So dämmt Europa
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Von Karin Legat
Maßnahmen, die mehr bringen, als sie kosten – davon träumen Unternehmen und Privatpersonen gleichermaßen. Der Gebäudebereich ist wie geschaffen für diese Erfolgsgeschichte. Durch thermische Sanierung sind bis zu 90 Prozent des Energieverbrauchs vermeidbar. Die Energiehebel stehen daher auf der Reduktion des Energiebedarfs im Gebäudebestand und hier vor allem im Wohngebäudebereich. Das internationale Beratungsunternehmen für erneuerbare Energien, Ecofys, beziffert das jährliche Einsparungspotential in Europa, das durch Modernisierung von Gebäuden auf Niedrigenergiestandards erreicht werden kann, mit 460 Millionen Tonnen CO2 und 270 Milliarden Euro. Nachhaltige Gebäude zählen außerdem zu den gewinnbringendsten Möglichkeiten, die Folgen des Klimawandels zu reduzieren. In einer internationalen McKinsey-Studie möglicher CO2-Einsparungsmaßnahmen wird die thermische Gebäudesanierung an erster Stelle genannt. „Gebäudedämmung ist mit einem Plus von mehr als 150 Euro pro eingesparter Tonne der einzig große „Netto-Gewinner“ aller CO²-Reduktionsmaßnahmen“, zitiert Franz Roland Jany von der Gemeinschaft der Dämmstoffindustrie die Autoren. „Der Fokus muss nun darauf liegen, dem Bürger die Win-win-Situation vor Augen zu führen: die Investition in Ökologie und Nachhaltigkeit“, wünscht sich Roland Hebbel, Product Manager bei Steinbacher Dämmstoff GmbH. „Bürger sind immer skeptisch – in ganz Europa, ja weltweit –, wenn es um Neuerungen geht. Sie haben ein großes Beharrungsvermögen, wenn sie etwas nicht umsetzen möchten. Das Passivhaus gibt es nun seit mehr als zehn Jahren. Die Idee hat sich bewährt, trotzdem setzt es sich auf breiter Front nicht durch. Es gibt viel Widerstand, viel Unwissenheit – dem gehört entgegengewirkt – und zwar europaweit“, fordert Jany.
Die Gemeinschaft der Dämmstoffindustrie sieht ebenso wie die Wirtschaftskammer gewaltige wirtschaftliche Vorteile in der Gebäudedämmung. „Wenn wir mit dem Energieverbrauch so fortfahren wie bisher, steigt die Energieabhängigkeit Europas aus dem EU-Ausland bis 2030 auf 70 Prozent“, warnt der GDI-Geschäftsführer. Ohne eine umfangreiche Neuregelung, gibt auch EU-Energiekommissar Günther Oettinger zu, habe die EU ihr 20-20-20-Ziel verfehlt. „Nach heutigem Stand würden wir eher bei neun als bei 20 Prozent ankommen“. Daher müsse die Gebäudedämmung europaweit vorangetrieben werden. Jany: „Das hilft den Volkswirtschaften und dem Euro. Energieeffizienz bedeutet geringere Energieimporte, die Verbesserung von Handels- und Importbilanz, weniger Devisenabfluss ins Ausland sowie höhere Versorgungssicherheit.“
Bei ausreichender Dämmung wären die Konsequenzen in Osteuropa Anfang 2009 nicht so dramatisch ausgefallen, als die Erdgasversorgung über die Ukraine temporär eingestellt wurde. „Die thermische Sanierung schafft und sichert sogenannte Green Jobs. Sie ist arbeitsintensiv und hat einen geringen Materialanteil an den Gesamtkosten. Als Wirtschaftssteuerungsinstrument ist sie effizienter als Solar- und Windenergieanlagen, denn die ökologischste Energie ist immer noch jene, die man nicht braucht“, ergänzt Robert Schmid, Geschäftsführer der Baumit Beteiligungen GmbH.
Richtlinie 2010/31/EU
Europaweit ist es um die einheitliche thermische Sanierung schlecht bestellt. „Es gibt keine einheitlichen Standards. Zwar ist im Juli vergangenen Jahres eine EU-Gebäuderichtlinie in Kraft getreten, aber darin sind keine Mindestanforderungen festgeschrieben. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, selbst etwas zu unternehmen. Wie sie das machen, bleibt ihnen überlassen.“ Eurima, die Europäische Vereinigung von Dämmstoff-Herstellern, fordert von der EU daher klare Vorgaben anstatt Empfehlungen. Statt „would be nice to have“ muss es künftig heißen „must have“, mit Betonung auf Gebäuden mit einem hohen Grad an Einsparungspotenzial. Dem kann auch die GDI viel abgewinnen. „Ich bin für Totalität“, meint Jany schmunzelnd. „Das klingt hart, aber man muss die Menschen zu ihrem Glück zwingen.
Wenn man vor zehn oder 15 Jahren von einem Haus gesprochen hat, das nur mehr 10 Prozent Energie braucht, wurde man als verrückt hingestellt. Heute sind wir bei diesem Energieziel angelangt. Im Neubau ist mit Dämmung kein Kostensprung verbunden. Es gibt Grundkosten, die fallen ohnedies an. Ob ich das Gebäude mit 15 oder 20 Zentimeter Dämmmaterial versehe, ist egal. Man muss Europa dazu zwingen, das zu erkennen und den Energieverbrauch zu reduzieren, etwa indem jedes Jahr eine andere Altersgruppe von Gebäuden herangezogen und modernisiert wird. Es handelt sich nicht um einzelne Gebäude mit 30 Parteien, sondern um das Wohnhaus EU-27 mit insgesamt 220 Millionen Haushalten und einer Gesamtbevölkerung von 500 Millionen.“ Die Dämmstoffindustrie sieht dies genauso. „Von Einheitlichkeit in der Umsetzung von Dämmmaßnahmen ist keine Rede. Allgemein ist eine Tendenz der ,Verkomplizierung' zu erkennen“, berichtet Robert Schmid.
Potential ist gegeben
Der Weltmarkt für energieeffiziente Gebäudetechnologien wird im Jahr 2020 voraussichtlich 180 Milliarden Euro umfassen. Dieser Markt wächst mit 6 Prozent pro Jahr doppelt so schnell wie die gesamte Bauwirtschaft. Gebäudetechnologien umfassen auch energieeffiziente Haushaltsgeräte, Beleuchtungstechnik und Warmwassersysteme. Aber auch die thermische Gebäudeisolierung separat betrachtet, ergibt ein zukunftsträchtiges Wirtschaftsbild.
Einsparpotential bei Energie besteht in allen Ländern. „Generell ist festzustellen, dass das Bewusstsein für energiesparende Wärmedämmung im deutschsprachigen Raum hoch ist, während in den Ländern Südosteuropas der Standard der Dämmdicke bei dürftigen vier bis sechs Zentimetern liegt. Der wesentliche Grund dafür ist, dass die Energiepreise teilweise politisch motiviert finanziell gestützt werden und das Wort Energiesparen falsch interpretiert wird“, meint Peter Schmid, Geschäftsführer von Austrotherm.
Österreich bildet laut GDI neben Deutschland und der Schweiz die Speerspitze bei der Gebäudedämmung. „Polen befindet sich auch noch in einer guten Position. Aber dahinter sieht es traurig aus. Alle anderen europäischen Länder fallen unter ferner liefen. In Frankreich gibt es nur Innendämmung mit vier bis fünf Zentimetern, England ist bei Dämmung überhaupt Wüste“, informiert Jany. Großes Einsparpotential sieht er in Osteuropa. „Dort dominieren veraltete Heizsysteme, die massivst verbessert werden können. Dazu müssen sich effiziente Fördersysteme entwickeln. In Ungarn werden derzeit etwa nur einzelne Wohnungen gefördert. Von der Dämmung eines gesamtes Gebäudes ist man weit entfernt. Die Fördersysteme stecken in den Kinderschuhen“. Der slowakische Gebäudesektor (knapp die Hälfte des Gebäudebestands wurde zwischen 1946 und 1980 errichtet) bietet nach wie vor enormes für den Einsatz energieeffizienter Systeme. Auch in Tschechien stellen die zahlreichen Plattenbauviertel ein bedeutendes Energieeinsparvolumen dar. „Prinzipiell geht die Entwicklung in die richtige Richtung, wobei es ein Nord-Süd-Gefälle gibt – im Süden besteht großer Nachholbedarf. Die skandinavischen Länder sind hingegen schon sehr weit“, berichtet Roland Hebbel.
Wärmedämmung ist in warmen Ländern mindestens genauso wichtig wie in kalten Regionen. „Schließlich benötigt das Kühlen von Räumen dreimal so viel Energie wie das Heizen. Selbst Länder wie die Türkei haben erkannt, dass Dämmen wichtig ist. In klimatisch wärmeren Regionen Europas wird man sich des Umstandes bewusst, dass Glasfassaden verzichtbar sind“. Einheitlich sind europaweit die verwendeten Dämmstoffe. Von Norden bis Süden, von Osten bis Westen dominieren Styropor und Mineralwolle.
Förderfaktor Dämmung
Förderungen dagegen bilden einen bunten Mix. Petra Fleischmann, Abteilungsleiterin Förderungsmanagement bei der KPC, bringt es auf den Punkt: „Förderungen für thermische Gebäudesanierung sind europaweit kompliziert“. Laut GDI gibt es in allen Ländern, auch in den osteuropäischen, Unterstützungen. „Die Frage ist nur, ob diese ausgeschöpft und ausgeschüttet werden. In Polen können die Hilfen nicht umgesetzt werden, weil der administrative Aufwand so kompliziert ist, dass sich die Katze in den Schwanz beißt“. Das bestätigt auch Andreas Karner von KWI Consultants. „Die Förderung erfolgt sehr unterschiedlich. Aber es gibt bereits zahlreiche Programme, vor allem in den mitteleuropäischen Ländern – in Deutschland etwa das Programm „Energieeffizient Sanieren“, in Tschechien „Green Savings“ und in Großbritannien „CERT, Carbon Emissions Reduction Target“. Die Vereinheitlichung der Förderstandards ist zu begrüßen, GDI-Chef Jany sieht aber auch einen erheblichen Nachteil. „Das Negative bei Kompromissen ist, dass sich die Partner am geringsten Niveau einigen. Das schwächste Mitglied setzt sich letztendlich durch“. Zum bunten Förderbild trägt auch die Vergabebehörde bei. „Es gibt Bundesförderungen, in einigen Staaten ausschließlich Länderförderungen, in Osteuropa wird auch gemischt. Dazu kommen Förderungen von Gemeinden und Städten, etwa in Budapest. Nur wenige Maßnahmen sind so ausgelegt wie in Österreich, wo sie wirkungsvoll die Bauwirtschaft beschleunigen. Da haben wir unsere eigene Kultur entwickelt“, erklärt Jany.
EU-Gebäudesanierung als Zukunftsmarkt für Österreich?
In Österreich spielt Gebäudedämmung im Bauwesen bereits eine zentrale Rolle. „Mit der Verbesserung der Wärmedämmung haben wir neue Systeme geschaffen, von konventionellen Gebäuden zu Niedrigenergiehäusern bis Passivhäuser. Der nächste Schritt ist das Plushaus“, fasst Jany die Situation am heimischen Dämmstoffmarkt zusammen. „Länder mit derzeit geringer Dämmung holen auf. Das Knowhow wird teilweise importiert. Das ist die Chance für Österreich“, zeigt Jany in Richtung Rockwool, Baumit, Steinbacher bzw Isover auf. „Neben Deutschland und der Schweiz sind wir Technologieführer im Dämmstoffwesen. Wir müssen unser Knowhow nun zusammenfassen und etwa als Baukästen anbieten. Ein Passivhaus-Interessent in Rumänien muss nicht mühsam nach den entsprechenden Komponenten, dem Architekten, Installateur oder Heiztechniker suchen, er erwirbt das Baumodul und benötigt nur mehr einen Baumeister, der ihm das Gebäude aufstellt. Fertighäuser und Baukästen, die im Franchise vermarktet werden, haben hier eine große Chance“.
>> Nachgefragt: Wo steht Österreich im internationalen Vergleich?
> „Österreich gehörte zu den ersten Ländern – weit vor Deutschland –, das eine gut strukturierte Energiestrategie mit Schwerpunkt thermische Sanierung veröffentlich hat. Der Dämmstoffverband GDI hat dazu mit dem Sanierungsscheck als einer zentralen Forderung maßgeblich beigetragen. Doch um eine Sanierungsrate von drei Prozent zu erreichen, müssten dringend weitere Maßnahmen wie steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten, Änderungen im Mietrecht und Zweckbindung der Wohnbauförderung stattfinden. Österreich könnte also durchaus eine Spitzenstellung einnehmen, sofern der politische Wille dazu vorhanden ist. Auch im Pro-Kopf-Verbrauch bei Dämmstoffen liegen wir im internationalen Vergleich weit vorne. Doch werden die Vorteile moderner Dämmstoffe noch nicht ausreichend ausgeschöpft. Bei der Dachdämmung füllt vielfach noch 040er-Qualität den toten Raum zwischen den Sparren, anstatt dass Klemmfilz mit Lambda-Werten 035 oder 032 eingebaut wird.“
Thorsten Dambly, Geschäftsführer Knauf Insulation GmbH
> „Werden die pro Kopf Dämmstoff Verbrauchsvolumina verglichen, so stehen wir in Österreich ganz weit vorne im europäischen Ranking. Blickt man jedoch tiefer in die Materie, tut sich eine Fülle an Verbesserungspotential auf. So ist es z.B. bis heute nicht gelungen, in ganz Österreich einheitliche Energiestandards bei Gebäude zu etablieren. Die Sanierungsquote liegt nach wie vor bei ca. einem Prozent. Für groß angelegte Förderungsmaßnahmen ist kein Geld da, dafür werden demnächst Kyoto-Strafzahlungen in Milliardenhöhe fällig. Es gibt noch eine Menge zu tun.“
Walter Wagner, Commercial Manager von URSA Dämmsysteme Austria GmbH