Troll dich!
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Wenn die freie Meinungsäußerung in Foren und Kommentaren zur unappetitlichen Schlammschlacht wird, ist Handarbeit oft die letzte Lösung.
Vor gar nicht allzu langer Zeit war Journalismus eine verkehrsberuhigte Einbahnstraße zwischen Autoren und Publikum. Das gedruckte Wort landete am Frühstückstisch, und die Leserschaft konnte sich allerhöchstens per sporadisch abgedrucktem Leserbrief zu Wort melden. Die Diskussion der Tagesthemen erfolgte von den Medien getrennt im kleinen Kreis: in der Familie, beim Kaffee mit Arbeitskollegen oder ganz klassisch am Stammtisch, der diesbezüglich seit jeher zu Recht nicht den besten Ruf in puncto Diskussionskultur genießt.
Mit der gar nicht mehr so neuen Welt der digitalen Publikationen im Netz hat sich das grundlegend geändert: Auf den meisten Webseiten sind die Leser nur einen Klick davon entfernt, ihre Meinung der Welt mitzuteilen. Das bedeutet einerseits eine gewaltige Demokratisierung des Diskurses, in dem der öffentliche Meinungsaustausch plötzlich oft mehr Gewicht erlangt als der kommentierte Artikel selbst. Wie so oft im Zuge dieser alle Bereiche des modernen Lebens erfassenden Informationsrevolution hat die neue Freiheit aber auch ihre Schattenseiten – und diese drohen inzwischen oft die Vorteile zu überwiegen.
Als »Trolle« bezeichnet man besonders emsige Online-Kommentatoren, die mit ihren Gesprächsbeiträgen nur eines im Sinn haben: auf möglichst provokante Art und Weise möglichst viele, emotionale Reaktionen hervorzurufen. Die Bandbreite reicht von bewusst provozierenden Statements über absichtliche Themenverfehlung bis hin zu persönlichen Angriffen auf Autoren, Mitposter oder ganze Bevölkerungsgruppen. Schnell gehen dann die Wogen hoch. Die renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung widmete einem Gewohnheitstäter dieser Spezies unlängst ein Porträt: Unter dem Titel »Hass im Netz« zeichneten die Autoren das Psychogramm eines stolzen Trolls:ein 55-jähriger Frührentner, der in über 200 Kommentaren pro Tag Reaktionen provozieren, ärgern, »die Mächtigen« bekämpfen will – und dafür sogar schon eine Anzeige wegen Volksverhetzung kassiert hat.
Bis zu einem gewissen Grad profitieren aber auch die Online-Angebote vom Krieg der Worte auf ihren Seiten: Denn letztlich zählen nur Klicks. Kontroverse bringt Quote, im Netz besonders. Und eine Wunderwaffe gegen die Schlammwerfer, die in ihren hasserfüllten Tiraden oft das Maß des Erträglichen oder gar der Legalität überschreiten, gibt es nicht. Auch ein Ende der Anonymität in den Foren, also der Zwang zum Klarnamen, scheint wenig erfolgversprechend: Die hasserfüllten Lawinen, die vor wenigen Wochen etwa über Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek oder die Ö3-Moderatorin Elke Lichtenegger hereinbrachen, waren großteils dank Facebook eindeutig echten Personen zuzuordnen – das Internet lässt scheinbar auch ohne Anonymität jene Hemmschwellen erodieren, die etwa im persönlichen Kontakt nie überschritten würden.
Ironischerweise ist der einzige erfolgversprechende Ansatz die gute alte Handarbeit: Community- und Social-Media-Manager sind das wenig beneidenswerte Bollwerk gegen die Flut an Hass, die immer öfter den Dialog beiseiteschwemmt. In mühevoller Kleinarbeit sichten diese Redakteure Kommentare, schalten frei oder lassen die unflätigsten Schreier erst gar nicht zu Wort kommen. Bis hin zu IP-Sperren reichen die Werkzeuge, doch der Grat ist schmal: Ab wann ist dieses Aussieben Zensur? Dass auf privaten Seiten niemand das Recht auf uneingeschränkte Meinungsäußerung hat, sondern höchstens die auch widerrufbare Erlaubnis dazu, macht den Spagat nicht einfacher. Das deutsche Qualitätsmedium Die Zeit macht sich deshalb in seinem Online-Angebot die mühevolle Kleinarbeit, in individuellen Statements die Gründe für die Kommentarlöschungen anzugeben.
Doch der wahre, weitaus größere Sturm tobt ohnedies nicht in den Kommentaren – denn das Stammtischproblem zeigt sich andernorts noch deutlicher: Per Design niederschwellige Publikationsplattformen wie Twitter werden immer häufiger Schauplatz von organisierten Kampagnen, die vor systematischer Belästigung und selbst Morddrohungen nicht zurückschrecken. Ein Patentrezept dagegen ist nicht in Sicht – manchmal sind Social Media eben auch ganz schön asozial.