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Krise in der Krabbelgruppe

Früh übt sich, was ein Banker werden will. Dass mein Sohn in der Krabbelgruppe »Marienkäferl« jetzt nicht mehr willkommen ist, ist aber schon bitter. Ein Lamento von Rainer Sigl.

Ich sag’s Ihnen, mein Sohn ist schon mit vier Jahren ein verkanntes wirtschaftliches Wunderkind. Erst neulich, als ich ihm zur Jause noch zusätzlich die alten Kekse vom Advent mit in den Kindergarten gegeben habe, zeigte sich seine frühkindliche Begabung zum Investmentgenie. Er habe nämlich, wie er mir am Nachhauseweg mit Schluckauf vor Aufregung erklärte, ein schwungvolles Geschäft damit aufgezogen, indem er die Kekse um 50 Cent pro Stück in der Krabbelgruppe an seine kleinen Freunde verkauft habe. Und nachdem die Kleinsten ja sträflicherweise traditionell nicht besonders liquid wären, habe er geschickt damit für seine Kekse geworben, dass er sie auf Pump ausgegeben habe – für lächerliche 10 Cent Zinsen bis zum nächsten Tag, er sei ja kein Unmensch, und immerhin, so hat er sie rumgekriegt, der kleine Wiffzack, täte er den anderen Kleinen ja damit einen Gefallen, denn morgen wäre der Preis ja sicher bei einem Euro, die momentane Marktlage betrachtet – da könnten die Kekskäufer auf Kredit sogar noch Gewinn damit machen, wenn sie zum Beispiel ein Kekserl heute essen und zwei morgen wieder verkaufen würden. Ich muss gestehen, dass ich ob so viel Finanzgenie in seinem Alter baff war – ganz der Papa, der Lauser!

Bis zum Nachmittag war alles gut gelaufen: Es hatten zwar ein paar andere kleine Klugscheißer frech das geniale System meines Sprösslings kopiert und ebenfalls damit begonnen, den Keksmarkt der Krabbelgruppe zu beackern, aber das zeigte wohl nur die Genialität der Geschäftsidee. Ein paar Miesepeter hatten, wohl grün vor Neid, sogar damit begonnen, untereinander darum zu wetten, dass »das Kexi morgen so teuer aber sicher keiner kaufen tut«, wogegen ein paar andere eintraten, die tapfer das überzeugende System meines Sohnemanns verteidigten, aber dieses gerissene Kleinfinanzgenie hatte sich – ein genialer Schachzug, muss ich schon sagen! – einfach von den Miesepetrigsten aus der Neiderbande jenes Geld geliehen – »für noch mehr Kexi morgen!« –, das diese beim Eintreffen ihrer vorherigen gemeinen Untergangsprophezeihungen einsacken wollten.
Was genau am nächsten Tag geschah, ist etwas unklar, aber das führe ich auch auf die aufgesprungene Lippe und das verrotzte Heulen meines bitter enttäuschten Sohnes zurück. Anscheinend hätten die gestern noch so hoffnungsfrohen Käufer – wirtschaftliche Versager allesamt! – geschlossen die verbliebenen Krümel zurückgebracht und beteuert, sie hätten keine Abnehmer gefunden, und überhaupt wären die Kekse »pfui gack«. Okay, ich geb’s zu, meine Teuerste ist jetzt nicht grade Bocuse, aber sooo schlecht waren sie auch nicht, naja, was soll’s. Jedenfalls verlangten jetzt wohl auch die Miesepetrigen, die darauf gewettet hatten, dass keiner die Kekse weiterverkaufen würde, ihre Wettgewinne und von meinem Sohn das Ausgeliehene zurück, alle heulten, mein Sohn blieb auf seinen Keksen und den Krümeln sitzen und schlussendlich gab’s wohl eine kleinere Schlägerei, bei der irgend so ein hundsgemeiner Kommunistenspross meinem Kleinen die Lippe blutig geschlagen hat.

Soweit ich die Kindergartentante verstanden habe, habe mein Kleiner stundenlang wiederholt, dass einfach zu wenig Geld da wäre, um das System wieder zu stabilisieren – ja Herrschaftszeiten, das war ja von Anfang an das Problem, dass die Leute halt so stur sind und ihren Vorschülern kein echtes Geld in die Patschhändchen legen, sonst wär’s ja gar nicht so weit gekommen! –, alle würden ihm Geld schulden, seinen Berechnungen etwa 357 Euro fuffzich, allerdings habe er aber selbst, wie auch ein paar andere mutige Investoren in das Keksimperium, kleinere Verluste durch Spekulationen in der Höhe von 630 Euro hinnehmen müssen, und deshalb, summa summarum, bräuchte es umgerechnet in etwa die eigentlich eh bescheidene Summe von schlappen 3.256 Euro, um die angeschlagene Kekswirtschaft wieder zum Schnurren zu bringen, und da habe ja schließlich jeder was davon, nicht wahr? Und was tut die Kindergartentante, statt derartigen kreativen Wirtschaftsgeist mit der dringend benötigten finanziellen Belebung zu belohnen? Anruf bei mir, Rausschmiss aus dem Kindergarten, ein Mords­trara! Dabei wär das kein Problem gewesen, für Schnickschnack wie das schwule rosa Sandkastenspielzeug war ja auch Geld in der Kindergartenkasse, aber nein, da wird von diesen wirtschaftsfeindlichen kommunistischen Strickpulli-Emanzentanten wieder mal eiskalt blockiert und jedes innovative Lernspiel sofort abgewürgt, ich sag’s Ihnen, kein Wunder, dass es der Wirtschaft so schlecht geht – wenn die Kleinen von Anfang an nicht lernen, wie man wahre Werte erwirtschaftet.
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