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Das Lächeln des Guy Fawkes

Der Datensammelwut der Staaten und Konzerne steht immer öfter die zornige Ohnmacht all jener entgegen, die  bei wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen außen vor bleiben müssen, dafür aber zunehmend zur Kasse gebeten werden.Wunderbare Welt des Web: Je größer die Überwachung, desto größer wird der Wunsch nach Anonymität, digital wie real.

Ein globaler Maskenball als symbolischer Widerstand. Eine Analyse von Rainer Sigl.

Als der britische Comic-Autor Alan Moore Mitte der 80er-Jahre seine dystopische Graphic Novel »V für Vendetta« herausbrachte, herrschte Margaret Thatchers eiserne Faust über Großbritannien. Moores düstere Zukunftsvision erzählte von einem totalitären System Orwell’scher Prägung, das mit lückenloser Videoüberwachung das gesamte Volk unter Beobachtung hielt. Zu Fall gebracht wird dieses Regime von einem einzelnen maskierten Rächer.

Im Verlauf der letzten, von Weltwirtschaftskrisen gebeutelten Jahre hat sich Alan Moores Werk verselbstständigt – mit dem Eintreffen großer Teile seines pessimistischen Settings in Form von zunehmender Kontrollwut des Staates und gleichzeitiger Entmachtung seiner Bürger, wie sie seit 911 nicht nur in Großbritannien an der Tagesordnung scheint, ist auch der Held aus »V für Vendetta« zum Leben erwacht: Die in den TV-Nachrichten von globalen Protesten gegen Sparpakete, Überwachung und Beschränkung der Bürgerrechte allgegenwärtigen Guy-Fawkes-Masken mit dem starren Grinsen und Spitzbart sind ein direkter Verweis auf Alan Moores Rächer, der sich in just dieser anonymen Verkleidung gegen den scheinbar allmächtigen Staat zur Wehr setzt.

Anonymität, wie sie von der massenhaft getragenen Maske symbolisiert wird, ist 2011 zum begehrten Gut geworden: Nie zuvor war die Erfassung der Bürger und/oder Konsumenten mit technischen und administrativen Mitteln so gründlich wie zu Zeiten von Facebook und Polizeigesetzverschärfungen, wie sie gerade auch in Österreich parlamentarisch beschlossen werden sollen. Der Datensammelwut der Staaten und Konzerne steht immer öfter die zornige Ohnmacht all jener entgegen, die  bei wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen außen vor bleiben müssen, dafür aber zunehmend zur Kasse gebeten werden. Kein Wunder, dass romantische Helden wie jener Alan Moores hier Identifikationspotenziale anbieten.

Was »V für Vendetta« nicht vorausahnen konnte, war die revolutionäre Technologie des globalen Internet, die einerseits die Möglichkeiten der Überwachung vervielfacht, andererseits sozialen Bewegungen heutzutage ihre Dynamik verleiht. Nicht nur totalitäre Regime, sondern auch internationale Konzerne haben ein Interesse an der eindeutigen Identifikation ihrer Bürger und Kunden: Während Facebook und Co die detaillierten Datenprofile ihrer Nutzer für die bessere wirtschaftliche Verwertung speichern und die Rechte­industrie mit drakonischer Überwachung die »unerlaubte« Nutzung ihrer Produkte verhindern will, träumt die Law-and-Order-Fraktion der Politik von der totalen Sicherheit, für die schon mal Bürgerrechte zu opfern seien. Die jüngste Staatstrojaner-Affäre in Deutschland und Österreich sowie die immer wieder ans Licht kommenden Skandale der durch verschiedene Gesetze vor allzu viel Transparenz geschützten Politik zeigen hier ein gefährliches Ungleichgewicht zwischen Datensammlern und den Beobachteten.

Dass die großteils noch immer analoge Politik auf amorphe Gruppierungen wie »Anonymous«, die ebenfalls mit der Ästhetik der Guy-Fawkes-Maske verknüpft sind, reflexhaft mit dem Ruf nach noch mehr Kontrolle reagiert, zeigt, dass weder das Phänomen noch die dem Hacker-Aktivismus zugrundeliegende Motivation verstanden wurden: In »Anonymous’« Botschaften sowie in den wachsenden Protestbewegungen wie Occupy Wall Street zeigt sich das brodelnde Unterbewusstsein einer globalen und im Unterschied zu ihren politischen Eliten digital versierten Bevölkerung, die mit den eingeübten Machtverhältnissen unzufrieden ist und diese mit ihren Mitteln in Frage stellt.

Das mag oft infantil wirken, Realitätsbewusstsein vermissen lassen oder die Politik in ihren Kreisen stören, doch ernst sollte man die Lust am globalen Maskenball trotzdem nehmen. Mit der Maske des Guy Fawkes, wie sie in New York und weltweit als Zeichen des Protests getragen wird, zeigt die hauptsächlich junge, politisierte und zunehmend wirtschaftlich zukunftslose Bevölkerung, dass noch mehr Überwachung bei gleichzeitiger politischer Stagnation die globalen Probleme nicht lösen wird. Es ist eine ironische Pointe, dass in diesem Fall die Literatur nicht nur die bedrohliche Zukunft eines totalitären Staates thematisiert, sondern gleichzeitig auch die Schablone für den Widerstand bereitstellt. Mit dem Auftauchen der lächelnden Masken ist dieser Widerstand bislang symbolisch geblieben.

Last modified onMittwoch, 14 Dezember 2011 01:15

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