Hart in der Sache
- Written by Redaktion_Report
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Win-win-Einigungen gelten als optimales Ergebnis einer Verhandlung. Matthias Schranner, ehemaliger Verhandlungsführer der Polizei bei Geiselnahmen, berät heute namhafte Unternehmen – und hält Win-win für einen teuren Irrtum. Hart in der Sache, weich im Umgang kommen aber auch Verhandlungen nach dem »Harvard-Konzept« zu einem erfolgreichen Abschluss.
Kinder sind für Matthias Schranner die besten Verhandler der Welt. Vor allem seine vier eigenen. Niemand feilscht so unerbittlich und hält sich auch nach einer Einigung noch alle Optionen für die Zukunft offen, ist der 46-Jährige sicher. Geht er mit seinem Sohn ein T-Shirt kaufen, zeigt ihm dieser nach erfolgreicher Überredungskunst »nur so, vielleicht für nächstes Mal« eine Jacke, »die auch super wäre« – und stellt damit bereits die Weichen für die kommenden Verhandlungen. Als verdeckter Drogenfahnder lernte Schranner die »Sprache der Straße«, wie er es nennt. Später verhandelte als Leiter einer Spezialeinsatzgruppe des deutschen Innenministeriums in hochbrisanten Geiselnahmen um Lösegeld und Fluchtwagen, mit durchgedrehten Familienvätern oder Selbstmördern. Nach zwölf Jahren kehrte er der Polizei den Rücken und gründete in St. Gallen ein Negotiation-Institut. Schranner berät nun die Führungskräfte großer Unternehmen in ganz Europa, in Asien und den USA, neuerdings auch politische Parteien. Dabei geht es zwar nicht um Leben und Tod, dafür oft um viel Geld und Macht. Der Druck ist ähnlich groß.
Hohe Kunst
Schranner empfiehlt, in einer Dreierkonstellation in Verhandlungen zu gehen und zieht Vergleiche zur Kompetenzverteilung bei der Polizei. Der eigentliche Verhandler, der Negotiator, hat einen kleinen, klar umgrenzten Spielraum. Nur er kommuniziert mit der Gegenseite, trifft aber keine Entscheidung. Der Commander, in einem Unternehmen beispielsweise der Verkaufsleiter, hält sich während der Verhandlung wie ein Supervisor im Hintergrund und gibt Feedback. Der Geschäftsführer als Decision Maker nimmt nicht aktiv an den Gesprächen teil, trägt die Verantwortung und entscheidet letztlich über Zugriff oder Abwarten.
Diese Rollenaufteilung bietet Schutz vor ungewollten Zugeständnissen und hält Emotionen im Zaum. Gute Vorbereitung ist die halbe Miete. Doch ebenso wichtig sei es, das Gegenüber zu beobachten und während der Verhandlung einschätzen zu lernen, so Schranner. Was sind seine wahren Motive? Der Bankräuber will nicht in erster Linie das Geld und ein Fluchtauto, sondern heil und mit Selbstachtung aus der misslichen Lage herauskommen. Ebenso fordert vielleicht der Geschäftspartner zwar höhere Rabatte, lässt sich aber auch mit zusätzlichen Serviceleistungen oder längeren Zahlungsmodalitäten zufriedenstellen. Der Mitarbeiter hätte gerne eine Gehaltserhöhung, erwartet sich in Wirklichkeit aber mehr Wertschätzung für seine Arbeit.
Das zu erkennen, ist höhere Kunst. Zum Ziel kommen aber auch weniger Versierte, indem sie immer ein Gesamtpaket verhandeln. So kann in unwichtigen Bereichen nachgegeben werden, während man in der Sache hart bleibt. Der Verhandlungspartner freut sich über eine Win-win-Einigung – und in diesem Glauben sollte man ihn auch lassen. Eine solche Lösung schon von vornherein anzustreben, hält Schranner jedoch für einen schweren Fehler.
Kuschelkurs
Wer schon zu Beginn der Verhandlung alle Karten offen auf den Tisch legt und wohlmeinend ein »faires« Angebot macht, riskiert die typische Einigung »in der Mitte« – ohne auch nur auszuloten, wie groß der Spielraum der Gegenseite ist. Zurück bleibt das schale Gefühl, dass möglicherweise noch mehr drin gewesen wäre. Trotzdem gilt eine Win-win-Vereinbarung in unseren Breiten als optimale Verhandlungslösung, vor allem, wenn eine langfristige Partnerschaft angestrebt wird. Doch gerade in langjährigen Geschäftsbeziehungen sollte man einander auf Augenhöhe begegnen. »Der Kunde ist nicht König, sondern gleichberechtigter Partner«, räumt Schranner mit einem lang gehegten Irrtum auf. Hart zu verhandeln heißt für ihn, strategisch und konsequent vorzugehen – nicht die Gegenseite mit Drohungen unter Druck zu setzen. »Respekt muss man sich verdienen«, sagt Schranner, und das sei nicht durch einen lauen Kompromiss möglich.
Basarmentalität
»Kompromisse sind selten gut«, meint der Kommunikationsprofi, »sie zeigen, dass man sich den Spielregeln des Gegenübers unterworfen hat, statt eine eigene Strategie zu verfolgen und die Forderungen im Gesamtpaket zu erhöhen.« Nur durch gezielte Stiche finde man heraus, wo die Schmerzgrenze der Gegenseite liegt.
Viele Verhandler zeigen sich zudem völlig überrascht, wenn der Geschäftspartner plötzlich gar nicht mehr auf Kuschelkurs eingestellt ist und die Verhandlung mit fast unverschämten Forderungen eröffnet. Im arabischen Raum, wo beinhartes Verhandeln zum guten Ton gehört, würde sich niemand schon zu Beginn über seine wahren Ziele oder Motive äußern. Ein bisschen »Basarmentalität« könnte uns Europäern nicht schaden, vor allem das Spielerische am Feilschen ist uns verloren gegangen. »Im Gegenzug könnten sich Araber von uns die bessere Vorbereitung abschauen«, meint Schranner.
Vor allem die Maximal- und Minimalziele sollten vorab festgelegt werden. Während die Höchstforderungen meist klar umrissen sind, wird das untere Limit, mit dem man gerade noch leben kann, selten ausformuliert. Die Folge sind immer weitere Zugeständnisse – man wird über den Tisch gezogen.
Sachlich bleiben
Sonja Rauschütz, Geschäftsführerin der Vienna School of Negotiation, unterrichtet und berät nach dem sogenannten »Harvard-Konzept«, einer prozessorientierten Verhandlungsmethode, die häufig mit Win-win-Lösungen gleichgesetzt wird. Rauschütz vertritt nach eigenen Angaben »fast eine Antithese zu Herrn Schranner«: »Es geht nicht ums Siegen, sondern um erfolgreiches Verhandeln – das muss nicht Win-win sein.«
Das »Harvard Negotiation Project« wurde 1981 erstmals von Roger Fisher und William L. Ury in dem Buch »Getting to Yes« formuliert. Die wesentlichen Ziele: Es wird zeiteffizient verhandelt, gute Geschäftsbeziehungen bleiben erhalten und beide Parteien nehmen mit, was sie brauchen. Damit dies gelingt, sollten sich die Verhandlungspartner auf die sachliche Ebene konzentrieren. Wendet die Gegenseite faule Tricks an, wird empfohlen, die unfaire Verhandlungsführung sofort anzusprechen, um ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Eine strukturierte Vorbereitung ist in jedem Fall unverzichtbar, um Klarheit über die eigenen Ziele zu bekommen und emotionalen Reaktionen vorzubeugen. »Ich bin dagegen, etwas herzuschenken«, sagt Sonja Rauschütz, »aber gute Verhandler können auch Kompromisse schließen«.
Verbrannte Erde
Als bisher einzige Europäerin lehrte Rauschütz zwischen 1999 und 2002 als engste Mitarbeiterin von Professor Fisher an dessen Institut in Harvard. Seit 18 Jahren begleitet und coacht sie Führungskräfte in Zentral- und Osteuropa, den USA und im Nahen Osten, u.a. im israelisch-palästinensischen Friedensprozess.
»Der harte Verhandler ist ein Mythos«, meint Rauschütz. Denn so grabe man sich ungewollt auf Positionen ein. Gehen beide Seiten auf Konfrontation, eskaliert die Situation – zurück bleibt verbrannte Erde. »Wenn Sie dieses Pferd satteln, müssen Sie es auch reiten können«, so die Konfliktmanagerin. »Niemand kann es sich leisten, die Beziehungsebene zu beschädigen. Und man trifft einander nicht nur einmal.«
Tipps & Tricks:
> Vorbereitung: Ziele formulieren, Struktur und Agenda festlegen, Verhandlungsteam bestimmen.
> Zuhören: Zuerst die Verhandlungspartner ihre Standpunkte präsentieren lassen und gezielt nachfragen. Während sich die Gegenseite um Kopf und Kragen redet, erweitert sich Ihr Handlungsspielraum.
> Konjunktiv verwenden: Aufgezeigte Szenarien ausschließlich in der Möglichkeitsform laut evaluieren, auf Widersprüche hinweisen.
> Ruhe bewahren: Emotionen kontrollieren, denn sie signalisieren dem Verhandlungspartner Schwächen, wunde Punkte und worum es Ihnen wirklich geht.
> Gelassen bleiben: Auf Provokationen nicht reagieren, Drohungen je nach Strategie ignorieren oder direkt ansprechen. Sie zeigen, dass die Gegenseite stark unter Druck steht. Immer freundlich bleiben, keine Beleidigungen – auch wenn Sie selbst untergriffig attackiert werden. Vielleicht will man nur Ihre emotionalen Grenzen ausloten.
> Gesamtpaket verhandeln: Immer mehrere Forderungen stellen, dann sind Zugeständnisse in weniger wichtigen Punkten möglich.
> Flexibel bleiben: Die naheliegendste Lösung ist nicht immer die beste und schon gar nicht die einzige. Wer sich zu früh festlegt, hat schon verloren.
> Sackgassen vermeiden: Gerät die Verhandlung ins Stocken, eine Pause vorschlagen. Eventuell eine zusätzliche, »neutrale« Person hinzuziehen. Ist ein Abbruch der Verhandlungen unausweichlich, Zwischenergebnisse festhalten und Türen für einen Neubeginn öffnen.
> Abschluss: Kein Siegerjubel, keine Vorwürfe – Gefühle der Stärke oder der Verbitterung sind tabu.
Lesen Sie das Interview mit Verhandlungsprofi Matthias Schranner.