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Das Pareto-Prinzip

 

\"Vilfredo80 Prozent der Ergebnisse in 20 Prozent Zeit

– die meiste Zeit geht demnach für die Lösung wenig ertragreicher Probleme drauf. Dieses Prinzip lässt sich auf viele Bereiche zur Effizienzsteigerung umlegen und birgt überraschende Erkenntnisse.

Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte der italienische Ökonom Vilfredo Pareto eine interessante These: Die mathematische Verteilung innerhalb einer Wertemenge funktioniere nach einem statistischen Phänomen, der 80/20-Regel. Pareto belegte dieses Prinzip anhand des Volksvermögens in Italien – 20 Prozent der Familien besitzen 80 Prozent des Vermögens. Würden sich die Banken vornehmlich auf diese Kundenschicht konzentrieren, wäre der Großteil ihrer Erträge gesichert.

Eine kleine Anzahl von hohen Werten trägt nach Paretos These mehr zum Gesamtwert einer Wertemenge bei als die hohe Anzahl vieler kleiner Werte dieser Menge. Die meisten Menschen lassen sich jedoch von der falschen Annahme leiten, dass die Hälfte der Anstrengungen (der Zeit, der Energie, der Ressourcen etc.) für 50 Prozent des Ergebnisses verantwortlich ist. Mitnichten: Ursache und Wirkung klaffen weiter auseinander, als wir wahrhaben wollen. Den Großteil unserer Zeit vergeuden wir mit ineffizienten, arbeitsintensiven Tätigkeiten mit geringem Output.
Mehr als 200 Jahre später findet diese Erkenntnis Eingang in moderne Management-Modelle. »Die meisten Top-Manager kennen heute das 80/20-Prinzip und fokussieren ihren Arbeitstag wie auch ihre Entscheidungen schon dementsprechend«, sagt Klaus Hölbling, Geschäftsführer von Booz & Company in Wien. 

>> Mut zur Lücke <<

Das Pareto-Prinzip lässt sich auf viele Wirtschaftsbereiche übertragen: 20 Prozent der Kunden sorgen für 80 Prozent des Umsatzes, während die restlichen 20 Prozent der Kunden ungleich mehr Arbeit und Ärger, aber kaum Umsatz bringen. Oder: Mit 20 Prozent des Arbeitsaufwandes können 80 Prozent der Ergebnisse erzielt werden, der Rest ist mühselige Kleinarbeit ohne viel Nutzen. Oder: In Besprechungen sind die meisten Punkte schnell geklärt, über einige wenige Details wird dagegen oft stunden- oder tagelang diskutiert. Und: Nur 20 Prozent der zum Meeting geladenen Personen tragen zur Lösung auch tatsächlich etwas bei.

Das Pareto-Prinzip beschreibt das Prinzip der Unausgewogenheit. »Das Pendel schlägt immer nach einer Seite aus«, sagt der Buchautor und langjährige Führungskräftetrainer Peter Gall. Auch wenn ich noch mehr Zeit in eine Sache investiere – der Ertrag wird nur minimal höher sein. Fleißaufgaben lohnen sich nicht; zumindest nicht in der Relation. Pech für Perfektionisten. Dieser Spezies legt Gall, 2006 von einem Fachmagazin zum »Trainer des Jahres« gekürt, mehr »Mut zur Lücke« nahe: »Menschen mit Perfektionsdrang verfallen in ungesunden Stress. Aber man kann nicht alles auf einmal machen und nicht zu hundert Prozent.«

Pareto selbst wies darauf hin, dass die 80/20-Regel nur dann anwendbar ist, wenn die Elemente des Systems voneinander unabhängig sind. Projekte nicht mehr bis zum Ende zu planen oder umzusetzen, weil das Ergebnis ohnedies nie allen Ansprüchen gerecht werden kann, wäre zudem ein fataler Trugschluss. Viele Aufgaben erfordern penible Sorgfalt, um Erfolg zu bringen. Geradezu gefährlich könnte es werden, wenn beispielsweise ein Chirurg beschließt, einen Tumor nicht zur Gänze herauszuoperieren, oder ein Flugzeug abstürzt, weil die Wartungsarbeiten nur zu 80 Prozent erledigt wurden.

>> Prioritäten setzen <<

Trotz dieser Grenzen bietet sich die Fokussierung auf das Wesentliche in unzähligen alltäglichen Situationen und Arbeitsbereichen an. Allerdings mit Augenmaß: Sich sklavisch an die prozentuale Verteilung im 80:20-Verhältnis zu halten, ist ebenso wenig sinnvoll wie die Regel zum alles bestimmenden Unternehmensprinzip zu erheben. Als Instrument zur Erkennung von Prioritäten eignet sich der Denkansatz jedoch allemal. Denn Paretos These wirft interessante Fragen auf: Wie gestalte ich mein Zeitmanagement, meine Arbeitsstrukturen effizienter? Welche Artikel meines Lagerbestandes brauche ich tatsächlich? Kann ich es mir überhaupt leisten, auf bestimmte Kunden zu verzichten?

Zeitmanagement-Coach Gall rät zunächst zur Erstellung einer Liste: »Ich schreibe alles auf, was zu tun ist, und bringe die einzelnen Punkte in eine Reihenfolge: Dabei konzentriere mich auf die Dinge, mit denen ich den größten Effekt erziele. 20 Prozent erledige ich später – oder eben gar nicht.« Er selbst siebt nach dem Pareto-Prinzip auch seine Kunden aus: »Ich bin da sicher radikal. Aber in den meisten Fällen ist es sinnvoller, sich auf die Stammkunden zu konzentrieren und dieses Publikum zu hegen und zu pflegen.« Will man dennoch nicht ganz auf die weniger ertragreichen Kundenbeziehungen verzichten – Motto: »Auch Kleinvieh macht Mist« –, könne man noch weiter differenzieren, so Gall: »Dann suche ich mir aus den 80 Prozent der Kunden, die wenig Profit bringen, jene 20 Prozent heraus, die zumindest wenig Aufwand machen.«

Das größte Einsparungspotenzial bergen jedoch überaltete Strukturen und Arbeitsprozesse. Routinetätigkeiten sind ebenso kritisch zu hinterfragen wie die Dokumentation interner Abläufe. »Da werden akribisch Listen geführt, die vielleicht vor zehn Jahren gebraucht wurden, aber heute nicht mehr«, so Gall. Dazu kommt der Fluch des elektronischen Zeitalters: Die E-Mail-Flut hat dazu geführt, dass Büroarbeit heute großteils aus der Bearbeitung überflüssiger Nachrichten besteht.

Die Unternehmensberatung Booz & Company zieht noch einen konsequenteren Schluss: »In unseren Gesprächen mit CEOs haben wir erkannt, dass noch bessere Ergebnisse erzielt werden können, wenn sich Unternehmen und Führungskräfte auf die differenzierenden ›Capabilities‹ des Unternehmens – damit meinen wir Fähigkeiten im weiteren Sinne – konzentrieren und diese zur Basis von Strategie, Organisation und auch den täglichen Entscheidungen machen«, sagt Geschäftsführer Hölbling. »Diese Kohärenz von Tätigkeiten mit Fähigkeiten führt automatisch zu besseren Ergebnissen, dem ›Coherence Premium‹ – eine Chance für Manager, auch 90/10 zu erzielen.«

>> Nobody is perfect <<

Wenn es um die Leistung der Mitarbeiter geht, wird es jedoch heikel. »Unter zehn Außendienstmitarbeitern sind vielleicht vier, die 80 Prozent der Umsätze bringen«, erläutert Peter Gall anhand eines Beispiels. Während einige Führungskräfte wohl gleich an Kündigung der unproduktiven Verkäufer denken, rät der Experte für Lean-Management zu einer positiven Hinterfragung: »Was fehlt den Mitarbeitern, dass sie nicht mehr leisten können? Sind sie im falschen Bereich eingesetzt? Brauchen sie Unterstützung?«

Da es den perfekten Menschen eben nicht gibt, stößt das Pareto-Prinzip auch hier an seine Grenzen. Lob und Wertschätzung können in puncto Motivation manchmal ein kleines Wunder bewirken; Spitzenleute zusätzlich zu belasten, bringe dagegen nur kurzfristigen Erfolg, so Gall: »Was hilft mir ein guter Mitarbeiter, der nach einem Jahr mit Burnout ausfällt?«



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