Dollar. Öl Brent explodierte förmlich, nachdem es sich Tage zuvor schon an einer wichtigen Unterstützung bei knapp 90 Dollar pro Barrel stabilisieren konnte. Der TBond-Future verlor am Freitag mehr als ein Prozent. Ein ETF auf Banken im EuroStoxx50 stieg am zurückliegenden Freitag um 4%, einer auf Versicherungen im EuroStoxx600 gewann sogar 4,4%.

Das sind alles Mosaiksteine für die Rückkehr der Risikoneigung an den Finanzmärkten. Nur zu verständlich angesichts der vielen Milliarden Euro, die da anrollen – und jetzt auch noch gleich in die Tore der europäischen Banken. Und schon wird die Erwartung aufgebaut, die EZB werde am kommenden Donnerstag die Leitzinsen senken – von einem auf dann 0,75 Prozent.

Ein Blick auf den Chart des S&P 500 zeigt, dass sich der weltweit tonangebende Aktienindex wieder an einem wichtigen Pegel (~1360) befindet (siehe Chart!).

Meine Arbeitshypothese: Der Index baut an einem Bärkeil, der durch die hellgrüne Linie oben und die violette Linie unten begrenzt ist. Die Spitze dieses Keils liegt auf dem Anfang April markierten Hoch bei ~1420. Das sieht zwar kurzfristig einigermaßen „konstruktiv“ aus, mittelfristig bedeutsam ist aber die untere dunkelblaue Linie (aktuell 1300 Punkte), die den übergeordneten Aufwärtskanal aus Anfang Oktober 2011 nach unten begrenzt.

Immer daran denken:

Das gesamte europäische Bankensystem auf Basis berichteter Verschuldung ist mit 26 zu 1 gehebelt. Das europäische Bankensystem hat einen Umfang von über 46 Bill. Dollar, etwa das dreifache des EU-BIP und fast viermal so groß wie das der USA (46 gegen 12 Bill. Dollar). Das US-Bankensystem ist halb so stark gehebelt (13 zu 1). EU-Banken müssen bis Ende 2012 Hunderte von Milliarden Schulden revolvieren. U.a. sind französische Banken mit 30% ihrer gesamten Schulden dabei, bei spanischen und italienischen Banken sind es mehr als ein Drittel, bei deutschen Banken sind es fast 40%, bei irländischen Banken fast 50%. (Siehe auch hier!)


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