Irren ist menschlich und im Jahr 1999 war es anscheinend sogar Pflicht. Zumindest wenn man einer Telco-Befragung von Andersen Consulting vor drei Jahren glauben darf: »Nicht umsonst halten 43 Prozent der österreichischen Manager den Gold Rush für das wahrscheinlichste Zukunftsszenario im Jahr 2002.« Während Telekom Austria, UTA, eTel und Tele2 noch fünf Monate lang auf ein Wunder hoffen dürfen, ist die Goldgräberstimmung für CyberTron, MCN, YLine, Vianet, Primus, Telepassport und Konsorten zu einem Luxusgrab geworden.
Totengräber für ehemalige Börsestars wie Christoph Senft (CyberTron) und Georg Stumpf (MCN) war ihr uneingeschränkter Optimismus, der von den Consultern kräftig genährt wurde. Dabei hätte ein Blick über die Grenzen genügt, um den Realitätssinn wieder zu erlangen. »Zwei Drittel der österreichischen Telekom-Topmanager betrachten es als wahrscheinlich, dass die Telekomindustrie auch in den kommenden Jahren allen Anbietern gute Wachstumsmöglichkeiten und Gewinnspannen bietet. Diese Einschätzung steht in einem krassen Gegensatz zu den Nachbarländern Deutschland und Schweiz, wo sich 73 bzw. 78 Prozent der Manager einen mörderischen Wettbewerb und geringe Gewinne erwarten«, warnte schon damals die Andersen-Studie.
Psycho-Schock für Telcos. Und so sucht auch Roland Chodasz vom Verband Alternativer Telekom-Netzbetreiber (VAT), die Gründe für das Scheitern zahlreicher Telcos eher im psychologischen Bereich: »Jeder musste sich vor zwei bis drei Jahren selbst überbieten. Der Markt hat einfach nicht geglaubt, dass die Preise so weit nach unten gehen.«
Dabei hatte alles so hoffnungsfroh begonnen, als am Wiener Silvesterpfad zum Jahreswechsel 1997/98 der damalige UTA-Boss Helmut Schönthaler die erste alternative Telefonzelle in Betrieb nahm. Immerhin zehn Jahre nach dem »Urknall« (c/o Chodasz) in der Liberalisierung, hervorgerufen durch das Grünbuch zum Telekommarkt der Europäischen Gemeinschaft. Chodasz: »Der Telekom- und der Milchsektor waren damals noch die einzigen Bereiche, in dem es ganz klare Gebietsmonopole gab. Unternehmen wie Colt und Kabelnetzbetreiber hatten diese Chance erkannt und bereits sehr frühzeitig mit dem Aufbau von Citynetzen begonnen.« Doch erst 1993 war es auch hierzulande möglich, öffentlichen Datenverkehr anzubieten. An alternative Sprachtelefonie war damals noch gar nicht zu denken.
Verstaatlichte als Liberalisierungsmotor. Verbund, öBB und OMV, die bereits über eine eigene Leitungsinfrastruktur verfügten, haben sich dafür stark gemacht, dass österreich - spät aber doch - im Jahr 1997 mit dem neuen Telekommunikationsgesetz (TKG) und der Einführung von Call-by-Call in die liberalisierte ära startete. Die erste Zusammenschaltungsentscheidung fiel im Frühjahr 1998, und wie bei fast allen folgenden IC-Entscheidungen musste der Regulator bemüht werden. Zu Weihnachten 1998 startete dann das Geschäft der Alternativen Betreiber am Markt durch. 2000 folgte die Carrier Preselection - ein Datum, das sich die Telekom Austria mit dickem, rotem Stift im Kalender eingetragen hat. Nahezu zeitgleich wurde die Nummernportabilität im Festnetz eingeführt, die insbesondere den Geschäftskundenbereich für Neueinsteiger öffnete.
Was folgte war ein gnadenloser Preiskampf, verschärft durch veritable Billing-Probleme bei einigen Marktteilnehmern. Eine hohe »Cash Burn Rate« schien nicht ein Fehler, sondern geradezu ein Muss zu sein. Gut getan hat die aggressive Expansion im Privatkundenmarkt allerdings nur einem großen Telco: Tele2, das über keine eigene Infrastruktur und eine sehr schlanke Personalstruktur verfügt. Geschadet hat sie auf jeden Fall dem Incumbent, dem innerhalb von wenigen Jahren sein Marktanteil halbiert wurde. Und das bei einem Quasi-Monopol auf der letzten Meile, wie von den Alternativen und Regulator betont wird. Oberregulator Heinrich Otruba unmissverständlich: »Die letzte Meile gehört unangefochten der TA.«
Telekom Austria halbiert. Im TA-Geschäftsbericht des Jahres 2001 liest sich das dann so: »Der Umsatzerlös im Geschäftsbereich Festnetz reduzierte sich um 7,5 Prozent auf 2,46 Milliarden Euro. Der Marktanteil auf Minutenbasis (einschließlich Internet-Einwahlverkehr) belief sich auf 56,2 Prozent nach 63,7 Prozent im Jahr 2000. Die Anzahl der Festnetzanschlüsse sank im Jahr 2001 um 3,1 Prozent auf 3,17 Millionen.« Trockene Replik des RTR-Chefs und ehemaligen WU-Rektors: »Die TA braucht sich bei den Tarifen nicht wundern, dass ihr Kunden verloren gegangen sind.«
Und die haben sich gleich zu Beginn der Liberalisierung vom Ex-Monopolisten massenhaft verabschiedet, wie ein Blick in den Geschäftsbericht zeigt: Das Betriebsergebnis im Bereich Festnetz verschlechterte sich von 1998 auf 1999 um 58 Prozent. Zu Jahresende 1999 lag der Marktanteil der Telekom bei 85 Prozent.
Mobilfunk als Festnetz-Motor. Dass dieser Rückgang auch auf das gestiegene Mobilfunkaufkommen zurück zu führen sei, wird von Otruba ausgeschlossen. Die weitverbreitete Meinung, dass der Mobilfunk auf Kosten des Festnetzes gehe, sei schlicht falsch. Ganz im Gegenteil, ist sich Helmut Schönthaler sicher: »Mobilfunk braucht Festnetz-Infrastruktur, und hier wird sich der anhaltende Boom sicher positiv auswirken. Einen weiteren Impuls wird die Vernetzung der Haushalte bringen.« Sollte wirklich Milch und Honig fließen, dann nach überzeugung von eTel-Austria-Chef Christian Rosner nur mehr für wenige: »Der heimische Festnetzmarkt wird bestimmt von vier Anbietern: Telekom Austria, UTA, Tele2 und eTel. Der Marktanteil der anderen Unternehmen ist verschwindend gering und große Telcos wie tele.ring, Colt, Eunet oder Priority sind Nischenplayer.«
»Ex-Monopolist macht, was er will«. Und es könnten noch weniger werden, wenn der Regulator nicht härter gegen die TA durchgreift, sind sich die VAT-Urgesteine Rosner und Schönthaler sicher. Rosner: »Es ist erschütternd, wie wenig der Regulator zuhört. Der Ex-Monopolist macht, was er will.« Und Schönthaler denkt bereits in größeren Dimensionen: »Mit der Liberalisierung wurden die volkswirtschaftlichen Ziele leider nicht erreicht, die USA wird daher ihren Vorsprung weiter ausbauen.«
Dass es aber alleine an Heinrich Otruba liege, ob die Alternativen gegen den Ex-Monopolisten eine Chance haben, wollen auch die beiden Herrn nicht behaupten. Vielmehr sei das Gebot der Stunde: Kosten drücken und Geld verdienen. Doch bei stetig sinkenden Margen ein scheinbar aussichtsloses Unterfangen. Schönthaler: »Der ARPU (Average Revenue per User, Anm. d. Red.) wird steigen müssen, da führt kein Weg daran vorbei und ich sehe in Deutschland und österreich schon eine Entwicklung in diese Richtung.«
Goldesel Auslandstelefonie. Auf diese dürfte auch die US-Firma VarTec Telecom vertrauen, die erst vor wenigen Wochen in den österreichischen Markt eingestiegen ist. Das Unternehmen bietet Call-by-Call an (Vorwahl 1023), das Kundendienstcenter dafür sitzt in Freiburg (D). VarTec lockt dabei mit günstigen internationalen Tarifen, der Haken dabei ist allerdings eine Mindestgesprächsabnahme pro erstellter Verbindung von zehn Minuten. Der Telco wildert somit in einem Gebiet, das als letzter Safe Heaven übrig geblieben ist. Ein nicht genannt werden wollender Insider: »Bei der Auslandstelefonie verdienen sich die Festnetzanbieter noch immer eine goldene Nase.«
Andere wie die Linzer Dialog GmbH versuchen es nach dem Motto »klein und fein«. Geschäftsführer Eric Hansult: »Wir haben keine eigene Infrastruktur und langfristige Business Cases, sondern reagieren sehr flexibel und schreiben dadurch auch schwarze Zahlen. Und zwar nicht nur EBITDA-positiv, sondern wir machen richtig Profit.« Ganz so auf das Festnetzgeschäft wollten sich Hansult und seine Mitarbeiter aber doch nicht verlassen. Hansult: «Wir haben zu Beginn des Jahres noch ein zweites Standbein im Internet eröffnet.«
»Dumping-Konkurrenz am Ende«. Wie er betonen alle noch lebenden Telcos, dass der Erfolg nur über Qualität führen kann, aber sicher nicht durch einen ruinösen Preiskampf. Oder wie es Schönthaler trocken formuliert: »Durch die Marktbereinigung ist die Dumping-Konkurrenz am Ende.« Eine Einschätzung, der sich auch Otruba anschließt: »2001 konnte der Beginn der Konsolidierung beobachtet werden. So kam es vermehrt zur Zurücklegung von Konzessionen und es gab auch einen Rückgang bei den Anträgen.«
Bis Ende 2001 waren 67 Festnetz-Betreiber operativ tätig. Drei große Telcos sind seitdem verschwunden: CyberTron, KPNQwest und European Telecom. Für Rosner aber kein Grund zur Sorge: »Jetzt ist eine gute Zeit zum Einkaufen.«