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Tax and Crime

Mike Hammer kann einpacken: In Zeiten globaler Finanzkrisen braucht es einen anderen Schlag von Ermittler. Eine hard-boiled Satire noir von Rainer Sigl.

Es war ein verregneter Sonntagabend, als die Lady in meinem Büro auftauchte wie ein Engel in einer vergessenen Seitenkammer der Hölle. Ich war gerade damit beschäftigt, mir meinen vierten Whisky des Abends einzugießen und noch ein paar Akten durchzugehen, als sie plötzlich vor mir stand, mit ihrem nassen Chanel-Kostüm, einer Ledertasche voller Steuerakten und den blauesten Augen, die ich je gesehen hatte. Obwohl ich nichts im Kasino an der Börse verzockt hatte, waren die Zeiten auch für mich nicht gerade rosig gewesen; die paar Riesen, die der Job in den letzten Jahren abgeworfen hatte, hatte ich für Weiber und Schnaps rausgeworfen; den Rest hatte ich verschwendet. Deshalb konnte ich auch nicht gerade wählerisch sein, als mir Mrs. Blue Eyes ihren Fall schilderte: Ich sollte ihren Mann beschatten, der irgendein großes Ding mit Immobilien am Laufen gehabt und sich mit den falschen Leuten eingelassen hatte.

Am nächsten Abend machte ich mich an die Arbeit. Mister Blue Eyes schien ein vielbeschäftigter Mann zu sein, doch als ich ihm von seiner Arbeit im Finanzviertel um Mitternacht zu einer schicken Villa im nobelsten Teil des Nobelviertels gefolgt war, überfiel mich das alte, eiskalte Gefühl in der Magengrube. Die Gegend stank nach Ärger und nach der falschen Sorte Geld: nach altem Erbe, vermischt mit den aus den tiefsten Innereien innovativer Finanzprodukte herausgekrallten Millionen fiktiver Kohle, die sich hier in meterhohen Zäunen, Videokameras und teuren Sportwagen niedergeschlagen hatte. Doch jetzt war nicht die Zeit für Zimperlichkeit; ich hatte einen Job zu erledigen. Wenig später hatte ich es mir auf einer der großen Eichen im Park gegenüber gemütlich gemacht. Ein wärmender Schluck aus dem Flachmann und eine letzte Überprüfung meiner Kamera später gingen die Lichter gegenüber in der Villa an, und schon sah ich Mr. Blue Eyes gemeinsam mit zwei Männern ein Büro betreten. Als ich seine Gastgeber zu sehen bekam, gefror mir mein Blut zu Eiswasser. Die Lady hatte mit ihrem Verdacht mehr als Recht gehabt: Mr. Blue Eyes hatte sich mit verdammt üblen Typen eingelassen, und der Gedanke, was die beiden mit einem dreckigen Privatschnüffler wie mir anstellen würden, wenn sie mich vor ihrem Fenster entdecken sollten, nötigte mir einen weiteren tiefen Zug aus der Pulle ab. Und dann fotografierte ich, mit kalten, klammen Fingern.

Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht. Es war die Villa von Johnny Cinque, besser bekannt als »der Mohr«, vor der ich auf einem dürren Ast saß, und Mr. Blue Eyes hatte sich mit der berüchtigten Europäer-Gang eingelassen. Ich schluckte meine Furcht hinunter und fotografierte. Fotografierte den »Mohren« selbst, wie er mit seinem nur harmlos erscheinenden, leicht debil wirkenden Grinsen Verträge aus dem Safe holte. Fotografierte auch den anderen, seine rechte Hand Giancarlo »die Föhnwelle« Grassiani, wie er mit aalglattem Autoverkäuferlächeln Vertrag um Vertrag zur Unterschrift vorlegte. Ich schloss kurz die Augen und dankte allen Göttern, dass zum Glück Frankie »die Elster« hinter Schloss und Riegel war, ansonsten hätte ich mich mit diesen Bildern um Kopf und Kragen gebracht; ich wäre nicht der erste Privatschnüffler, der mit Betonschuhen vor Jersey oder auf einer der berüchtigten Kreuzfahrten des »Zuckerbäckers« – Gott hab ihn selig – verschwunden wäre.

Ich kann mich nicht erinnern, wie ich in mein Büro zurückkam; als ich die schweren Augen am nächsten Abend wieder öffnete, fand ich mich mit zwei leeren Whiskyflaschen, brüllenden Kopfschmerzen und einer versteinerten Mrs. Blue Eyes in meinem Büro wieder, die gerade die Bilder betrachtete. Doch irgendetwas war falsch. Es war keine Erschütterung, die sich in ihrem anmutigen Gesicht widerspiegelte. Mit einem Schlag begriff ich: Sie war keine Lady in Not, und ich hatte auch nicht ihren Mann beschattet. Achtlos warf sie mir ein Bündel Scheine und einen Vertrag hin, den ich anscheinend in meiner Umnachtung irgendwann letzte Nacht unterschrieben hatte. »Vielen Dank, Schnüffler. Immer gut zu wissen, was die Konkurrenz so macht. Ab jetzt arbeitest du für uns.« Und damit verschwand sie, wie ein Racheengel aus einer vergessenen Seitenkammer der Hölle. Seit diesem einen Abend, an dem mich ein Teufel in Engelsgestalt in den Abgrund gezogen hat, habe ich alle Hoffnung aufgegeben. Seit diesem einen Abend bin auch ich in jenem Mahlstrom verschwunden, an dessen Abgrund ich jahrelang stand. Denn seit diesem einen Abend – gehöre auch ich der Triade der Abhängigen Finanzoptimierer an.

Last modified onDienstag, 29 Januar 2013 20:00
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