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Job mit Handicap

\"MenschenNoch immer zahlen viele Unternehmen lieber die Ausgleichstaxe, statt einen behinderten Mitarbeiter einzustellen. Dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen für den Betrieb auch ein Gewinn sein können, zeigen Best-Practice-Beispiele.

Die ÖVP hat Blut geleckt: Nach der PR-wirksamen Aktion »Österreichs Superpraktikant« von Vizekanzler Josef Pröll vergibt die VP erneut eine Praktikumsstelle. Diesmal will Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg einem jungen Menschen mit Behinderung Einblick in die politische Arbeit geben. Bezahlt wird das einwöchige Praktikum – wie auch schon bei Pröll – nicht.
Auf ein öffentlichkeitswirksames Casting will Huainigg allerdings verzichten. Ihm geht es um Bewusstseinsbildung: »Die Situation behinderter Menschen am Arbeitsmarkt ist nach wie vor schwierig. Trotz guter Ausbildung gestaltet sich der berufliche Ein- und Aufstieg steinig.«

 

Lästige Pflicht

Rosig waren die Berufsaussichten behinderter Menschen in Österreich noch nie. Die meisten der rund 800.000 Menschen mit besonderen Bedürfnissen sind in gemeinnützigen Einrichtungen von »Jugend am Werk«, der Lebenshilfe oder anderen karitativen Organisationen beschäftigt. Auf dem regulären Arbeitsmarkt unterzukommen, ist für Körperbehinderte schon schwierig, für Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen aber fast unmöglich. Die Wirtschaftskrise mit einer Rekordarbeitslosigkeit von rund 400.000 Arbeitssuchenden hat die Situation für Menschen mit Handicap noch zusätzlich verschärft. Bei ihnen liegt die Arbeitslosenrate laut AMS-Daten um rund ein Drittel über der durchschnittlichen Arbeitslosigkeit.
Zwar ist laut Behinderteneinstellungsgesetz jeder Betrieb verpflichtet, pro 25 ArbeitnehmerInnen einen sogenannten »begünstigten Behinderten« zu beschäftigen. Viele Unternehmen ziehen es jedoch vor, sich durch Bezahlung der Ausgleichstaxe (für das Jahr 2010: 223,– Euro) dieser lästigen Pflicht zu entledigen. Zu groß sind noch immer die Vorurteile und Befürchtungen.
So überwiegen bei Personen mit körperlichen Einschränkungen die Vorbehalte hinsichtlich zusätzlicher Kosten für die Adaptierung des Arbeitsplatzes, der Toiletten und der Stiegenaufgänge. Bei Menschen mit psychischen Problemen oder geistigen Behinderungen zeigen sich Arbeitgeber grundsätzlich skeptisch, ob diese Mitarbeiter überhaupt eine Aufgabe verlässlich erfüllen können. Ganz abgesehen von der Reputation nach außen – wie reagieren die Kunden? – und der Akzeptanz durch die übrige Belegschaft.

 

Neue Regelungen

Der seit Dezember 2009 amtierende neue Behindertenanwalt, Ex-Sozialminister Erwin Buchinger, will das Freikaufen künftig erschweren und so den Druck auf die Betriebe erhöhen. Nach Vorschlag Buchingers soll die Ausgleichstaxe progressiv gestaltet werden. Das heißt: Große Unternehmen, die sich vor der Beschäftigung Behinderter drücken, müssen höhere Strafzahlungen leisten.
Derzeit wird für jeden Platz der gleiche Satz verrechnet. Nach dem neuen Modell würde der erste fehlende Behindertenplatz weniger kosten als der zehnte.
ÖVP-Behindertensprecher Huainigg lehnt eine Erhöhung der Ausgleichstaxe »in der derzeit wirtschaftlich schwierigen Lage« jedoch strikt ab: »Die vorgeschlagene Maßnahme würde die Situation verschärfen, da die Wirtschaftsfähigkeit der Unternehmen weiter geschwächt würde.« Stattdessen kann sich Huainigg eine Aussetzung des Kündigungsschutzes für zwei Jahre vorstellen. Diese Flexibilisierung würde vor allem Klein- und Mittelbetrieben mit weniger als 25 Beschäftigten entgegenkommen, die nicht der Einstellungspflicht unterliegen, aber freiwillig behinderte Arbeitnehmer beschäftigen. »Der Kündigungsschutz ist für diese Unternehmen nicht gerechtfertigt«, meint Huainigg.
Auch die Einstufungskriterien für Behinderte sind derzeit in Diskussion. Bis Mitte des Jahres soll eine neue Einschätzungsverordnung vorliegen. Muss der Grad der Behinderung eines Menschen festgestellt werden, greifen die Sachverständigen derzeit auf eine mehr als 40 Jahre alte Verordnung auf Grundlage des Kriegsopferversorgungsgesetzes zurück. Die neue Verordnung soll mit 1. Juli 2010 in Kraft treten und regelt, welche Diagnose für welchen Prozentsatz an Einschränkung herangezogen wird. Der Grad der Behinderung ist in der Folge für die Beschäftigung von Behinderten, die Ausstellung von Behindertenpässen und die Gewährung von Förderungen und Begünstigungen ausschlaggebend. Die alten, an den Beeinträchtigungen von Kriegsopfern orientierten Einstufungs­kriterien entsprechen weder in medizinischer noch in sozialer Hinsicht den heutigen Anforderungen. Vor allem psychische Einschränkungen werden in dem vorliegenden Entwurf deutlich stärker einbezogen. Dennoch reagierten Behindertenorganisationen, aber auch Experten von ÖGB und den Grünen mit teils heftiger Kritik. Sie fordern eine »ganzheitliche Begutachtung«, die nicht nur ärztliche Sachverständige, sondern auch Psychologen und Sozialarbeiter bei der Einstufung einbindet.


Chancen für alle

Eine Vorreiterrolle nimmt in Österreich Martin Essl ein, der sich in seiner bauMax-Gruppe bereits seit 1986 sehr engagiert für Integration einsetzt. Beim jährlich veranstalteten Aktionstag können Menschen mit Handicap in die Arbeit der Heimwerkermärkte hineinschnuppern. Jede Filiale beschäftigt zumindest eine Person mit geistiger Einschränkung, insgesamt sind es über 200. Darüber hinaus arbeitet das Unternehmen mit mehr als 150 Partnerorganisationen in Zentral- und Südosteuropa zusammen und vertreibt in Behindertenwerkstätten gefertigte Produkte wie z.B. Pkw-Anhänger. Vorbildliche Projekte der einzelnen Niederlassungen werden seit 2007 firmenintern mit einem Human-Award prämiert.
Bei Siemens Österreich »passierte« die Integration – der Besuch einer Schulklasse mit behinderten Jugendlichen, die über fehlende berufliche Perspektiven klagten, gab den Ausschlag. Seit 1996 starten in der Siemens-Lehrwerkstätte jährlich neun gehörlose Jugendliche mit einer Ausbildung zu ElektronikerInnen. Eigens angestellte GebärdendolmetscherInnen unterstützen bei der Wissensvermittlung und regten auch schon so manchen nicht-behinderten Lehrling an, die »Sprache« seiner Kollegen zu lernen.
Mögen Mitleid, Hilfsbereitschaft oder einfach soziales Engagement die ursprüngliche Intention gewesen sein, alle Unternehmen, die dieses Wagnis eingegangen sind, wissen inzwischen den Mehrwert für ihren Betrieb zu schätzen. »Integration stärkt den Teamgeist und das Verantwortungsbewusstsein aller Mitarbeiter«, sagt etwa Monika Voglgruber, PR-Managerin von bauMax.


Jobbörse mit Plus

Einen völlig neuen Weg in der Integration von behinderten Menschen geht seit Sommer 2009 die Online-Jobbörse Careesma.at. Unternehmen können auf der Internet-Plattform »Career Moves« ihre Stellenanzeigen mit Symbolen kennzeichnen, wenn der Job auch für Bewerber mit körperlichen Einschränkungen (Bewegung, Gehör/Sprache, Sehen) in Frage kommt. Hier könne sich ein behinderter Mensch »ganz normal mit seiner Leistung präsentieren«, meint Gregor Demblin, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Motary, die das Projekt mit initiiert hat. Das Thema Behinderung trete in den Hintergrund, da das Unternehmen primär an der Leistung interessiert sei, nicht an der persönlichen Vorgeschichte des Bewerbers, so Demblin.
Das Konzept, nicht nur Unternehmen anzusprechen, die schon bisher Menschen mit Handicaps eingestellt haben, ging nur zum Teil auf. Bisher wird die Idee noch recht zögerlich angenommen. Unter den aktuellen Jobangeboten finden sich viele klassische Behinderteneinrichtungen wie die Caritas, aber auch vereinzelt Betriebe abseits des geschützten Bereichs, die nicht nur Stellen mit Hilfstätigkeiten anbieten. So sucht eine IT-Firma in Steyr eine/n Programmierer/in mit Höreinschränkung und ein Baumaschinenspezialist einen Fahrer – ein Handicap im Bewegungsapparat spielt laut Ausschreibung keine Rolle, einzige Voraussetzung ist der Kranführerschein.
Wie schwer es aber selbst im Bundesdienst ist, trotz qualifizierter Ausbildung mit Behinderung Fuß zu fassen, zeigt das Beispiel einer Akademikerin im Unterrichtsministerium. Die Handelsschulabsolventin, durch eine leichte Form des Autismus beim Sprechen etwas beeinträchtigt, wurde 2004 als Hilfskraft eingestellt. Im Laufe der Jahre holte sie die B-Matura nach und schloss ein Studium ab – Karriere machten freilich andere. Während Kollegen schon nach kurzer Zeit in höhere Funktionen aufrückten, ist Frau W. noch immer als einfache Kanzleimitarbeiterin eingestuft. Offiziell natürlich nicht wegen ihres Handicaps, sondern nur, weil keine geeignete Planstelle zur Verfügung stehe.

 

Best Practice:

>> Gartencenterkauffrau. Frau H. wurde 1985 mit einer Lernschwäche geboren. Nach einem mehrwöchigen Praktikum wurde sie 2004 in der bauMax-Filiale Bruck an der Mur als Verkäuferin für den Bereich Garten angestellt. Das AMS gewährte eine Eingliederungsbeihilfe.

>> Bilanzbuchhalter. Herr K. ist seit 1994 beim Salzburger Unternehmen W&H Dentalwerk, einem weltweit renommierten Anbieter zahntechnischer Präzisionsgeräte, tätig. Aufgrund einer Lähmung der linken Hand ist er mit 65 Prozent als behindert eingestuft. Die PC-Tastatur bedient Herr K. mit einem 5-Finger-System, eine Adaption des Arbeitsplatzes war deshalb nicht notwendig. 2008 absolvierte er eine Weiterbildung zum Konzernbuchhalter.

>> Callcenter-Koordinator. Herr G. ist bei der BUWOG, Bauen und Wohnen GmbH, als Leiter des Callcenters unbefristet beschäftigt. Wegen seiner starken Sehbehinderung wurde sein Arbeitsplatz mit einem Lesegerät mit Vergrößerungsprogrammen und einem Kontrastbildschirm ausgestattet. Die Adaptierungen wurden vom Bundessozialamt, der Pensionsversicherungsanstalt und der Wiener Magistratsabteilung 12 finanziert.

>>Serviererin. Frau G. ist seit 2006 im Ausmaß von 30 Wochenstunden in der Pizzeria Rialto in Tirol beschäftigt und wurde dort zur Serviererin angelernt. Aufgrund ihrer Schizophrenieerkrankung wird Frau G.s Arbeitsplatz vom Bundessozialamt und der Landesregierung gefördert.

>>Zimmerer. Herr T. ist langjähriger Mitarbeiter der Strabag AG in Wien. Bei einem Arbeitsunfall erlitt er 2001 schwere Kopf- und Körperverletzungen und ist seit der Rehabilitation wieder in etwas eingeschränktem Umfang auf Baustellen tätig. Die AUVA finanzierte für sechs Monate 50 Prozent der Lohnkosten und Lohnnebenkosten, inklusive Sonderzahlungen.


Kommentar:

Von Angela Heissenberger

Keine Almosen. Oft sind es kleine Dinge, die im Leben zählen. 2008 eröffnete bauMax einen Markt in Plovdiv in Bulgarien. Von Beginn an dabei: drei behinderte Jugendliche einer örtlichen Partnerorganisation. Als einer der Burschen nach wenigen Monaten in eine eigene Wohnung zog, zögerten die Arbeitskollegen keinen Moment und halfen tatkräftig bei der Renovierung und Einrichtung der neuen Bleibe. Zusätzlich sammelten die bauMax-Mitarbeiter Geld für Haushaltsgeräte.
In der bauMax-Gruppe gibt es unzählige solcher Geschichten. Sie wären auch in anderen österreichischen Unternehmen möglich. Doch nur etwa zwei Drittel der Betriebe kommen ihrer Beschäftigungspflicht nach. Der Rest zieht es vor, ein paar Hundert Euro hinzublättern und sich damit der sozialen Verantwortung zu entziehen. Sicher, die Ausgleichstaxen fließen an entsprechende Einrichtungen, wo Behinderte in geschützten Bereichen arbeiten. Doch selbst Menschen mit geistigen Einschränkungen können zwischen bloßer Beschäftigungstherapie und »richtiger« Arbeit in einem Unternehmen unterscheiden.
Natürlich ist es mühselig, Arbeitsplätze barrierefrei zu gestalten, unter der Belegschaft Überzeugungsarbeit zu leisten und gegenüber Kunden und Geschäftspartnern Akzeptanz zu wahren. Arbeitsuchende gibt es mehr als genug, warum also gerade eine/n Behinderte/n einstellen?  Beispiele wie bauMax, wo seit mehr als 20 Jahren Integration gelebt wird, zeigen: In puncto Leistung gibt es kaum Abstriche. Von der Stärkung des Teamgeistes profitieren aber alle Mitarbeiter. Nicht nur für Behinderte öffnet sich oftmals eine neue Welt. Es sind Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Aber sie brauchen Jobs, kein Mitleid.

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