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Moderne Gerichte

Für eine effiziente Gerichtsbarkeit sorgt Wolfgang Fellner, Sektionschef im Justizministerium, mit potenten IT-Werkzeugen wie Onlineplattformen und Webkonferenzen.

Geht es um den elektronischen Datenverkehr in den Amtsstuben, ist die Mannschaft rund um Justiz-Sektionschef Wolfgang Fellner so etwas wie die Pioniertruppe im E-Government. Früh wurden Datensammlungen im Netz begonnen und Nutzergruppen auf die Datenpfade der Rechtsprechung geleitet.

Report: Wann hat das Zeitalter der IT in der Justiz begonnen?
Wolfgang Fellner: Mit der Erfassung der Grundbücher von handgeschriebenen Folianten in eine zentrale Datenbank wurde bereits 1980 angefangen. Die Bücher lagerten in den Bezirksgerichten und hätten, Rücken an Rücken gereiht, eine Länge von sechs Kilometern erreicht. Für diese Arbeit, die insgesamt mehr als 12 Jahre dauerte, wurde ein IT-Netz in der Justiz geschaffen, das später auch für andere Aufgaben nutzbar war. Die erste weitere Nutzung dieser neugeschaffenen Infrastruktur erfolge 1986 für das Mahnverfahren, also auf Geld lautende zivilrechtliche Klagen, deren Standardisierung sich angeboten hat. Diese Mahnklagen elektronisch zu erfassen, war anfangs zwar eine Mehrarbeit für die Justiz, die Eingabearbeit wurde aber ab 1990 mehr und mehr von den Kanzleien der Rechtsanwälte übernommen. Damit hatte der moderne elektronische Rechtsverkehr begonnen – einige Jahre bevor das Internet kommerziell genutzt wurde. Anfangs wurde der Rechtsverkehr nur  den beruflichen Parteienvertretern zugedacht. Heute kann jeder, der sich dazu anmeldet, daran teilnehmen.
Wir sind den Anwälten und Notaren heute sehr dankbar, dass sie von Anfang an Kooperationsbereitschaft gezeigt und die Nutzung zunächst zur internen Standespflicht erklärt haben. Mittlerweile ist die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr zur gesetzlichen Pflicht geworden. Der elektronische Datenverkehr in diesem Bereich kommt heute auf jährlich mehr als zwei Mio. Eingaben. Seit 1999 stellt die Justiz auch elektronisch zu. Und die Zahl dieser Zustellungen übersteigt mittlerweile die Zahl der elektronischen Eingaben, da wir auf diesem Weg nicht nur Entscheidungen kommunizieren, sondern die eingelangten Eingaben durch die Rückmeldung des jeweiligen gerichtlichen Aktenzeichens bestätigen.

Report: Gerade die elektronische Zustellung birgt ein großes Potenzial, vorausgesetzt die Bürger setzen auch auf diesen Weg.
Fellner: Ja, es geht wesentlich schneller und kostengünstiger. Vor allem Portogebühren werden hierdurch massiv gespart. So ist die Justiz mit Ausgaben von jährlich 30 Mio. Euro im Bereich der Briefpost nach wie vor der größte Portozahler der Republik. Je mehr wir RSa- und RSb-Briefe sowie sonstige Briefsendungen elektronisch zustellen können, desto größer ist der Einsparungseffekt. Statt Euro-Beträgen je Sendung fallen nur mehr geringe Cent-Beträge an.
Jeder Bürger kann sich am elektronischen Rechtsverkehr beteiligen. Freilich sind gerade in Adressatenkreisen wie im Bereich der Mahnklagen – wenn etwa jemand einem Versandhaus einen Betrag schuldig bleibt – viele nicht mit einem entsprechenden Internetanschluss ausgestattet. Auch ist es noch nicht üblich, bei Bestellungen im Handel eine entsprechende Web-Adresse anzugeben. Zufrieden mit der Nutzung sind wir auf jeden Fall aber auch heute schon. Eine beachtlich große Zahl von 85 Prozent der Zivilklagen langt bei der Justiz mittlerweile elektronisch ein. Mehr als 60 Prozent der Exekutionsanträge – mit jährlich rund 1,1 Mio. Geschäftsfällen der größte Geschäftsbereich in der Justiz - werden ebenfalls auf digitalem Weg eingebracht.
Am 12. Dezember wird dazu ein weiterer, großer Schritt gesetzt. An diesem Tag tritt die Verordnung der EU zum europäischen Mahnverfahren für grenzüberschreitende Forderungen in Kraft. Um die Einbringung von Geldforderungen aus Vertragsverhältnissen zwischen Einwohnern unterschiedlicher EU-Länder zu erleichtern, können dann auch Mahnklagen in der jeweiligen Landessprache des Beklagten heruntergeladen und ohne Einschaltung eines Rechtsanwaltes beim zuständigen Gericht des Schuldners im Ausland eingebracht werden. Während die meisten EU-Staaten diese Klagen auf herkömmliche Weise bearbeiten werden, haben wir gemeinsam mit der deutschen Justiz bereits ein elektronisches Verfahren dazu entwickelt, für das zu einem erheblichen Teil die Programmierungsarbeiten des österreichischen Mahnverfahrens verwendet werden konnten.

Report: Wird in den Amtsstuben der Rechtsprechung à la longue auf Papier verzichtet werden können?
Fellner: Bis die österreichischen Gerichtsakten elektronisch geführt werden, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Die Nutzer haben noch Vorbehalte dagegen. Unsere Akte werden derzeit zwar elektronisch administriert, aber bis auf Weiteres noch in Papierform geführt. Es gibt Bereiche, an denen bereits vollständig elektronische Prozesse angedacht sind, wie zum Beispiel Strafverfahren gegen unbekannte Täter aufgrund von Anzeigen der Sicherheitsdienststellen. Hier werden Ausdrucke in Kürze nicht mehr notwendig sein – es genügt dann die Bearbeitung am Bildschirm. Unsere Aktenverfolgungssysteme, die so genannten Register, werden schon in allen Geschäftsbereichen elektronisch geführt. Dies erlaubt es auch, dass ein Rechtsanwalt in seiner Rolle als Parteienvertreter in den seine Mandanten betreffenden Fälle in die Register Einsicht nehmen kann, um sich über den Bearbeitungsstand und die digital gespeicherten Inhalte eines Aktes zu informieren. Damit ist der Nutzer nicht mehr an die Dienststunden eines Gerichtes gebunden und muss auch keine Wartezeiten in Kauf nehmen.

Report: Wie sieht es mit neuen Applikationen aus, welche Prozesse sollen noch elektronisch umgesetzt werden?
Fellner: Urkunden unterschiedlichster Art können heute bereits von den Grundbuch- und Firmenbuchgerichten elektronisch vom Urkundenarchiv der Rechtsanwälte namens „Archivium“ und vom Notariatsarchiv „Cyberdoc“ abgerufen und eingesehen werden. Eine neue, überarbeitete Grundstücksdatenbank wird im Dezember 2009 ihren Betrieb aufnehmen, um auch Grundbuchgesuche und Grundbucheintragungen vollständig elektronisch abzuwickeln.
Ein weiterer Modernisierungsschub erfolgt durch den Einsatz von Videokonferenzsystemen. Mittlerweile sind über 100 Dienststellen der Justiz (alle Landesgerichte und Staatsanwaltschaften, ein Großteil der Bezirksgerichte sowie die meisten Justizanstalten) mit Videokonferenzsystemen ausgerüstet. Im Schnitt werden pro Tag drei Videokonferenzen in der österreichischen Justiz durchgeführt. Sie führen zu einer wesentlichen Verfahrensbeschleunigung und Kosteneinsparung bei Prozessen. Mussten früher Zeugen zeitaufwändige Reisen auf sich nehmen – oder wurden Gerichtsakten auf die Reise geschickt, Richter anderer Gerichte mussten sich dann für eine einzelne Befragung in den Fall einlesen – ist dies dank IT nun nicht mehr nötig. Ein Wiener Richter kann beispielsweise nun über das elektronische Buchungssystem der Justiz einen auswärtigen Verhandlungssaal mit einem Videokonferenzsystem buchen. Der Zeuge wird dorthin geladen und direkt in die Verhandlung in Wien eingespielt. Abgesonderte Vernehmungen, in denen einem Opfer aufgrund traumatischer Erfahrungen nicht zumutbar ist, möglicherweise erneut auf den Täter zu treffen, sind ein weiterer Einsatzgrund für Videokonferenzen. Auch in Justizanstalten sind die Systeme bereits im Einsatz. Aufwändige Transporte inhaftierter Personen zu Verhandlungen sind damit nicht mehr notwendig. Österreich ist hier weltweit führend, und wir werden das System weiter ausbauen.
Die elektronische Schreibgutverwaltung ist ein weiteres Beispiel für unsere Vorreiterrolle: Gab es früher immer wieder Klage über die lange Zeitspanne, die für das Übertragen von Protokollen und die Ausfertigung von Urteilen benötigt wurde, wurde nun bei jedem der vier Oberlandesgerichte ein Pool zur Verteilung dieser Arbeit eingerichtet. Gerichte stellen in den Pool zu übertragendes Schreibgut, beispielsweise karenzierte Schreibkräfte können diese Arbeit dann im Rahmen ihrer Zuverdienstgrenze von zu Hause aus erledigen. Mussten wir früher Schreibkräfte von externen Schreibdiensten damit beauftragen, können wir mit der Schreibgutverwaltung nun die Arbeit mit den eigenen Kräften erledigen. Die Folge: Die Übertragungs- und Ausfertigungsfristen sind wesentlich kürzer.

 

Zur Person: Wolfgang Fellner ist seit März 1972 im Bundesministerium für Justiz tätig. Seit Anfang des Jahres 2000 leitet er die Präsidialsektion. Zum Aufgabenbereich des Sektionschefs gehört unter anderem der Informationstechnikeinsatz in der österreichischen Justiz.
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