Aus der Not heraus
- Written by Redaktion
- font size decrease font size increase font size
In Güssing bilden erneuerbare Energieträger wie in den 104 heimischen e5-Gemeinden einen entscheidenden Wirtschaftsfaktor.
Von Karin Legat.Energieautarkie – dieses Wort gefällt uns nicht. Wir sprechen lieber von Energieautonomie. Autarkie ist eine theoretische Berechnung, denn Gemeinden sind verpflichtet, erneuerbare Energie in das öffentliche Netz einzuspeisen. Sonst entfällt der Ökostromtarif«, erklärt Joachim Hacker, Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Erneuerbare Energie EEE Güssing. Güssing befand sich in den 90er-Jahren auf der Suche nach regionalwirtschaftlichen Impulsen. Gefunden hat die Gemeinde diese im Aufbau eines modernen Energienetzes. »Unser Eigendeckungsgrad liegt bei 71 %, abhängig von produktionsseitigen Schwankungen. Für uns ist die Energiebilanz aber nicht entscheidend. Vielmehr zählen Aufwertung der Region, Arbeitsplatzschaffung, Abwanderungsstopp, Förderung der regionalen Wirtschaft sowie die Gewinnung neuer Industriezweige. Der ökologische Output freut uns natürlich sehr.«
Auch für Heimo Bürbaumer, Leiter der Geschäftsstelle e5 Österreich, wird Energieautarkie zu eng gesehen. Er setzt auf vernetzte Autarkie. »Jede Region verfügt über unterschiedliche Ressourcen und muss einen differenten Energiebedarf decken. Wenn Gemeinden ihr Potenzial an erneuerbarer Energie wie auch an Einsparmöglichkeiten voll ausschöpfen und mit anderen Gemeinden der Region zusammenarbeiten und sich austauschen, ist ein multiplizierbares Modell der Energieautarkie entstanden«, erläutert der Fachmann.
Entwicklung einer Idee
»In einer Stärken-Schwächen-Analyse unserer Region haben wir erkannt, dass Energie einen wesentlichen Kostenfaktor darstellt. In den 90er-Jahren waren Ölzentralheizungen weit verbreitet, während große Waldressourcen wenig bis gar nicht genutzt wurden«, erinnert sich Hacker. Die Entscheidung für den schrittweisen Umstieg von fossiler auf erneuerbare Energie in den Bereichen Wärme, Treibstoff und Strom fiel rasch. Kleinere Heizwerke bildeten als Demonstrationsanlagen den Beginn. »Wir wollten zeigen, dass hinsichtlich Komfort, Aufwand und Versorgung kein Unterschied zu herkömmlichen Zentralheizungen besteht.« Der nächste Schritt war der Aufbau des mittlerweile 27 km langen Fernwärmenetzes, das alle öffentlichen Gebäude, gewerbliche Großabnehmer und viele Haushalte mit Wärme aus Biomasse versorgt. »Diese Anlage hat gezeigt, wie neben einer Forcierung des ökologischen Lebens regionale Wertschöpfung, Betriebsneuansiedlungen und neue Arbeitsplätze geschaffen werden können.«
Bisher wurden die Biomasseanlagen mit Rohstoffen wie Waldhackgut, Abfallholz aus der Parkettindustrie, Klee, Mais und Gras bedient. In nächster Zeit erfolgt die Erweiterung um Reststoffe wie Abfall, organische Stoffe, Klärschlamm, Endprodukte aus der Tierhaltung und PVC.
»Güssing arbeitet mit dem Prinzip der Vergasung, einer Technologie mit hohem Wirkungsgrad. Es gibt in Europa viele Versuchsanlagen, die aber nie den Durchbruch geschafft haben. In Güssing erreichen wir eine Effizienz bis zu 85 % und durch den Einsatz von Gasmotoren einen elektrischen Wirkungsgrad von 25 %.
Eine Turbine erreicht vergleichsweise 15 %«, zeigt Hacker auf. Die vielfach gehörte Meinung, Güssing hätte nur aufgrund der Förderungen die Energiewende durchgeführt, weist er entschieden zurück. »Natürlich hat Güssing als Grenzregion den Vorteil des Ziel-1-Status. Das gilt aber nur für Betriebsansiedelungen. Für die Energieproduktion gelten durch das Ökostromgesetz bundesweit dieselben Rahmenbedingungen.« Hacker verweist »grob gerechnet« auf gesamt rund 60 Millionen Euro Investkosten – bei einer Förderquote von im Schnitt zirka 25 %.
Öko-mobil
Im Verkehrsbereich entwickelt sich Güssing langsam, aber beständig. »E-Mobilität ist für Städte sehr wichtig, im ländlichen Bereich ändert sich das Fahrverhalten nicht so rasch«, gibt der Energieexperte zu bedenken. Erste Erfahrungen mit Biosprit haben die Burgenländer in den 90er-Jahren gesammelt. »Die Initiative lief sehr erfolgreich, mit Inkrafttreten der Beimischverordnung musste sie jedoch aus Kostengründen eingestellt werden. Derzeit arbeiten wir an Treibstoffen der zweiten Generation. Hackgut wird im Biomassekraftwerk vergast, in Gasmotoren verbrannt und als Antrieb für Generatoren und für die Stromproduktion genutzt.
Über Synthese sind auch flüssige Treibstoffe herstellbar. Derzeit befinden wir uns im Forschungsstadium, wir kooperieren mit einem portugiesischen Unternehmen und Experten der Wirtschaft sowie der Technischen Universität. Die zweite Anlage produziert gasförmigen Treibstoff.« Im Mobilitäts-Umdenken liegt für e5-Leiter Bürbaumer das langfristigste und schwierigste Ziel. »Denn ich muss neben E-Mobilität neue raumplanerische Maßnahmen beachten. In den 60er- bis 90er-Jahren wurden viele Strukturen falsch aufgebaut. Zersiedelung breitete sich aus, Shoppingcenter wurden auf der grünen Wiese errichtet und die Nahversorgung in den Dörfern vernachlässigt. Daher besteht heute ein erhöhter Mobilitätsbedarf. Diesen kann ich nicht einfach mit E-Kraftfahrzeugen decken. Besser wäre, zum Beispiel die Nahversorgung in der Gemeinde zu beleben bzw. neu aufzubauen.«
Energiemix
Effizient und erneuerbar, das sind die Energieschlagwörter der Zukunft. Zentrale Kraftwerke wird es aber laut Energieexperten und Umweltfachleuten ergänzend immer geben. Laut Studien werden Wasserkraftgroßanlagen und Gaskraftwerke zum Ausgleich der entstehenden Volatilität benötigt. In Deutschland wie in Österreich wird laut Bürbaumer bereits in Richtung nachhaltiger Nutzung überschüssigen Wind- und PV-Stroms mittels erneuerbarem Methan geforscht. Energieeffizienz bildet ein zentrales Thema des e5-Programms der Österreichischen Energieagentur. »Wir unterstützen seit 1998 Gemeinden im effizienten Umgang mit der Ressource Energie und in der Nutzung erneuerbarer Energieträger. Begonnen haben wir in den drei westlichsten Bundesländern. Mittlerweile umfasst das Programm 10 %
der österreichischen Bevölkerung in 104 Gemeinden. e5 ist auch Trägerprogramm für den European Energy Award, der unter anderem in der Schweiz, in Deutschland, Irland, Litauen, in den Niederlanden und Tschechien angewandt wird.« Mit eigens geschulten Beratern werden mit den Kommunen kontinuierlich energierelevante Maßnahmen erarbeitet, umgesetzt, kontrolliert und verbessert. »Gerade jetzt in den ersten Monaten der Mitgliedschaft und bei der Erfassung der energetischen Ausgangssituation stimme ich mich jede Woche mit unserer Beraterin ab«, berichtet Gerfried Koch, Leiter des Klima- und Energiereferats in Baden. »Projektbezogen wird intensive Unterstützung angeboten«, hält Markus Burtscher, Projektleiter e5-Team in Frastanz, fest. »Durch die mehrmals jährlich angebotenen ERFA-Treffen (Erfahrungsaustausch unter den e5-Gemeinden) ergibt sich zudem eine rege Diskussion mit anderen e5-Gemeinden.«
Frastanz
In der Vorarlberger Gemeinde Frastanz ist e5 seit 2003 ein bewährtes Programm. Sämtliche Gebäudesanierungen und Neubauten werden laut Projektleiter Burtscher mittlerweile nach klaren ökologischen und energetischen Zielvorgaben durchgeführt. »Im gesamten Gemeindegebiet wurde die Straßenbeleuchtung von Quecksilberdampflampen auf energiesparende Natriumdampflampen umgestellt und Gemeindegebäude im Ortskern werden an das Biomasse-Nahwärmewerk angeschlossen. Frastanz erhält ein Energieleitbild und wird Mitglied bei der Ökostrombörse. Somit wird für sämtliche öffentlichen Einrichtungen Ökostrom bezogen.« Private Haushalte werden mit Förderungen für Biomasseheizungen und thermische Solaranlagen unterstützt.
Villach
Villach trat dem e5-Programm im Jänner 2010 bei. In den vergangenen Jahren investierte Villach rund 16,5 Mio. Euro in die energetische Sanierung des städtischen Wohnhausbestandes und sparte durch die Fokussierung auf erneuerbare Energien mehr als 4,5 Mio. Liter Öl-Äquivalent ein. Die energetische Nutzung von Deponiegas, neue Biomasse-Heizkraftwerke, spezifische Fördermodelle zur Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, der offensive Ausbau des Fernwärmenetzes und die Nutzung industrieller Abwärme sind weitere Bausteine des Umweltprogramms.
Klagenfurt
Die Kärntner Landeshauptstadt ist seit März 2011 mit an Bord von e5. Zum Umweltportfolio zählen eine Fernwärme- und eine Wärmedämmoffensive, Verkehrsberuhigungen sowie ein neues Buslinienkonzept, ebenso Einzelprojekte wie CoP (Entwicklung von Transeuropäischen Netzwerken zur Nutzung kollektiven Know-hows rund um erneuerbare Energien in Stadtgebieten), Projekte zur E-Mobilität, Schaffung eines abgasfreien Miet-Autosystems in der Innenstadt und die Durchführbarkeitsstudie zur Realisierung einer »Zero Emission City«.
Großschönau
Großschönau im Waldviertel ist ebenfalls seit März 2011 e5-reif. Die Gemeinde fördert die Errichtung von Solar-, Wind- und Wasserkraftanlagen sowie die Dämmung der obersten Geschoßdecke. Ein Nahwärmewerk auf Hackschnitzelbasis versorgt öffentliche sowie einige gewerbliche und private Gebäude. In den Jahren 2009/10 wurde die erste Sonnenstromanlage für Abwasserreinigung in NÖ sowie ein Feuerwehrhaus in Passivhausbauweise errichtet. Großschönau hat 50 Energieexperten ausgebildet und führte Energiedatenerhebungen in Haushalten durch.
Baden
Im April 2011 ist Baden auf den e5-Zug aufgesprungen. Ausgezeichnet wurde die Stadt für ihre umfassenden infrastrukturellen Maßnahmen beim Radverkehr wie Radstation, Radgarage und Bike&Ride-Anlage am Bahnhof für über 600 Räder. Neben dem Thema E-Mobilität wird derzeit ein Augenmerk auf Energiemonitoring gemeindeeigener Gebäude gelegt, etwa bei Kindergärten in Passivhausweise. Rückgewonnene Wärme aus Schwefelwasser dient zur Energieversorgung in Strandbad und Römertherme.
>> Energiebilanz Güssing:
Gesamtverbrauch (Stand 2010):
- Wärme (davon ca. 30 GWh private Haushalte) 60 GWh
- Strom (8,1 GWh Private / 7,5 GWh Gewerbe und öffentl. / 36,4 GWh Industrie 50,2 GWh
- Treibstoff (davon 17,2 GWh Private) 29 GWh
Energieproduktion (Stand 2010):
- Wärme – 4 Biomasse-Fernheizanlagen u. 3 KWK) 56 GWh
- Strom – 3 KWK-Anlagen 22,2 GWh
- Seit 2009 Methanierungsanlagen (Produktion synth. Erdgas) geplant 8,4 GWh/a
Aktueller Eigenversorgungsgrad mit Wärme und Strom: bezogen auf private Haushalte und öffentliche Gebäude und Industrie-Gewerbe 71%