Menu
A+ A A-

Auf der Suche nach Kommerz

Von Stefan Pattis

Internetdienstleister wie MySpace.com und YouTube.com werden von der Wirtschaftspresse als Zeichen dafür genommen, dass es mit der Netzökonomie wieder aufwärts geht. Letztens wurden wieder Summen gezahlt, die an die späten Neunziger Jahre gemahnen. Allerdings wähnten sich manche Kritiker auch durch die mangelnden Gewinnkonzepte in den Zeiten der Internetblase. Die Dienste können zwar eine Unmenge von Anwendern im werberelevanten Bereich vorweisen (siehe Kasten); die Zielgruppe, großteils aus dem Segment der Unterzwanzigjährigen, reagiert auf kostenpflichtige Angebote und zu viel Werbung freilich allergisch.

YouTube: Ersatz für Banner-Werbung. Nun scheint sich das Dickicht zu lichten: YouTube hat letztens den Treasurer und Vice Senior President von Yahoo.com, Gideon Yu, abgeworben. Er soll helfen, die enormen Nutzerzahlen in Gewinne umzusetzen; Charlene Li vom Technologie- und Marktforschungsinstitut Forrester Research nimmt an, dies würde primär über Videowerbung geschehen. Klassisches Internet-Advertising durch Werbebanner sei am Ende; vielmehr liege die Zukunft in Werbevideos, die der Kunde selbst herunterlädt.

Als Beispiel nennt Li den Hype um die \"Mentos-Cola-Fontänen“: die auf YouTube mehrfach vorgestellte Tatsache, dass Mentos-Bonbons, die man in Colaflaschen wirft, zu meterhohen Colafontänen führen, hatte es bis in die Schlagzeilen des Boulevards gebracht. Neben klassischem Guerilla-Marketing, für das YouTube prädestiniert scheint, sind jedoch auch gut gemachte klassische Kampagnen interessant genug, um den Internetsurfer zu einem freiwilligen Klick auf Werbung zu bewegen. Beispiel hierfür sind die aktuellen Werbespots des Computer-Herstellers Hewlett-Packard, die auf bekannte Hip-Hop-Künstler setzen. Für die Verbreitung sorgen die Internetnutzer selbst.Das Wall Street Journal sieht in der Abwerbung von Yu freilich erst den Auftakt zu einem Reigen von weiteren Akquisen und Kooperationen.

MySpace: Der bessere Musikshop? Auch bei MySpace wird daran gearbeitet, die Nutzerzahlen zu monetarisieren: Das Portal, welches von Millionen meist jugendlicher Anwender zur Selbstdarstellung genutzt wird, geht unter die Musikhändler. Bislang wird der Markt mit über 70 Prozent Marktanteil klar von Apples iTunes dominiert; Microsoft will in Kooperation mit dem Musiksender MTV nachziehen. Die Verkaufsplattform Urge.com wird in den Mediaplayer 11, der mit Windows Vista kommt, fix eingebaut sein.

Während die Musikindustrie selbst dem Online-Handel immer noch argwöhnisch gegenübersteht - immer wieder gibt es Streitigkeiten in Hinsicht auf den angemessenen Verkaufspreis -, kündigt MySpace an, man wolle \"einer der größten Online-Musikhändler“ werden. Unrealistisch ist dies nicht: die \"Marke“ ist bereits etabliert, die potenziellen Kunden sind vorhanden. Zudem macht ein nicht unbeträchtlicher Teil der Anwender selbst Musik und könnte gewillt sein, sich über MySpace ein paar Dollars dazuzuverdienen. Die Anbieter sollen den Preis für den Download selbst bestimmen können, MySpace will knapp 50 Cents pro Lied einbehalten.

Mit an Bord ist einer der Pioniere des Filesharings, Shawn Fanning, der 1998 mit seiner Online-Tauschbörse Napster die Musikindustrie in arge Bedrängnis gebracht hatte. Seine neue Firma Snocap soll die Transaktionen für den Musikverkauf auf MySpace abwickeln.

Ginge das Konzept auf, wäre MySpace mit einem Schlag wohl tatsächlich einer der größten Anbieter von Online-Musik - und bei weitem der größte im Bereich \"Independent Music“, also von Künstlern ohne regulären Plattenvertrag. Die großen Musikfirmen zögern freilich noch: obwohl Künstler wie Madonna auf der Seite ebenfalls vertreten sind, steht einer Kooperation die Tatsache im Wege, dass MySpace seine Musikstücke ohne Kopierschutz und DRM vertreiben will. Es bleibt abzuwarten, ob erste Erfolge des Geschäftsmodells die großen Konzerne dazu bewegen können, ihre von den Kunden ohnehin sehr kontroversiell diskutierten Kopierschutzmechanismen aufzugeben.

Durchdachtere Konzepte als beim ersten Mal. Es tut sich was im Web 2.0. Das \"2.0“ im Namen ist auch in kommerzieller Hinsicht durchaus als gerechtfertigt anzusehen. Fehler der späten Neunziger will man nicht wiederholen. Auch wenn heute wiederum ein bestimmter Hype-Faktor mitspielt, scheinen die Protagonisten dazugelernt zu haben, die Businesspläne scheinen solider. Auch wenn die genannten Beispiele nur erste Anzeichen einer Konsolidierung sind: umzudrehen ist der Trend wohl nicht mehr.

Der Community-Effekt
Die Anbieter des so genannten Web 2.0 bieten an sich nichts Bahnbrechendes: Auf MySpace können Anwender eigene Seiten erstellen, mit Interessen, Bildern und Musik garnieren und Freunde - MySpace-User mit ähnlichen Interessen - definieren. YouTube gestattet es den Anwendern, kurze Filmchen online zu stellen; diese können dann von anderen Benutzern angesehen oder direkt in ihre eigenen Webseiten eingebunden werden. Die Angebote auf YouTube reichen von Guerilla-Marketing-Werbeclips bis hin zu selbst gedrehten Trickfilmen.
Gemein ist den beiden Diensten die enorm hohe Zahl von meist jugendlichen, also werberelevanten Anwendern und eine Community-Stuktur, welche als hervorragender Multiplikator für aktuelle Trends wirken kann: \"coole“ Inhalte sprechen sich herum, es kommt zu regelrechten Hypes um bestimmte Filmchen, Lieder oder Webseiten. Die Salzburger Werbeagentur brainpool media hatte eine Persiflage auf den umstrittenen Kopfstoß Zinedin Zidanes beim Finale der Fußball-WM gedreht und auf YouTube veröffentlicht. Innerhalb weniger Tage war das Video mehrere Millionen mal abgerufen worden - mittlerweile gibt es bereits mehrere Nachahmer.
back to top