Open Source im E-Government
- Written by Markus Zwettler
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Im Bereich der öffentlichen Verwaltung steht eine Reihe so genannter E-Government-Projekte an. Vorrangige Ziele dabei sind die Vereinheitlichung, Interoperabilität sowie die Zuverlässigkeit unterschiedlicher Behördensysteme. Entscheidendes Kriterium dabei ist die vorangehende Wahl der Softwarelizenzierung. Welche Vor- und Nachteile können Hoheitsverwaltungen entstehen, kommt ein Open-Source-Szenario (Software, die entweder unter die General Public Licence [GPL] bzw. ein Derivat der Berkeley Software Distribution [BSD] fällt) zum Einsatz? Kurz: Soll sich österreich auf eine Art »Free UNIX« einlassen oder auf Microsoft .NET vertrauen?
1. E-Government-Projekte werden in nicht nur einem Staat durchgeführt, sondern sollen EU-weit, ja künftig weltweit im Gleichklang laufen. Insofern ist nicht nur eine konsensuale Standardisierung erwünscht, sondern ebenso ein Know-how-Transfer erstrebenswert. Können eine permanente - weil verpflichtende - Offenlegung des Source-Codes aller beteiligten Institutionen diesen schneller vorantreiben als dies ein einziger Softwarekonzern in der Lage wäre?
Thomas Lutz: Offene Standards und Open-Source-Software sind grundverschiedene Dinge. Der fundamentale Zweck jedes Standards ist es, Interoperabilität zwischen unterschiedlicher Hardware, Software und Services herzustellen. Sie sind völlig unabhängig vom Software-Entwicklungsmodell, das für die Implementation des Standards verwendet wird. Ob nun Produkte, die offene Standards unterstützen können, unter einem Open-Source-Modell oder einem kommerziellen Modell lizenziert werden, macht keinen Unterschied. Im Gegensatz dazu ist es das Ziel von Open-Source-Software sicherzustellen, dass Anwender freien Zugang zum Quellcode haben und diesen in veränderter Form wieder veröffentlichen können. Damit kann jedes Open-Source-Produkt, welches ursprünglich kompatibel zu einem gewissen Standard war, so verändert werden, dass es möglicherweise mit anderen Versionen nicht mehr zusammenspielt. Die Freiheit, den Quellcode zu verändern, inkludiert daher auch die Freiheit, die Interoperabilität des Produktes zu unterminieren. Ein E-Government-Projekt besteht üblicherweise nur zu kleinen Teilen aus einem Betriebssystem oder anderen Standardbausteinen, welche vor allem Zeit, Arbeit und Kosten sparen, wenn man sie fertig zukauft. Der weitaus größere Anteil ist die Anwendung selbst, abgesehen von den weiteren Dienstleistungen. Würde man die vielen Lösungshersteller am Markt zwingen, ihre urheberrechtlich geschützte Software offen zu legen, würde das ihre Existenzgrundlage gefährden. Tausende Arbeitsplätze wären damit verloren. Die verpflichtende Offenlegung des Source-Codes entspricht der Doktrin der Linux GPL (Freie Software Bewegung), welche das Ziel hat, die Software-Industrie zu eliminieren (www.fsf.org). Das ist vielen nicht recht, auch nicht den uneigennützigen Proponenten der BSD-Unix-Software, welche ihre Open-Source-Software nicht mit einem anschließenden Zwang zur Wiederveröffentlichung des Quellcodes versehen. Damit sind auch die meisten ernst zu nehmenden Lösungen unter BSD Unix proprietäre Lösungen, die als kommerzielles Produkt und nicht mit offenem Quellcode gehandelt werden. Eine verpflichtende Offenlegung von Programmcodes ist daher aus volkswirtschaftlichen überlegungen heraus abzulehnen.
Reinhard Gantar: Zu den zentralen Gedanken der europäischen Gemeinschaft gehört Kooperation - und Software für die öffentliche Verwaltung ist dazu hervorragend geeignet. Mit oder ohne öffentlich zirkuliertem Quelltext - die europäischen Regierungen werden die vielen Workgroup- und Spezialapplikationen untereinander austauschen wollen. Um auch Daten gemeinsam zu nutzen, müssen Standards her, und das ist traditionell ein sehr langwieriges und mühsames Unternehmen. Der Open-Source-Prozess - und der ist für die Bürokraten genauso attraktiv wie Open-Source-Software - verspricht, hier Abhilfe zu schaffen. Statt unproduktiver Ausschüsse zur Schaffung technischer Standards soll es laufende Prototypen geben, die dann von allen Teilnehmern genutzt, angepasst und verbessert werden. Diese Methode hat für die Internet-Protokolle hervorragend funktioniert - wären TCP/IP, HTML oder Sendmail in Brüssel entstanden, hätten wir zwar jede Menge in 16 verschiedenen Sprachen bedrucktes Papier, aber kein WWW. Der Open-Source-Prozess kann Konsens fördern, weil dieser durch Wettbewerb konkreter Produkte entsteht, nicht durch eurosklerotische Sophisterei.
2. Die Kosten von E-Government-Projekten würden sich bei Open-Source-Software nicht auf eine Lizenz-x-Nutzer-Rechnung belaufen, sondern verteilt entstehen. Findet sich ein Argument, das diesen demokratischen Charakter der Open-Source-Software infrage stellt?
Lutz: Wir sprechen heute viel von Kernkompetenzen des Staates, Bürokratieabbau, Privatisierung und Public-Private-Partnerships. Soll sich der Staat wieder in die andere Richtung bewegen und selbst die Kompetenz und Investitionsmittel eines Softwareherstellers aufbauen, anstatt diese vom Markt einzukaufen? Was hilft es, plakativ Einsparungen in den Anschaffungskosten zu lukrieren, aber andererseits die Kosten der Software-Entwicklung, Systemintegration, Wartung und Tests sowie die Finanzierung von Innovationszyklen selbst tragen zu müssen? Alleine bei Microsoft sind die jährlichen F-&-E-Ausgaben mit 5,2 Milliarden Euro in etwa so hoch wie das gesamte österreichische Forschungsbudget. Soll das nun der Steuerzahler bezahlen?
Die Entwicklungskosten von E-Government-Projekten bestehen im Schnitt zu mehr als zwei Dritteln aus Dienstleistung und Implementationsaufwand. Die Frage ist doch vielmehr: Welche Software ist in der Lage, diesen Kostenblock wirkungsvoll über einen längeren Anwendungszeitraum möglichst klein zu halten? Hier zeigen Anwendungsstudien, dass die Microsoft-Plattform zu signifikanten Kostenvorteilen im Vergleich zu Linux führt. Speziell Integration und Testaufwand schlagen hier zur Buche. Lizenzkosten machen hingegen im Schnitt nicht mehr als vier bis fünf Prozent der Projektkosten aus und werden über die Reduktion der Arbeitskosten mehr als rückverdient. Unterm Strich ist die kommerzielle Lösung daher meist die günstigere und hat im Gegensatz zu Linux auch eine klare Entwicklungsvision.
Gantar: Die frisch entdeckte Liebe der Bürokraten zur Open-Source-Software hat in Europa auch ideologische Gründe. Die öffentliche Verwaltung will allerorts transparenter, wendiger und bürgernäher werden. Open-Source-Software lässt die Regierungen nicht nur als hippe Sparefrohs auftreten, sondern zeigt den guten Willen, die Bevölkerung an der Regierung des Landes teilhaben zu lassen und mit offenen Karten zu spielen. Einig ist man sich aber auch innerhalb der einzelnen Administrationen nicht darüber, ob das eine gute Idee ist. Der Einsatz von Open-Source-Software ist zwar noch kein prominentes Thema, das Parlamente polarisiert, aber das kann noch kommen. Besonders weil die etablierte Software-Industrie, allen voran Microsoft, bereits begonnen hat, gegen den Einsatz von Open-Source-Software Einfluss zu nehmen. Dass Open-Source Software »demokratischer« ist, leuchtet ein, dass die Kosten durch einmalige Entwicklung und mehrfache Nutzung gesenkt werden, auch.
3. Open Source könnte Sicherheitsbedenken und Paranoia provozieren (jeder technisch Versierte weiß über die Funktionsweise des Elektro-Staates im Detail Bescheid). Andererseits ermöglicht er die effiziente Einbindung aller Forschungseinrichtungen sowie universitärer Bereiche. Was überwiegt?
Lutz: Eine Offenlegung des Quellcodes ist noch kein substanzieller Beitrag zu mehr Sicherheit. Sonst würden Banken ja auch beginnen, die Baupläne ihrer Alarmanlagen im Internet zu veröffentlichen. Die Einsicht in den Quellcode zum Zweck der Kontrolle komplexer Funktionen und für die Ausbildung an Universitäten ist jedoch eine gute Sache. Microsoft hat deshalb mit der Shared-Source-Initiative und dem weiterführenden Government-Security-Program sowohl staatlichen Stellen als auch Universitäten weltweit die Einsicht in den Quellcode von Windows und dem .NET-Framework gegeben.
Man muss aber bedenken, dass es global nur wenige tausend Menschen gibt, die Betriebssystemcodes wirklich lesen und verstehen können und sich daher sowohl bei Windows als auch Unix-Open-Source mehr der vertrauensbildende Charakter des Man-kann-reinsehen-wenn-man-will in der Art einer beruhigenden Versicherung auswirkt. Eine überlegenheit von Open Source hinsichtlich Security ist jedoch keinesfalls auszumachen. Tatsache ist, dass sowohl Linux als auch Windows immer wieder Lücken aufweisen und derzeit Linux in der Statistik der schwer wiegenden Sicherheitsprobleme sogar führend ist. Wichtiger ist, wie schnell und effizient diese Probleme beim Kunden behoben werden. Hier hat Windows mit vielen Automatismen für Software-Updates deutlich die Nase vorn. Windows hat sich zudem den weltweit strengsten Kriterien hinsichtlich Sicherheit unterzogen, die es gibt - den Common Criteria-Richtlinien, welche für Regierungen und öffentliche Stellen weltweit als internationaler Standard und verbindliche Zertifizierung für Systemsicherheit angesehen werden. In einem über zwei Jahre dauernden Test konnte Windows sowohl auf Server- als auf Client-Seite die höchste Sicherheitsstufe für Standardsoftware (EAL4+) erreichen. Diese Zertifizierung gibt es für Linux nicht.
Gantar: Das überwiegende Argument muss nicht das stichhaltige sein. Zunächst erscheint es plausibel, dass bei Verschlüsselung, Beglaubigung und den Verfahren zu deren Implementation die Technik so verschleiert wie möglich sein sollte (»Sicherheit durch Unwissenheit«). So einfach ist es aber nicht. Fehlender Quelltext hat in der Vergangenheit findige Talente nicht davon abgehalten, komplexe Sicherheitssysteme zu knacken, oft ohne die eigentlichen Sicherheitsmechanismen selbst zu ergründen - die allgemeine Verfügbarkeit von ehemals geschützten Raubkopien legt ein lebendiges Zeugnis dieser Tatsache ab. Das Problem mit dieser Geheimniskrämerei ist, dass die Verfahren von nur wenigen Insidern geprüft werden, die nicht auf jede einzelne Idee zur Korrumpierung eines Systems kommen können, schon gar nicht, wenn sie sich nicht in die Geisteswelt eines15-jährigen Fanatikers versetzen können, der nicht mehr essen und nicht mehr schlafen mag, bis er ein Hintertürchen gefunden hat. Der Passwortschutz von Word-Dokumenten wurde zuerst von einem Halbwüchsigen geknackt, der das Tagebuch seiner großen Schwester lesen wollte, obwohl weder das Verfahren noch der Quelltext dazu öffentlich bekannt waren. Solche Peinlichkeiten können durch freie Code-Zirkulation vermieden werden. Typischerweise werden die Verfahren und ihre Implementation von tausenden von Menschen geprüft, die unterschiedliche Erfahrungen, Schwerpunkte und Ansätze haben. Benutzer, für die viel auf dem Spiel steht, machen Tests, Diplomanden schreiben Arbeiten darüber, Haarspalter trampeln darauf herum und machen sich wichtig. Die Chancen, dass kriminelle Intelligenzen einen Fehler finden, sind natürlich sehr groß, aber die Chancen, dass dieses Wissen dann ihre exklusive Kenntnis ist, sind null. Und ein Sicherheitskonzept, das nur sicher ist, wenn niemand sein Innenleben kennt, ist nicht einmal den Dreck unter dem Fingernagel wert - man kann Ingenieure, die es entworfen haben, nicht einfach umbringen wie ein Pharao die Architekten seiner Pyramide.
4. Open-Source-Software hat sich als Freiwilligen-Engagement, aus Idealismus heraus entwickelt. Der Zweifel am Fortbestand dieser Lizenzpolitik würde sich durch den Einsatz in der öffentlichen Verwaltung verflüchtigen (nachdem er durch Engagements von IBM und Sun ohnehin schon ad absurdum geführt wurde). Jedoch: Welches Szenario würde entstehen, wenn sich nur Teilbereiche der Verwaltung bzw. der Staatengemeinde auf Open-Source-Software stützen würden?
Lutz: Die Engagements von IBM und Sun dienen ausschließlich eigennützigen Zwecken. Es steht die Unterstützung von Linux als Steigbügelhalter für lukrative Hardware und Dienstleistungsaufträge sowie der Wettbewerb mit Microsoft im Vordergrund, kein Idealismus. Eigenentwicklungen sind daher auch mehrheitlich auf die eigene Plattform gerichtet. Durch die rigorose Lizenzierung von Linux unter der GNU Public License wird die Integration dieser Software in heterogenen Umgebungen jedoch mehr und mehr zum rechtlichen Eiertanz: Kein Kunde kann sich sicher sein, ob der bei ihm eingesetzte Code nicht möglicherweise Rechte Dritter verletzt. Open-Source-Kunden sind gut beraten, Rechtsgarantien vom Lieferanten einzufordern. Generell wird es für die Verwaltung Fälle geben, wo Unix eine gute Wahl darstellt, und solche, wo es Windows ist. Es sollten jedoch primär betriebswirtschaftliche überlegungen sein, die für eine Lösung sprechen, keine ideologischen.
Gantar: Es werden sich nur Teilbereiche der Verwaltung auf Open-Source-Software stützen, und sie werden praktisch ihren gesamten Code selber entwickeln und finanzieren müssen. Dass Freiwillige aus reinem Idealismus dem Finanzamt oder dem Meldeamt unter die Arme greifen, wird nicht passieren. Bei spezifischen E-Government-Applikationen wird die Entwicklergemeinde wohl auf die Regierungsinstitutionen beschränkt bleiben. Bei der ganz allgemeinen Infrastruktursoftware wie Linux oder Open Office - und hier sind wir bei einer bedeutenden Revierstreitigkeit zwischen Microsoft und den Regierungen angekommen - sollte der Staat nicht fragen, was die Open-Source-Community für ihn tun kann, sondern was er für die Community tun kann. Microsoft ist in gewisser Weise zu den Stadtwerken des Cyberspace geworden und schickt sich an, mit ihren elektronischen Stempeln, Unterschriften und Siegeln zu seinem Passamt, Innenministerium und zur Meldestelle zu werden, was traditionell die Aufgabe eines ordentlich geführten Staatswesens ist, nicht die eines amerikanischen Monopolisten mit tanzenden Büroklammern. Diese Entwicklung betrachten Bürokraten mit Sorge. Allgemein zugängliche Infrastruktursoftware, die Microsoft-Produkte ersetzen kann, würde Regierungen wieder ihre traditionelle Rolle in diesen wichtigen Geschäften einnehmen lassen - das kann ruhig Steuergeld kosten, denn auch das hat Tradition. Sich um den Fortbestand von Open-Source-Software zu kümmern und sie zu fördern, kann man durchaus als Aufgabe des Staates betrachten.
5. Lassen sich Total-Cost-of-Ownership-Argumente durch Open-Source-Software entkräften, indem der Staat nach der Prämisse Jeder Bürger soll die Möglichkeit haben, an der Fortentwicklung und überwachung beizutragen verfährt? Das intellectual property würde sich idealerweise in der Kreativität aller Staaten auflösen und damit die Kosten - Steuergelder - weltweit senken können. Ist dies realistisch?
Lutz: Lassen Sie mich mit einem Vergleich antworten. Auch wenn Sie die allgemeine Relativitätstheorie auf eine Leinwand am Rathausplatz projizieren würden, so könnten Sie trotzdem nicht davon ausgehen, dass deshalb alle Bürger an der Fortentwicklung und Fehlersuche in Richtung Weltformel mitarbeiten würden. Nur eine Hand voll Mathematiker vielleicht. Der Linux-Kernel wird weltweit von etwa 400 Entwicklern entwickelt, nicht mehr. Es wird sich ähnlich mit dem Quellcode komplexer Betriebssysteme und Anwendungen für das E-Government des 21. Jahrhunderts verhalten. Das Testen von Codes ist dabei eine wesentliche Aufgabe: In der Open-Source-Community gibt es zwar zahlreiche leidenschaftliche Programmierer, aber verhältnismäßig wenig qualifizierte Leute für die im Vergleich langweiligen und aufwändigen System- und Integrationstests, die jedoch unumgänglich für die Qualität von marktreifen Produkten sind. Dieser Aufwand führt derzeit zu Zusatzkosten auf der Kundenseite.
Gantar: Total-Cost-of-Ownership-Argumente sind kostenbewussten Beamten natürlich immer zugänglich, aber es sind die privaten Software-Anbieter, die immer darauf herumreiten. Um Geld geht es nicht wirklich, möglicherweise ist Linux im Betrieb wirklich teurer als Windows, was aber für E-Government-IT irrelevant ist, da Standardsoftware im Vergleich zu maßgeschneiderten Paketen vernachlässigbare Kosten verursacht. Dass das intellectual property von Open-Source-Software allen gehört, ist ein kraftvolles Argument dafür, dass der Staat hier parteiisch werden sollte. Man überspannt den Begriff nicht einmal zu sehr, wenn man sagt: Linux, Apache, Sendmail oder die Programmiersprache Perl sind Denkmäler oder Kulturgüter - so etwas wie ein Korallenriff, eine Kathedrale, ein Heldengedicht oder eine Liedersammlung - ohne Copyright, ohne Lizenzen, ausgeschmückt von einem Heer von Urhebern. Das alleine macht diese Software förderungswürdig. Jede Investition in Open-Source-Software ist auf jeden Fall eine Investition in die Unabhängigkeit einer Regierung, was in Bereichen wie Agrar- oder Stahlindustrie enorme Summen verschlingt. In diesem Licht erscheint die Forderung, Open-Source-Software solle Geld sparen, etwas merkwürdig. Aber: Open-Source-Software würde Geld sparen, vermutlich aber nicht, weil Linux, Apache und Open Office weniger Geld kosten als Windows, IIS und MS Office, sondern weil durch den Open-Source-Prozess, an dem möglichst viele Regierungsinstitutionen teilnehmen sollten, sehr kosteneffektiv Standards und funktionierender Code geschaffen würden, die von allen genutzt werden können. Linux ist dazu nicht einmal notwendig, das Verfahren ist natürlich auch auf Windows-Software anwendbar, aber das würde die Bürokraten von Microsoft abhängig machen.
6. Bei aller Offenheit der Open-Source-Software: Die Fähigkeiten, etwa Linux in Kernel-Tiefe zu durchdringen oder Code für Embedded Systems zu verstehen, werden auch weiterhin auf eine geringe Anzahl an Experten beschränkt bleiben. Dies bedenkend - macht die Ausführung kritischer E-Government-Projekte nicht eher durch einen hoch spezialisierten Softwarekonzern Sinn?
Lutz: E-Government ist weitgehend Enterprise-Computing. Es gibt daher auch nicht so viele Firmen, die solche Projekte vollinhaltlich umsetzen können. Es macht daher grundsätzlich Sinn, Experten zu beauftragen, die bereits in zahlreichen Projekten weltweit ihr Können unter Beweis gestellt haben. Microsoft ist in den meisten Projekten nur ein Teil der Lösung und hat mit Partnern wie HP, Siemens oder Unisys enorme Erfahrung auf diesem Gebiet gesammelt. Moderne E-Government-Lösungen funktionieren immer mehr auf Basis von Webservices und mit .NET-Technologie. Mit dem breiten Einsatz von Standards wie XML, SOAP oder UDDI ist dabei höchstmögliche Interoperabilität gewährleistet.
Gantar: Was hier steht, kann man so interpretieren: Da sich mit dem Linux-Kernel und Embedded Systems ohnedies nur Spezialisten auskennen, überlässt man die Entwicklung von E-Government-Software am besten hoch spezialisierten Konzernen. Falls damit Microsoft gemeint ist: Microsoft ist zwar ein Konzern, aber nicht hoch spezialisiert. Betriebssysteme und Textprozessoren sind heute ein Massenprodukt, etwas wie Beton oder Telefone. E-Government wird sich dadurch nicht auszeichnen, sondern durch den Einsatz und die Bereitstellung von E-Government-Software und -Services. Diese Produkte werden, wie gesagt, auch im Open-Source-Prozess kaum von freiwilligen Hackern, sondern von entlohnten Softwareherstellern entwickelt werden. Das verschlingt um Größenordnungen mehr Mittel als der Erwerb von ein paar Millionen Windows-Lizenzen. Die freie Zirkulation des entstandenen Codes senkt die Kosten, weil einmal investiertes Geld mehrfach genutzt werden kann. Auch wenn die öffentlichkeit am Entwicklungsprozess nicht teilnimmt, hat die Zirkulation außerhalb der Administrationen Vorteile. Kleine Software-Unternehmen können sich damit vertraut machen, um bei der nächsten Ausschreibung zur Verbesserung bestimmter Pakete gleichberechtigt mitzubieten. Universitäten können im Rahmen der Ausbildung Verbesserungen beisteuern. Engagierte Bürger können den Code einer Prüfung unterziehen, um zu ermitteln, ob das Steuergeld gut angelegt wurde. Und letzten Endes gilt: Die öffentliche Hand hat diese Software bezahlt, daher sollte sie der öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
7. Bei alldem bleibt der Staat ein Machtgefüge, das sich wohl ungern der Herrschaft über die eigene Infrastruktur entledigen möchte. Ist es gerechtfertigt, von Auslieferung zu sprechen? In der Form: Bei .NET würde man sich dem Microsoft-Know-how, bei Open-Source-Software jedoch schlichtweg niemandem »ausliefern«?
Lutz: Bei Großaufträgen liefert man sich immer jemandem aus. Das macht nichts, solange das Gelieferte vollständig auf offenen Standards basiert, wie es bei .NET und Webservices der Fall ist. Man hat damit zahlreiche Anbieter am Markt, welche die Lösung jederzeit verändern und anpassen können. Das Software-ökosystem rund um Microsoft ist vielfältig und wird weltweit von mehr als 800.000 Partnern getragen. Auf der anderen Seite ist es blauäugig zu glauben, dass man sich bei Open-Source-Software niemandem ausliefern würde. Sagt man Open Source, stehen doch sofort Unix-Großkonzerne - allen voran IBM - in der Tür und versuchen, ihre Hardware, weitere lizenzpflichtige Software und Dienstleistungen unter dem Mäntelchen Linux zu verkaufen. So kürzlich geschehen im deutschen Bundestag. Die Idylle von tausenden fleißigen unbezahlten Programmierern, die unkontrolliert und ohne Vorgabe für den Staat passgerechte Anwendungen programmieren, gibt es schlicht nicht. Die Entwicklung brauchbarer E-Government-Lösungen wird letztlich immer von professionellen Entwicklern innerhalb größerer Unternehmen erledigt. Mit einer Open-Source-Lösung hat das Endprodukt dann auch nichts mehr zu tun, da neben Linux und ein wenig Basistechnologie der Rest der Lösung als proprietäre und kommerzielle Software des anbietenden Konzerns und seiner Partner mitkommt. Das Geschäft wird in Wahrheit mit der notwendigen Hardware und spezialisierten Diensten für die arbeitsintensiven Linux-Systeme gemacht. Diese Abhängigkeiten sind ebenfalls einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Gantar: Der Staat ist ein Machtgefüge, das sich im Augenblick um mehr Transparenz, mehr Bürgernähe und mehr Durchschlagskraft bemüht - oder es wenigstens so aussehen lässt. Wenn der Staat sich von Microsoft abhängig macht, hat er keine Herrschaft über die Infrastruktur, und genau das ist eine der Sorgen der Bürokraten. Energie, Stahl, Landwirtschaft, Eisenbahn - diese Dinge überlässt man als Regierung lieber nicht ausländischen Fabrikanten, koste es, was es wolle. Im 21. Jahrhundert kommt E-Government-Software zu dieser Liste hinzu. Immerhin geht es um Amts- und Staatsgeheimnisse. Und um Infrastruktur.
8. Eine gewaltige Potenz ist Open-Source-Software für die unbürokratische Erhöhung der Usability von Systemen einzuräumen. Ist es realistisch, elektronische Amtswege via offenem Quellcode selbsttätig so weit anzupassen, dass sie zwar einem Mindeststandard genügen, darüber hinaus jedoch völlige Freiheit genießen?
Lutz: Es ist kein Bit Open Source notwendig, um Bildschirmführung, Menüs und Formulare völlig frei gestalten zu können. Bei einfacher Bedienung und Workflow-Anpassbarkeit ist Microsoft führend. Die meisten Anwender und Administratoren sind aber eher froh, wenn ihre gewohnte Umgebung möglichst erhalten bleibt. Wenn man jedoch möchte, ist mit Visual Basic der Look&Feel jeder Anwendung komplett veränderbar. Das ist ein Alleinstehungsmerkmal gegenüber Open-Source-Lösungen, da dafür nicht in den Quellcode eingegriffen werden muss, was kritisch ist, neue Kompilationen nach sich zieht und auch erheblichen Testaufwand und Kosten verursacht. Mit der nächsten Office-Version werden darüber hinaus flexible XML-Dokumente und -Formulare mitgeliefert, die dann nahtlos an die Struktur der jeweiligen Geschäftsprozesse angepasst werden können. Künftige Versionen werden darüber hinaus weiter den Wechsel vom GUI (Graphical User Interface) zum NUI (Natural User Interface) vollziehen, was Handschrifterkennung und Sprachverarbeitung inkludiert. Diese Innovationsausrichtung fehlt bei Open-Source-Software weitgehend.
Gantar: Gerade bei der Benutzerführung hat die meiste Open-Source-Software noch gravierende Mängel, aber es bleibt Regierungen unbenommen, Abhilfe zu schaffen, wenn es sonst niemand tut. Die heute in der öffentlichen Verwaltung eingesetzte spezialisierte Software ist in der Regel auch nicht so nutzerfreundlich, wie sie sein könnte. Hier gäbe es für Freiwillige mit guten Ideen noch viel zu tun, was langfristig aber auch getan werden wird.
9. Macht es Sinn, einen begrenzten Teil des Codes offen darzulegen, um mit ihm experimentieren zu können? Gewisse Möglichkeiten bietet Windows heute schon, die Bedienung zu individualisieren. Wie weit ist eine Annäherung der Lizenzpolitiken vorstellbar?
Lutz: Microsoft hat mit dem Shared Source Program (www.microsoft.com/sharedsource) bereits seinen Quellcode von Windows 2000 und XP offen gelegt - nicht nur teilweise, sondern vollständig. Weltweit haben Regierungen, Universitäten und Großkunden bereits Zugriff darauf, um eigene Anwendungen darauf zu testen, Ausbildung von Studenten voranzutreiben oder Sicherheitschecks durchzuführen. So haben wir etwa das Herzstück des .NET-Frameworks, die .NET CLI, unter die BSD-Lizenz gestellt und damit für universitäre Forschung freigegeben. Die Programmiersprache C# ist bereits ein anerkannter offener ECMA-Standard. Dem gegenüber stehen so genannte De-facto-Standards, die sich über Marktmechanismen herausgebildet haben. Beispiel dafür ist Java, das kein offener Standard ist, da es fest in der Hand eines Herstellers bleibt, der entscheidet, wie und ob es damit weitergeht, und diese Technologie teilweise gebührenpflichtig an andere lizenziert. Ein Nebeneinander von BSD-Unix-Lizenzarten und kommerziellen Lizenzformen ist ohne weiteres möglich, das gibt es bereits seit über 20 Jahren und beeinträchtigt das Software-ökosystem zwischen Legislative, Universitäten, Softwareproduzenten und Kunden keineswegs. Ein Technologietransfer zwischen GPL-lizenziertem Linux und kommerziellen Anwendungen ist jedoch durch die rigorosen Bestimmungen der GNU Public License (GPL) (www.fsf.org/licenses/licenses. html) kaum möglich, und daher ist eine Annäherung an die kommerzielle Softwarewelt nur schwer vorstellbar.
Gantar: Warum auf halbem Weg stehen bleiben? Was haben einzelne Regierungen davon, wenn sie so weitermachen wie bisher? Software schreiben lassen und in den Tresor legen, nur damit sie keiner sieht? Microsofts Software die Sicherung von Vorstrafenregistern, elektronischem Geld, notariellen Beglaubigungen und Steuerbescheiden überlassen? Damit die Möglichkeit offen lassen, dass die NSA oder CIA Bill Gates um den kleinen Gefallen fragt, doch das eine oder andere undokumentierte Netzwerkfeature in Outlook einzubauen? Sich von den eigenen Lieferanten bis in alle Ewigkeit in Geiselhaft nehmen lassen? Open Source ist gewiss der vernünftigere Weg.