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Krise - war´s das schon?

Vor einem Jahr löste die Pleite von Lehman Brothers und vieler anderer Investmentbanken Panik, Weltuntergangsstimmung und eine veritable Wirtschaftskrise aus. Heute sind die Konjunkturdaten zwar nicht berauschend, die Börsen aber weitgehend stabil, Anleger finden wieder Lust am Risiko und Bankmanager streifen satte Prämien ein. Was blieb von der Krise und wo ist sie noch zu spüren? Eine Analyse.

 

Am 15. September 2008 erschütterte ein Erdbeben die Finanzwelt. Nachdem die US-Regierung bereits drei Großbanken – Bear Stearns, Fannie Mae und Freddie Mac – mit Milliarden Dollar aufgefangen hatte, war der politische Druck zu groß, weitere Geldspritzen zu gewähren. Die durch die Subprime-Krise schwer angeschlagene Traditionsbank Lehman Brothers musste Involvenz anmelden. Rund 25.000 Mitarbeiter verloren ihren Job, übrig blieb ein Schuldenberg von mehr als 600 Milliarden Dollar. Über die Eingeweide stürzten sich schon wenige Tage später die Geier: Die britische Barclays-Bank, die noch unmittelbar vor dem Crash über einen Einstieg bei Lehman verhandelt hatte, bekam nun die Filetteile des Unternehmens aus der Insolvenzmasse fast geschenkt – das US-Geschäft samt kompletter Infrastruktur und Hauptsitz in New York. Japans größtes Brokerhaus, Nomura Holdings, übernahm das Asiengeschäft sowie die Investmentbanksparte in Europa und im Nahen Osten.

Big Bang
Das war jedoch erst der Anfang. Viele weitere Bankenpleiten folgten, Aktienkurse stürzten ins Bodenlose, die Börsen stellten sich praktisch tot. Langsam dämmerte es auch Finanzexperten in Europa, dass die Turbulenzen an der Wall Street Auswirkungen auf das internationale Finanzgefüge und die Weltwirtschaft haben könnten. Von den zahlreichen europäischen Banken, die durch Geschäfte mit US-Instituten nun ebenfalls Millionenbeträge in den Wind schreiben konnten, einmal abgesehen.

Nach anfänglicher Schockstarre und politischen Geplänkeln verabschiedete die US-Regierung mehrere Rettungspakete, die sich laut Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg im November 2008 statt der ursprünglich veranschlagten 700 Milliarden bereits auf 7,7 Billionen US-Dollar beliefen. Im Dezember senkte die US-Notenbank Federal Reserve den Leitzins auf null bis 0,25 Prozent, einen historischen Tiefststand. Staatsgarantien, Anleihen und Bundesschatzbriefe halfen zusätzlich, wieder Liquidität in den Kreditmarkt zu pumpen. Bereits im Frühjahr 2009 zahlten mehrere Banken, darunter auch die großen Häuser J.P. Morgan Chase, Morgan Stanley und Goldman Sachs rund 70 Milliarden Dollar an Kapitalhilfe aus dem Rettungsprogramm zurück, um den staatlichen Einfluss zu reduzieren. Nicht alle Banken erholten sich aber so schnell – heuer schlossen die US-Aufsichtsbehörden bereits 81 Banken, 2008 waren es nur 25 Institute. 416 Banken und Sparkassen stehen noch unter Beobachtung. Trotzdem erwies sich die Ankurbelungstaktik von Fed-Chef Ben Bernanke als erfolgreich und retteten ihm letztlich den Job, seine Wiederbestellung ist dank starker Börsen und leicht erholter US-Konjunktur wahrscheinlich.

Rettungsringe
Auch der Rest der Welt blieb von der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht verschont. In Europa beschlossen nahezu alle Staaten Rettungspakete für Banken in Schieflage. Die Verluste, u.a. bei der Deutschen Bank und der Bank of Scotland, waren erheblich. In Österreich konnte die Insolvenz der Constantia Privatbank nur durch Übernahme durch ein Konsortium der fünf Großbanken UniCredit Bank Austria, Erste Bank, Raiffeisen Zentralbank, Volksbanken AG und Bawag P.S.K. verhindert werden. Die Kommunalkredit Austria, Österreichs achtgrößte Bank, wurde um einen symbolischen Kaufpreis von zwei Euro verstaatlicht. Das mit insgesamt 100 Milliarden Euro dotierte Bankenhilfspaket nahm im Dezember 2008 zunächst nur die zur Bayerischen Landesbank gehörende Hypo Alpe Adria in Anspruch. 2009 stockten auch die Erste Bank, die Volksbanken und Raiffeisen ihr Kapital durch Partizipationsscheine der Bundesregierung auf. Die Bawag P.S.K. konnte nach langwierigen Verhandlungen erst kürzlich eine diesbezügliche Einigung erzielen.
Österreichs Wachstumsmotor der letzten Jahre, der CEE-Raum, erwies sich nunmehr als Bumerang. Das starke Engagement österreichischer Banken in Osteuropa stuften internationale Ratingagenturen vorübergehend als bonitätsmindernd ein.
Auf EU-Ebene wurden langfristige Refinanzierungsgeschäfte sowie zusätzliche Garantien für bedrohte Banken genehmigt. Die Europäische Zentralbank senkte – teilweise in konzertierten Aktionen mit sieben der führenden Notenbanken der Welt – in mehreren Tranchen den Leitzins auf schließlich ein Prozent. In vielen Ländern starteten umfangreiche Programme zur Konjunkturbelebung, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Finanzmarktstabilisierung wurden modifiziert. Die USA und Deutschland führten sogenannte »Bad Banks« ein, in die problematische Wertpapiere und defizitäre Geschäftsbereiche einer angeschlagenen Bank ausgelagert werden können.

Auch die G-20-Staaten zeigten sich bei zwei Gipfeltreffen im November 2008 und April 2009 überraschend einig: Ein »Weltkonjunkturprogramm« mit einem Volumen von 1,1 Billionen US-Dollar war schnell beschlossen, internationale Richtlinien zur strengeren Kontrolle der Finanzmärkte wurden vorerst nur diskutiert. Das Ziel, durch verbindliche Auflagen und Sicherheitsnetze eine Wiederholung einer derartigen Finanzkrise zu verhindern, ist jedoch inzwischen in weite Ferne gerückt. Das nächste G-20-Treffen wäre zwar für Jahresende 2009 vorgesehen, die Erholungskur der Börsen dürfte aber den nötigen Druck für gemeinschaftlichen Handlungsbedarf deutlich gemildert haben.

Historisches Tief
War man in der Not noch eng zusammengerückt, so kocht nun wieder jeder lieber sein eigenes Süppchen. Zugeständnisse wie etwa die Bereitschaft, Steueroasen und Geldwäsche zu bekämpfen, sind ebenso Schnee von gestern wie die systematische Regulierung von Hedgefonds und ähnlichen Anlagekonstruktionen. Läuft doch wieder alles prima – warum also einschränken, wenn sich der Markt selbst regelt? Dass es diesmal doch nicht ganz von selbst geklappt hat, dürfte dem einen oder anderen bereits entfallen sein. Im Zuge des globalen Irrsinns wurden astronomische Summen vernichtet. Nach neuesten Schätzungen der deutschen Commerzbank Research kostete die Finanzkrise mehr als zehn Billionen Dollar (7.300 Milliarden Euro) – das entspricht etwa 1.500 Dollar pro Erdenbürger. Rund 1.600 Milliarden Dollar Verlust verzeichneten die Banken durch Abschreibungen und Pleiten, die Wertverluste am Immobilienmarkt in den USA und Großbritannien betrugen 4.650 Milliarden Dollar. Den aus der Finanzkrise resultierenden Einbruch der Weltwirtschaft veranschlagten die Wirtschaftsexperten mit rund 4.200 Milliarden Dollar, basierend auf der Annahme eines so starken Wachstums wie in den vorherigen Jahren. Wie etliche EU-Staaten, darunter auch die großen Mitgliedsländer Großbritannien, Deutschland und Frankreich, wird Österreich heuer das Maastricht-Kriterium der Neuverschuldung von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten.


Die Party geht weiter
In der Wall Street und an der Londoner Börse ist dagegen längst Business as usual eingekehrt. Im Vorjahr noch konkursreife Großbanken schütten an ihre Manager wieder fette Bonuszahlungen aus – die Party geht weiter. 55 Milliarden Dollar (rund 43 Milliarden Euro) hatten im Vorjahr allein die US-Banken Merrill Lynch und Citigroup in den Sand gesetzt und ebensoviel Staatshilfe aus dem Troubled Asset Relief Programme (TARP) bezogen, um dem Konkurs zu entgehen. Dennoch sahen die beiden Institute keinen Grund, im Katastrophenjahr auf leistungsabhängige Prämien zu verzichten. 1.434 Mitarbeiter freuten sich über Bonuszahlungen von mehr als einer Million Dollar.

Insgesamt zahlten neun US-Großbanken, die 2008 rund 175 Milliarden Dollar TARP-Unterstützung erhalten hatten, Boni in Höhe von 32,8 Milliarden Dollar aus. Das war nicht zuletzt durch Rekordgewinne möglich. Goldman Sachs, JP Morgan und Wells Fargo, viertgrößtes Finanzhaus der USA, erzielten Einnahmenzuwächse von mehr als 60 Prozent – und zwar ausgerechnet durch Investmentbanking, jener Geschäftszweig, der die Finanzkrise durch immer riskantere Spekulationen maßgeblich mitverursacht hat.

Abseits der Börsen- und Finanzwelt ist allerdings von Optimismus wenig zu spüren. Seit Oktober 2007 befinden sich die USA in der Rezession, und der Abschwung fiel im ersten Jahr deutlich stärker aus als bisher angenommen. Die Wirtschaft schrumpfte um 1,9 Prozent, jeder sechste Amerikaner ist arbeitslos oder unterbeschäftigt. Besonders problematisch wirkt sich die Krise auf die Kaufkraft und die Stimmung der Konsumenten aus, die ihre Ausgaben bereits um 1,2 Prozent zurückschraubten. In den USA, wo der private Konsum mehr als zwei Drittel der Wirtschaftsaktivität abdeckt, ein mehr als beunruhigendes Signal.

Aussicht mäßig
Auch in Europa hält man sich mit euphorischen Meldungen zurück. Die rasche Erholung des Finanzsystems wird als gutes Zeichen gewertet, die Konjunktur hinkt dieser Entwicklung aber noch hinterher. Die Prognosen pendeln zwischen Rezession und minimalem Wachstum. Kleiner Trost: Die Talsohle der Krise soll im Herbst 2009 erreicht sein. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) prognostiziert für das dritte Quartal 2009 weitere Entspannung, die internationale Wirtschaftslage bleibe aber »weiterhin fragil«. Laut Berechnungen des Instituts für Höhere Studien (IHS) wird Österreichs BIP 2009 um 4,3 Prozent schrumpfen, für kommendes Jahr wird immerhin ein Wachstum von 0,4 Prozent erwartet. Das mäßige Wachstum, maximal ein bis 2,5 Prozent, soll aber noch bis 2013 anhalten. IHS-Chef Bernhard Felderer hält es für »wenig wahrscheinlich«, dass die Weltwirtschaft 2011 schon wieder kräftig wächst. Die »Abwärtsrisiken« seien noch immer sehr hoch.

Die Maßnahmenpakete der Regierungen zeigen zwar Wirkung – in Österreich bewahrten vor allem die großzügigen Förderungen für thermische Sanierung die Bauwirtschaft vor Umsatzeinbußen –, mit dem Auslaufen der Prämien dürfte das Pulver aber vorläufig verschossen sein.

Die Verschrottungsprämien, die von mehreren westeuropäischen Ländern und den USA zur Ankurbelung des Autohandels befristet eingeführt wurden, ließen die Zulassungszahlen erstmals wieder steigen. Nun fürchten die Händler aber ein böses Erwachen. 2010 dürften allein in Deutschland, wo die Abwrackprämie für einen Rekordzuwachs von 40 Prozent gesorgt hatte, eine Million weniger Autos als heuer verkauft werden. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger ist fast jeder zweite deutsche Autohändler von Insolvenz bedroht – umso bitterer, dass von dem Boom auch noch die Importeure deutlich stärker profitierten als die deutschen Hersteller. In Österreich brachte die Verschrottungsprämie im ersten Halbjahr 2009 ein kleines Plus bei den Neuzulassungen. Ohne die am 8. Juli ausgelaufene Prämie wäre ein Absacken um rund zehn Prozent zu erwarten gewesen.

Hoffnungsschimmer
Durch die anhaltende Schwäche des Automobilmarktes bleibt auch die Zuliefererindustrie weiter unter Druck. Vor allem mittelständische Betriebe in dieser Sparte sind akut insolvenzgefährdet. Auf der Strecke bleiben aber auch kleine und mittlere Geldinstitute und unzählige Unternehmen anderer Branchen sowie ein Heer an Arbeitslosen. Für nächstes Jahr wird eine Rekordarbeitslosigkeit von 8,8 Prozent erwartet, die bis 2013 voraussichtlich nur minimal auf 8,3 Prozent sinken soll.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer zeigt inzwischen die Beendigung der Kurzarbeit der Voestalpine am Standort Linz per 1. September. Nach einem Auftragseinbruch um 50 Prozent in der ersten Jahreshälfte nehme die Nachfrage nach Flachstahlprodukten seit dem Sommer in Europa wieder kontinuierlich zu, heißt es im Unternehmen. Trotzdem gibt sich das Management betont vorsichtig: Als »Indikation eines nachhaltig gesicherten Konjunkturaufschwungs« will man die Rückkehr zur Vollzeitauslastung nicht verstanden wissen.

Denn vielleicht war’s das mit der Krise ja doch noch nicht ganz. Auch beim Börsencrash 1929 stiegen die Kurse nach dem ersten Absturz zunächst wieder kräftig an, bis es für weitere zwei Jahre stetig bergab ging. Erst 1932 war das endgültige Tief erreicht.

Die Hoffnung ist groß, dass sich die Geschichte diesmal nicht wiederholen möge.

 

Hier gehts zum Interview mit Börsen-Pfarrer Uwe Lang.

 

EXKURS:

Für die einen sind die Aktienmärkte reif für eine kleine Erholungspause, für die anderen ist die Hausse schon wieder zu Ende. Tatsächlich scheint die kometenhafte Rallye der internationalen Börsenindizes angesichts der hohen Verluste im Vorjahr fast unheimlich: Der S&P 500 legte seit März 2009 um 50 Prozent zu, ebenso der DAX und der EuroStoxx 50. Chinas führender Aktienindex, der Shanghai Composite, stieg gar um 91 Prozent.

Allerdings könnte es mit dem Höhenflug auch schon wieder vorbei sein – seit Mitte August straucheln die Aktienmärkte und der September gilt traditionell als schwächster Börsemonat. Angesichts der niedrigen Renditen bei Anleihen und des bestehenden Risikos bei Immobilien lassen sich mit Aktien dennoch ansehnliche Gewinne erzielen. Vorausgesetzt natürlich, man beachtet einige Hinweise und Anzeichen:

>> Nur in bekannte Werte investieren: Große Standardwerte sind meist eine sichere Bank, Modetrends dagegen lieber meiden. Warren Buffet investiert seit jeher in Unternehmen, die »jedes kleine Kind kennt« – und ist damit immer recht gut gefahren. Wenn die Kurse noch relativ niedrig liegen, kann man nicht viel falsch machen.

»Börsen-Pfarrer« Uwe Lang empfiehlt folgende Faustregel: Der Börsenwert eines Unternehmens sollte nicht viel größer sein als dessen Jahresumsatz, der Kurstrend außerdem nach oben zeigen.

>> Gewinne mitnehmen: Ist eine Aktie gut gelaufen, unbedingt den Gewinn abschöpfen, statt allzu lang zuzuwarten. Die Gefahr, dass die Kurse wieder drastisch fallen, ist sehr hoch. Trotzdem gute Titel weiter beobachten, möglicherweise ergibt sich ein neuer Einstieg, wenn die Aktie wieder günstiger zu haben ist.

>> Rohstoffe als Gradmesser: Die Rohstoffmärkte und der Ölpreis sind ein Gradmesser für den Zustand der globalen Wirtschaft – allerdings nur bedingt. Ein Erstarken der Wirtschaft schlägt sich in steigender Nachfrage nach Öl, Kupfer und anderen Ressourcen nieder. 2009 zogen die Rohstoffmärkte wieder kräftig an, was einen gewissen Optimismus bezüglich der konjunkturellen Entwicklung widerspiegelt. Wenn auch vorwiegend China betreffend: Chinas Ölimport stiegen im ersten Halbjahr 2009 um 53 Prozent.

Das zwischenzeitliche Absacken des Ölpreises zeigt jedoch gleichzeitig, wie instabil die Weltwirtschaft noch immer ist – als Indikator daher mit Vorsicht zu genießen.

>> Konjunkturwende: Nach Ansicht einiger US-Ökonomen mehren sich die Anzeichen für ein baldiges Ende der Rezession. So verzeichnet der amerikanische Immobilienmarkt seit Juni wieder steigende Verkaufszahlen, laut einer Studie über alle sieben Rezessionen in den USA seit 1960 ein untrügliches Signal: Im Durchschnitt vier Monate vor dem Ende einer Wirtschaftsflaute tendierten die Hausverkäufe nach oben.

Die positive Stimmung der Anleger könnte die internationalen Märkte aber schon sehr bald überhitzen. Viele Kurse liegen bereits weit über den Durchschnittswerten mit steigender Tendenz, was als klares Indiz für einen Bullenmarkt gilt.

 

 

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